Karl Kautsky


Die Agrarfrage




Erster Abschnitt
Die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft


X. Die überseeische Lebensmittelkonkurrenz und
die Industrialisirung der Landwirthschaft


a) Die Exportindustrie

Die letzten Kapitel haben uns gezeigt, daß die kapitalistische Produktionsweise, die die Fesseln des Feudalismus gesprengt und der Landwirthschaft einen ungeheuren Anstoß gegeben, der sie in wenigen Jahrzehnten weiter förderte, als sie früher in einem Jahrtausend gekommen, daß dieselbe Produktionsweise Tendenzen entwickelt, die die Landwirthschaft immer mehr beengen und bedrücken und bewirken, daß die der heutigen Produktionsweise entsprechenden Formen der Aneignung und des Besitzes immer mehr in Gegensatz zu den Bedürfnissen eines rationellen landwirthschaftlichen Betriebs gerathen.

Diese niederdrückenden Tendenzen machten sich schon frühzeitig bemerkbar, aber sie genirten den Landwirth und Grundbesitzer nur wenig, solange er im Stande war, die daraus resultirenden Lasten von sich auf Andere abzuwälzen, auf die Konsumenten. Solange dies der Fall, währte von dem Zusammenbruch des feudalen Staates an die goldene Zeit für die Landwirthschaft; sie dauerte bis in die siebziger Jahre hinein.

„Die im landwirthschaftlichen Ministerium“, bemerkte damals Meitzen (Der Boden und die landwirthschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staates, I, 440), „im November 1859 bearbeitete Denkschrift über die staatlichen Maßregeln zur Förderung der Landeskultur in Preußen durfte mit Recht sagen:

„‚Die erwarteten Wirkungen der Agrargesetze sind nicht ausgeblieben, an die Quelle der Erschlaffung ist eine erfreuliche Regsamkeit der ländlichen Bevölkerung getreten ... Das Zusammentreffen glücklicher Konjunkturen hat unter den Besitzern der Bauerngüter sowohl als der Rittergüter eine allgemeine Wohlhabenheit verbreitet, und die Erwerbspreise aller Landgüter haben sich wegen deren ungehinderter Kulturfähigkeit und der unbegrenzten Konkurrenz der Käufer fast bis zum Uebermaß gehoben.‘“

Wie anders spricht heute ein preußischer Minister der Landwirthschaft!

Bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre hinein stiegen ununterbrochen die Preise der Nahrungsmittel, sehr im Gegensatz zu den Preisen der Industrieprodukte sie stiegen vielfach auch schneller als die Löhne, so daß die Arbeiter ihre Lage nicht nur als Produzenten verschlechtert sahen, indem die Rate des Mehrwerths stieg, das heißt ihr Antheil an dem von ihnen geschaffenen Werthe sank, sondern oft auch als Konsumenten. Der Wohlstand der Landwirthschaft entsprang der Verelendung des Proletariats.

1.000 Kilo Weizen kosteten nach J. Conrad in

 

  

England

  

Frankreich

  

Preußen

1821–30

266,00 Mk.

192,40 Mk.

121,40 Mk.

1831–40

254,00 Mk.

199,20 Mk.

138,40 Mk.

1841–50

240,00 Mk.

206,60 Mk.

167,80 Mk.

1851–60

250,00 Mk.

231,40 Mk.

211,40 Mk.

1861–70

248,00 Mk.

224,60 Mk.

204,60 Mk.

1871–75

246,40 Mk.

248,80 Mk.

235,20 Mk.

Das Kilogramm Rindfleisch kostete in

 

  

Berlin

  

London

      

 

  

Berlin

  

London

1821–30

61 Pf.

  ? Pf.

1851–60

  85 Pf.

101 Pf.

1831–40

63 Pf.

  ? Pf.

1861–70

100 Pf.

113 Pf.

1841–50

71 Pf.

87 Pf.

1871–80

125 Pf.

131 Pf.

Dies stete Steigen nahm ein Ende im Laufe der siebziger Jahre.

Es kosteten 1.000 Kilo Weizen in

 

  

England

  

Frankreich

  

Preußen

1876–80

206,80 Mk.

229,40 Mk.

211,20 Mk.

1881–85

180,40 Mk.

205,60 Mk.

189,00 Mk.

1889

137,00 Mk.

198,30 Mk.

192,00 Mk.

Nach dem neuesten Bericht der englischen parlamentarischen Agrarkommission wurden in England als Weizenpreis pro Quarter offiziell bezeichnet

1889–91

  

32 Schilling 11 Pence

      

1892–94

  

26 Schilling   6 Pence

1890–92

33 Schilling   1 Pence

1894–95

24 Schilling   1 Pence

1891–93

31 Schilling   2 Pence

 

Das Kilogramm Rindfleisch kostete in Berlin 1881–85 119 Pfg., 1886–90 115 Pfg., in London 1881–85 124 Pfg., 1886–90 101 Pfg.

Die Preisentwicklung der Lebensmittel geht also seit den siebziger Jahren in einer der früheren entgegengesetzten Richtung vor sich.

Die Ursache dieses Umschlags ist, wie der jeder anderen großen Veränderung der modernen Landwirthschaft, in der Entwicklung der Industrie zu suchen, die immer mehr die erstere von sich abhängig macht.

Die kapitalistische Produktionsweise bedingt ununterbrochene Revolutionirung der Produktion durch die Akkumulation, die fortschreitende Anhäufung neuen Kapitals, und durch technische Umwälzungen, die aus dem ununterbrochenen Fortschritt der Wissenschaften hervorgehen, welche das Kapital in seine Dienste genommen. Die Masse der kapitalistisch erzeugten Produkte wächst daher von Jahr zu Jahr in den kapitalistischen Nationen; sie wächst viel rascher als die Bevölkerung.

Sonderbar genug wird dieser ununterbrochen zunehmende Reichthum zu einer Quelle zunehmender Verlegenheiten für die kapitalistischen Produzenten, Dank dem Umstand, daß ihre Produktionsweise Produktion von Mehrwerth ist, der nicht der Lohnarbeiterschaft, sondern der Kapitalistenklasse zufällt, gleichzeitig aber auch Produktion im Großen, Produktion von Massenartikeln, Produktion für den Konsum der Massen. Das ist ein wesentlicher Unterschied der kapitalistischen von der feudalen oder antiken Produktionsweise. Der Feudalherr oder der Sklavenbesitzer erpreßten auch Mehrprodukt von ihren Arbeitern, aber Mehrprodukt, das sie oder ihre Schmarotzer selbst verzehrten. Der kapitalistisch angeeignete Mehrwerth nimmt dagegen in der Regel zuerst die Form von Produktion an, die die Masse der Bevölkerung erwerben muß, ehe er die Form von Produkten annehmen kann, die zum Konsum des Kapitalisten geeignet sind. Der Kapitalist muß ebenso wie der Feudalherr und Sklavenhalter trachten, den Konsum der Massen herabzudrücken, um seinen eigenen zu vermehren; aber er hat dabei die Sorge, die sie nicht kannten, den Massenkonsum ununterbrochen zu steigern. Dieser Widerspruch ist eines der charakteristischsten, aber auch ungemüthlichsten jener Probleme, die der moderne Kapitalist zu lösen hat.

Naive Sozialpolitiker und auch eifrige Sozialisten bemühen sich seit Langem, ihm zu beweisen, daß der Massenkonsum um so größer, je größer der Konsum der arbeitenden Massen, daß er daher, um die Produktion im Gange erhalten und stetig erweitern zu können, nichts zu thun brauche, als die Löhne zu erhöhen. Aber diese Erwägung könnte im besten Falle dahin führen, daß der einzelne Kapitalist die Erhöhung der Löhne in anderen Industriezweigen gern sieht, nie aber die im eigenen. Ein Bierbrauer etwa mag au der Erhöhung des Massenkonsums durch Erhöhung der Löhne der anderen Arbeiter ein Interesse haben, nie aber an der durch Erhöhung des Lohnes der eigenen. Es ist richtig, je höher die Löhne, um so mehr kann der Kapitalist verkaufen. Aber er produzirt doch nicht, um zu verkaufen, sondern um einen Profit einzusacken. Der Profit ist aber ceteris paribus um so höher, je höher der Mehrwerth und dieser um so höher, je geringer der Lohn, bei gleicher Arbeitsleistung.

Die Kapitalisten wissen denn auch seit jeher ganz andere Methoden, den Massenkonsum der kapitalistisch produzirten Produkte zu heben, als die der Hebung des Konsums der arbeitenden Massen. Nicht im arbeitenden Proletariat suchen sie zunächst ihren vornehmsten Absatzmarkt, sondern in den nichtproletarischen Massen der Bevölkerung, vor Allem im Landvolk. Wir gesehen, wie sie dessen häusliche Industrie ruiniren und dadurch einen großen Markt für den Absatz ihrer Massenprodukte schaffen.

Aber dieser Markt reicht um so weniger aus, je größer die Produktivkräfte der kapitalistischen Produktionsweise und je mehr in der Bevölkerung die Lohnarbeiterschaft, also jene Klasse überwiegt, die das Massenprodukt schafft, aber der Natur der Sache nach nur einen Theil ihres Produkts konsumiren kann. Die Ausdehnung des Marktes über den Rahmen der eigenen Nation hinaus, die Produktion für den Weltmarkt und die stete Erweiterung desselben wird zu einer Lebensbedingung der kapitalistischen Industrie. Daher heute jenes Drängen und Jagen nach Erweiterung der Märkte, nach der Beglückung von Negern mit Stiefeln und Hüten, der Chinesen mit Panzerschiffen, Kanonen und Eisenbahnen, das die Signatur unserer Zeit bildet. Der innere Markt selbst hängt jetzt fast völlig vom äußeren ab. Dieser entscheidet es in der Hauptsache, ob die Geschäfte flott gehen, ob Proletarier und Kapitalisten und mit ihnen Händler, Handwerker, Landwirthe, viel konsumiren können.

Ist der äußere Markt, der Weltmarkt, nicht mehr einer raschen Erweiterung fähig, dann ist die kapitalistische Produktionsweise am Ende ihres Lateins angelangt.
 

b) Das Eisenbahnwesen

Hand in Hand mit dem steten Drängen nach Erweiterung des Absatzmarkts der Industrie geht aber auch eine Revolutionirung des Transportwesens.

Wir haben gesehen, daß die kapitalistische Produktionsweise von vornherein auf der Massenproduktion beruht. Als solche braucht sie aber auch Massentransportmittel. Sie braucht sie nicht blos zur Ausfuhr ihrer Produkte. Eine kapitalistische Großindustrie verbraucht auch weit mehr Rohmaterialien, als ihr die Nachbarschaft zu bieten vermag, sie konzentrirt größere Menschenmassen, als die Nachbarschaft zu ernähren vermag. Rohmaterialien und Lebensmittel sind aber meist nur von geringem spezifischen Werthe, in großem Gewicht und Umfang enthalten sie wenig Arbeit; nur ein besonders billiges Transportmittel vermag große Massen davon auf weite Strecken zu transportiren, ohne daß die Kosten ins Ungeheure wachsen.

Ein derartiges billiges Massentransportmittel bot in den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise nur der Wasserweg. Sie konnte sich nur am Meere oder an besonders günstig gelegenen Wasserstraßen entwickeln. Aber die kapitalistische Produktionsweise braucht nicht nur Billigkeit, sondern auch Raschheit und Sicherheit des Massentransports. Je rascher der Umschlag des Kapitals, desto weniger Kapital braucht man in einem bestimmten Unternehmen vorzuschießen, um es auf gegebener Stufenleiter fortzuführen; desto höher die Stufenleiter, die man mit einem gegebenen Kapital erreichen kann. Wenn ich meine Waaren von Manchester nach Hongkong schicke, so macht es einen gewaltigen Unterschied, ob ich die Bezahlung dafür in drei Monaten oder in einem Jahre bekomme. Wenn mein Kapital im Jahre viermal umschlägt, so wird mein Profit unter sonst gleichen Umständen viermal so groß sein, als wenn es blos einmal umschlägt.

Anderseits aber, je rascher der Verkehr, in desto größerer Entfernung kann ich meine Kunden suchen, desto mehr meinen Absatzmarkt erweitern, ohne den Umschlag meines in dem Unternehmen vorgeschossenen Kapitals zu verlangsamen, ohne dieses zu vergrößern.

Je größer die Raschheit des Verkehrs, desto geringer auch die Vorräthe an Rohmaterialien, die ich anlegen muß, um den Betrieb in stetem Gange zu erhalten. Auch in dieser Beziehung wirkt jede Verbesserung des Transportwesens dahin, daß man mit gegebenem Kapital mehr leisten, dieselbe Leistung mit geringerem Kapital erreichen, endlich aber auch, daß man den Kreis seiner Bezugsquellen erweitern kann.

In gleicher Richtung wirkt die größere Sicherheit des Verkehrs. Sie vermindert die Masse der Reserven an Geld und Rohmaterial, die der Unternehmer bereit halten muß, um gegen etwaige Störungen ml Absatz oder in der Zufuhr gerüstet zu sein.

In Bezug auf Raschheit und Sicherheit des Verkehrs läßt aber der Wassertransport durch Segel, Ruder oder Zugpferde viel zu wünschen übrig. Die Kanäle und Flüsse frieren im Winter zu, das Meer wird durch Stürme unsicher gemacht, und die Windstillen oder widrige Winde sind für den harrenden Kaufmann womöglich noch schlimmer.

Erst die Zähmung der Dampfkraft ermöglichte es, jene Formen des Massentransports zu schaffen, welche die kapitalistische Produktionsweise von den Wasserwegen unabhängig machen, sie auch in das Innere der Kontinente hinein verpflanzen und die ganze Welt in einen Absatzmarkt für die riesenhaft emporschnellende Großindustrie verwandeln.

Schon in den Anfängen unseres Jahrhunderts wurden Dampflokomotive und Eisenbahn erfunden, aber ihre Anwendung blieb fast ganz auf die Gebiete beschränkt, in denen die Großindustrie herrschte. Erst die großen Kriege, in denen dem alten Europa und Amerika der Rest gegeben wurde, machten den Weg frei zur raschesten Entwicklung des Eisenbahnwesens außerhalb der Gebiete der Großindustrie. Erst von da an wurde die Eisenbahn aus einem Produkt zu einem Vorläufer kapitalistischer Entwicklung. Wenn Rußland nach dem Krimkrieg, Oesterreich-Ungarn seit 1859 und mehr noch seit 1866 den Bau von Eisenbahnen auf alle Weise förderten, so waren vornehmlich strategische Rücksichten dabei wirksam. Nicht minder galt dies von den rumänischen und den indischen Eisenbahnen. Aber auch kommerzielle Gesichtspunkte kamen dabei zur Geltung. Die Regierungen brauchten Geld, um die Konkurenz mit den kapitalistischen Staaten aufnehmen zu können; das Einzige, was ihre Völker auf den Markt zu bringen hatten, waren aber Rohmaterialien und Lebensmittel. Für diese mußten Massentransportmittel geschaffen werden.

Von vornherein dienten diesem Zwecke die Eisenbahnen, die von der amerikanischen Kapitalistenklasse seit dem Sezessionskrieg geschaffen wurden, der das Kapital in der Union zur Alleinherrschaft erhoben hatte. Die Erfolge dieser Eisenbahnen reizten bald zur Nachahmung, und heute besteht eine der Hauptthätigkeiten der europäischen Finanz in der Gründung und Finanzirung von Eisenbahnen in ökonomisch völlig rückständigen, oft ganz menschenleeren Regionen außerhalb Europas. Der Bau derartiger Eisenbahnen bietet nicht nur dem überquellenden Kapital, unter dessen Ueberfluß die europäische Kapitalistenklasse zu ersticken droht, willkommene Abflußkanäle, er erschließt, ja schafft oft neue Märkte für die rasch wachsende Industrie Europas, erschließt und schafft aber auch neue Quellen der Zufuhr von Rohmaterialien und Lebensmitteln.

Erst jüngst publizirte Giffen folgende Tabelle über die Länge der Eisenbahnen (in englischen Meilen à 1609 Meter) zu Ende der Jahre:

In

  

1850

  

1860

  

1870

  

1880

  

1890

  

1895

Europa

14.551

33.354

  64.667

105.429

141.552

155.284

Amerika

  9.604

33.547

  58.848

109.521

212.724

229.722

Asien

     844

    5.118

    9.948

  22.023

  26.890

Australien

     350

    1.042

    4.889

  13.332

  13.888

Afrika

     278

       956

    2.904

    6.522

    8.169

Zusammen

24.155

67.393

130.631

232.691

305.143

433.954

1870 betrug das europäische Eisenbahnnetz an Ausdehnung noch die Hälfte des Eisenbahnnetzes der Welt, 1895 nur noch ein Drittel. Es hat seine Länge in diesem Zeitraum nicht ganz verfünffacht, das amerikanische hat sich dagegen versiebenfacht, das der übrigen drei Welttheile mehr als verdreißigfacht.

In ähnlicher, wenn auch nicht so gewaltiger Weise hat der Dampf die Schiffahrt umgewälzt. Nach Jannasch betrug der Tonnengehalt der ein- und auslaufenden Schiffe in den wichtigsten seefahrenden Ländern der Welt:

 

      

Totalsumme

  

Davon
Dampfertonnen

1872 (38 Länder)

137.226.600

  52.908.900

1876 (45 Länder)

189.785.300

100.754.700

1889 (41 Länder)

360.970.800

287.965.100

1892 (41 Länder)

382.480.600

313.393.100

Die Kosten des Eisenbahn- und Schiffstransports sind in stetem Fallen begriffen. Nach Sering betrugen die durchschnittlichen Frachtsätze für den Weizentransport von Chicago nach New York pro Bushel:

 

      

Wasserweg

  

Eisenbahn

1868

24,54 Cents

42,6 Cents

1884

  6,60 Cents

13,0 Cents

Der Weizentransport von New York nach Liverpool per Dampfer kostete durchschnittlich pro Bushel 1868 14,36 Cents, 1884 nur noch 6,87.

Seitdem sind die Frachtpreise noch weiter gefallen. Nach dem Yearbook of the United States, Department of Agrienlture, 1896, zahlte man für den Bushel Weizen von New York nach Liverpool im

 

      

Januar

  

Juni

1885

  9,80 Cents

5,00 Cents

1890

11,13 Cents

3,75 Cents

1896

  6,12 Cents

4,00 Cents

Der Transport von 100 Pfund Weizen kostete auf der Eisenbahn von Chicago nach New York 1893 25 Cents, 1897 20 Cents.

Diese Entwicklung des Transportwesens hat die Lage der europäischen Landwirthschaft völlig verändert. Die Produkte der Landwirthschaft zeichnen sich, wie schon erwähnt, durch geringen spezifischen Werth aus, das heißt, sie enthalten in großen Volumen und Gewicht nur verhältnißmäßig wenig menschliche Arbeit, so Kartoffeln, Heu, Milch, Obst, aber auch noch Weizen und Fleisch. Viele von ihnen vertragen auch keinen langen Transport, wie Fleisch, Milch, viele Obst- und Gemüsearten. Bei primitiven Transportmitteln vertheuerte der Transport diese Produkte sehr, wurde die Zufuhr über eine sehr beschränkte Entfernung hinaus geradezu unmöglich. Die Lebensmittelversorgung des Marktes, der Stadt, blieb eine vorwiegend lokale Angelegenheit, blieb auf ihre Umgebung beschränkt. Diese besaß ein Monopol auf Ausbeutung der städtischen Konsumenten und sie machte davon weidlich Gebrauch. Die Höhe der Transportkosten von den am fernsten gelegenen Gütern, die zur Deckung des städtischen Bedarfs noch herangezogen werden mußten, trieb die Differentialgrundrenten der näher gelegenen Güter in die Höhe. Die wachsenden Schwierigkeiten der Ausdehnung der Lebensmittelzufuhr über ein gewisses Gebiet hinaus erlaubten es auch, die absolute Grundrente ganz gewaltig in die Höhe zu schrauben.

Der Bau von Eisenbahnen änderte daran nicht viel, solange er auf die industriell hochentwickelten Länder beschränkt blieb. Wohl erschlossen sie dem städtischen Markte neue Quellen der Lebensmittelzufuhr, aber nur solche, die unter ähnlichen Verhältnissen produzirten wie die der Stadt näher gelegenen. Vor Allem aber wirkten diese Eisenbahnen dahin, den städtischen Markt enorm zu erweitern; denn erst durch sie wurde jenes rapide Anwachsen und jene ungeheure Ausdehnung der Großstädte ermöglicht, die unsere Zeit charakterisirt. Sie bewirkten auch kein Sinken der Grundrente; im Gegentheil, von der Zeit des Beginns der Eisenbahnbauten bis in die siebziger Jahre hinein war die Grundrente im westliche Europa allenthalben in rascher Steigerung begriffen. Die Eisenbahnen wirkten dahin, daß die Zahl der Grundbesitzer rasch wuchs, die an dieser Steigerung Antheil hatten. Sie haben die Masse der Grundrente, die den Grundbesitzern im Lande zufiel, ungemein vermehrt.

Anders jedoch wirken jene Eisenbahnen, die in ökonomisch rückständigen Ländern angelegt werden. Auch sie haben kaum zu einer Ueberproduktion von Lebensmitteln geführt; in dem Maße, in dem sie die Zufuhr von Lebensmitteln vermehrten, erweiterten sie den städtischen Markt, vergrößerten sie die Menge der Industriebevölkerung, die ohne die überseeische Lebensmittelzufuhr in Europa in den letzten Jahrzehnten nicht so rasch hätte anwachsen können. Nicht die Menge der zugeführten Lebensmittel wurde für die europäische Landwirthschaft bedrohlich, sondern ihre Produktionsbedingungen. Sie hatten nicht die Lasten zu tragen, welche die kapitalistische Produktionsweise der Landwirthschaft auferlegt; durch ihr Auftreten auf dem Markte machten sie es der europäischen Landwirthschaft fortan unmöglich, die Lasten, die das Privateigenthum an Grund und Boden und die kapitalistische Waarenproduktion ihr auferlegen und rasch vermehren, auf die Masse der Konsumenten abzuwälzen; sie muß sie selbst tragen, und darin besteht die heutige Agrarkrisis.
 

c) Die Gebiete der Lebensmittelkonkurrenz

Man kann die Länder, die die europäische Landwirthschaft unterbieten, in zwei große Gruppen theilen: die Gebiete des orientalischen Despotismus und die freien (jetzigen oder ehemaligen) Kolonien, vorausgesetzt, daß man zu ersteren noch Länder wie Rußland zählen kann. Aber gerade in Bezug auf die Landbevölkerung ist das im Großen und Ganzen noch der Fall.

In den ersteren Gebieten ist die Landbevölkerung völlig der Willkür des Staates und der herrschenden Klassen preisgegeben. Noch hat der Kapitalismus nicht ein nationales politisches Leben geschaffen, noch ist die Nation, wenigstens auf dem Lande, nur ein Aggregat von Dorfgemeinden, von denen jede ihr eigenes Leben für sich führt und in ihrer Isolirung der zentralisirten Staatsgewalt ohnmächtig gegenüber steht. Aber so lange diese letztere das Bereich der einfachen Waarenproduktion nicht überschreitet, ist die Lage des Bauern in einem solchen Staate in der Regel nicht allzu schlecht. Persönlich kommt er mit der Staatsgewalt kaum in Berührung, ihn schützt und vertritt dem Staate gegenüber seine demokratisch organisirte Gemeinde, und die Staatsgewalt hat wenig Mittel an der Hand, die Gemeinde übermäßig auszupressen, und wenig Veranlassung dazu, da sie ja für die Naturalien, in welchen die Steuern entrichtet werden, nur beschränkte Verwendung hat. Die Grausamkeiten und Erpressungen des orientalischen Despotismus äußern sich mehr in den Städten, den Höflingen, hohen Beamten, reichen Kaufleuten gegenüber, als auf dem flachen Lande.

Das ändert sich jedoch vollständig, wenn die Staatsgewalt mit dem europäischen Kapitalismus in der einen oder anderen Weise in Berührung kommt. Die europäische Zivilisation hält in den Formen des Militarismus, Bureaukratismus und des Staatsschuldenwesens ihren Einzug und steigert ebenso sehr plötzlich die Geldbedürfnisse der Staatsgewalt wie ihre Macht den Landgemeinden gegenüber. Nun werden die Steuern in Geldsteuern umgewandelt, respektive die etwa schon vorhandenen geringen Geldsteuern zu einer unerträglichen Höhe emporgeschraubt und rücksichtslos eingetrieben, Die Landwirthschaft ist der Hauptproduktionszweig im Staate, auf sie fällt um so mehr fast die ganze Last der Steuern, je ohnmächtiger die Landbevölkerung ist. Das behagliche Leben derselben ist dahin. Sie muß Raubbau treiben an ihrer eigenen Arbeitskraft und an den Kräften ihres Bodens, um ihm abzugewinnen, was ihm abzugewinnen ist. Die Zeit der Muße, die Zeit der künstlerischen Bethätigung ist vorbei – die schönen Holzschnitzereien und die Stickereien der südrussischen Bauern sind ein Ding der Vergangenheit –, und ebenso die Zeit des Ueberflusses. Es wird weit mehr geerntet als ehedem, dem Boden keine Zeit zur Erholung gelassen, jedoch alles, was nicht zur dürftigsten Fristung des Lebens absolut unentbehrlich, geht auf den Markt. Aber wo die Käufer finden in einem Lande, in dem fast jeder Mensch Bauer ist, der Lebensmittel verkaufen will, keine zu kaufen braucht? Der Export von Lebensmitteln wird nun zur Lebensfrage, der Bau von Eisenbahnen, die aus dem Innern nach den Häfen oder den Landesgrenzen führen, eine Nothwendigkeit für die Regierung, soll sie die Geldsteuern von den Bauern einheimsen können.

Von einer Regulirung der Preise dieser Lebensmittel durch die Produktionskosten ist kaum die Rede. Sie sind nicht kapitalistisch produzirt worden und sie werden verkauft unter dem Drucke der Staatsgewalt und des Wucherers, den die Einführung der Geldsteuern auf den Schauplatz bringt. Je höher die Steuern und die Wucherzinsen, je größer die Noth und die Schuldknechtschaft des Bauern, desto größer die Nothwendigkeit für ihn, seine Produkte loszuschlagen um jeden Preis, desto größer die Menge Arbeit, die er dem Gläubiger, einem reichen Bauern oder Dorfwirth oder Grundherrn, zur Schuldentilgung umsonst leisten muß, desto größer die Menge der Produkte, die er auf den Markt bringt, desto niedriger die Preise, die er dafür löst, desto billiger die Produkte, die auf den Gütern seiner Gläubiger produzirt werden. Die wachsende Belastung des Bauern durch Steuern und Wucherzinsen vertheuert nicht, sondern verbilligt hier das Produkt; sie drückt die Grundrenten und Löhne des Kleinbauern, soweit von solchen die Rede sein kann, aufs Aeußerste herab.

Gegen eine derartige Konkurrenz kann eine Landwirthschaft nicht aufkommen, die kapitalistisch produzirt und mit einer gegebenen Lebenshaltung der Landbevölkerung, gegebenen Löhnen und gegebenen, in Bodenpreisen und Hypothekenschulden fixirten, Grundrenten zu rechnen hat, die nicht Raubbau am Boden treibt, sondern die Statik der Bodenfruchtbarkeit aufrecht erhält, und der nur ein ungenügendes Angebot von Arbeitskräften zur Verfügung steht.

Ganz anders als diese Art der Konkurrenz jener Länder des orientalischen Despotismus, die mit dem europäischen Kapitalismus in Berührung gekommen, Rußlands, der Türkei, Indiens, ist die Konkurrenz der Kolonien, Amerikas und Australiens.

Dort finden wir eine kräftige Demokratie freier Bauern, abseits von den Welthändeln, die keinen Militarismus kennt und wenig von Steuern belastet ist. Unermeßliche Strecken fruchtbaren Landes liegen herrenlos da, denn ihre ursprünglichen Herren, die wenig zahlreichen Ureinwohner, werden ausgerottet oder auf kleine Landstriche zusammengedrängt. Noch giebt es kein Bodenmonopol Einzelner, noch keine Grundrente, der Boden hat keinen Preis. Der Landwirth braucht nicht, wie in Europa, den größten Theil seines Kapitals zum Ankauf des Bodens zu verwenden, er kann es ganz der Ausstattung des Betriebs widmen. Bei gleichem Kapitalaufwand und gleicher Bodenfläche kann daher der Landwirth in der Kolonie eine viel höhere Stufe der Bodenkultur erreichen als in Europa. Und es gelingt ihm um so mehr, da der Kolonist, wenn er von Europa kommt, ganz neue Verhältnisse vorfindet, denen er sich anzupassen hat, wobei die Traditionen und Vorurtheile der Vorzeit, die den europäischen Bauern beschweren, rasch verschwinden.

Noch ein anderer Umstand fördert die Entwicklung der Bodenkultur. Der Boden ist noch nicht ausgesogen, noch völlig jungfräulich. Er bedarf keiner Düngung und keines Fruchtwechsels und giebt für Jahre hinaus stets reichen Ertrag derselben Frucht. Der Landmann braucht also weder Dünger zu kaufen noch selbst zu fabriziren; er kann sich ganz auf die Erzeugung eines einzigen Produkts, z. B. Weizen, beschränken und thut es um so eher, je mehr das Verkehrswesen entwickelt ist, je mehr er nur Waaren produzirt und der Produktion für den Selbstgebrauch nicht mehr bedarf. Diese Einseitigkeit der Produktion erlaubt ihm, an Arbeitskräften und Arbeitsmitteln ungemein zu sparen und gleichzeitig seine Betriebsmittel ganz dem einen Zwecke anzupassen, dem allein sie zu dienen haben. Der Weizenbauer braucht keine Stallungen für Vieh, ausgenommen Zugthiere, keine Scheunen für Futtervorräthe, keine Arbeitskräfte für die Viehhaltung; er braucht keine Hackfrüchte zu bauen und erspart auch da Arbeitskräfte und Geräthe. Ebenso wie der Mangel der Grundrente wirkt auch diese Einseitigkeit der Produktion dahin, daß der Landmann in der Kolonie bei gleichem Aufwand von Kapital und Arbeit und gleicher Bodenfläche einen höheren Ertrag erzielen, oder daß er mit gleichem Aufwand von Kapital und Arbeit eine weit größere Bodenfläche mit dem gleichen Ertrag pro Hektar bewirthschaften kann wie in Europa.

Man weist zur Erklärung der hochentwickelten Technik der amerikanischen Landwirthschaft in der Regel auf den Mangel an Arbeitskräften und die hohen Löhne hin, die zur Anwendung von Maschinerie zwangen. Aber dieses Moment hätte ohne die beiden anderen eben betonten Momente sich kaum in so hohem Maße geltend machen können, als thatsächlich der Fall war.

Eine „Arbeiterfrage“ in dem Sinne, wie sie für die europäische Landwirthschaft besteht, existirt für die Kolonien nicht. Allerdings sind diese viel dünner bevölkert als die europäischen Kulturländer, die Zahl der Arbeitskräfte im Verhältniß zur Arbeitsfläche eine viel geringere.

Aber von der jeweiligen Arbeiterzahl hängt nicht das Gedeihen der Landwirthschaft, sondern nur die Art ihres Betriebs ab. Wo wenig Arbeiter, wird der Betrieb extensiver angelegt, möglichst viel Menschenarbeit durch Maschinen ersetzt u. s. w. Keineswegs ist es aber für die Prosperität der Landwirthschaft gleichgiltig, ob, bei einmal gegebener Betriebsweise, die Zahl der ihr zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte abnimmt oder nicht, und ob ihre Leistungsfähigkeit sich verringert oder nicht. Für das Gedeihen der Landwirthschaft ist nicht der jeweilige Stand der Zahl und Geschicklichkeit ihrer Arbeiter, sondern die Richtung der Veränderungen dieser Faktoren maßgebend.

Darin aber sind die Kolonien Europa überlegen. Dieselbe Landflucht, die das flache Land Europas entvölkert, führt nicht nur den Städten, sondern auch den Kolonien stets neue Schaaren kräftiger Landleute zu, die intelligentesten und energischsten ihrer Art, die unter den neuen Verhältnissen bald noch energischer und intelligenter werden und werden müssen. Die es nicht verstehen, sich den so total veränderten Verhältnissen anzupassen, gehen zu Grunde.

„Nach einigen Jahren ist ein ganz ungebildeter Einwanderer um so mehr ein viel tüchtigerer Mensch geworden, als er sich hier so außerordentlich gut nährt, beköstigt. Er gleicht einer Pflanze, die man aus magerem in besseren Boden verpflanzt hat – heute noch und so lange als hier die Arbeit besser entlohnt wird als in Europa. “ (R. Meyer, Ursachen der amerikanischen Konkurrenz, S. 16.)

Einen Kriegsdienst, der der Landwirthschaftsarbeitskräfte entführt, giebt in den Kolonien nicht.

Sering (Die landwirthschaftliche Konkurrenz Nordamerikas, S. 179) erklärt denn auch ausdrücklich: „In den Farmdistrikten hört man oft über die hohen Löhne, aber sehr selten über Mangel an Arbeitern klagen.“ Aber auch die hohen Löhne bleiben nicht auf ihrem Niveau.

Während in Europa die wachsende Schwierigkeit, Landarbeiter in genügender Zahl zu bekommen, deren Löhne im Allgemeinen steigert, haben sie in den Kolonien, Dank dem beständigen Zustrom frischer Arbeitskräfte, die Tendenz zu sinken. Nach Sering (a. a. O., S. 469) betrugen die Monatslöhne für das Jahr engagirter Landarbeiter in Dollars:

Staaten

  

1866

  

1869

  

1870

  

1879

  

1881

  

1885
(Mai)

Kalifornien

35,75

46,38

44,50

41,00

38,25

38,75

Oststaaten

33,30

32,08

28,96

20,21

26,61

25,55

Mittelstaaten

30,07

28,02

26,02

19,69

22,24

23,50

Weststaaten

28,91

27,01

23,60

20,38

23,63

22,25

Südstaaten

16,00

17,21

16,22

18,81

15,80

14,26

Eine allgemeine Abwärtsbewegung ist unverkennbar. Angesichts aller dieser Thatsachen sieht man leicht, wie lächerlich der gute Rath ist, den liberale Oekonomen gern den europäischen Landwirthen ertheilen: sie brauchten nur ebenso intelligent zu werden wie die Amerikaner und die amerikanische Konkurrenz wäre überwunden.

Aber es ist merkwürdig, daß im Laufe der Entwicklung die Amerikaner selbst, anstatt intelligenter, weniger intelligent werden, das heißt, anfangen, nach europäischer Methode zu wirthschaften.

Das Bild der kolonialen Landwirthschaft, das wir eben gezeichnet, gilt für die Vereinigten Staaten nur noch in geringem Maße. Diese Landwirthschaft beruht auf dem Raubbau. (Vergl. über diese Betriebsweise S. 147) Sie erschöpft den Boden früher oder später. Dadurch wird es nothwendig, daß der Landwirth von Zeit zu Zeit den ausgesaugten Boden mit frischem vertauscht, entweder dadurch, daß er seinem Landgut von vornherein einen so großen Umfang giebt, daß es neben dem kultivirten Theil noch einen unkultivirten umfaßt, oder dadurch, daß er, wenn sein Bodenbesitz erschöpft ist, weiter zieht in unkultivirte Gegenden und dort ein neues Stück Land für sich urbar macht. In ihrem nomadischen Charakter ähnelt die Landwirthschaft der Kolonisten der der alten Germanen, allerdings mit dem Unterschied, daß sie mit allen Hilfsmitteln der modernen Technik betrieben wird und nicht dem Selbstverbrauch, sondern dem Verkauf dient. Aber gerade dadurch muß diese moderne nomadische Landwirthschaft den Boden noch rascher aussaugen, als es die Landwirthschaft der Germanen that. Das verlassene Land bleibt wüst liegen, bis es sich erholt hat, oder es wird von einem Landmann übernommen, der nach europäischer Art mit Fruchtfolge und Düngung darauf zu wirthschaften beginnt. Auf jeden Fall wird dieser alte Boden früher oder später für den extensiven Raubbau unbrauchbar. Böden, auf denen man 40 Jahre lang ununterbrochen ohne Düngung Weizen bauen kann (Sering, a. a. O., S. 188) sind abnorme Seltenheiten.

Der unstete Charakter der amerikanischen Landwirthschaft erhellt aus folgenden Ziffern: Mit Weizen waren bebaut Acres:

 

  

Weststaaten

  

Zentralstaaten

  

Oststaaten

1880

   6.100.000

 23.700.000

   5.700.000

1890

 11.400.000

 17.600.000

   4.600.000

Zunahme (+)
od. Abnahme (−)

+ 5.300.000

− 6.100.000

− 1.100.000

In den nördlichen Oststaaten hat gleichzeitig in noch höherem Grade die gesammte landwirthschaftlich benutzte Fläche sich verringert von 46.385.632 Acres auf 42.338.024, also um mehr als 4 Millionen Acres.

Der Landhunger amerikanischer Kolonisten muß bei so rascher Erschöpfung des Bodens noch größer sein als der der alten Germanen, und wenn Deutschland die vagina gentium wurde, die immer neu gebärende Mutter zahlreicher Völker, die während der Jahrhunderte der Völkerwanderung nach und nach bis nach Afrika vordrangen, so wurde der Osten Amerikas eine vagina gentium, ein Ausgangsort von Ansiedlern, die im Laufe weniger Jahrzehnte den Kontinent bis an die Gestade des stillen Ozeans hin erfüllten.

Dieses Vordringen wurde gefördert durch die starke Einwanderung aus Europa; denn die Aussicht, Landwirthschaft ohne die Lasten der alten kapitalistischen Zivilisation, ohne Grundrente, Militarismus, Steuern, auf fruchtbarem Boden treiben zu können, war zu verlockend, als daß sie nicht zahlreiche Schaaren von Landwirthen veranlaßt hätte, die väterliche Scholle zu verlassen, mit der sie nach den Versicherungen unserer Dichter und Politiker so unzertrennlich verbunden sind, und eine neue Existenz jenseits des Weltmeers zu suchen.

Heute ist aller fruchtbare Boden in den Vereinigten Staaten Privateigenthum. Die Zunahme der Zahl der Farmen wird immer langsamer. Von 1870–1880 vermehrten sie sich um 1.348.922, das heißt um 51 Prozent, von 1880–1890 nur noch um 555.734, um 14 Prozent. Der Boden ist nicht mehr frei, er wirft Grundrente ab und hat einen Preis. Damit beginnt aber auch die Belastung der Landwirthschaft mit der Bürde des Privateigenthums unter dem Regime des Kapitalismus. Der amerikanische Landwirth muß heute ein Gut kaufen, er muß um den Betrag des Kaufgeldes sein Betriebskapital vermindern, ein kleineres Gut bewirthschaften, als es früher der Fall gewesen wäre, oder Schulden machen. Oder er muß ein Gut pachten. Wenn er stirbt, kann er seine Kinder nicht mehr auf das freie Land im fernen Westen verweisen; sie müssen sein Gut theilen oder einer unter ihnen muß es den andern abkaufen, was auch nicht ohne Verschuldung oder Schmälerung des Betriebskapitals abgeht. Verkleinerung und Verschuldung der Güter und Verschlechterung ihrer Betriebsausstattung tritt ein.

Gleichzeitig aber wachsen die Anforderungen an den Landwirth, Der Boden ist erschöpft, neuer nicht mehr umsonst zu haben. Düngung, Fruchtwechsel, Viehhaltung werden nothwendig, aber an das erfordert zusätzliche Arbeitskräfte und Geld. Seit 1880 werden in den Vereinigten Staaten bei dem Zensus die Kosten der im vorhergehenden Jahre verbrauchten Hilfsdünger aufgenommen. Sie betrugen 1880 28.600.000, 1890 38.500.000 Dollars. Eine neue Ursache der Verschuldung und der Verkleinerung der Güter tritt damit auf.

Das Pachtsystem und die Verschuldung beginnen sich einzuwurzeln und auszudehnen. Von den Landgütern der Vereinigten Staaten waren 1880 25,56 Prozent, 1890 28,37 Prozent gepachtet. (Vergl. S. 85) Die Verschuldung der Farmen wurde 1890 zum ersten Male für die gesammte Union aufgenommen. Von den Farmen, die nicht gepachtet waren, sondern vom Eigenthümer bewirthschaftet wurden, waren 1890 28,22 Prozent verschuldet, darunter die meisten in den kapitalistisch entwickelten Staaten. Unter den 886.957 verschuldeten Landgütern lagen 177.508 in den Nordatlantischen Staaten (34,22 Prozent der dortigen Farmen), 618.429 (42,52 Prozent) in den Nordzentralstaaten, dagegen in den Weststaaten nur 31.751 (23,09 Prozent), in den Südatlantischen 31.080 (7,43 Prozent), in den Südzentralstaaten 28.189 (4,59 Prozent). Die Höhe der Verschuldung wurde auf 1.086 Millionen Dollars berechnet, 35,55 Prozent des Werthes der Landgüter. Bei 88 Prozent der verschuldeten Farmen wurden als Ursache der Verschuldung: Ankauf, Meliorationen, Anschaffung von Maschinen und Vieh und dergleichen angegeben.

Diese Verhältnisse müssen auch den Strom der Einwanderung versiegen machen, während mit dem Uebergang von extensiver zu intensiver Wirthschaft die Nachfrage nach Arbeitskräften wächst. 1882 erreichte die Einwanderung in die Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt mit 788.992 Einwanderern. Seitdem ist sie stetig gesunken und betrug 1895 nur noch 279.948 Köpfe. Die Auswanderung aus Deutschland, die 1881 noch 220.902 Köpfe stark war, sank bis 1897 auf 24.631.

Dabei entwickeln sich Industrie und Handel rapid und absorbiren einen immer größeren Theil der Bevölkerung. Es vermehrte sich von 1880 bis 1890 die Zahl der Erwerbsthätigen in der Industrie um 49,1 Prozent, im Handel und Verkehr um 78,2 Prozent, in der Landwirthschaft (mit Bergbau) blos um 12,6 Prozent.

Auch für die amerikanische Landwirthschaft naht die Zeit ihrer Arbeiterfrage. Die Entwicklung der Industrie nimmt aber nicht nur der Agrikultur direkt ihre Arbeitskräfte, sie fördert auch den Militarismus. Sie wird zur Exportindustrie, die sich den Weltmarkt erobern will und in Konflikte mit den rivalisirenden Nationen geräth. Das Kriegswesen stellt größere Anforderungen, die Staatsschulden wachsen, die Steuern werden größer. Der Aufschwung der Industrie bringt Krisen mit sich, die das ganze Land erschüttern, die Arbeitslosigkeit nimmt drohende Dimensionen an, die Klassenkämpfe werden immer heftiger, die herrschenden Klassen brauchen immer stärkere Mittel der Unterdrückung und Verhütung unbequemer Bewegungen. Auch das fördert den Militarismus. Dabei wird aber der Staat selbst immer mehr eine Beute der hohen Finanz, die die Bevölkerung durch ihre Monopole ausplündert.

Alles das bedeutet eine vermehrte Belastung der Landwirthschaft der Vereinigten Staaten und Verringerung ihrer Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt.

Auch die Konkurrenz des europäischen Rußland und die Indiens wird mit der Zeit ihre Schärfe verlieren. Früher noch als in den Vereinigten Staaten muß dort der Raubbau zum Bankerott der herrschenden Methode der Landwirthschaft führen, da weniger Bodenreserve vorhanden, der alte Kulturboden schon mehr ausgesaugt ist und die Mittel der Bodenbearbeitung sich immer mehr verschlechtern, je ärmer der Bauer wird, je mehr er sein Vieh an den Wucherer und Steuerexekutor verliert. Das Ende ist die chronische, periodisch sich besonders verschärfende Hungersnoth.

Der Export kann dabei noch eine Zeitlang wachsen, namentlich in Folge fortschreitender Eisenbahnbauten, die immer wieder neue, noch nicht ausgesogene Bezirke dem Verkehr eröffnen, aber schließlich muß diese Wirthschaft entweder in völliger Verödung des Landes enden oder im Uebergang zum kapitalistischen Betrieb von Großgrundbesitzern und Großbauern, wozu in Rußland bereits zahlreiche Ansätze vorhanden.

Die Proletarisirung des Landvolks, die zahlreiche billige Arbeitskräfte und große verkäufliche Landstrecken auf den Markt wirft, und das Gegenstück dazu, das Erstehen einer zahlreichen Klasse ländlicher Wucherer, die Kapitalien anhäufen, liefern alle Vorbedingungen zu kapitalistischer Produktion. Damit werden aber die Produktionsbedingungen in Rußland denen Europas immer ähnlicher und seine Konkurrenz immer weniger preisdrückend.

Aber diejenigen sind sehr im Irrthum, die daraus schließen, die Agrarkrisis werde nun bald überwunden sein.

Der Prozeß, der sie hervorgerufen, geht ununterbrochen weiter und erschließt immer wieder neue Regionen sowohl der Kolonien wie des orientalischen Despotismus, der kapitalistischen Produktionsweise. Noch ist in Kanada, in Australien, in Südamerika unbesiedeltes Land zu finden. Dr. Rudolf Meyer schrieb 1894:

„Im Londoner Economist vom 9. September 1893 wird ein Auszug aus dem Bericht des englischen Konsularbeamten in Argentinien mitgetheilt, der unter Anderem sagt, daß im laufenden Jahre nur 12½ Millionen Acres (5 Millionen Hektar) kultivirt, aber 240 Millionen Acres oder 96 Millionen Hektar kulturfähig sind. Dazu kommen sehr große Flächen in den anderen La Platastaaten und Venezuela und Theile von Brasilien mit ähnlichen Kulturbedingungen, so daß man die kulturfähige Fläche, die dem Weizenbau geeignet ist, wohl auf 200 Millionen Hektar in Südamerika taxiren kann. Man wolle berücksichtigen, was das bedeuten wird, wenn man beachtet, daß mit Weizen, Roggen, Hafer und Gerste in den letzten Jahren bestellt worden sind in den Vereinigten Staaten circa 56 Millionen Hektar, Oesterreich-Ungarn 13, Großbritannien und Irland 4, Deutschland 14, Frankreich 15, zusammen 102 Millionen Hektar.“ (Der Kapitalismus fin de siècle, S. 469)

Aehnlich spricht sich auch der Schlußbericht der englischen parlamentarischen Agrarkommission (1897) aus. Sibirien mit seinen 100 Millionen Hektar Getreideboden wird dem Weltmarkt durch eine Eisenbahn erschlossen; von Nord, Süd, Ost und West dringen die Eisenbahnen rasch nach Zentralafrika vor und die Erschließung Chinas durch Eisenbahnen ist eine Frage der nächsten Zeit. In letzterem Lande erwartet man allerdings eher eine Zunahme der Einfuhr statt der Ausfuhr von Lebensmitteln, aber die ökonomische Struktur Chinas hat zu viel Verwandtschaft mit der Indiens, als daß wir nicht erwarten sollten, daß der Eisenbahnbau hier wie dort die gleichen Resultate zeitigen werde: den Ruin der Hausindustrie, rasche Verschuldung der Bauernschaft, langsames Erstehen kapitalistischer Industrien, daneben aber gleichzeitig mit der Zunahme von Hunger und Elend das Wachsen der Ausfuhr landwirthschaftlicher Produkte. Indien, in dem ständige Hungersnoth wüthet, exportirt in der Regel Weizen und Reis – circa 20 Millionen Zentner Weizen und 20–30 Millionen Zentner Reis.

Nicht anders steht’s in Rußland. Nach den neuesten Berechnungen produzirt die Bauernschaft dort jährlich circa 1.387 Millionen Pud Getreide (abzüglich des Saatkorns). Sie braucht zu ihrer Ernährung 1.286 Millionen Pud Roggen und für das Vieh 477 Millionen Pud. Das ergäbe also ein Defizit von 376 Millionen Pud, die die Bauernschaft zukaufen müßte, wenn sie sich und ihr Vieh ordentlich nähren wollte. Statt dessen verkauft sie noch Getreide, wie allgemein bekannt. Sie hat eben Steuern und Schinden zu bezahlen und nichts anderes zu verkaufen. Und die gleichen Ursachen werden auch den chinesischen Bauern zwingen, Weizen und Reis zu verkaufen, wie sehr er auch selbst ihrer bedürfen sollte.

Freilich sind nicht alle Länder geeignet, Weizen zu produziren. Aber es ist auch nicht unbedingt nothwendig, sich von Weizenmehl zu nähren. Bereits sind Versuche gemacht worden, Weizen und Roggeu durch andere Zerealien, Mais, Reis, Hirse &c. zu ersetzen. Diese Versuche dürften keinen großen Erfolg haben, so lange die Weizenzufuhren steigen, das Bedürfniß nach einem Surrogat nicht vorhanden. Sollte es aber einmal so weit kommen, daß aller Weizen- resp. Roggenboden okkupirt ist, und die Getreidepreise stetig steigen, so wird sich sofort der Erfindungsgeist darauf werfen, das bisherige Getreide durch Surrogate aus tropischen Produkten zu ersetzen, und dann werden auch noch jene Tropenländer, die für den Weizenbau nicht passend, Zentralamerika, Nordbrasilien, große Theile Afrikas, Indiens, die Sundainseln in die Reihe der Konkurrenten der europäischen Getreidebauer.

Natürlich müßte auch diese Konkurrenz einmal aufhören, ihren ruinösen Charakter zu verlieren. Die Erdoberfläche ist beschränkt und die kapitalistische Produktionsweise dehnt sich mit geradezu schwindelerregender Geschwindigkeit aus. Also muß die Agrarkrisis einmal ein Ende nehmen, soweit sie aus der Konkurrenz rückständiger Agrikulturländer mit vorgeschrittenen Industrieländern entspringt. Aber hat diese Konkurrenz ein Ende, dann hat auch die kapitalistische Produktionsweise jede Möglichkeit verloren, sich weiter auszudehnen. Die stete Ausdehnung ist aber ihr Lebensprinzip, denn die technische Revolution und die Akkumulation des Kapitals gehen ununterbrochen vor sich, die Produktion wird immer mehr Massenproduktion, indeß der Antheil der Masse an ihrem Produkt in stetem Sinken begriffen ist. Die Agrarkrisis kann also nur enden in der einen allgemeinen Krisis der gesammten kapitalistischen Gesellschaft. Man mag diesen Termin weiter entfernt oder näher annehmen, gewiß ist, daß die Agrarkrisis in der kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr aufhören wird, daß sie zum ehernen Bestand derselben gehört. Wenn die Lasten des Kapitalismus, die bisher die westeuropäische Landwirthschaft bedrückten, mm auch anfangen, ihre Konkurrenten in den Vereinigten Staaten, in Rußland &c. zu bedrücken, so beweist das nicht, daß die Agrarkrisis in Westeuropa ihrem Ende entgegengeht, sondern daß ihr Gebiet sich immer weiter ausdehnt.

Seit zwanzig Jahren prophezeien uns optimistische, namentlich liberale Oekonomen das baldige Ende der Agrarkrisis; seit zwanzig Jahren vertieft und verbreitet sie sich von Jahr zu Jahr. Wir haben in ihr nicht mit einer vorübergehenden, sondern einer ständigen Erscheinung zu rechnen, einer Erscheinung, die das ganze ökonomische und politische Leben umwälzt.

Wir müssen hier darauf verzichten, zu untersuchen, welche Rückwirkungen die Agrarkrisis auf die Industrie ausübt. Es sei nur bemerkt, daß deren Entwicklung durch jene wesentlich gefördert worden ist. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Sprichwort galt: Hat der Bauer Geld, hat’s die ganze Welt.

Unsere Aufgabe ist es hier blos, die Wandlungen in der Landwirthschaft zu betrachten, die die außereuropäische Lebensmittelkonkurrenz theils hervorgerufen, theils gefördert hat.
 

d) Der Rückgang der Körnerproduktion

Das nächste und einfachste Mittel für die Grundbesitzer und Landwirthe war das Rufen nach Staatshilfe, die Empörung gegen das „öde Manchesterthum“ Das heißt, nachdem der europäische Grundbesitz die ökonomische Macht verloren, die Belastung durch die kapitalistischen Produktionsbedingungen auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen, soll dies die politische Gewalt besorgen, durch Auflegung von Getreidezöllen, Geldverschlechterung (Bimetallismus), Geldprämien und dergleichen.

Es wäre überflüssig, noch einmal die theoretische Berechtigung dieser Maßregeln zu erörtern, die schon so oft diskutirt worden sind, daß man die Gesichtspunkte, welche dabei in Betracht kommen, für allbekannt ansehen darf, und daß Neues darüber kaum noch zu sagen ist. Diese Erörterung ist um so überflüssiger, als die Agrarier selbst anfangen, einzusehen, daß sie mit diesen „kleinen Mitteln“ nicht weit kommen. Bei ihren Versuchen, eine künstliche Theuerung der Lebensmittel herbeizuführen, begegnen sie in allen Kulturländern der entschiedensten Gegnerschaft der Arbeiterklasse, die davon in erster Linie betroffen würde. Der Landwirthschaft haben die Getreidezölle bisher nichts geholfen. Wenn aber einmal Verhältnisse eintreten, die sie in Stand setzen, eine erhebliche Wirksamkeit auszuüben, und die Getreidepreise in die Höhe zu treiben, dann erregen sie so unerträgliche Zustände für die große Mehrheit der Bevölkerung, daß sie vor deren Unwillen weichen müssen. Die Mißernte von 1891 veranlaßte in Frankreich eine sofortige Herabsetzung der Kornzölle (von Juli 1891 bis Juli 1892); sie veranlaßte auch in Deutschland, allerdings nicht sofort, eine Reduzirung der Zölle, und zwar nicht blos eine vorübergehende, sondern eine dauernde.

In England darf kein ernsthafter Politiker es wagen, für eine künstliche Vertheuerung der Lebensmittel einzutreten. Dazu ist dort die Arbeiterklasse zu mächtig. Die Konkurrenz mit dem freihändlerischen England gestattet aber auch den anderen Industriestaaten nicht, ihre Lebensmittelzölle übermäßig hoch zu schrauben. Das Beharren Englands auf der freien Einfuhr der Lebensmittel zwingt neben den Arbeitern auch die Kapitalisten des Kontinents, jeder Steigerung der Lebensmittelzölle auf eine Höhe, in der sie den Einfluß der auswärtigen Lebensmittelkonkurrenz paralysiren könnten, zu widerstehen.

Wenn die agrarischen Schutzzölle in Europa nicht auf eine enorme Höhe hinaufgeschraubt werden, so ist dies in erster Linie der Macht der Arbeiter Englands zu verdanken.

Daß aber, wenn eine energische agrarische Schutzzollpolitik möglich wäre, ihre Ergebnisse nicht die Landwirthschaft, sondern nur den Grundbesitz fördern, das heißt daß sie durch Hochhaltung der Grundrente die Bodenpreise in der Höhe halten, also die Belastung der Landwirthschaft durch diese verlängern würden, bedarf nach unseren Ausführungen im vorigen Kapitel keines besonderen Beweises.

Die Versuche, die europäische Landwirthschaft vor der auswärtigen Konkurrenz durch Zölle und andere „kleine Mittel“ zu schützen, sind in jeder Beziehung aussichtslos; sie haben blos den einen Erfolg, die Anpassung der Landwirthschaft an die neuen Verhältnisse zu verlangsamen.

Trotzdem geht diese Anpassung deutlich erkennbar vor sich.

Einer der Hauptvortheile der überseeischen Konkurrenz besteht in ihrem Ueberfluß an Boden, der ihr gestattet, nur den besten, zum Ackerbau geeignetsten Boden in Anbau zu nehmen.

Anders in Europa. So lange jede ländliche Wirthschaft sich selbst genügte, mußte sie Alles produziren, was sie brauchte, ohne Rücksicht darauf, ob der Boden dazu taugte oder nicht. Auch auf unfruchtbarem, steinigem, stark geneigtem Boden wurde Getreide gebaut. Die Ersetzung der Produktion für den Selbstgebrauch durch die Waarenproduktion änderte zunächst nicht viel daran; im Gegentheil, die Zunahme des Getreidebedarfs in Folge des raschen Anwachsens der Bevölkerung zwang, zu immer unfruchtbarerem Boden überzugehen, immer mehr davon dem Ackerbau zuzuwenden.

Das ändert sich, sobald die überseeische Konkurrenz eintritt. Die Nothwendigkeit, den Getreidebau auch auf nicht dafür geeignetem Boden fortzuführen, hört nun auf und wo die Umstände dafür günstig, wird er auf solchem Boden verlassen und durch andere Arten landwirthschaftlicher Produktion ersetzt.

Diese Tendenz wird noch durch folgende Umstände verstärkt. Die überseeische Konkurrenz macht sich zuerst und am auffallendsten auf dem Getreidemarkt geltend. Der Anbau von Getreide ist viel einfacher, bedarf weniger Vorbereitungen und Menschenkräfte, als z. B. intensive Viehzucht, der Anbau von Hackfrüchten und Gemüsen, der Obstbau. Getreide ist auch unter dem Nahrungsmitteln eine der Waaren, die den größten spezifischen Werth im Verhältniß zu Gewicht und Volumen haben. Eine schon früher erwähnte Tabelle von Settegast macht dies anschaulich. Danach entfallen auf einen Zentner (à 50 Kilogramm) und eine Meile Prozente des Werthes der Waare bei dein Transport auf der

Bezeichnung
der Waaren

Marktpreis
pro Zentner


Pf.

  

Landstraße
à 15 Pf.

  

Eisenbahn
à 2,5 Pf.

pro Zentner und Meile

Grünfutter

     50

30,00 Prozent

  

5,00 Prozent

Zuckerrüben

   100

15,00 Prozent

2,50 Prozent

Stroh

   100

15,00 Prozent

2,50 Prozent

Kartoffeln

   150

10,00 Prozent

1,66 Prozent

Heu

   200

  7,50 Prozent

1,25 Prozent

Milch, frisches Obst

   400

  3,75 Prozent

0,62 Prozent

Weizen

1.000

  1,50 Prozent

0,25 Prozent

Lebende Thiere

2.000

  0,25 Prozent

0,25 Prozent

Der Weizen steht also weit obenan. Die Transportkosten der lebenden Thiere haben durch die Eisenbahn eine Verringerung nicht erfahren. Die Schnelligkeit ihres Transports hat freilich gewaltig zugenommen. Ihre Transportkosten sind denen des Weizens gleich. Aber dieser verträgt den längsten Transport, Lagern, Umladen, Seereisen, ohne Schaden, während lebende Thiere unter langem Transport und gar unter dem Passiren der See sehr leiden. Sie zu lagern und aufzuspeichern, ist natürlich unmöglich. Durch seine Unempfindlichkeit gegen Dauer und Schädlichkeiten des Transports ist das Getreide aber auch den meisten anderen Massenprodukten der Landwirthschaft – Fleisch, Milch, Obst, Gemüse, Eier – weit überlegen.

Es ist also naheliegend, daß die auswärtige Konkurrenz sich zuerst auf dem Gebiet der Getreideproduktion äußert, so daß jene europäischen Landwirthe, die nicht ihr Boden geradezu auf diese Art der Produktion hinweist, in dem Uebergang zu der Erzeugung der anderen, eben genannten Produkte, ihre Rettung suchen. Aber dieser Uebergang liegt nicht in ihrem Belieben. Sie können ihn nur dort vollziehen, wo sie einen Markt für diese Produkte finden. Die ökonomische Entwicklung kommt ihnen da jedoch vielfach entgegen. Wir haben gesehen, daß in Folge einer Reihe historischer und physiologischer Momente in den Städten der Fleischkonsum ein viel stärkerer ist als auf dem flachen Lande. Da die städtische Bevölkerung viel schneller wächst, als die Gesammtbevölkerung, muß auch die Nachfrage nach Fleisch in einem viel schnelleren Verhältniß wachsen. Anderseits war bis weit in dieses Jahrhundert hinein die Produktion von Milch, Gemüse, Obst, Eiern und dergleichen für den Markt auf wenige, den Städten benachbarte Gebiete beschränkt. Im Dorfe und in der Landstadt treibt fast jeder Haushalt, auch der nichtbäuerliche, so viel Landwirthschaft, um diese Produkte für den Selbstgebrauch selbst zu erzeugen. In der Großstadt dagegen ist dies unmöglich. Sobald daher die Großstädte anfangen, einen erheblichen Theil der Bevölkerung zu umfassen, ersteht auch eine starke Nachfrage nach diesen Produkten, deren Produktion für den Markt dehnt sich nun aus, zum Vortheil des Seckel des Bauern, nicht immer zum Vortheil seiner Gesundheit: ehedem verzehrte seine Familie die Milch und die Eier, die seine Wirthschaft produzirte; nun wandern sie auf den Markt und werden durch Kaffeeabsud, Branntwein und Kartoffeln ersetzt. Selbst die Zunahme der Fleischkost kann bei gleichzeitiger Zunahme der Kartoffelkost und Abnahme des Milch- und Zerealienkonsums schädlich wirken. (Vergl. Weber in dem 3. Bande der Verhältnisse der Landarbeiter, S. 777) Der Statistiker aber beweist um aus dem Steigen des Konsums dieser „Luxusmittel “ das Wachsthum des Wohlstands der Bevölkerung.

Dieselbe Entwicklung des Transportwesens, die den Getreidebau nicht lohnend macht, wirkt ihrerseits ebenfalls dahin, in manchen Gegenden die Produktion von Fleisch, Milch &c. für den Verkauf in großem Maßstabe zu ermöglichen, indem sie ihnen einen Markt zugänglich macht, von dem sie bis dahin abgeschlossen gewesen.

Wo diese Faktoren in Wirksamkeit treten, da werden meist die dem Kleinbetrieb günstigen Tendenzen dadurch verstärkt, die dem Großbetrieb günstigen geschwächt werden. Auf dem Gebiet der Getreideproduktion ist dieser dem Kleinbetrieb am meisten überlegen und gerade sie wird von der überseeischen Konkurrenz am schwersten getroffen. Die Gebiete, auf denen der Landwirth, der auf dem Getreidemarkt aus dem Felde geschlagen, seine Zuflucht sucht, sind, mit Ausnahme der Fleischproduktion, gerade jene, in denen der Kleinbetrieb am ehesten noch sich des Großbetriebs erwehren kann.

Aber man darf den Einfluß dieser Faktoren nicht überschätzen. Sie können nicht überall zur Geltung kommen. Nicht überall ist ein Markt für Milch, Gemüse, Fleisch &c. vorhanden. Auch erfordert z. B. eine Vermehrung des Viehbestands zusätzliches Kapital und zusätzliche Arbeitskräfte, die nicht jedem Landwirth zur Verfügung stehen.

Am stärksten und frühesten sind die in Rede stehenden Faktoren zur Geltung gekommen in England, dessen Klima die Weidewirthschaft sehr begünstigt und dessen städtische Bevölkerung schon frühzeitig eine bedeutende war. Bereits 1851 lebten in Großbritannien und England ebenso viele Menschen in den Städten wie auf dem flachen Lande, in Preußen wohnten dagegen 1849 erst etwas über ein Viertel (28 Prozent) der Bevölkerung in Städten, heute erst ist im Deutschen Reiche die städtische Bevölkerung ebenso stark wie die ländliche.

Außerdem herrscht in England das kapitalistische Pachtsystem, das den Landwirth zwingt, jahraus jahrein seine Pacht pünktlich zu bezahlen, das es ihm unmöglich macht, durch Verschuldung des Bodens die Mittel zu gewinnen, um eine unprofitabel gewordene Wirthschaftsweise noch länger fortzuführen, das also die Landwirthe am ehesten zwingt, sich neuen Verhältnissen anzupassen„

Als nun die überseeische Lebensmittelkonkurrenz sich entwickelte, da war England vermöge seiner geographischen Lage und seines intensiven Handelsverkehrs ihr am ersten und meisten ausgesetzt. Die Mehreinfuhr von Weizen und Weizenmehl (über die Ausfuhr) nach England betrng durchschnittlich:

1873/75

      

12.191.000 Quarters

= 50,50 Prozent

1883/85

17.944.000 Quarters

= 64,20 Prozent

1893/95

22.896.000 Quarters

= 76,92 Prozent

der gesammten, England zur Verfügung gestellten Weizenmenge. Also nur noch ein Viertel des in England verbrauchten Weizens entstammt dem heimischen Boden.

Aber die englischen Landwirthe mußten sich von vornherein darüber klar sein, daß die Zeiten der Kornzölle vorüber seien. England ist bereits viel zu demokratisch, seine Landbevölkerung zu schwach, seine Industriebevölkerung zu stark, als daß man es wagen dürfte, dieser künstlich das Brot zu vertheuern.

Die Landwirthschaft stand vor der Alternative: entweder baldiger Bankerott oder schleunige umwandlung ihrer Betriebsverhältnisse. In der Mehrzahl der Fälle trat letzteres ein. Die Landlords mußten ihre Grundrenten reduziren – in Irland unter dem Drucke der Gesetzgebung, in England unter dem Drucke eines kraftvollen Pächterstands. Die Pachtzinse sind in den letzten Jahren in den besten Gegenden um 20 bis 30 Prozent gefallen, in schlechten um 50 Prozent und mehr. Dabei sind aber die Ausgaben gestiegen, zu denen sich der Grundherr für Baulichkeiten und Meliorationen verstehen muß. Der bereits mehrfach erwähnte Bericht der englischen Agrarkommission führt mehrere Beispiele davon vor, eines sei hier zur Illustration vorgeführt, das eines Gutes in Norfolk. Dort betrugen in Pfund Sterling:

 

  

1875

  

1885

  

1894

Pachtzinse

4.139

2.725

1.796

Ausgaben für das Gut

1.122

1.166

1.216

Prozente der Pachtzinse,
die die Ausgaben absorbirten

27,1

42,8

67,7

Nettoeinkommen

3.017

1.559

   580

Das Reineinkommen des Grundbesitzers sank also von 60.000 Mark auf 11.600 Mark.

Aber diese Reduzirung der Belastung der Landwirthschaft durch die Grundrente genügte nicht. Hand in Hand damit ging der Uebergang vom Körnerbau zur Viehzucht. Es wurde im Vereinigten Königreich im Jahre geerntet (nach Abzug des Saatguts) Quarters Weizen durchschnittlich:

1852 bis 1859

   

13.169.000

      

1868 bis 1875

   

11.632.000

1860 bis 1867

12.254.000

1889 bis 1890

  8.770.000

Seitdem ist die Produktion auf durchschnittlich sieben Millionen Quarters gesunken.

Die Anbaufläche des Weizens betrug:

1866–70

  

3.801.000 Acres

1889

2.545.000 Acres

1894

1.985.000 Acres

1895

1.417.403 Acres

1896

1.692.957 Acres

Dagegen wuchs das Weideland. Es betrug in Großbritannien 1875 18.312.000, 1885 15.342.000, 1895 16.611.000 Acres.

Anders ist die Entwicklung in Deutschland. Seine kontinentale Lage, seine Getreidezölle, der konservative Charakter des Bauern verzögern sie, auf der anderen Seite wird sie durchkreuzt durch den Fortschritt von rückständigem zu intensiverem Betrieb, durch das Aufgeben der Brache und den Uebergang von der Dreifelder- zur Fruchtwechselwirthschaft, Fortschritte, die noch keineswegs überall vollzogen sind. Die letzteren Momente begünstigen naturgemäß die Ausdehnung des Körnerbaus. Der Rückgang des Körnerbaus, seine Verdrängung durch Viehzucht, Gemüse- und Obstproduktion ist daher bisher auf einzelne Gegenden Deutschlands beschränkt, und tritt im Allgemeinen nicht zu Tage.

Im Deutschen Reiche betrug die Erntefläche in Hektar von:

 

  

1878

  

1883

  

1893

  

1896

  

Zu- (+) oder
Abnahme (−)
1883–1896

Weizen und Spelz

2.222.500

2.306.100

2.398.200

2.249.900

−   56.200

Roggen

5.950.200

5.817.100

6.016.900

5.982.100

+ 165.000

Gerste

1.628.300

1.754.300

1.627.100

1.676.300

−   78.000

Hafer

3.753.100

3.773.800

3.905.800

3.979.600

+ 205.800

Die Ernteflächen der Hauptgetreidearten haben sich also nur unerheblich verändert. Den Getreidearten und Hülsenfrüchten zusammen würden 1883 15.724.000 Hektar gewidmet, 1893 dagegen 15.992.000, eine Zunahme von 268.000 Hektar. Im gleichen Zeitraum verringerte sich die Fläche der Ackerweide und Brache von 3.336.830 Hektar auf 2.760.347 Hektar, also um 576.483 Hektar.

Während aber die Fläche des Getreidebaues im Großen und Ganzen unvermindert blieb, stieg der Viehstand sehr bedeutend. Man zählte Stück:

 

  

Rindvieh

  

Schweine

      

 

  

Rindvieh

  

Schweine

1873

15.776.700

7.124.100

1892

17.555.700

12.174.300

1883

15.786.800

9.206.200

1897

18.490.800

14.274.000

Während also von 1873 bis 1883 die Menge des Rindviehs nur unerheblich zunahm, um 10.000 Stück, wuchs sie im folgenden Jahrzehnt um fast zwei Millionen und im letzten Jahrfünft wieder um fast eine Million an. Auch die Zunahme der Schweine geht seit 1883 in einem rascheren Tempo vor sich als von 1873 bis 1883.

Schlimmer als in Deutschland steht’s in Frankreich um den Getreidebau, trotz des hohen Getreidezoll. Dort betrug die Anbaufläche in Hektar:

 

  

1840

  

1862

  

1882

  

1892

  

Zu- (+) oder
Abnahme (−)
1862–1892

Brotfrüchte

14.552.000

15.621.000

15.006.000

14.827.000

−    794.000

Künstliche Wiesen

  1.577.000

  2.773.000

  3.538.000

  3.532.000

+    759.000

Natürliche Wiesen und Weiden

  4.198.000

  5.021.000

  5.537.000

  5.920.000

+    899.000

Brachland

  6.763.000

  5.148.000

  3.644.000

  3.368.000

− 1.780.000

Die Anbaufläche der Brotfrüchte hat sich also seit 1862 erheblich vermindert. Allerdings trug dazu auch der Landverlust von 1871 bei (1.451.000 Hektar); aber dieser wurde mehr als aufgewogen durch die Einengung des Brachlands und der Rückgang des Getreidebaues dauert 1882 bis 1892 fort, während, trotz des Landverlustes, die Wiesen und Weiden an Ausdehnung zunehmen.

Auch die Zahl der Rinder wächst, während die der Pferde abnimmt. Man zählte:

 

  

1862

1882

  

1892

(89 Departements)

(86 Departements)

Pferde

  2.914.412

  2.837.952

  

  2.794.529

Rinder

12.011.509

12.997.054

13.708.997

Aber wenn optimistische Oekonomen glaubten, der Uebergang von der Körnerproduktion zu der von Fleisch, Milch, Obst und dergleichen, werde die europäische Landwirthschaft vor der überseeischen Konkurrenz sichern, so irrten sie sich. Die technische Revolution und die Akkumulation des Kapitals gehen ununterbrochen weiter und im Gefolge davon die Verbesserung und Verbilligung der Transportmittel, die Beschleunigung der Transporte, die Vervollkommnung der Konservirungsmethoden. Das heißt aber nichts anderes, als daß die überseeische Konkurrenz Schritt für Schritt auch in jene Gebiete eindringt, auf denen die bedrängte europäische Landwirthschaft ihre Zuflucht sucht.

Noch vor 20 Jahren kam fast alles lebende Vieh, das in England eingeführt wurde, aus Europa. Heute kommt fast gar keines mehr ans Europa, das meiste aus Nordamerika; man ist aber schon im Stande, aus Südamerika mit Vortheil lebendes Vieh über die See zu schaffen.

Von dem in England lebend importirten Rindvieh stammten aus

 

  

Europa

  

Vereinigte
Staaten

  

Canada

  

Argentinien

1876

99 Prozent

—  Prozent

  1 Prozent

— Prozent

1886

43 Prozent

36 Prozent

21 Prozent

— Prozent

1891

16 Prozent

67 Prozent

21 Prozent

 1 Prozent

1895

—  Prozent

67 Prozent

23 Prozent

 9 Prozent

Die Kopfzahl der importirten Rinder betrug:

Jahr

  

Herkunftsland

  

Zusammen

Canada

  

Vereinigte
Staaten

  

Argentinien

  

Andere
Länder

1895

  95.998

276.533

98.494

3.545

415.565

1896

101.591

393.119

65.699

2.143

562.552

1897

126.495

416.299

73.867

1.675

618.336

Von den in England lebend importirten Schafen stammten aus:

 

 

Belgien

 

Däne-
mark

 

Deutsch-
land

 

Island

 

Nieder-
lande

 

Verein.
Staaten

 

Canada

 

Argen-
tinien

 

Andere
Länder

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

Prozent

1876

24

  5

30

40

1886

  9

32

3

45

  9

1

1891

12

7

61

  3

  9

  6

2

1895

6

42

21

29

2

Auf dem Gebiete der Versorgung mit lebenden Schafen ist die Verdrängung Europas vom englischen Markt durch die überseeischen Gebiete erst später, dann aber um so rascher eingetreten.

Fleisch konnte vor 20 Jahren fast nur verarbeitet in Form von Konserven, Büchsenfleisch, Salzfleisch, Rauchfleisch über die See gebracht werden. Seitdem haben die Methoden, frisches Fleisch durch Kälte wochenlang genießbar zu erhalten, sich so sehr vervollkommt, daß der Import von frischem überseeischem Fleisch in England stetig zunimmt. 1876 wurden erst 34.640 englische Zentner frisches Rindfleisch eingeführt, 1895 dagegen 2.191.037, 1897 30.10.387. Die größten Quantitäten davon kamen aus den Vereinigten Staaten.

Frisches Hammelfleisch wird erst seit 1882 in der britischen Handelsstatistik besonders verzeichnet. Damals betrug die Einfuhr 190.000 Zentner, 1895 2.611.000, 1897 3.193.276. Davon kamen von Australien 1.671.000, von Argentinien 715.000 Zentner.

Wie in der Weizenproduktion haben auch in der Fleischproduktion die Vereinigten Staaten den Höhepunkt ihres Exports wahrscheinlich schon überschritten. Die extensive Weidewirthschaft, die allein die Produktion von Vieh für den überseeischen Export profitabel macht, erfordert ungeheure Länderstrecken, die aber von der zunehmenden Bevölkerung immer mehr eingeengt werden. Man zählte in den Vereinigten Staaten:

 

  

Bevölkerung

  

Kühe

Ochsen und
anderes Rindvieh

Schafe

  

Schweine

1870

38.558.000

10.096.000

15.389.000

40.853.000

26.751.000

1880

50.156.000

12.027.000

21.231.000

40.766.000

34.034.000

1890

62.622.000

15.953.000

36.849.000

44.336.000

51.603.000

1895

69.753.000

16.505.000

34.364.000

42.294.000

44.166.000

Nur das Milchvieh nimmt an Zahl zu, das Fleischvieh nimmt dagegen ab. Den Vortheil davon hat aber nicht Europa, sondern Argentinien und Australien, wo noch unermeßliche Gebiete der Ausdehnung der Weidewirthschaft zur Verfügung stehen. Bei der Versorgung Englands mit Schafen und Hammelfleisch stehen beide heute schon in erster Linie, aber auch ihr Export von Rindern und Rindfleisch ist in raschem Wachsthum begriffen.

1890 wurden 150.000 Stück Rindvieh aus Argentinien ausgeführt, 1894 220.500.

Neben der Fleischproduktion sollen Milchproduktion, Obst- und Gemüsebau und Geflügelzucht der nothleidenden Landwirthschaft helfen.

Aber nicht lange, und auch auf diesen Gebieten wird sich die überseeische Lebensmittelkonkurrenz fühlbar machen. Zum Theil thut sie es jetzt schon, z. B. in der Obstproduktion, die ja von Amerika her bereits so bedroht ist, daß man in Deutschland es für nöthig fand, die Schildlaus des heiligen Joseph zu ihrem Schutzpatron zu erheben, die ihren schützenden Schild über den deutschen Apfel zu halten hat.

Aber auch fürs frische Gemüse dürfte die Zeit der überseeischen Konkurrenz kommen. Die Menge der in England importirten Zwiebeln betrug 1876/78 durchschnittlich 1.893.000 Bushels im Jahr, 1893/95 dagegen 5.232.000. Spanien allein importirte im ersten Zeitraum 41.000, im letzteren dagegen 1.300.000 Bushels. Daneben stammt die Haupteinfuhr aus Holland, Frankreich und Aegypten.

Andere frische Gemüse wurden in England 1876/78 im Werthe von 227.000 Pfund Sterling, 1893/95 dagegen für mehr als 1.100.000 Pfund Sterling eingeführt.

Seine Eier bezieht England aus einem Umkreis, der Italien, Ungarn, Rußland umschließt. und in den letzten Jahren sind erfolgreiche Versuche der Einfuhr frischer Milch aus Holland und Schweden gemacht worden.

Die technischen Vorbedingungen der Erschließung der Produktion von Eier, Gemüse, Milch &c. für die überseeische Konkurrenz sind also heute schon gegeben, und sie wird sich ihrer in den älterenlandwirthschaftlichen Exportländern um so eher bemächtigen, je mehr in ihnen durch das Aufkommen der neueren Exportländer ebenso wie in Europa die Körnerproduktion zurückgedrängt wird. Bis jetzt sind durch die Verbesserung des Transportwesens für diese Produkte von Nebenzweigen der Landwirthschaft mir die Landwirthe Englands geschädigt worden, die Landwirthe der nichtindustriellen Gebiete des übrigen Europa, als Lieferanten Englands, haben dabei gewonnen. Schließlich wird aber auch auf diesem Gebiete die Landwirthschaft Europas aufhören, zu exportiren Eid die überseeische Konkurrenz sich breit machen, außer in Produktionszweigen, die zu unbedeutend sind, um vom überseeischen Landwirth ergriffen zu werden. Hat diese Konkurrenz bisher hauptsächlich die Gebiete des Großbetriebs getroffen, so wird sie dann auch auf die Gebiete übergreifen, in denen der landwirthschaftliche Kleinbetrieb vorwiegt.

Wie sehr die Agrarkrisis dadurch verschärft werden muß, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.

Indeß besitzt die europäische Landwirthschaft noch weitere Auskunftsmittel, sich des überseeischen Feindes zu erwehren.
 

e) Vereinigung von Industrie und Landwirthschaft

Wir haben bisher vorwiegend auf England verwiesen. Um jenes Kampfesmittel gegen die überseeische Konkurrenz zu illustriren, auf das wir nun zu sprechen kommen, werden wir unsere Belege nicht jenseits des Kanals holen, denn es ist in England bisher nur wenig entwickelt, sondern aus dem Kontinent, wo es bessere Daseinsbedingungen gefunden hat, vor Allem natürlich aus dem uns zunächst liegenden Deutschland selbst.

Das Pachtsystem erlaubt es die Lasten der überseeischen Konkurrenz zunächst auf den Grundbesitz abzuwälzen. Wo Grundbesitzer und Landwirth nominell eine Person, da hindert die Fixirung des Bodenpreises durch die Hypothekenschulden diesen Prozeß. Da werden die Landwirthe früher als unter dem Pachtsystem gedrängt, nach einem anderen Mittel zur Reduzirung der Produktionskosten zu suchen, und sie finden eines, welches durch das System der Eigenwirthschaft des Grundbesitzers mehr begünstigt wird als durch das Pachtsystem, weil unter dem ersteren der Personenbestand der Landwirthe einer bestimmten Gegend ein stabilerer, ihr Zusammenwirken also weniger störenden Unterbrechungen ausgesetzt ist.

Wie wir bereits wissen, sind die Produkte der Landwirthschaft meist von geringem spezifischem Werth, so daß die Möglichkeit, sie als Waare vortheilhaft zu verwerthen, oft auf einen kleinen Kreis beschränkt ist. Dieser Kreis wird bei gleichbleibenden Transportmitteln ungeheuer erweitert, wenn man das betreffende Produkt nicht roh exportirt, sondern verarbeitet.

Einige Zahlen aus der schon einige Male zitirten Tabelle Settegasts illustriren das sehr anschaulich. Auf einen Zentner (à 50 Kilo) und eine Meile entfallen Prozente des Werthes der Waare:

Bezeichnung
der Waare

Marktpreis
pro Zentner

Bei dem Transport auf der

Landstraße à 15 Pf.

 

Eisenbahn à 2,5 Pf.

Mk.

pro Zentner und Meile

Zuckerrüben

    1,00

15,00     Prozent

 

2,50     Prozent

Zucker

  35,00

  0,43     Prozent

0,07     Prozent

Kartoffeln

    1,50

10,00     Prozent

1,66     Prozent

Spiritus

  20,00

  0,75     Prozent

0,12     Prozent

Lebende Thiere

  20,00

  0,25     Prozent

0,25     Prozent

Fleischextrakt

600,00

  0,03     Prozent

0,0004 Prozent

Zu dem größeren spezifischen Werth gesellt sich bei vielen Produkten der Nahrungsmittelindustrie noch ein anderer Vortheil: sie sind haltbarer, als das Rohprodukt, z. B. Butter und Käse, Fleisch, Gemüse- und Obstkonserven &c.

Manche landwirthschaftliche Industrien bieten aber noch einen weiteren höchst wichtigen Vortheil: das Fabrikat enthält wenige oder gar keine mineralischen Bestandtheile, die zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit nothwendig wären. Sein Export nimmt dem Boden nichts von Belang. Wohl aber enthalten die Fabrikationsrückstände Stoffe, die entweder direkt oder als Viehfutter ausgezeichnete Dünger liefern und dadurch den Boden bereichern. Das ist namentlich der Fall mit der Branntweinbrennerei und der Rübenzuckerfabrikation, die durch ihre Rückstände, welche als Viehfutter und Dünger verwerthet werden, Getreidebau und Viehzucht mächtig gehoben haben und dort, wo sie sich eingebürgert, die unentbehrliche Grundlage eines intensiven rationellen Betriebs geworden sind.

Daneben kommt noch in Betracht, daß die landwirthschaftliche Industrie für Menschen und Arbeitsvieh Beschäftigung im Winter schafft, wo sonst wenig für sie zu thun ist, und daß die Dampfmaschine des großindustriellen Betriebs auf dem Landgut die Beschaffung der motorischen Kräfte für den landwirthschaftlichen Betrieb erleichtert (für Dreschmaschinen, Getreidereinigungsmaschinen, Schrotmühlen, Pumpen, Sägen &c.), was namentlich wichtig werden muß, wenn die elektrische Kraftübertragung in der Landwirthschaft festen Fuß gefaßt, so daß die Dampfmaschine der Fabrik auch den Pflug, die Dreschmaschine, den Düngerwagen auf der Feldbahn, die Mähmaschine zu bewegen vermag.

Alles das erzeugte in manchen Gegenden, in denen die Vorbedingungen günstig, frühzeitig das Bestreben der Landwirthe, auf ihren Gütern industrielle Betriebe zu errichten, die ihre Rohprodukte verarbeiten sollten. Dies Bestreben erhielt einen besonders mächtigen Anstoß durch die außereuropäische Lebensmittelkonkurrenz, welche die Preise der Rohprodukte und die Grundrenten herabdrückte: nun war es doppelt geboten, das was man als Landwirth oder Grundbesitzer verlor, als Industrieller zu gewinnen, das Sinken der Grundrente durch steigenden industriellen Profit wett zu machen, aus dem billigen Rohprodukt ein theures Fabrikat herzustellen.

Es waren auch hier, wie bei jedem ökonomischen Fortschritt unserer Zeit, die Großbetriebe, die voran gingen und die größten Vortheile aus der Neuerung zogen.

Ein Kleinbetrieb besitzt in der Regel weder genug Kapital noch erzeugt er genug Rohprodukte, um für sich allein einen industriellen Betrieb zur Verarbeitung seiner Produkte begründen zu können. Und die kleinen Landwirthe sind schwerfälliger, konservativer, mit den Fortschritten der Technik und den Bedürfnissen des Weltmarkts weniger vertraut, als große Landwirthe und Kapitalisten. Es waren Großgrundbesitzer, namentlich Latifundienbesitzer, die zuerst industriellen Großbetrieb auf ihren Gütern einführten, daneben Kapitalisten, die landwirthschaftliche Industriebetriebe begründeten und das zur Lieferung des Rohmaterials nöthige Land ankauften. Von beiden Seiten wurde so die Verbindung von Industrie und Landwirthschaft angebahnt. Neben Branntweinbrennereien und Zuckerfabriken entstanden auf den großen Landgütern Stärkefabriken, Bierbrauereien, diese allerdings nicht in ausgedehntem Maße, da die Bierproduktion meist vortheilhafter als städtisches Gewerbe betrieben wird; das Rohmaterial der Brauerei ist zum Theil von gleichem (Gerste), zum Theil von höherem (Hopfen) spezifischem Werth als das Produkt, und leichter transportabel als dieses. Ueberdies gedeihen Brauergerste und Hopfen nur in bestimmten Gegenden. Außer den genannten landwirthschaftlichen Industrien entstanden noch Molkereien, Konservenfabriken für Gemüse, Obst, Milch &c.

Einer der größten Vortheile der Latifundien über die kleineren Betriebe bestand in der Möglichkeit einer ausgiebigen und allseitigen Verbindung zwischen Industrie und Landwirthschaft; ein Vortheil, der am größten dort, wo das Latifundium nicht nur das Rohmaterial, sondern auch die bewegende Kraft für die Industrie liefert – Wasserkraft, Holz, das aus den nahen Wäldern ohne weiten Transport verwerthet wird, Kohlen. Wie viel wird da an Kosten des Transports und des Zwischenhandels gespart!

Die Erfolge dieser landwirthschaftlichen Industrien trieben die kleineren Betriebe an, sich ebenfalls dieser Vortheile zu bemächtigen. Als die geeignete Form dazu wurde die Genossenschaft gefunden, die schon vorbereitet war durch einzelne kapitalistische Betriebe, welche zu groß waren, als daß ihnen der eigene Grund und Boden ihr gesammtes Rohmaterial liefern konnte, und die sich daher gezwungen sahen, mit mehreren Landwirthen der Umgegend Verträge zur Lieferung von Rohmaterial abzuschließen. War ein derartiger Betrieb eine Aktiengesellschaft, dann brauchten blos die liefernden Landwirthe die Aktien zu erwerben und die Genossenschaft war fertig.

Binnen wenigen Jahren haben sich diese Genossenschaften rapid entwickelt, namentlich in Deutschland. Man zählte daselbst an landwirthschaftlichen Genossenschaften (abgesehen von Darlehens-, Bezugs- und Absatzgenossenschaften):

 

  

1891

  

1892

  

1896

  

1897

Molkereigenossenschaften

729

869

1.397

1.574

Andere Genossenschaften

131

150

   273

   484

Die letzteren Genossenschaften sind vornehmlich Brennerei-, Müllerei-, Bäckerei-, Weinkeller- und ähnliche Genossenschaften.

Wir bezweifeln durchaus nicht, daß diese Genossenschaftsbewegung, die erst in ihren Anfängen steht, noch bedeutende Resultate zeitigen und eine große Umwälzung unserer landwirthschaftlichen Verhältnisse hervorrufen wird.

Aber wenn die Einen darin eines der Uebergangsstadien zum Sozialismus in der Landwirthschaft sehen – das andere Uebergangsstadium sieht man gern in den Resten der mittelalterlichen Allmenden und Gemeinweiden –, und die anderen das Mittel, eine selbständige, kraftvolle Bauernschaft zu erhalten, so können wir weder diesen noch jenen zustimmen.

Das Charakteristikum des modernen Sozialismus ist der Besitz der Produktionsmittel durch die Arbeiterschaft, also in einem sozialistischen Gemeinwesen durch die Gesammtheit. Eine Produktivgenossenschaft, die als Uebergangsstadinm zu diesem Zustand dienen könnte, muß eine Organisation von Produzenten sein, die gleichzeitig die Besitzer der Produktionsmittel der Genossenschaft sind. Einer der wichtigsten Einwände gegen jene Anschauung, die in den heutigen Produktivgenossenschaften der Arbeiter ein Uebergangsstadium zum Sozialismus sieht, besteht in dem Hinweis auf die Thatsache, daß in der kapitalistischen Gesellschaft bei einer gedeihenden Produktivgenossenschaft früher oder später der Moment kommt, in dem die Genossenschafter anfangen, Lohnarbeiter zu beschäftigen, Proletarier, die keinen Antheil an dem Besitz der Produktionsmittel haben und von den Genossenschaftern ausgebeutet werden, daß also jeder Produktivgenossenschaft in der modernen Gesellschaft die Tendenz inne wohnt, wenn sie gedeiht, also sich ausdehnt, ein kapitalistisches Unternehmen zu werden.

Was bei den Produktivgenossenschaften, die von Lohnarbeitern gegründet werden, anfangs bloße Tendenz, ist bei den in Rede stehenden Produktivgenossenschaften der Landwirthe eine von vornherein gegebene Grundlage. Die Arbeiter in einer genossenschaftlichen Zuckerfabrik, Brennerei, Molkerei, Konservenfabrik, Mühle &c. sind nicht die Genossenschafter, sondern von diesen angestellte und ausgebeutete Lohnarbeiter. Der Vortheil, der den Landwirthen aus den Genossenschaften zufließt, besteht neben der Ersparung von Transport- und Handelsumkosten, in der Einheimsung des Kapitalprofits. Die landwirthschaftliche Produktivgenossenschaft dieser Art – und andere giebt es heute noch nicht – ist ein Uebergangsstadium zum Kapitalismus, nicht zum Sozialismus.

Wie steht’s aber mit der Rettung der Kleinbauern durch sie? Da ist zunächst zu bemerken, daß sie dem Zwergbauern, dem proletarischen Bauern, dem, der der Hilfe am meisten bedarf, von vornherein nicht zugänglich ist. Denn ein industrieller Betrieb erfordert Geld, und das gerade ist es, was ihm fehlt. In der Regel wird er aber auch nicht im Stande sein, das Rohmaterial für den Betrieb in der erforderlichen Qualität herzustellen. Es ist der „Mittelstand“, für den die Produktivgenossenschaft von Werth sein kann.

Aber stets wird auch hier der Großbetrieb vor dem Kleinbetrieb erhebliche Vortheile voraus haben. Der Großgrundbesitzer findet, wenn er das Geld hat, kein Hinderniß, einen vortheilhaften Industriebetrieb einzuführen; wie schwierig ist dagegen die Bildung einer Genossenschaft! Beim Großgrundbesitzer versteht sich die Anpassung seiner Landwirthschaft an die Bedürfnisse des Industriebetriebs von selbst; wie schwer ist es dagegen, alle die verschiedenen kleinen Landwirthe zur Uniformität und Regelmäßigkeit ihrer Lieferungen zu bringen.

Der Großbetrieb in der Landwirthschaft entspricht am besten den Bedürfnissen der landwirthschaftlichen Großindustrie. Oft schafft diese sich einen solchen Großbetrieb, wo er noch nicht vorhanden. Die Zuckerfabrikation, dieses klassische Beispiel einer landwirthschaftlichen Großindustrie, hat die Entwicklung des Großbetriebs in der Landwirthschaft sehr gefördert; andererseits weist Paasche darauf hin, daß einer der Gründe, die ihre Ausbreitung in Süddeutschland und manchen Gegenden Frankreichs und Norditaliens hindern, in der Zersplitterung des dortigen Grundbesitzes zu suchen ist.

In einem Artikel der Zukunft, 17, S. 382, von Dr. Ihne über Deutsche Zuckerfabriken in Amerika spricht der Verfasser von der

„rationellen und billigen Zuckerfabrikation in einzelnen Theilen des östlichen Preußens, wo die Besitzer großer Güter Zuckerfabriken gebaut haben und sie, unabhängig vom wandelbaren und oft querköpfigen Sinne der Rüben produzirenden Bauern und Kossäthen mit den durch ihre eigenen Arbeiter auf ihrem eigenen Lande erbauten Rüben speisen, wie es auch die großen Plantagenbesitzer Louisianas mit ihren Rohrzuckerfabriken thun.“

Manche landwirthschaftliche Industrien gewähren dem Großbetrieb noch besondere Vortheile.

Gehört zu einem großen Gute eine Branntweinbrennerei, so fließen ihm die Fabrikationsrückstände unvermindert zu, seine Wirthschaft wird ständig verbessert. Anders dagegen, wenn die Kartoffeln der Brennerei von verschiedenen Seiten zugeführt werden.

„Bei der wegen des großen Wassergehalts geringen Transportfähigkeit der Schlempe ist eine vortheilhafte Verfütterung nur auf dem Brennereihof selbst möglich. Liefern auch noch andere Höfe Kartoffeln für die Fabrik, so findet eine Bereicherung der Felder des Brennereihofs auf Kosten der übrigen Höfe statt, da die in den zugeführten Kartoffeln enthaltenen Bodennährstoffe ihren Weg oft nicht mehr zurücknehmen.“ (Krafft, Betriebslehre, S. 101.)

Nach der schon so wohl bekannten Settegastschen Tabelle kostet der Transport von Branntweinschlempe unter sonst gleichen Umständen pro Zentner und Meile auf einer Landstraße 30 Prozent ihres Werthes, der der Kartoffeln nur 10 Prozent. Bei Genossenschaftsbrennereien werden die der Brennerei zunächst liegenden Höfe ihren Bodenreichthum vermehren, die ferner liegenden werden ausgesogen werden.

Aehnlich liegt es mit den Zuckerfabriken.

Neben dem großen Landwirth ist es das große Kapital, das in manchen Industrien die Vortheile der engeren Verbindung von Landwirthschaft und Industrie am ehesten sich zu Nutze machen kann und am meisten dadurch gefördert werden wird.

Auf dem letzten Kongreß der deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften zu Dresden wurde den Landwirthen die Gründung genossenschaftlicher Bäckereien und Müllereien warm empfohlen. An Stelle der bisherigen vielfach sehr rückständigen Kleinbetriebe sollten genossenschaftliche Großbetriebe treten, die nicht blos ihren Mitgliedern, sondern auch dem Publikum bedeutende Vortheile bieten würden.

Die Idee, den Kleinbetrieb in der Landwirthschaft dadurch zu heben, daß man ihm die Profite des Großbetriebs in der Bäckerei und Müllerei zuführt, ist allerdings sehr schön, wenigstens für die kleinen Landwirthe. Weniger für die kleinen Müller und Bäcker. Der Kleinbetrieb wird gerettet durch Expropriirung von Kleinbetrieben. Aber das genirt die Landwirthe nicht, wie sie selbst erklärten. Wenn indeß die Vereinigung von Müllerei, Bäckerei und Landwirthschaft in einer Hand wirklich so große Vortheile erzielt, wie behauptet wird – und wir zweifeln gar nicht daran – dann sind nicht die schwerfälligen kapitalarmen Genossenschaften der Kleinbauern, sondern die großen kapitalkräftigen Kunstmühlen am ersten im Stande, sich diese Vortheile anzueignen. Ehe sich die kleinen Landwirthe der großen Mühlen bemächtigen, bemächtigen sich diese der kleinen Landwirthe und der Bäcker.

Das Verhältniß, das heute schon zwischen dem Bauern und den großen Kunstmühlen herrscht, beleuchtet folgender Brief aus der Getreidegegend von Oberbayern, der im Sommer 1897 durch die deutsche Presse ging.

„Zwei Kunstmühlen“, heißt es darin, „beherrschen die ganze Gegend im weiten Umkreis von sieben Stunden. Ihnen sind die Bauern völlig ausgeliefert. Samstags ist Schranne in der kleinen Provinzstadt; allein sie wird nur mehr mit Hafer befahren, Weizen und Korn getrauen sich die Bauern nicht mehr zur Schranne zu führen, da die beiden Müller die einzigen Käufer sind und Jeder, der zur Schranne fährt, anstatt zu ihnen, mit 10 Pfennig Wenigergebot pro Zentner bestraft wird. Freier Getreideverkauf hat völlig aufgehört; stumm muß der Bauer seine Waare hinführen und ruhig warten, was er erhält. Weigert er sich abzugeben, so erhält er zur Antwort: ‚Fahre nur heim, denn soeben habe ich tausend Zentner ungarischen Weizen erhalten.‘“

Aber wenn auch auf dem Gebiete der Industrialisirung der Landwirthschaft, wie auf anderen Gebieten, der Großbetrieb eine Reihe von Vortheilen vor dem Kleinbetrieb voraus hat, so beweist das natürlich nicht, daß nicht auch dieser aus der ihm allein zugänglichen Form der landwirthschaftlichen Großindustrie, der landwirthschaftlichen Produktivgenossenschaft, gar manche und erhebliche Vortheile ziehen kann. Wo es gelingt, sie ins Leben zu rufen, da macht sie den Bauern zum Kapitalisten und erlaubt ihm, seinen landwirthschaftlichen Betrieb durch die Früchte seiner kapitalistischen Ausbeutung zu bereichern, rationeller zu gestalten und in die Höhe zu bringen.

Es fragt sich blos, wie lange dieses Zauberkunststück vorhält, das aus einem dem Proletariat zueilenden Bauern über Nacht einen Kapitalisten macht.

Die erste Folge der Genossenschaft ist dieselbe, die auch dort sich einstellt, wo der Bauer Lieferant einer fremden Fabrik wird: er muß seinen Betrieb ihren Bedürfnissen anpassen. Die Zuckerfabrik schreibt dem Landwirth vor, welchen Samen er anzuwenden und wie er zu düngen habe, die Molkerei schreibt ihm Futter, Melkzeit, mitunter sogar Art des Melkviehes vor.

„Früher fürchtete man sich vor jeder zu starken Stickstoffdüngung, weil eine solche den Zuckergehalt der Rübe beeinträchtigen sollte. Die Fabriken schrieben daher meist ein Verhältniß von Stickstoff zu Phosphorsäure wie 1 : 2 vor, und verboten die Kopfdüngung mit Chilisalpeter, sowie den Anbau der Rüben in frischem Mist ganz. Von diesen Vorschriften hat sich nur das Verbot der Kopfdüngung und der Anbau der Rüben in solchem Mist, der nach Weihnachten aufs Feld gebracht wird, erhalten. Dagegen hat man das Verhältniß von Stickstoff zu Phosphorsäure allmälig immer mehr zu Gunsten des ersteren abgeändert, so daß jetzt einige Fabriken noch ein Verhältniß wie 2 : 3 oder 3 : 4, eine große Anzahl aber bereits wie 1 : 1 fordern.“ (Kärger, Die Sachsengängerei, S. 14)

Diese Vorschriften werden entbehrlich dort, wo die Landwirthschaft sich bereits völlig der Zuckerindustrie angepaßt hat.

Stöckel giebt in seiner Schrift über Errichtung, Organisation und Betrieb der Molkereigenossenschaften das Muster der Magazinsordnung einer Milchmagazingenossenschaft. Da heißt es in § 4:

„In diesem Paragraph sind alle etwa nöthigen Vorschriften in Betreff der Fütterung der Kühe aufzunehmen. Bei Verkauf frischer Milch, namentlich bei der Lieferung sogenannter Ammenmilch, sind bestimmte bindende Vorschriften über Fütterung unerläßlich.

„Auch bei Fabrikationsgenossenschaften kann es nöthig sein, Fütterungsvorschriften festzusetzen, namentlich das Füttern solcher Futtermittel zu beschränken, welche auf den Geschmack und die Haltbarkeit der Butter Einfluß haben.

„§ 5. Die Melkzeiten der Kühe sind so festzusetzen, daß die Milch unmittelbar vom Stall nach der Genossenschaft geliefert wird &c.

„§ 6. Beim Melken ist die größte Sauberkeit zu beobachten &c.

„§ 7. Den Mitgliedern des Aufsichtsraths (und denen des Vorstandes) steht das Recht zu, jederzeit unangemeldet die Kuhställe und Milchaufbewahrungsräume der Mitglieder zu besichtigen, beim Melken zugegen zu sein und von der gemolkenen Milch Proben zu entnehmen. Diese Vertrauensmänner sind berechtigt, von den Mitgliedern oder deren Stellvertreter genaueste Auukunft über Fütterung des Milchviehs, Behandlung und dergleichen mehr zu verlangen.“ (S. 102–104. Vergl. auch S. 40)

„In Dänemark machen die Molkereigenossenschaften Vorschriften für die Fütterung und Haltung der Kühe, um Gleichförmigkeit der Qualität, das Fernbleiben unangenehmen Beigeschmacks und regelmäßige Milchproduktion im Winter sicher zu stellen.“ (Bericht der parlamentarischen Agrarkommission in England 1897, S. 126)

Der Bauer hört also auf, Herr in seinem landwirthschaftlichen Betrieb zu sein; dieser wird ein Anhängsel des Industriebetriebs, nach dessen Bedürfnissen er sich zu richten hat. Der Bauer wird ein Theilarbeiter der Fabrik.

Oft wird er auch vom Industriebetrieb insofern technisch abhängig, als dieser, wie wir schon bemerkt, ihm Viehfutter und Dünger liefert.

Hand in Hand mit dieser technischen geht noch eine rein ökonomische Abhängigkeit des Bauern von der Genossenschaft. Diese liefert nicht nur die Mittel, den landwirthschaftlichen Betrieb zu verbessern und seine eventuellen Defizite zu decken, sie wird auch, je mehr der letztere sich ihren Bedürfnissen anpaßt, der einzige Abnehmer der vom Bauern produzirten Waaren. Der landwirthschaftliche Betrieb kann ohne den industriellen nicht mehr existiren; dieser wird sein Rückgrat, dessen Zusammenbruch auch jenem Verderben bringt.

Und zu solchem Zusammenbruch kommt’s nur zu leicht.

Je größer die Profite, die eine landwirthschaftliche Industrie erzielt, desto größer die Menge der Kapitalien, die sich ihr zuwenden. Große Profite können heute in der Regel nur noch durch Betriebe erzielt werden, deren Kapitalgröße den Durchschnitt weit übersteigt, so daß sie technisch und kommerziell jede Konkurrenz aus dem Felde schlagen können. Ferner können sie erzielt werden auf Gebieten, die eine Monopolisirung von Natur aus oder durch besonders geschaffene Umstände ermöglichen oder endlich auf Gebieten, die durch technische oder ökonomische Revolutionen neu geschaffen oder doch der kapitalistischen Ausbeutung neu erschlossen werden, so z. B. heute auf dem Gebiete der Elektrotechnik. Aber die großen Profite der letzteren Art dauern nicht lange; bald ist auch das neu erschlossene Gebiet überfüllt und die Ueberproduktion eine ständige. Die zuerst Gekommenen schöpfen den Rahm ab, den später Kommenden bleibt nur die Magermilch – oft nicht einmal die.

Auch darin liegt, in Bezog auf die landwirthschaftliche Industrie, ein Vortheil, den der Großgrundbesitzer, namentlich wenn er Kapitalist, vor dem Kleinbesitz und seinen Genossenschaften voraus hat. Er ist beweglicher, unternehmender, weitsichtiger, weniger schwerfällig als dieser, kann viel rascher dort, wo die nöthigen Bedingungen gegeben, eine landwirthschaftliche Industrie errichten, so lange sie noch vortheilhaft ist.

Für jede landwirthschaftliche Industrie kommt ebenso wie für jede andere früher oder später der Moment, wo sie übersetzt ist, die Preise gedrückt sind, wo die Konkurrenz wüthet und die Schwächsten und ungeschicktesten ausmerzt, wo endlich zeitweise Krisen, theils allgemeine, zusammenfallend mit dem allgemeinen Kreislauf von wirthschaftlichem Aufschwung und Krach, theils besondere, hervorgerufen durch besondere technische, ökonomische, gesetzgeberische Umwälzungen, den betreffenden Industriezweig erschüttern.

Je mehr die Staatsgewalt für diese Industrien eintritt, je mehr Vortheile sie ihnen im Interesse der Landwirthschaft auf Kosten der Gesammtbevölkerung zuwendet, desto eher wird dieser Moment erreicht. Die europäische Spiritus- und Zuckerfabrikation zeigt das deutlich. Die eine wie die andere wurden in Deutschland ebenso wie in Oesterreich, Rußland, Frankreich, durch Vortheile aller Art, namentlich Exportprämien, die in der Form einer Rückvergütung der gezahlten Steuer auftraten, aufs lebhafteste stimulirt.

Von 1872–1881 wuchs im Reichssteuergebiet die Zahl der Brennereien, die mehlige Stoffe oder Melasse verarbeiteten, nur von 7.011 auf 7.280, aber die Zahl der Brennereien, die über 15.000 Mark Branntweinsteuer entrichteten, von 789 auf 1.492; sie verdoppelte sich fast.

Von 1880/81–1885/86 stieg die Menge der Kartoffeln, die zur Branntweingewinnung verarbeitet wurde von 1.982.000 auf 3.087.000 Tonnen.

Die Folge dieses glänzenden Aufschwungs war eine Krise, die 1884 eintrat. Allerdings veranlaßte diese sofort, daß das Bismarcksche Regime der nothleidenden Industrie unter die Arme griff. Es gelang ihm endlich, das Steuergesetz von 1887 durchzudrücken, welches den Brennereien die bekannte „Liebesgabe“ von 40 Millionen Mark jährlich sichert und der Ueberproduktion kräftigst entgegenwirkt; 1895 wurde es noch ergänzt durch ein neues Gesetz, das die Ueberproduktion an Spiritus noch stärker eindämmt und den Branntwein im Innern noch etwas mehr vertheuert, damit aus dem Steuerertrag eine Exportprämie von 6 Mark pro Hektoliter für den ausgeführten Branntwein herausspringt. und trotz alledem will das Gespenst des Spirituskrachs nicht weichen!

Nicht minder als der Spiritus hat sich der Zucker der Fürsorge der Regierungen zu erfreuen – es sind eben auch hohe Herren, die ihn produziren. Die Folge ist ein enormes Wachsthum der Zuckerproduktion. Man zählte im Deutschen Reich:

 

  

Fabriken
die Rüben
verarbeiteten

Menge der
verarbeiteten
Rüben

Darunter von
den Fabriken
selbst gewonnen

Menge des
gewonnenen
Rohzuckers

Tonnen

Tonnen

Tonnen

1871/72

311

  2.251.000

1.504.000

   186.000

1881/82

348

  6.272.000

3.432.000

   600.000

1891/92

403

  9.488.000

4.641.114

1.144.000

1896/97

399

13.722.000

6.782.051

1.739.000

Dagegen betrug im Deutschen Reich in Tonen:

 

Zucker-
verbrauch

Zucker-
ausfuhr

      

 

Zucker-
verbrauch

Zucker-
ausfuhr

1871/72

221.799

  14.276

1891/92

476.265

   607.611

1881/82

291.046

314.410

1896/97

605.078

1.141.097

So enorm auch der Zuckerverbrauch und namentlich die Ausfuhr gestiegen sind, sie bleiben in jüngster Zeit weit hinter der Produktion zurück. 1896/97 betrugen Zuckerverbrauch und Ausfuhr zusammen rund 1.640.000 Tonnen, die Produktion dagegen 1.740.000 Tonnen, also Ueberproduktion 100.000 Tonnen. Dabei war die Lage der Zuckerindustrie in der letzten Zeit durch den kubanischen Krieg, der den Zuckerexport Kubas völlig hinderte, eine besonders begünstigte. 1894/95 betrug die Ueberproduktion der deutschen Zuckerindustrie über den inländischen Konsum und die Ausfuhr hinaus 300.000 Tonnen.

Eine Verbesserung des jetzigen Zustandes der Zuckerindustrie ist nicht zu erwarten, eher eine Verschlechterung, Der Druck der überseeischen Konkurrenz, der zur Entfaltung landwirthschaftlicher Industrien drängt, und die künstliche Förderung dieser Entfaltung durch die stets zunehmende Prämienwirthschaft ist auch in anderen Ländern vorhanden. In runden Summen betrug die Rübenproduktion, ausgedrückt in Rohzucker in Tonnen (nach M. Schippel, Zuckerkrisis, Ausfuhrprämien und Zuckerring, Neue Zeit, XV, 1, S. 622):

In

 

Deutschland

 

Oesterreich

 

Frankreich

 

 Rußland 

 

Belgien
und
 Holland 

Andere
europäische
Länder

 Zusammen 

1891/92

1.200.000

   780.000

640.000

550.000

230.000

  90.000

3.490.000

1893/94

1.370.000

   840.000

570.000

650.000

310.000

110.000

3.850.000

1894/95

1.830.000

1.060.000

780.000

620.000

370.000

150.000

4.810.000

Binnen einem Jahre eine Zunahme des Angebots um fast eine Million Tonnen, während die jährliche Zunahme der Nachfrage nach dem Zucker auf dem Weltmarkt ein Viertel, im besten Fall ein Drittel dieser Summe beträgt!

Neben England ist unser bester Abnehmer von Zucker die nordamerikanische Union. Die Ausfuhr des Deutschen Reiches an Rohzucker, Zuckerbroten und dergleichen betrug in Tonnen:

 

  

im Ganzen

nach
Großbritannien

Vereinigte
Staaten

1891

   784.000

454.000

140.000

1896

   974.000

513.000

816.008

1897

1.120.000

564.000

876.000

Die Amerikaner machen indeß jetzt nicht geringe Anstrengungen, eine eigene Rübenzuckerindustrie zu schaffen. Der schon erwähnte F.W. Ihne, Präsident der polytechnischen Gesellschaft in Chicago, ladet in seinem Artikel in der Berliner Zukunft, 17, S. 380, deutsche Maschinenfabriken ein, die Gelegenheit zu benützen, um Rübenzuckerfabriken in Amerika zu gründen. Wie patriotisch! Die Anstrengungen der Amerikaner werden sich um so intensiver äußern, je weniger lohnend der Weizenbau wird. Die Zuckerindustrie ist aber raschesten Aufschwungs fähig, wie die obigen Zahlen beweisen, und die Amerikaner die richtigen Leute, sie schleunigst in die Höhe zu bringen.

In den zuckerproduzirenden Ländern Europas aber werden die Ausfuhrprämien erhöht statt herabgesetzt, m Deutschland wurde sie 1896 verdoppelt (von 1¼ auf 2½ Mark). Mit den Prämien geht es eben wie mit den Schutzzöllen und dem Militarismus; hat man damit einmal angefangen, dann kann man nicht mehr aufhören, wenn man will. Man weiß, die Prämienwirthschaft treibt zur Ueberproduktion, zu einer furchtbaren Krisis – aber jeder fürchtet auch, daß die Krisis noch furchtbarer für sein Land wird, wenn dieses allein mit der Zahlung von Prämien aufhört, und jeder hofft, daß er’s länger aushält als die anderen. So wird in immer steigendem Maße die Bevölkerung geschröpft, gleichzeitig die Rübenkultur immer mehr ausgedehnt, immer weitere Kreise der Landwirthschaft an das Schicksal der Zuckerindustrie gekettet.

Es waren mit Rüben bestellt Hektar in

 

  

Deutschland

Oesterreich

Frankreich

  Rußland  

  Belgien u.
Holland  

1891

336.000

328.000

223.000

310.000

  75.000

1892

441.400

369.000

272.000

331.000

103.000

Der Bankerott der Zuckerindustrie aber wird immer unvermeidlicher und es werden die Verheerungen immer gewaltiger, welche dieser Zusammenbruch schließlich nach sich ziehen muß.

Weniger energisch als die Rübenzuckerfabrikation wurde das Molkereiwesen in Deutschland gefördert. Trotzdem hat es sich, hauptsächlich unter dem Drucke der ausländischen Konkurrenz, die den Getreidebau immer weniger lohnend machte, rasch entwickelt, wie schon die oben mitgetheilten Zahlen der genossenschaftlichen Molkereien beweisen. Leider fehlt noch eine eingehende Statistik der milchwirthschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Aber so viel ist sicher, daß der rasche Aufschwung des Molkereiwesens nur zum Theil mit einer Zunahme der Milchproduktion zusammenhängt. Die Zahl der Kühe nimmt viel langsamer zu als die Butter- und Käseproduktion. Die schnelle Ausdehnung des Molkereiwesens wird vielmehr durch einen anderen Umstand ermöglicht. Die Milch, die fern von den Städten produzirt wurde, konnte ehedem wegen der Schwierigkeiten des Transportes nicht auf den Markt gelangen und zur Waare werden. Sie wurde in der Wirthschaft des Produzenten selbst konsumirt, von seiner Familie und seinen Lohnarbeitern, wenn er welche beschäftigte. Der Uebergang zum Molkereibetrieb ermöglicht es ihm, Käse und Butter zu fabriziren, die einen weiteren Transport vertragen und auf dem Markt, nicht blos dem inneren, sondern auch dem Weltmarkt als Waaren auftreten können. Dies führt aber dahin, daß der Landwirth von nun an die Milch, die er bis dann mit seiner Familie konsumirte, sich und den Seinen entzieht. In demselben Maße, in dem das Molkereiwesen auf dem Lande zunimmt, geht dort der Milchkonsum zurück.

Wenn die Landbevölkerung bisher trotz Ueberarbeit und elender Wohnverhältnisse und trotz des Mangels an Fleischkost immer noch der städtischen Bevölkerung an~ Kraft und Ausdauer überlegen war, so verdankte sie das neben der Arbeit in der frischen Luft vornehmlich ihrem starken Milchkonsum. Das Arbeiten in der frischen Luft hört auf, wo die Hausindustrie sich einnistet, und der Milchkonsum dort, wo eine Molkerei den Landleuten die Milch entzieht. Diese beiden auserkorenen Mittel, den Kleinbauer ökonomisch zu retten, sind die wirksamsten Mittel, ihn physisch zu ruiniren.

Dies gilt am meisten dort, wo die Molkereien Käse fabriziren. Aber es erscheint uns doch etwas optimistisch, wenn auf der 42. Wanderversammlung württembergischer Landwirthe in Hohenheim (1897) J. Landauer-Gerabronn meinte, falls die Molkereien, wie es in Württemberg meist der Fall, sich auf die Butterfabrikation beschränkten und die Magermilch den Landwirthen zurückgäben, wären die Nachtheile des Molkereiwesens für die Ernährung der ländlichen Bevölkerung behoben:

„Diese Art der Milchverwerthung dürfte wohl die Herren Aerzte mit den Molkereien mehr befreunden, als dies früher der Fall war, wo an die Käsereien die ganze Milch abgeliefert wurde, ohne daß die Landwirthe süße Magermilch wieder nach Hause erhielten, weshalb die Herren Aerzte mit Recht schwere Bedenken in hygienischer Beziehung hatten und auch seiner Zeit ein Stabsarzt seine üblen Erfahrungen bei der Rekrutenmusterung in einzelnen Bezirken der Oeffentlichkeit übergeben hat.“

Magermilch kann Vollmilch nie ersetzen; denn sie hat den Fettreichthum jener verloren. Vollmilch enthält 2,8 bis 4,5 Prozent Fett, Magermilch 0,2 bis 0,5 Prozent. Der Schreiber dieses kann sich denn auch erinnern, Berichte von Aerzten gelesen zu haben, die sich mit dem Regime der Magermilch ebenfalls nicht befreunden konnten und es sehr verderblich fanden, daß diese in den Molkereigegenden zur Ernährung der Säuglinge benutzt wird. Am wenigsten wird natürlich die Rückgabe der Magermilch den hygienischen Zustand des Landvolks dort verbessern, wo die Landwirthe nicht einmal diese selbst konsumiren, sondern ebenfalls „verwerthen“, z. B. sie, wie vielfach der Fall, an die Schweine verfüttern, die dabei prächtig gedeihen und einen guten Preis erzielen. Je mehr die Produkte des Kleinbauern zur Waare werden, je mehr er davon in Geld verwandelt, desto schlechter seine Ernährung.

Ist aber die körperliche Schädigung der Milchwirthe durch das Molkereiwesen unzweifelhaft, so ist dafür ihre ökonomische Hebung durch dies Mittel ziemlich zweifelhaft, wenn man dabei nicht bloße Augenblicksvortheile im Auge hat.

Während die deutsche Butterfabrikation rasch wächst, nimmt die Butterausfuhr bei wachsender Einfuhr stetig ab.

Es betrug in Kilogramm Butter:

 

      

Ausfuhr

  

Einfuhr

1886

12.309.000 

  5.119.000

1891

  7.649.000

  7.950.000

1895

  6.857.000

  6.890.000

1896

  7.101.000

  7.857.000

1897

  3.716.000

10.326.000

In Bezug auf Käse finden wir folgende Zahlen:

 

 

      

Ausfuhr

  

Einfuhr

1886

3.409.000 Kilo

  5.216.000 Kilo

1891

1.883.000 Kilo

  8.392.000 Kilo

1895

2.212.000 Kilo

  9.348.000 Kilo

1896

1.840.000 Kilo

10.196.000 Kilo

1897

1.878.000 Kilo

11.937.000 Kilo

Auch hier finden wir abnehmende Ausfuhr, die Einfuhr dagegen entschieden im Zunehmen.

Die Konkurrenz an Molkereiprodukten auf dem Weltmarkt ist in raschem Wachsen begriffen. Fast in allen Staaten Europas wirkt die Bedrängung des Körnerbaus stimulirend auf die Molkereiproduktion ein, in Frankreich und den Niederlanden ebenso wie in Oesterreich und Rußland, in Schweden und Norwegen. Namentlich aber ist es Dänemark, das seine Butterproduktion enorm entwickelt. Der Ueberschuß der Ausfuhr über die Einfuhr stieg dort von 18 Millionen Kilogramm im Jahre 1881 auf 119 Millionen Kilogramm 1896. Die Zahl der Kühe im Verhältniß zur Bevölkerung vermehrte sich nicht. Sie betrug

 

    

Pro 1000 Köpfe
der Bevölkerung

  

Absolute
Zahl

1871

448

   807.000

1881

452

   899.000

1893

449

1.011.000

Aber auch außerhalb Europas entwickelt sich das Molkereiwesen rasch. Hier kommen namentlich Canada für Käse und Australien für Butter in Betracht. Der Export von Käse aus Canada betrug

1891

    

106.200.000 Pfund (engl.)

1895

146.000.000 Pfund (engl.)

n Australien wurde die Molkereiproduktion außer durch den Fall der Weizenpreise noch gefördert durch Ausfuhrprämien (meist 2 Peence pro Pfund Butter und 1 Penny für das Pfund Käse), in Victoria (bis 1893), Südaustralien bis 1895), Queensland (bis 1898). Die Agrarkommission des englischen Parlaments berichtet über die australische Butterproduktion:

„In Viktoria zeichnete sich der Fortschritt des Molkereiwesens durch die Ausdehnung des Fabriksystems aus. Nach den jüngsten offiziellen Berichten gab es 1895 daselbst 155 Butter- und Käsefabriken, gegen 74 im Jahre 1892, und von der Gesammtproduktion von 35.580.000 Pfund Butter im ersteren Jahre entstammten 27.000.000 den Fabriken (dairy factories). Das Anwachsen des Butterexports aus Victoria war folgendes:

1889/90

    

   829.000 Pfund

    

1892/93

    

  8.094.000 Pfund

1890/91

1.700.000 Pfund

1893/94

17.141.000 Pfund

1891/92

4.794.000 Pfund

1894/95

25.948.000 Pfund

1895/96

21.024.000 Pfund. (S. 80)

Aehnliche Berichte über rasches Anwachsen der Molkereiproduktion kommen aus Queensland und Neu-Südwales; in letzterer Kolonie stieg die Butterproduktion von 15.500.000 Pfund im Jahre 1889 auf 27.359.000 Pfund im Jahre 1895.

Bemerkenswerth ist folgende Stelle in dem Bericht über Neu-Südwales:

„Es scheint, daß die Molkereiproduktion nicht mehr, wie ehedem, auf die Bauern (farmers) beschränkt ist, da viele große Viehzüchter (graziers in a large way of business), namentlich in der Nähe der Küste in neuester Zeit ihre Aufmerksamkeit dieser Industrie zugewendet haben.

„Als das Fabriksystem zuerst eingeführt wurde, waren die meisten Fabriken genossenschaftliche und die Prozesse des Milchabrahmens und der Buttererzeugung wurden zusammen betrieben. Diese Einrichtung hört nach und nach auf und an Stelle der bisherigen treten Zentralbutterfabriken, die ihr Rohmaterial von zahlreichen Abrahmungsstellen beziehen. Die Vortheile dieser Veränderung sollen erhebliche sein. In jedem Zentrum wird Butter von einheitlicher Güte gemacht und die Produktionskosten werden erheblich vermindert durch die höhere Stufenleiter der Produktion und die Anwendung besserer Maschinen und Vorrichtungen, wie Kühlapparate, welche die großen Unternehmungen mit Vortheil anwenden können.“ (S. 81)

Wie der exportirte deutsche Zucker wird auch die exportirte deutsche Butter zumeist von England konsumirt. Von den 7.101.000 Kilogramm der deutschen Butterausfuhr (1896) entfielen 5.570.000 auf England; von den 3.716.000 Kilogramm im Jahre 1897 2.766.000. Aber schon diese Zahlen zeigen, daß die deutsche Butter auf dem englischen Markte in raschem Rückgang begriffen ist. An dem englischen Butterimport waren in Prozenten betheiligt:

 

    

Dänemark

Norwegen
und
Schweden

Frankreich

  Holland  

  Deutsch-  
land

  Austral-  
asien

  Andere  
Länder

1887

32,3

11,3

27,5

10,7

10,3

0,4

7,5

1890

40,7

11,8

25,9

7,7

5,1

2,0

7,3

1893

40,2

12,4

20,1

6,1

7,1

7,8

6,8

1894

42,8

11,0

16,5

6,4

5,4

11,3

6,6

1895

41,1

11,5

16,1

6,8

4,0

11,1

9,4

Der rasche Aufschwung Australiens tritt hier besonders deutlich hervor. Die dänischen Molkereien werden auch schon sehr von der australischen Konkurrenz bedrängt, die die Preise drückt und den Absatz erschwert.

Die deutschen Genossenschafter aber sind eifrig bemüht, die Menge der Molkereien aufs Rascheste zu vermehren; mit Stolz weisen sie auf das schnelle Anwachsen derselben in den letzten Jahren hin; sie thun so, als wäre ein Geschäft um so profitabler, je größer die Zahl der Konkurrenten. Aber freilich, als Bauernretter sind sie zu dieser Attitude gezwungen. Wie groß auch die Zahl der Molkereigenossenschaften sein mag, im Verhältnß zur Zahl der Bauern, die durch dieses souveräne Mittel gerettet werden sollen, ist sie noch immer viel zu klein. Aber lauge, ehe auch nur ein erheblicher Theil der Bauernschaft durch die Molkereigenossenschaften auf einen grünen Zweig gekommen ist, muß auch das Gebiet der Butter- und Käsefabrikation der Ueberproduktion und Krisis verfallen sein.

In Dänemark, dem gelobten Lande der Molkereigenossemschaftem, sind viele derselben heute schon in bedrängter Lage. In Deutschland wurde uns zur Zeit der Berathung des Margarinegesetzes Lage der Butterproduzenten in den düstersten Farben geschildert, das hinderte aber nicht, daß, wie auf dem jüngsten Vereinstag landwirthschaftlicher Genossenschaften in Dresden triumphirend verkündet wurde, 1895 175, 1896 177 neue Molkereien gegründet wurden. und 1897 schien das Gründungsfieber noch ärger zu wüthen. Einsichtige Genossenschafter erheben schon selbst ihre warnenden Stimmen. So erklärte z. B. der schon erwähnte Landauer-Gerabronn auf der 42. Wanderversammlung württembergischer Landwirthe in seinem Referat über das Molkereiwesen:

„Auffallenderweise hat sich gegenwärtig auf dem Lande für die Gründung neuer Molkereien eine außergewöhnlich starke Bewegung, besonders seit einem Jahre geltend gemacht. Bei dem Fortbestehen derselben ist es nicht ausgeschlossen, daß die derzeitige Zahl der Molkereien in 2 bis 3 Jahren sich verdoppeln, unter Umständen sogar verdreifachen würde. Im Bezirk Gerabronn sind z. B. seit Gründung der ersten Molkerei, also innerhalb 16 Jahren, keine neuen Molkereien gegründet worden, in den letzten 6 Monaten aber nicht weniger als zehn neue Molkereien entstanden; dabei sind noch weitere in der nächsten Zeit zu erwarten. Gedachte Bewegung ist so groß, daß derselben selbst begeisterte Verehrer der genossenschaftlichen Thätigkeit kopfschüttelnd gegenüberstehen und die Befürchtung hegen, es möchten der Landwirthschaft aus der Gründung so vieler Molkereien Gefahren der bedenklichsten Art auf indirektem Wege erwachsen.“

Wie eine Spiritus- und eine Zuckerkrisis ist auch eine Molkereikrisis unvermeidlich. Das versteht sich ja heute bei einem großindustriellen Betrieb von selbst.

Sering klagte denn auch in seinem Referat über das Genossenschaftswesen, das er vor dem königlich preußischen Landesökonomiekollegium im Februar 1897 hielt, über die bittere Konkurrenz, welche sich die Genossenschaftsmolkereien machen.

„Indessen“, meinte er tröstend, „hofft man diese Schwierigkeiten zu überwinden durch eine weitere Ausbildung des Genossenschaftsgedanken oder vielmehr durch dasselbe Mittel, welches gegenwärtig unsere Großindustrie so eigenartig umgestaltet, durch Kartelle. Man agitirt dafür, daß die Einzelmolkereien sich zahlreicher als bisher den großen Butterverkaufsgenossenschaften anschließen und sich verpflichten, einen bestimmten Theil ihrer Produktion nur durch sie abzusetzen. Die vergrößerten und befestigten Butterverkaufsverbände wollen dann die Absatzgebiete unter sich vertheilen und auf diese Weise die bisherige preisverderbende unstete Konkurrenz beseitigen; die Ueberschüsse sollen, wenn auch mit Opfern, in Ausland gebracht werden“, nach England.

Dieses famose Mittel empfahl aber Professor Sering in derselben Rede, in der er kurz vorher entrüstet erklärte:

„Die Einkaufsgenossenschaften sind am wenigsten in einer Zeit fortschreitender Kartellirung der Industrie zu entbehren, denn es giebt gegen den Mißbrauch der wirthschaftlichen Gewalt, welchen die Vereinigung der Fabrikanten gewährt, gar keinen anderen Schutz, als den Zusammenschluß der Konsumenten.“ (Thiels landw. Jahrbuch 1897, Suppl., S. 223, 225.)

Das agrarische Kartell ist also eine „Ausbildung des Genossenschaftsgedankens“, das industrielle Kartell ist „Mißbrauch der wirthschaftlichen Gewalt“, dem nur die Ausbildung des Genossenschaftsgedankens begegnen kann. Einmal ist die Genossenschaft zu preisen, weil sie das Mittel ist, mit dem Kartell fertig zu werden, dann ist das Kartell zu preisen als Mittel, dem sonst unvermeidlichen Bankerott der Genossenschaft vorzubeugen. Die Logik des Herrn Professors steht auf gleicher Höhe wie seine moralische Entrüstung.

Aber das ist nicht das Interessanteste an seinen Ausführungen. Bemerkenswerth werden sie dadurch, daß sie die Noth der Molkereien feststellen und als einzigen Ausweg das Kartell predigen, das aber undurchführbar wird bei ständiger Zunahme der Zahl der Molkereien. und das muß eine Leuchte der agrarischen Wissenschaft in einem Lobeshymnus auf die Wunderwirkungen des Genossenschaftswesens zugestehen!

Ebenso wie mit den hier erwähnten steht es mit den anderen landwirthschaftlichen Großindustrien, die indessen bisher für das Genossenschaftswesen von geringer Bedeutung gewesen sind.

Die kommende Krisis braucht natürlich die von ihr betroffene Industrie nicht zu ruiniren. Sie thut das nur in den seltensten Fällen. In der Regel führt sie nur dahin, die bestehenden Eigenthumsverhältnisse im Sinne des Kapitalismus umzuwälzen, also gerade das zu besorgen, wogegen die Genossenschaft ein fester Schutzwall sein soll.

Die kleinen, ungenügend ausgestatteten kapitalschwachen Betriebe gehen in einer Krisis zu Grunde. Aber der Ruin des Betriebs einer landwirthschaftlichen Industrie beschränkt sich nicht auf ihn allein; er zieht den Untergang oder doch die Untergrabung zahlreicher landwirthschaftlicher Existenzen nach sich, die sich auf ihn stützen. Je größer die Hilfe war, welche die industriellen Betriebe den Landwirthen boten, je mehr diese ihre Landwirthschaft darauf stützten, desto verheerender müssen die Folgen des Bankerotts sich gestalten.

Die größeren, besser eingerichteten Betriebe werden sich in einer solchen Krisis erhalten können, aber auch sie werden schwere Zeiten durchzumachen haben, in denen die Profite aufhören, in denen nur fortgesetzte Zuschüsse die Produktion im Gange erhalten können. Die Genossenschafter, die solche Zuschüsse nicht leisten können, gehen ihrer genossenschaftlichen Rechte verlustig. Ist die Zahlungsunfähigkeit der Genossenschafter eine allgemeine, dann bleibt nichts übrig, als das Unternehmen einem Kapitalisten zu verkaufen; ist sie nicht allgemein, dann führt die Krisis dahin, daß es das Privateigenthum einiger wenigen reichen Genossenschafter wird, die es rein kapitalistisch verwalten.

Dieser Prozeß braucht nicht nothwendig die ehemaligen Genossenschafter zu proletarisiren; wenn sie Glück haben, können sie ihren bäuerlichen Besitz behalten. Aber wo dieser günstige Fall eintritt, da bleibt ihre ökonomische Abhängigkeit von dem früher genossenschaftlichen Betrieb aufrecht; sie verwandelt sich jedoch aus der Abhängigkeit von einer Gesellschaft, deren gleichberechtigtes und gleichinteressirtes Mitglied der Landwirth war, in die Abhängigkeit von einem (oder mehreren) übermächtigen Kapitalisten mit gegensätzlichen Interessen. Der Theilarbeiter der Genossenschaftsfabrik wird nun zum Lohnarbeiter der kapitalistischen Fabrik. Die Sache wird nicht besser dadurch, daß die Lohnarbeit hier wie bei der Hausindustrie eine versteckte ist. Das ist das unvermeidliche Ende der landwirthschaftlichen Produktivgenossenschaften.

Wie überall in der kapitalistischen Gesellschaft, siegt auch hier schließlich die Industrie über die Landwirthschaft und das Kapital über die vereinzelte Produktivgenossenschaft.

Die landwirthschaftlichen Produktivgenossenschaften sind in Folge der Augenblicksvortheile, die sie den Landwirthen in Aussicht stellen, ein mächtiges Mittel, die Industrialisirung der Landwirthschaft zu fördern; sie sind damit aber auch ein mächtiges Mittel, dem einen Weg zu ihrer Beherrschung zu bahnen, auf dem es sonst viel größeren Schwierigkeiten begegnen würde.

Wir unterschätzen die Bedeutung dieser Genossenschaften keineswegs. Sie sind wichtig für die Revolutionirung der Landwirthschaft; aber das Mittel, den Bauer zu retten, sind sie nicht.

Das Genossenschaftswesen hat aber auch seine Grenzen.

Für die landwirthschaftlichen Industrien gelten dieselben Gesetze wie für jede andere Industrie. Die Konzentration und Zentralisation der Betriebe, die in der Landwirthschaft so starke Gegentendenzen findet, macht hier rasche Fortschritte; in den landwirthschaftlichen Industrien, wie in allen anderen, herrscht die Tendenz zum Großbetrieb.

Das zeigt am deutlichsten die, allerdings durch staatliche Maßregeln künstlich stimulirte Zuckerfabrikation. Man zählte im Deutschen Reiche:

 

    

Zucker-
fabriken

Menge der
verarbeiteten
Rüben

Menge der verarbeiteten
Rüben, durchschnittlich
pro Zuckerfabrik

Tonnen

Tonnen

1871/72

311

  2.250.918

  7.237

1881/82

343

  6.271.948

18.286

1891/92

403

  9.488.002

23.543

1896/97

399

13.721.601

34.389

Also fast eine Verfünffachung des durchschnittlich von einer Fabrik verarbeiteten Rübenquantums in 25 Jahren!

Auch in der Kartoffelbrennerei ließ sich die gleiche Tendenz, allerdings in weniger großartiger Weise, bis zur Zeit der neuen Steuergesetze verfolgen, die darauf abzielten, die Ausdehnung der Produktion einzuschränken. Im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich finden wir verzeichnet, daß die Zahl der Brennereien, die Kartoffeln, Getreide oder Melasse verarbeiteten, ins Gebiet der Steuergemeinschaft von 1872 bis 1881/82 von 7.011 auf 7.280 stieg. Es sank aber die Zahl der Brennereien, die unter 15.000 Mark Branntweinsteuer entrichteten, von 6.222 auf 5.788, während sich jene, die mehr als 15.000 Mark zahlten, von 789 auf 1.492 vermehrten.

Anderseits zählte man:

 

    

Brennereien,
die Kartoffeln
verbrauchten

Menge der
verarbeiteten
Kartoffeln

Menge der
verarbeiteten
Kartoffeln
pro Brennerei

Tonnen

Tonnen

1882/83

4.180

2.392.000

572

1886/87

4.069

2.719.000

668

Von 1887/88 an ist im Reichssteuergebiet die Produktion der Kartoffelbrennerei pro Betrieb durchschnittlich auf gleicher Höhe geblieben, aber es ist doch bemerkenswerth, daß es gerade die kleinsten dieser Brennereien sind, die einen entschiedenen Rückgang aufweisen.

Es produzirten

 

    

1890/91

  

1894/95

Abnahme (−) oder
Zunahme (+)

bis 50 Liter

1.300

   513

− 787

50–500 Liter

   731

   720

−   11

500–5.000 Liter

   632

   657

+   25

5.000–50.000 Liter

1.931

1.983

+   52

über 50.000 Liter

1.793

1.758

−   35

Die Molkereien sind natürlich ebenfalls dem Entwicklungsgesetz der modernen Großindustrie unterworfen; auch für sie steht der technische Fortschritt nicht still, auch für sie wird der Handbetrieb durch den Dampfbetrieb verdrängt, wachsen die Maschinen, wächst die Menge der Produkte, die eine Maschine verarbeitet, wachsen die Produktions- und Lagerräume, wachsen die Absatzgebiete und damit die Nothwendigkeit der Anwendung eigener kommerziell geschulter Kräfte, die nur ein großer Betrieb genügend beschäftigen kann.

Wir haben oben gesehen, wie in Neu-Südwales die Molkereien immer größer werden. Das Gleiche wird aus Belgien berichtet: Colard Bovy konstatirte in einem Bericht an den internationalen landwirthschaftlichen Kongreß 1895: Die ungenügenden und schlecht geleiteten kleinen Genossenschaften weichen vor den großen immer mehr zurück,

„welche zu niedrigstem Preis und unter besseren Bedingungen große Mengen Milch bearbeiten und Erzeugnisse von beständiger Gleichmäßigkeit liefern können. Wenn ein tüchtiger Beamter den Betrieb leitet, erreichen diese Vortheile ihren Höhepunkt.“ (Zitirt von E. Vandervelde in seinem Artikel über den Agrarsozialismus in Belgien, Neue Zeit, XV, 1, S. 755.)

Die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie im Deutschen Reich wird durch folgende Berechnung veranschaulicht, die sich auf die Zahlen der Berufsstatistik von 1882 und 1895 stützt. Danach kamen auf je hundert Betriebsleiter (Besitzer und Angestellte) Lohnarbeiter und Beamte:

 

Getreide-
mühlen

Rüben-
zucker-
fabri-
kation

Verfertigung
anderer vege-
tabilischer
Nahrungs-
mittel1

Verfertigung
von anima-
lischen Nah-
rungsmitteln
(außer
Fleischerei)2

Mälzerei
und
Brauerei

Branntwein-
brennerei,
Liqueur- und
Preßhefen-
fabrikation

Schaum-
und Obst-
weinfabri-
kation,
Weinpflege

Essig-
fabri-
kation

1882

161

2.831

   688

141

364

299

256

162

1895

237

5.764

1.231

315

759

413

315

237

Zunahme

  76

2.033

   543

174

395

114

  59

  75

1. Konserven, komprimirte Gemüse, Kaffeesurrogate, Kakao, Stärke, Nudeln.
2. Fischsalzerei, Bereitung konservirter Milch, Butter- und Käsefabrikation.

Ueberall sehen wir eine fortschreitende Vergrößerung der Betriebe, in allen landwirthschaftlichen Industrien steigt die Zahl der Lohnarbeiter weit rascher als die der Unternehmer und Betriebsleiter; in der Rübenzuckerfabrikation, der Molkerei &c. und der Brauerei beträgt die relative Zunahme mehr als hundert Prozent, in der Fabrikation der vegetabilischen Konserven fast hundert Prozent.

Welche Ausdehnung manche landwirthschaftliche Industriebetriebe erlangt haben, zeigen z. B. die Unternehmungen der Firma Nestle. Sie besitzt in der Schweiz zwei große Fabriken zur Herstellung kondensirter Milch und eine Fabrik zur Herstellung von Kindermehl. Diese letztere in Vevey verarbeitet täglich 100.000 Liter Milch, das Produkt von 12.000 Kühen, welches aus 180 Dörfern zusammenkommt. 180 Dörfer haben ihre ökonomische Selbständigkeit verloren und sind Unterthanen des Hauses Nestle geworden. Ihre Bewohner sind äußerlich noch Besitzer ihres Bodens, aber freie Bauern sind sie nicht mehr.

In dem Maße, in dem diese Entwicklung fortschreitet und die Kapitalsumme steigt, die zur Begründung eines konkurrenzfähigen Unternehmens erforderlich ist, verengert sich der Kreis derjenigen Landwirthe, die im Stande sind, zur Gründung von Produktivgenossenschaften zu schreiten, desto eher werden die Neugründungen auf diesen Gebieten von vornherein kapitalistische Unternehmungen, wie das heute schon bei der Rübenzuckerfabrikation und der Kartoffelbrennerei deutlich zu Tage tritt. Wo von genossenschaftlichen Fabriken dieser Industriezweige noch die Rede sein kann, handelt es sich so gut wie ausschließlich um Genossenschaften von Großbauern und Rittergutsbesitzern.

Wenn von vornherein jeder ländlichen Produktivgenossenschaft bei jeder Krisis der Uebergang in kapitalistische Hände droht, so kommt früher oder später für jede Art der landwirthschaftlichen Industrie der Zeitpunkt, von dem an sie den kleinen Landwirthen den Zugang verschließt und zu einem Monopol der Kapitalisten und Großgrundbesitzer wird. In der Regel führt diese Entwicklung auch zur Verdrängung der kleinen Landwirthschaft durch die große. Auch dafür liefert uns die Zuckerindustrie die besten Beweise. Die Vortheile des Maschinenbetriebs in der Landwirthschaft treten am stärksten dort zu Tage, wo die Triebkraft für die Maschinen nicht besonders beschafft werden muß, sondern von einem auf dem Gute befindlichen Industriebetrieb geliefert wird.

Wo dies nicht zum Rückgang des Kleinbetriebs führt, da besiegelt die Industrialisirung der Landwirthschaft die Abhängigkeit des kleinen Landwirths von der Fabrik, der einzigen Abnehmerin seiner Produkte, und macht ihn völlig zum Hörigen des industriellen Kapitals, nach dessen Bedürfnissen er zu wirthschaften hat.

Das ist die Rettung, die die landwirthschaftliche Industrie dem Bauern bringt.
 

f) Verdrängung der Landwirthschaft durch die Industrie

Wenn die Entwicklung der landwirthschaftlichen Industrie dem Landwirth wenigstens vorübergehend eine neue Stütze bietet, so fördert der Fortschritt der Technik anderseits auch Ergebnisse zu Tage, die den Landwirth bedrängen und einzelne Zweige der Landwirthschaft ruiniren. Dies geschieht einmal dadurch, daß man dahin gelangt, das Rohmaterial besser auszunutzen, so daß aus derselben Menge Rohmaterial mehr Produkt gewonnen wird, was naturgemäß bewirkt, daß bei gleichbleibendem Konsum des Produkts die Nachfrage nach dem Rohmaterial sinkt, daß bei zunehmendem Konsum die Nachfrage nach dem Rohmaterial nicht so rasch steigt, wie jener. Ferner aber wirkt der industrielle Fortschritt dahin, daß an Stelle hochwerthigen minderwerthiges Rohmaterial tritt, namentlich durch Verwerthung der Abfallstoffe und durch Produktion von Surrogaten. Schließlich aber kommt die Industrie sogar so weit, daß sie Produkte, die früher die Landwirthschaft lieferte, selbst produzirt oder in einer Weise ersetzt, daß die der Landwirthschaft überflüssig werden.

Einige Beispiele mögen das illustriren. Bekannt ist der große Verlust an Nahrungsstoffen, der durch unvollkommene Vermahlung des Korn entsteht. Die Fortschritte der Müllerei reduziren diese Verluste immer mehr.

„Im 17. Jahrhundert schätzte Vauban den jährlichen Verbrauch eines Mannes nahe auf 712 Pfund Weizen, eine Quantität, die jetzt beinahe für zwei Mann ausreicht, und es werden heutzutage durch die Verbesserung unserer Mühlen ungeheure Massen Nahrungsstoff, viele hundert Millionen jährlich an Werth, für die Menschen gewonnen, welcher früher blos für die Thiere diente, für welche derselbe uneudlich leichter durch andere Nahrungsstoffe ersetzbar ist, die sich für den Genuß des Menschen durchaus nicht eignen ... Der Weizen enthält nicht über 2 Prozent unverdauliche Holzsubstanz, und eine vollkommene Mühle im weitesten Sinne sollte nicht über diese Quantität an Kleie geben; aber unsere besten Mühlen geben immer noch 12 bis 20 Prozent, die gewöhnlichen Mühlen bis 25 Prozent an Kleie, welche 60 bis 70 Prozent der nahrhaftesten Bestandtheile des Mehls enthält.“ (J. v. Liebig, Chemische Briefe, S. 334)

Im Jahre 1877 behauptete der Kunstmüller V. Till, ein Mahlverfahren erfunden zu haben, das 92,6 Prozent Mehl und nur 7,4 Prozent Kleie und Abfall lieferte (V. Till, Die Lösung der Brotfrage); eine weitergehende Reduzirung der Kleie haben wir noch nicht verzeichnet gefunden. Dagegen werden jetzt Versuche gemacht, die Nahrungsstoffe, namentlich das Eiweiß, der Kleie auf chemischem Wege verdaulich zu machen.

Es ist klar, daß bei gleichbleibendem Mehlkonsum jeder Fortschritt der Müllerei in der Ausnützung des Korns eine Verminderung der Nachfrage nach Getreide hervorrufen muß. Die Wirkung sinkender Nachfrage muß aber auch bei steigendem Mehlkonsum eintreten, wenn gleichzeitig die Masse des auf den Markt kommenden Getreides ebenso rasch oder gar noch rascher als der Mehlkonsum zunimmt. Die Verdrängung der primitiven Mühlen durch die Kunstmühlen muß also die Wirkungen der Krise auf dem Getreidemarkt verschärfen.

Die eben erwähnten Versuche, die Nahrungsstoffe der Kleie in eine Form überzuführen, in der sie vom menschlichen Magen verdaut werden können, gehören bereits auf das Gebiet der Verwerthung der Abfallstoffe und der Produktion von Surrogaten.

Die fortschreitende Verwerthung der Abfallstoffe ist eine der wesentlichsten Eigenthümlichkeiten der modernen Produktionsweise. Sie ist das natürliche Ergebniß der Großproduktion, welche die Abfallstoffe in ungeheuren Mengen an einzelnen Punkten anhäuft, dadurch ihre Beseitigung nothwendig macht und zu Versuchen anregt, sie zu industriellen Zwecken auszunützen und dadurch aus einer Quelle der Verlegenheit und unproduktiver Ausgaben in eine Quelle des Profits zu verwandeln.

Für die Landwirthschaft sind diese Abfälle von der höchsten Bedeutung geworden. Alf der einen Seite liefern die Abfälle der Großindustrie der Landwirthschaft Viehfutter und Dünger – so die Abfälle der Branntweinbrennereien, Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Oelmühlen, ferner Thomasschlacke, Holzasche u. s. w. – und werden so ein mächtiges Mittel, die Landwirthschaft an die Industrie zu ketten. Auf der anderen Seite aber bemächtigt sich die Industrie der Abfälle von landwirthschaftlichen Produkten, um durch deren Verarbeitung der Landwirthschaft selbst Konkurrenz zu machen.

Ein Beispiel einer derartigen Verwerthung eines Abfallstoffes ist die Produktion von Oel aus Baumwollensamen, der früher weggeworfen, höchstens als Dünger auf den Baumwollenplantagen verwendet wurde. Heute weiß man daraus ein Oel zu fabriziren, das den aus europäischen Oelpflanzen hergestellten Oelen sehr empfindliche und rasch wachsende Konkurrenz macht. Im Deutschen Reich betrug die Einfuhr von:

 

      

Baumwollensamenöl

  

Leinöl

1886

  8.067 Tonnen

39.743 Tonnen

1891

21.366 Tonnen

37.385 Tonnen

1895

34.460 Tonnen

19.863 Tonnen

1896

27.047 Tonnen

19.693 Tonnen

1897

30.227 Tonnen

15.548 Tonnen

Verwendung findet das Banmwollensamenöl namentlich zur Verfälschung des Olivenöls und bei der Erzeugung der Kunstbutter, Margarine, die aus Rindertalg, Milch und billigen Oelen, namentlich Banmwollensamenöl, hergestellt wird und von Naturbutter im Geschmack und der physiologischen Wirkung kaum zu unterscheiden ist. 1872 wurde die erste Kunstbutterfabrik in Deutschland begründet, heute giebt es ungefähr sechzig.

Daß diese Konkurrenz die ohnehin schon kritische Lage des Buttermarktes nicht verbessert, ist klar. Die beweglichen Klagen der Agrarier darüber, mit denen sie 1896 eine neue Fesselung der Margarineindustrie begründeten und erlangten, sind sicher übertrieben, aber ebenso übertrieben die entgegengesetzte Behauptung, daß die Landwirthe durch die Kunstbutter gar nicht geschädigt würden. Sehr wenig tröstlich ist für die Letzteren der Hinweis darauf, daß auch die Kunstbutterfabrikation sich in einer schwierigen Lage befindet – dergleichen kommt auch in blühenden Industriezweigen bei schlecht geleiteten, unglücklich angelegten oder ungenügend ausgestatteten Betrieben vor –, als in der Statistik jenes Landes, in dem Margarine und Butter ihren Konkurrenzkampf am freiesten ausfechten können. In Großbritannien betrug der Import von:

Jahr

Butter

Margarine

 

Davon australische

1886

 

1.452.000 Zentner

— Prozent

   870.000 Zentner

1892

 

2.107.000 Zentner

  4 Prozent

1.293.000 Zentner

1895

 

2.750.000 Zentner

11 Prozent

   922.000 Zentner

Die billige australische Butter bedrängt nicht blos die Produzenten der Naturbutter, sondern auch die der Kunstbutter. Das wird aber natürlich nicht zum Untergang der Kunstbutterfabrikation führen, sondern zur Verbesserung ihrer Produktionsmethoden. Die Naturbutterproduzenten haben dabei nichts zu gewinnen.

Aber wenn wir auch nicht bestreiten, daß die Molkereien durch die Margarinefabrikation geschädigt werden, so wollen wir damit durchaus nicht die Bestrebungen gutheißen, die Produktion der letzteren zu Gunsten der ersteren zu unterbinden. Wir geben gerne zu, daß es traurig ist, wenn der Bankerott einer genossenschaftlichen Molkerei zahlreiche fleißige Bauern ins Proletariat stürzt, aber es ist nicht trauriger, als etwa die Brotlosmachung fleißiger Proletarier durch eine neue Maschine. Auf diese Weise vollzieht sich einmal der technische Fortschritt in der gegenwärtigen Gesellschaft. diese Methode des Fortschritts beseitigen will, muß die gesammte heutige Gesellschaftsordnung beseitigen. Dagegen ist es unsinnig, diese Ordnung mit allen Mitteln aufrecht zu halten und ihre Konsequenzen aufheben zu wollen. Dieser Unsinn wird empörend, wenn man ihn dadurch praktisch durchführbar machen will, daß man nach Augenblicks- und Kasteninteressen nur einzelnen Produzentenschichten mit dem Privilegium begabt, auf Kosten der Allgemeinheit gegen jeden technischen Fortschritt geschützt zu werden, der ihren Profit schmälert.

Ein derartiges Privilegium läßt sich in einem modernen Staate die Masse der Bevölkerung auf die Dauer nicht gefallen, und darum ist es eine Utopie, die Landwirthschaft auf diesem Wege vor der Bedrängung durch die aufstrebende Industrie zu bewahren. Die krampfhaften Bestrebungen unserer Agrarier in dieser Richtung beweisen blos, wie sehr sie durch die kapitalistische Großindustrie der Nahrungs- und Genußmittel bedroht werden, welche Bedeutung diese gegenüber der Landwirthschaft erlangt hat.

Die Kunstbutter und neben ihr noch der Kunstkäse sind wohl bisher jene von der Großindustrie erzeugten Surrogate, die sich der Landwirthschaft am fühlbarsten bemerkbar machen. Aber sie sind nicht die einzigen, welche in dieser Richtung wirken.

Die Bierbrauerei hat in den letzten Jahrzehnten in fast allen Staaten Europas enormen Aufschwung genommen.

Die Bierproduktion lieferte in:

Deutsches Reich

      

Großbritannien

      

Oesterreich

Jahr

Hektoliter

Jahr

Hektoliter

Jahr

Hektoliter

1872

32.945.000

1873

35.700.000

1870

  9.303.400

1882/83

39.250.000

1881

44.774.000

1880

10.530.000

1890/91

52.730.000

1891

52.675.000

1890

13.570.000

1895/96

60.563.000

 

 

Belgien

Frankreich

Rußland

Jahr

Hektoliter

Jahr

Hektoliter

Jahr

Hektoliter

1870

  7.794.000

1872

  7.181.000

1866

  2.200.000

1880

  9.288.500

1885

  8.010.000

1884

  4.212.000

1890

10.770.000

1890

  8.490.000

1890

  8.490.000

In Dänemark wuchs die Bierproduktion von 1.200.000 Hektoliter (1876) auf 2.185.000 (1891). In Schweden von 419.815 (1880) auf 1.240.811 (1890), in der Schweiz von 280.000 (1867) auf 650.000 (1876), 1.004.000 (1886) und 1.249.000 (1891).

Man sollte glauben, daß im gleichen Maße auch die Hopfenproduktion gewachsen wäre. Nichts weniger als das. Sie ist nur unerheblich gestiegen. Schon 1867 schätzte man den Ertrag einer vollen Hopfenernte in Europa auf 50.000 Tonnen. Ebenso viel betrug die Ernte im Jahre 1890 (davon 24.705 in Deutschland, 15.000 in England); 1892 erntete man 57.550 Tonnen (davon 24.150 in Deutschland, 19.000 in England).

In England ist die jährlich produzirte Biermenge von 35 Millionen Hektoliter (1873) auf 52 Millionen (1891), um 17 Millionen, also rund 50 Prozent gestiegen. Dagegen waren mit Hopfen bebaut 1871 24.000 Hektar und 1892 23.000. Die Einfuhr von Hopfen aber, sagt der Bericht der parlamentarischen Agrarkommission von 1897 (S. 3), „blieb thatsächlich während der letzten 20 Jahre stationär. Während der Periode von 1876/78 betrug die durchschnittliche Jahreseinfuhr von Hopfen aus allen Quellen 195.000 Zentner, und 1893/95 203.000 Zentner.“

Die Entwicklung im Deutschen Reich zeigt folgende Tabelle:

 

      

1884

  

1896

Hopfenernte

28.870 Tonnen

25.325 Tonnen

Hopfeneinfuhr

  1.340 Tonnen

  3.041 Tonnen

Zusammen

30.210 Tonnen

28.366 Tonnen

Davon ab Hopfenausfuhr

11.514 Tonnen

  9.868 Tonnen

Bleibt Hopfenmenge

18.696 Tonnen

18.498 Tonnen

 

           

1884/85

        

1896/97

Bierproduktion Hektoliter

42.287.000

61.486.000

Auf eine Tonne Hopfen
kommen Hektoliter Bier

2.260

3.324

Der steigende Bierkonsum hilft also den Hopfenproduzenten gar nichts. Er fördert nur die Produktion der Hopfensurrogate.

Noch schlimmer als den Hopfenproduzenten spielt die Entwicklung der Chemie den Weingärtnern mit. Sie lehrt aus Kartoffelstärke, Lumpen oder Holzfasern Traubenzucker herstellen, jenes famose Mittel, das geringwerthige Weine zu verbessern erlaubt. Sie lehrt aber auch aus Trestern und Rosinen mit Hilfe von Zucker und andere Produkten der landwirthschaftlichen Industrie Weine fabriziren.

Immer mehr haben selbst die sogenannten „Naturweine“ eine Reihe von Verfahren durchzumachen, die naturwissenschaftliche Kenntnisse und die Anwendung kostspieliger Apparate erfordern, immer mehr wird so auch der Naturwein das Produkt einer kapitalistischen Großindustrie, der der Weinbauer blos das Rohmaterial liefert. Der Weinkeller wird zur Weinfabrik.

In seinem Referat über Die Lage der Gesetzgebung, betreffend die Weinbereitung und die Technik der Weinbereitung vor dem königlich preußischen Landesökonomiekollegium, Februar 1897, führte Professor Märcker unter Anderem Folgendes aus:

„Der Wein ist nicht ein volles Naturprodukt, auf den Weinstöcken wächst der Wein nicht flaschenreif, sondern es ist ein langer Weg, den er bei der Kellerbehandlung durchzumachen hat, bis aus dem süßen Traubenmost der edle Wein gezeitigt ist ...

„Diese Weinbereitung hat nun in den letzten Jahren eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Forschungen hervorgerufen, bei denen wir auf dem Gebiet der Weinbehandlung außerordentlich weit gekommen sind, indem wir es allmälig lernen, auch aus geringwerthigen Trauben einen Naturwein von besserer Qualität zu erzeugen. Vor allen Dingen hat die Hefereinzucht sich dieses Gebiets bemächtigt.“

An den Schalen der Weintrauben haften mannigfache Hefepilze, die die Gährung im Most hervorbringen.

„Man weiß, daß es verschiedene Heferassen giebt, daß die Hefe, die auf dem Johannisberg, in Geisenheim wächst, einen Wein von ganz bestimmtem Charakter erzeugt; und man hat nun versucht, dadurch, daß man eine bestimmte Hefeart rein züchtete, einen Wein von einem bestimmten Charakter zu erzielen. Sanguiniker haben gemeint, als in der That gute Erfahrungen in Bezug auf Reinzuchthefe vorlagen, daß man des Weinbaues vollständig entbehren könne; man brauche einer Zuckerlösung nur eine Hefe künstlich zuzusetzen, um damit den edelsten Johannisberger oder Steinberger zu erzeugen.“

Man sollte meinen, diese Aussicht könnte nur begeisternd wirken: nicht nur Zuckererbsen, sondern auch Johannisberger für Jedermann – wäre das nicht der Anfang des Himmels auf Erden?

So denkt ein Sozialist, aber nicht ein Agrarier. Was für die Wohlfahrt der Gesammtheit ein Glück – ein Ueberfluß an Lebens- und Genußmitteln – ist für die Grundrente ein Unglück. Kann Jedermann sich aus Zuckerwasser Johannisberger produziren, so ist’s mit der Grundrente der Johannisberger Weingüter zu Ende. Und so fährt denn Herr Professor Märcker erleichtert fort:

„Das ist, Gott sei Dank, nicht gelungen, aber es ist gelungen, mit der Reinzuchthefe einen viel besseren Wein zu erzeugen als ohne dieselbe, und es ist gelungen, für unsere Produkte nunmehr bedeutend bessere Preise zu erzielen. Es sind auch erst wenige Jahre verflossen, seit man diese Reinzuchthefe zur Anwendung gebracht hat.“

Die Hefepilze haben also bisher vor der Grundrente ehrfurchtsvoll Halt gemacht. Aber ist nicht zu befürchten, daß diese mikroskopischen Schwerenöther eines schönen Tages doch ihre loyale Haltung aufgeben und zu Umstürzlern werden? Mit der Produktion von Johannisberger aus Krätzer fängt man an, warum sollte man nicht mit der Produktion von Wein aus Zuckerwasser enden?

Die Weinverbesserung verbieten, geht aber nicht an, das erklärt Professor Märcker selbst im Fortgang seines Referats. Die Statistik sagt, daß unter zehn Jahren nur ein ausgezeichnetes Weinjahr vorkommt, drei gute, drei mittlere, drei saure. Diese sauren Weine sind ohne Verbesserung ungenießbar für einen zivilisirten Gaumen. Die Weinverbesserung verbieten, hieße die Weinbauern selbst aufs Schwerste schädigen.

Neben den verbesserten Weinen und den Tresterweinen kommt der Rosinenwein auf.

„Man kann aus Rosinen, indem man sie mit Wasser anrührt, zerkleinert und vergähren läßt, namentlich unter Anwendung der Reinzuchthefe, einen ganz vortrefflichen Wein bereiten ... Es ist ein sehr guter und brauchbarer Wein, er hat vollkommen den Charakter eines Weines und es macht derselbe unserem deutschen Weine eine schwere Konkurrenz. Technisch ist gegen ihn nichts einzuwenden, aber um so mehr wirthschaftlich, da er unserem deutschen Weine schwer Konkurrenz macht. Er ist analysenfest und ungeheuer billig; zu 12 Mark kann man 100 Liter herstellen. Das ist also eine schwere Konkurrenz, die auf gesetzgeberischem Wege entschieden bekämpft werden muß.“

In der That, man denke, welches Urtheil über das deutsche Volk hereinbräche, wenn es dem Rosinenwein gelänge, den Kartoffelfusel zu verdrängen!

Durch Reinzuchthefe kann man auch aus Malz weinähnliche Getränke herstellen. In Hamburg fabrizirt eine große Fabrik solche Malzweine.

Aus der Diskussion über dieses Referat sei eine Bemerkung des Geheimen Oberregierungsrath Thiel erwähnt, der unter Anderem sagte, die kleinen Winzer seien nicht in der Lage, die nöthige Weinverbesserung selbst vorzunehmen. Das vermöchten nur die großen Weinbergsbesitzer und Weinhändler.

Aehnlich schrieb schon in den sechziger Jahren Meitzen (Der Boden &c., II, S. 275 ff.):

„Nur die größeren Besitzer und die wohlhabenderen Winzer pflegen selbst zu keltern, den Wein auf dem Lager zu behandeln und für den Verkauf den günstigen Zeitpunkt abzuwarten. Die Zahl der ärmeren Winzer, die dazu keine Mittel besitzen, beläuft sich auf etwa 12–13.000 (im alten Preußen vor 1866). Sie entäußern sich, um rasch baares Geld zu bekommen, der Trauben unmittelbar nach der Lese und haben häufig den Traubengewinn schon vorher gegen Abnahme von Vorschüssen verkauft. Die Masse der im Herbst 1864 von dieser Klasse der Winzer an Weinhändler und Weinfabrikanten überlassenen Trauben geben die Steuerbehörden auf 69.405 Zentner an.“

Die Abhängigkeit der kleinen Winzer von den Weinhändlern wird noch verstärkt durch die Unsicherheit der Erträge des Weinbaus. Wir haben oben die Bemerkung Märckers erwähnt, daß unter zehn Weinjahren drei saure und nur ein ausgezeichnetes; aber ebenso wie die Qualität, schwanken die Quantitäten. Meitzen giebt in seinem oben erwähnten Werke (S. 277) für das Rheinland die Weinerträge von 1821 bis 1864 (in Eimern) au. Wir greifen einige Zahlen heraus:

1821

  

  24.868

      

1854

  

  91.299

1822

469.211

1855

212.358

1828

816.228

1856

175.663

1829

271.088

1857

516.545

1830

  41.970

1858

576.205

1834

850.467

1864

320.471

Unter solchen Umständen wird der Weinbau das reine Hazardspiel, bei dem schließlich der gewinnen muß, der die größte Börse hat, der Jahre lang zusetzen kann. Den kleinen, kapitallosen Winzer macht ein Mißjahr bankerott oder bringt ihu in hoffnungslose Schuldknechtschaft.

Das Genossenschaftswesen soll auch hier das rettende Mittel sein. Genossenschaftskellereien sollen den kleinen Winzer in die Möglichkeit versetzen, die Profite aus der Verbesserung seiner Wein und aus dem Zwischenhandel selbst einzuheimsen. Von ihnen gilt, was von den landwirthschaftlichen Produktivgenossenschaften überhaupt gesagt worden ist: Auf der einen Seite sind sie den ganz kleinen, kapitallosen Winzern nicht zugänglich – auf der anderen Seite müssen sie ebenso wie andere Produktivgenossenschaften früher oder später kapitalistisch entarten oder kapitalistisches Eigenthum werden. In diesem Sinne beschleunigen sie nur die Entwicklung, die dahin geht, den Winzer in immer größere ökonomische Abhängigkeit von der Fabrik, vom Weinkeller zu bringen, ihn in einen Theilarbeiter der Weinindustrie zu verwandeln.

Dieselbe technische Entwicklung aber, die den Weinbauer immer abhängiger vom Weinfabrikanten macht, macht diesen immer unabhängiger vom heimischen Weinbauer. Sie führt ihm in rasch steigenden Quantitäten ausländische billige Weine zu, die er in bessere verwandelt, sie bringt ihm auch immer mehr billiges Rohmaterial anderer Art, um daraus Wein zu bereiten.

Die Revolutionirung der Weinproduktion läßt sich am deutlichsten in Frankreich verfolgen. In Folge der Verheerungen der Phylloxera und anderer Krankheiten sank der Weinertrag des Landes rapid. Es betrug jährlich:

Zehnjähriger
Durchschnitt

 

Ausdehnung
des Weinbaus

Ertrag
pro Hektar

Ueberhaupt

 

Weinkonsum
(Schätzung)

 

Ueberschuß (+)
oder Defizit (−)
der Produktion

 

Ausfuhr von
Wein

Hektar

Hektoliter

Hektoliter

Hektoliter

Hektoliter

1870–1879

2.364.175

22,4

52.935.956

38.100.000 

+ 14.800.000 

3.283.419 

1880–1889

2.052.897

16,8

33.499.782

36.400.0001

−   3.000.0001

2.538.1981

Jahrg. 1887

1.919.878

18,6

25.365.441

34.000.000 

−   9.000.000 

2.402.216 

Jahrg. 1891

1.768.374

17,0

30.139.000

?

?

2.044.000 

1. 1880–1884.

Obwohl seit Beginn der achtziger Jahre der Weinkonsum weitaus bedeutender ist als die Weinproduktion, nimmt doch die Ausfuhr kaum ab. Das ist zu erklären theils durch die aufgestapelten Ueberschüsse früherer Jahre, theils durch den Import minderwerthiger Weine, die verbessert und dann in Frankreich selbst konsumirt oder als feine französische Weine ausgeführt werden.

Es betrug die Weineinfuhr in tausend Hektolitern aus:

 

1878

  

1889

      

 

1878

  

1889

Spanien

1.347

7.052

Oesterreich-Ungarn

9

422

Algier

       1

1.581

Türkei

8

194

Portugal

     16

   875

Griechenland

0

146

Gleichzeitig stieg aber auch die Kunstweinfabrikation. Nach der offiziellen Statistik selbst wurde Wein bereitet aus:

 

      

Getrockneten
Trauben

Trestern

   Zusammen   

Hektoliter

Hektoliter

Hektoliter

1880

2.320.000

2.180.000

4.450.000

1890

4.298.000

1.947.000

6.240.000

Die wirkliche Fabrikation von Kunstwein dürfte noch erheblich größer sein. Nur ein Theil dieses Industriezweig wird offen betrieben.

Im Deutschen Reiche stieg die Einfuhr der Rosinen von 12.994.000 Kilogramm im Jahre 1886 auf 32.846.000 im Jahre 1895. Der Löwenantheil dieser Vermehrung ist auf das Konto der Weinfabrikation zu schreiben. Daneben stieg die Einfuhr frischer Weinbeeren von 3.181.000 Kilogramm (1886) auf 19.371.000 (1895).

Ueberdies bereitet sich auch auf diesem Gebiete eine überseeische Konkurrenz vor, sowohl in Afrika (Algier, Tunis, Kap), wie in den Vereinigten Staaten, namentlich in Kalifornien, in Chile, Uruguay, Argentinien, Australien. In Algier waren mit Weinreben bepflanzt 1878 17.600 Hektar, 1889 96.624 Hektar, 1893 116.000 Hektar mit einem Ertrag von 3.800.000 Hektoliter. In den Vereinigten Staaten betrug der Weinertrag 1889 1.500.000 Hektoliter, in Argentinien ebensoviel, in Chile 1.000.000 Hektoliter.

Bei den bisher behandelten Surrogaten und Abfallsprodukten handelte es sich immer noch um die Verarbeitung von Stoffen, wenn auch minderwerthigen, die der Landwirthschaft entstammten. Aber die industrielle Entwicklung gelangt schließlich auf manchem Gebiet sogar dahin, ein bisher von der Landwirthschaft erzeugtes Produkt direkt ohne jede Mitwirkung derselben hervorzubringen.

Am bekanntesten sind in dieser Beziehung die Erfolge, die die Chemie bei der Verarbeitung des Theers erzielt hat. Nicht nur werden aus ihm eine ungemein große und täglich sich vermehrende Anzahl völlig neuer Stoffe gewonnen, die namentlich in der Medizin eine wichtige Rolle spielen, es werden auch daraus auf billigstem Wege Stoffe erzeugt, die bisher die Landwirthschaft lieferte.

Der Krapp z. B. war bin die siebziger Jahre eine wichtige Handelspflanze für manche Gegenden Europas, namentlich in Holland, Südfrankreich und Süddeutschland. Die Entdeckung der Herstellung des Alizarins aus Steinkohlentheer, die Gräbe und Liebermann 1868 gelang und von 1870 an in steigendem Maße von den Anilinfabriken verwerthet wurde, hat der Krappkultur den Todesstoß gegeben.

Von einem anderen Produkt des Steinkohlentheers, dem Saccharin, das 1879 entdeckt und seit 1886 im Großen hergestellt wurde, erwartete man Anfangs eine ähnliche Wirkung auf die Zuckerrübenkultur. Die Wirkung ist ausgeblieben. Wohl ist Sacchariu 600mal so süß wie Rohrzucker, aber es kann den Zucker nur als Versüßungsmittel, nicht als Nahrungsmittel ersetzen. Immerhin verdrängt es den Zucker aus einer Reihe bisheriger Verwendungsarten und wirkt so der Ausdehnung seines Konsums entgegen.

Auch Alkohol kann man aus Theer gewinnen, doch bisher noch nicht in einer Weise, welche die industrielle Ausbeutung dieses Verfahrens räthlich erscheinen läßt.

Von größerer – und unangenehmerer – Bedeutung für einen Theil der Landwirthschaft sind dagegen die Fortschritte der Elektrotechnik. Ihr scheint zu gelingen, was der Dampfkraft nicht gelang, die fast völlige Verdrängung des Pferdes aus dem ökonomischen Leben.

Die Dampfkraft ist mit Vortheil nur bei der Bewegung großer Massen und wenig unterbrochenem Betrieb anwendbar. Sie hat das Pferd bei der Fortbewegung von Lasten im Fernverkehr verdrängt. Aber indem das Eisenbahnwesen das Anwachsen der Großstädte stimulirte, zum großen Theil erst möglich machte, hat es dem lokalen Verkehr eine Reihe stets wachsender Aufgaben gestellt, die bis vor Kurzem nur mit Hilfe des Pferdes gelöst werden konnte. In der Landwirthschaft vermochte die Dampfmaschine ebenfalls nicht das Pferd zu verdrängen, so werthvoll sie sich auch für manche Verrichtungen erwies.

Die Elektrizität, deren Kraft sich leicht theilen und auf weite Strecken fortleiten, in ihrer Wirksamkeit beliebig unterbrechen und wieder in Gang setzen läßt, deren Motoren wenig Raum einnehmen und leicht zu handhaben sind, sie ist im Stande, die Funktionen des Pferdes als Motor im Verkehrsleben wie in der Landwirthschaft zu übernehmen, und sie hat es bereits in vielen Fällen gethan. Auf die Verdrängung des Pferdes aus dem Verkehrsleben wirken gleichzeitig noch andere Fortschritte der Technik hin. Neben elektrischen Straßenbahnen, elektrischen Droschken und Omnibussen tauchen noch Motorwagen anderer Art auf, und die Verbreitung des vom Menschen getriebenen Fahrrads macht Fortschritte, deren Rapidität eine unerschöpfliche Quelle nicht blos von Stoff für Witzblätter und von moralischer Entrüstung für den Philister, sondern auch von fetten Profiten für Fahrradfabriken und Händler ist.

Die Wirkung von alledem ist klar: die Nachfrage nach Pferden muß zurückgehen, die Pferdeproduktion muß unprofitabel werden. In den Vereinigten Staaten, wo die elektrischen Straßenbahnen bereits in viel höherem Grade als in Europa die Pferdebahnen verdrängt haben, ist das schon eingetreten. Ein englischer Landwirth, der die amerikanischen Zustände aus eigener Beobachtung kennt, schreibt darüber:

„Jüngst hört man viel Klagen über den Pferdehandel. Gerade die Pferdeproduktion schien mir in Amerika besonders unrentabel; die Pferdeproduzenten sagten mir, sie könnten ihre selbstgezogenen Pferde wegen Mangel an Käufern oft überhaupt nicht verkaufen; das Angebot sei größer als der Bedarf. Mich wundert diese Thatsache nicht, denn jede kleine Stadt in Amerika hat jetzt eine elektrische oder Kabelbahn statt der Pferdebahn. Der praktische Amerikaner hat längst herausgefunden, daß die Elektrizität billiger ist als die theure Pferdehaltung; ich war oft erstaunt über die Ausbreitung der Elektrizität sogar in den kleinsten Dörfern.“ (König, Die Lage der englischen Landwirthschaft, S. 408.)

Die Zahl der Pferde in Nordamerika nimmt denn auch ab – trotz der Ausdehnung seiner Landwirthschaft, der Zunahme seiner Bevölkerung, des Wachsthums seiner Städte. Noch rascher als ihre Zahl sank ihr Preis.

Man zählte in der Union Pferde:

 

      

Zahl

  

Werth (Dollars)

1892

15.498.140

1.007.593.636

1893

16.206.802

   992.225.185

1894

16.081.139

   769.224.799

1895

15.893.318

   576.730.580

1896

15.124.057

   500.140.186

1897

14.364.667

   452.649.896

Der heutige Pferdebestand der Vereinigten Staaten ist also weniger als die Hälfte dessen werth, was er 1892 erzielte.

Hand in Hand mit der Abnahmne der Nachfrage nach Pferden in den Vereinigten Staaten geht das Wachsthum ihrer Ausfuhr. Sie betrug:

 

      

1892

  

1896

Im Ganzen

8.226 Stück

25.126 Stück

Nach England

   467 Stück

12.022 Stück

Nach Deutschland

     28 Stück

  3.686 Stück

So die amerikanische offizielle Statistik (Yearbook of the United States, Department of Agriculture, S. 574, 580). Das statistische Jahrbuch des Deutschen Reichs giebt an, daß aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland 1890 19, 1896 4.285, 1897 5.918 Pferde importirt wurden. Der Import aus Amerika hat in den letzten Jahren den aus England weit überflügelt, der 1890–97 von 1.070 auf 2.719 Stück wuchs.

Gleichzeitig müssen aber die technischen Fortschritte im Verkehrswesen in Europa selbst dahin wirken, zunächst die Zunahme der Pferdehaltung einzuschränken, dann aber sie zum Rückgang zu bringen.

Davon werden in erster Linie nur die Pferdezüchter getroffen, meist größere Landwirthe; aber auch für mittlere, Großbauern, bleibt die Pferdezucht in manchen Gegenden eine wichtige Einnahmequelle. Dagegen werden die kleinen Landwirthe durch die Ueberproduktion von Pferden direkt nicht bedroht; auch hier sind die kleinen im Vortheil den großen gegenüber – freilich auch hier nicht durch ihre technische Ueberlegenheit.

Aber indirekt werden auch sie durch die Einschränkung der Pferdehaltung getroffen, denn diese zieht naturnothwendig auch eine Einschränkung in der Produktion von Pferdefutter nach sich. Fahrräder, elektrische Straßenbahnen, Motorwagen, elektrische Pflüge fressen weder Hafer noch Heu. Hafer war aber unter den wichtigen Getreidepflanzen bisher diejenige, die am wenigsten unter der überseeischen Konkurrenz litt. In Großbritannien betrug die Anbaufläche in Acres von:

 

      

1867–1872

  

1878–1882

  

1895

Weizen

3.563.000

2.965.000

1.417.000

Gerste

2.289.000

2.460.000

2.166.000

Hafer

2.746.000

2.777.000

3.296.000

1896 ist ein kleiner Rückgang der mit Hafer bebauten Fläche eingetreten. Sie betrug nur 3.095.000 Acres. Ob dieser Rückgang ein vorübergehender oder bereits der Anfang einer fortschreitenden Verminderung des Anbaus von Hafer, läßt sich noch nicht entscheiden. Auf jeden Fall dürfen wir eine solche früher oder später erwarten.

Was die überseeische Konkurrenz verschont, wird durch die industrielle Entwicklung im eigenen Lande bedroht.

Die Verwandlung der landwirthschaftlichen Produktion in eine industrielle steht erst in ihren Anfängen. Kühne Seher, namentlich phantasiebegabte Chemiker, träumen bereits von jener Zeit, da man aus Steinen Brot macht, da die gesammte Nahrungsmittelmenge in chemischen Fabriken produzirt wird. Mit solcher Zukunftsmusik können wir hier natürlich nicht rechnen.

Aber eines ist sicher. Auf einer ganzen Reihe von Gebieten ist die landwirthschaftliche Produktion in industrielle verwandelt worden, einer anderen Reihe steht diese Umwandlung in absehbarer Zeit bevor; kein Gebiet der landwirthschaftlichen Thätigkeit ist völlig sicher davor. Und jeder Fortschritt in dieser Richtung muß dahin führen, die Bedrängniß der Landwirthe zu vermehren, ihre Abhängigkeit von der Industrie zu steigern, die Sicherheit ihrer Existenz zu verringern.

Man braucht deswegen noch lange nicht von einem Untergang der Landwirthschaft zu sprechen. Aber ihr konservativer Charakter ist unwiderruflich dahin, wo die moderne Produktionsweise einmal festen Fuß gefaßt. Das Verharren beim Alten droht dem Landwirth sicheres Verderben; ununterbrochen muß er die Entwicklung der Technik verfolgen, ununterbrochen seinen Betrieb den neuen Verhältnissen anpassen. Da giebt’s kein Ausruhen auf dem einmal gewonnenen Terrain. Glaubt der Landwirth den einen Feind besiegt zu haben, ersteht ihm ein neuer. Auch auf dem flachen Lande geräth das ganze ökonomische Leben, das sich bisher so einförmig streng in ewig gleichen Geleisen bewegte, in den Zustand beständiger Revolutionirung, der das Kennzeichen der kapitalistischen Produktionsweise ist.

Dieser ständige Wirbel zieht alle auf den Grund, die nicht außergewöhnliches Glück, außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit, außergewöhnliche geschäftliche Intelligenz oder außergewöhnliche Geldmittel aufweisen können.

Und so inaugurirt die Revolutionirung der Landwirthschaft für sie alle eine Hetzjagd, in der sie erbarmungslos weitergetrieben werden, bis sie erschöpft zusammenbrechen – mit Ausnahme einiger brutalen Glückspilze, denen es gelingt, auf den Körpern der Unterliegenden sich emporzuschwingen in die Reihen der Hetzenden, der großen Kapitalisten.


Zuletzt aktualisiert am 27.2.2012