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Wir haben gesehen, daß die kapitalistische Produktionsweise die Landwirthschaft, die im Ausgange der Feudalzeit tief gesunken war, technisch durch den modernen Großbetrieb auf eine bedeutende Höhe gehoben hat. Aber wir haben auch gesehen, daß dieselbe Produktionsweise Tendenzen erzeugt, die der Entwicklung und Ausdehnung des Großbetriebs im Wege stehen, die auf das Kräftigste dagegen wirken, daß dieser in der Landwirthschaft zur Alleinherrschaft unter der bestehenden Gesellschaftsordnung gelangt, die es also verhindern, daß die Landwirthschaft die höchste Stufe erreicht, welche sie unter den gegebenen technischen Verhältnissen erreichen kann. Ja, diese hemmenden Tendenzen können durch Förderung der Parzellirung des Bodens stellenweise sogar zu technischem Rückschritt der Agrikultur führen.
Aber nicht nur durch ihre Beschränkung des Großbetriebs beeinträchtigt die kapitalistische Produktionsweise die Landwirthschaft. Nicht minder schädlich erweist sich für diese die Grundrente.
Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, daß der Kaufpreis von Grund und Boden im Wesentlichen nichts ist als die kapitalisirte Grundrente. Wir sprechen hier nur vom Preise des Bodens, nicht dem eines Landguts. Die Preise der Baulichkeiten, des lebenden und todten Inventars werden bestimmt wie die aller anderen Waaren, in letzter Instanz durch die zu ihrer Produzirung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Auch ein industrieller Kapitalist muß Grundrente zahlen oder Grund und Boden kaufen. Aber dessen Preis bildet nur einen geringen Theil der von ihm in der Produktion vorgeschossenen Geldsumme.
Anders in der Landwirthschaft. Das sogenannte Grundkapital, das heißt, die kapitalisirte Grundrente, bildet den überwiegenden Theil der Geldsumme, die ein Landwirth dort, wo Landwirthschaft auf eigenem Grundbesitz betrieben wird, aufzuwenden hat, um ein Landgut in Betrieb setzen zu können.
Auf mittelgroßen lind größeren Wirthschaften Mitteleuropas, wo Feldbau mit Stallfütterung besteht, beträgt das Betriebskapital in der Regel nur 27–33 Prozent des Grundkapitals, aber es kann bis auf 15 Prozent herabgehen und bis auf 40 Prozent anwachsen, je nach der Intensität des Betriebs. Die Durchschnittshöhe des Betriebskapitals beträgt ihn Königreich Sachsen 410 Mark pro Hektar, bei einem durchschnittlichen Kaufpreis der Güter von 1.930 Mark. (Krämer im Goltzschen Handbuch, I, S. 277–279 und Krafft, Betriebslehre, S. 58–60)
Buchenberger führt das Beispiel eines badischen Großbauern an, dessen Gut einen Werth von 46.233 Mark hat. Davon kommen auf das Inventar 6.820 Mark (14,72 Prozent), auf die Baulichkeiten 5.480 Mark (11,9 Prozent), dagegen auf den Grund und Boden 33.923 Mark (73,4 Prozent). (Bäuerliche Zustände, III, S. 249)
Von dem gesammten Kapitalaufwand ist nur ein Viertel wirkliches, im Produktionsprozeß fungirendes Kapital.
Der Landwirth kann also nur einen geringen Theil seines Kapitals als wirkliches Kapital in seinem Betrieb anwenden. Den weitaus größten Theil, zwei Drittel bis drei Viertel, muß er an den bisherigen Grundbesitzer blos für die Erlaubniß zahlen, den Betrieb unternehmen zu dürfen. Sein Betrieb wird daher stets kleiner oder weniger intensiv sein müssen, als bei der Größe des ihm zur Verfügung stehenden Kapitals möglich wäre.
Da aber die Praktiker im Gegensatz zu den Theoretikern innerhalb der schon oben betonten Schranken für die gleiche Kapitalsamage ein größeres Gut, selbst wenn es verschuldet ist, einem kleineren unverschuldeten vorziehen, kommt es sehr selten vor, daß ein Landwirth ein Gut baar bezahlt. Er betrachtet fast sein ganzes, ihm zur Verfügung stehendes Kapital als Betriebskapital und bemißt danach die Größe des Betriebs, den er zu erwerben sucht. Den Grund und Boden bezahlt er nicht oder doch nur zum geringen Theil; er bleibt den Bodenpreis schuldig, dieser wird als Hypothek auf das Gut eingetragen, das heißt, der Käufer übernimmt die Verpflichtung zur Bezahlung der Grundrente au den Hypothekengläubiger, den eigentlichen Besitzer des Bodens.
Auf diese Weise wird jeder Wechsel des Besitzers eines Landguts zu einer Quelle seiner Verschuldung. Ist es auch übertrieben, anzunehmen, daß die Besitzwechsel die einzige Quelle der Hypothekennoth des Grundbesitzes seien, daß das Bedürfniß nach Meliorationen demgegenüber gar nicht in Betracht komme, so ist doch sicher, daß sie die mächtigste Ursache der Zunahme der Hypothekenschulden sind.
Dort, wo das Pachtsystem besteht, kann der landwirthschaftliche Unternehmer sein Kapital ausschließlich dem Betrieb widmen, unter diesem System kann die Landwirthschaft den kapitalistischen Charakter am vollkommensten entfalten; die Pachtwirthschaft ist die klassische Erscheinungsform der kapitalistischen Landwirthschaft.
Neben der vollen Ausnutzung des Unternehmerkapitals bietet das Pachtsystem auch den Vortheil, daß es dem Grundbesitzer gestattet, den tüchtigsten und kapitalkräftigsten unter den konkurrirenden Pächtern auszuwählen, während unter dem System der Selbstbewirthschaftung durch den Grundbesitzer meist der Zufall je nach der Erbberechtigung die Person des Landwirths bestimmt.
Das macht nicht allzuviel aus bei dem Kleinbetrieb. Die Wirthschaft des Bauern ist immer noch eine recht schablonenmäßige und einfache. Und die Kinder des Bauern müssen von früh auf im Betrieb mitarbeiten und so die nöthigen Erfahrungen erwerben. Unterschiede der Befähigung zwischen den einzelnen Landwirthen werden sich auch da bilden, aber sie werden in der Regel sich in engen Grenzen bewegen, und die Führung des Betriebs nicht allzusehr beeinflussen.
Anders im Großbetrieb. Dieser ist ein komplizirtes Gebilde, dessen Leitung vielseitige praktische Erfahrung sowie gründliche wissenschaftliche und kaufmännische Bildung erfordert. Die Großgrundbesitzer werden aber im Laufe der kapitalistischen Entwicklung immer mehr eine Klasse mit städtischen Bedürfnissen und Neigungen, die es nach dem Aufenthalt in der Stadt zieht, die ihren Kindern eine städtische Erziehung giebt. Beim Sohne des Großgrundbesitzers ist keineswegs, wie beim Bauernsohn, das Aufwachsen in landwirthschaftlicher Thätigkeit selbstverständlich. Die Bildung, die er in der Stadt erwirbt, ist aber nicht eine solide agronomische oder kommerzielle. Dazu steckt der Großgrundbesitz noch zu tief, trotz seines städtischen Wesens, in seinen feudalen Traditionen. Hof und Armee sind die Bildungsstätten des Nachwuchses der Großgrundbesitzer. Gar oft macht da der Zufall der Geburt einen jungen Menschen zum Landwirth, dessen „Studien“ blos auf dem Rennplatz und in feinen Restaurants vor sich gingen und ihn höchstens zu einem Wein- und Pferdekenner gemacht haben. Der ist natürlich nicht der geeignete Mann, die Ueberlegenheit des Großbetriebs über den Kleinbetrieb praktisch zu demonstriren. Aber sein Grundbesitz kann ihn, namentlich bei steigender Grundrente, lange über Wasser halten, ehe er bankerott wird.
Anders der Pächter. Die Grundrente kann bei ihm nicht das Defizit im Unternehmergewinn decken helfen. Auch kann er sich nicht durch Verschuldung des Grundbesitzes helfen; er muß jedes Jahr pünktlich seinen Pachtzins abliefern. Kann man auf der einen Seite den fähigsten Pächter auswählen, so wird auf der anderen der unfähige bald Bankerott machen. Die Konkurrenz macht sich da viel schärfer geltend als bei jenen Landwirthen, die gleichzeitig Grundbesitzer sind.
Und da der Pächter außerdem keine Ausgaben für Grunderwerbungen, oft auch nicht für Baulichkeiten zu bestreiten hat, sein ganzes Kapital dem Betrieb zuwendet, so daß er mit einem gegebenen Kapital das größtmögliche Gut am intensivsten zu bewirthschaften im Stande ist, erweist sich das Pachtsystem unter der kapitalistischen Produktionsweise als dasjenige, das die höchsten Reinerträge abwirft.
Aber auch das Pachtsystem weist Schattenseiten auf. Der Pächter hat das höchste Interesse daran, dem Boden den möglichst hohen Ertrag abzugewinnen und er bietet auch die besten Vorbedingungen dazu, aber er hat kein Interesse an der Stetigkeit der Erträge, umsoweniger, je kürzer sein Pachtkontrakt. Je rascher er den Boden aussaugt, um so profitabler ist die Wirthschaft für ihn. Nun kann er allerdings durch den Kontrakt an einer Wirthschaft gehindert werden, die den Boden verschlechtert und erschöpft, und die Pachtkontrakte enthalten darüber die detaillirtesten Vorschriften, aber dies führt im besten Falle zu einem Beharren der Wirthschaft auf der erreichten Höhe. Für den Fortschritt über diese Höhe hinaus ist das Pachtsystem nur wenig geeignet. Der Pächter hat kein Interesse an Verbesserungen oder der Einführung neuer Kulturmethoden, die Anfangs viel Geld kosten und deren wohlthätige Folgen ganz oder zum Theil erst nach Ablauf seines Pachtkontrakts eintreten, und blos zur Ursache werden, seinen Pachtzins höher zu schrauben, die also nicht seinen Unternehmergewinn, sondern die Grundrente steigern. Der Pächter wird sich hüten, Verbesserungen vorzunehmen, wenn er nicht sicher ist, noch während der Dauer seines Pachtkontrakts das verwendete Kapital sammt Zinsen zurück zu erhalten.
Je länger die Pachtkontrakte, desto günstiger das Pachtsystem für den landwirthschaftlichen Fortschritt. Wo aber die Grundrente im Steigen, da haben die Grundbesitzer alle Ursache, die Pachtkontrakte möglichst kurz zu halten, weil dies das sicherste Mittel, den ganzen Betrag der steigenden Grundrente in ihre Taschen zu lenken.
So erweist sich beim Pachtsystem ebenso wie bei der Eigenwirthschaft die Grundrente als ein mächtiges Hinderniß einer rationellen Landwirthschaft.
Ein ebenso mächtiges Hinderniß wird das Erbrecht.
Die feudalen Fesseln, welche die Landwirthschaft ebenso wie die Industrie einengte, konnten nur gebrochen und die weitere Entwicklung der Landwirthschaft nur ermöglicht werden durch Einführung des vollen Privateigenthums an Grund und Boden und durch Aufhebung der Privilegien nicht blos des Standes, sondern auch der Geburt. Die bürgerliche Gesellschaft verlangt nicht blos Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, sondern auch Gleichheit aller Kinder in der Familie, also auch die Theilung des elterlichen Vermögens unter sie zu gleichen Theilen. Aber dieselben Einrichtungen, die zu einem raschen Aufschwung der Landwirthschaft führten, begannen bald ihrerseits wieder zu weiteren Fesseln zu werden.
Die Theilung des elterlichen Vermögens ist auch beim Kapital ein starkes Hinderniß der Vereinigung einer Masse von Kapitalien in einer Hand. Aber die Konzentration des Kapitals ist ein Produkt nicht blos der Zentralisation alter, sondern auch der Akkumulation neuer Kapitalien, und letztere ist so mächtig, daß die Konzentration des Kapitals trotz der fortgesetzten Erbtheilungen rasch fortschreitet.
Beim Grundbesitz ist von einer der Akkumulation neuen Kapitals entsprechenden Erscheinung wenigstens in alten Kulturländern, wo aller Boden bereits seinen Eigenthümer hat, nicht zu reden. Aber wir wissen, daß auch die Zentralisation des Grundbesitzes weit größeren Schwierigkeiten begegnet, als die Zentralisation von Kapitalien. Hier muß die Erbtheilung aufs Stärkste die fortschreitende Zersplitterung des Grundbesitzes begünstigen. Aber wie tief auch die juristischen Verhältnisse das ökonomische Leben beeinflussen mögen, in letzter Instanz erweist sich dieses stets als die ausschlaggebende Macht. Die Zersplitterung des Grundbesitzes wird daher nur dort zur Wirklichkeit, wo die ökonomischen Verhältnisse sie erlauben, Verhältnisse, wie wir sie im vorigen Kapitel gezeichnet. Aber wo das der Fall, erweist sich die Erbtheilung als ein höchst wirksames Mittel, die Entwicklung zu beschleunigen.
Wo dagegen ein Landgut der Waarenproduktion, nicht dem Haushalt dient, also der Konkurrenz unterliegt, das größere Gut sich dem kleineren überlegen erweist und die Zersplitterung des Grundbesitzes direkte, in die Augen fallende Nachtheile nach sich zieht, z. B. dort, wo die Körnerproduktion überwiegt und Gelegenheit zu Nebenerwerb für den Landwirth nicht vorhanden, da wird sich die Zertheilung der Güter in natura bei der Erbtheilung nur schwer und selten auf die Dauer einbürgern. Da wird diese vielmehr in der Form vollzogen, daß einer der Erben das Gut ungetheilt übernimmt und den Miterben ihre Antheile auszahlt. Da er aber das nöthige Kapital fast nie besitzt, kann dies in der Regel nur dadurch geschehen, daß er eine Hypothek auf sein Gut aufnimmt. Hier wird die Auszahlung der Miterben nur eine besondere Form des oben erwähnten Kaufes eines Gutes, das mit ungenügendem Kapital erworben wird. Aber bei der Beerbung ist die Transaktion eine unfreiwillige und eine solche, die sich mit Naturnothwendigkeit von Generation zu Generation wiederholt. Hier bewirkt das Erbrecht, daß der Erbe seinen Betrieb von vornherein verchuldet übernimmt und daß er seine Ueberschüsse statt zur Akkumulation von Kapital und zur Verbesserung des Betriebs, zur Zahlung von Hypothekenzinsen verwenden muß. Und wenn’s ihm auch gelingt, die Schulden abzuzahlen, sein Nachfolger findet sich in gleicher Lage wie er, ja, in noch größerer Verschuldung, wenn inzwischen die Grundrente gestiegen oder der Kapitalzins gefallen oder beides eingetreten und durch einen oder beide dieser Faktoren der Werth des Gutes gestiegen ist.
Die Steigerung der Güterpreise ist ein Vortheil für diejenigen, die aufhören, Landwirthe zu sein, die ihre Güter verkaufen, nicht für diejenigen, die Landwirthe werden, die Güter kaufen oder mit anderen erben. Nichts irrthümlicher, als zu glauben, es liege im Interesse der Landwirthschaft, die Güterpreise in die Höhe zu treiben oder sie künstlich hoch zu halten. Dies liegt im Interesse der augenblicklichen Grundbesitzer, der Hypothekenbanken und der Güterspekulanten, nicht aber im Interesse der Landwirthschaft, am allerwenigsten in dem ihrer Zukunft, der kommenden Generation der Landwirthe.
Zersplitterung oder steigende Belastung der Landgüter, das ist die Alternative, vor die das bürgerliche Erbrecht die Landwirthe stellt.
In manchen Gegenden, namentlich in Frankreich, seicht die Landbevölkerung dieser Alternative durch das Zweikindersystem zu entgehen. Es ist dies zweifellos ein Mittel, die geschilderten Nachtheile des bestehenden Erbrechte zu vermeiden, aber ein Mittel, das ebenso wie andere Mittel, die der Bauernschaft zu helfen suchen, auf Kosten der gesammten Gesellschaft wirkt. Die kapitalistische Gesellschaft bedarf zu ihrer Entwicklung einer starken Zunahme der Bevölkerung. Jener Staat, dessen Zuwachs an Arbeitskräften zu langsam vor sich geht, bleibt in dem Konkurrenzkampf der kapitalistischen Nationen zurück. Er läuft aber auch Gefahr, seine politische Macht unter den rivalisirenden Nationen einzubüßen, weil er nicht die nöthige militärische Macht, die vor Allem auf der Zahl seiner Wehrfähigen beruht, in die Wagschale werfen kann.
In Frankreich, wo das Zweikindersystem am Allgemeinsten vorherrscht, führt es nicht blos zu einer Verringerung der relativen militärischen Macht des Landes – die Bevölkerung wuchs von 1872–1891 nur um 2 Millionen, von 36 Millionen auf 38, seit 1886 fast gar nicht, in Deutschland dagegen im gleichen Zeitraum um 9 Millionen, von 41 auf 50 Millionen – das Zweikindersystem führt auch dazu, daß die Kapitalisten die nöthigen Arbeitskräfte, die ihnen die Landbevölkerung nicht liefert, aus dem Auslande heranziehen – Belgier, Italiener, Deutsche, Schweizer &c. 1851 zählte man in Frankreich nur 380.000 Fremde, 1 Prozent der Bevölkerung, 1891 1.130.000, 3 Prozent. Im Deutschen Reich dagegen lebten 1890 nur 518.510 im Ausland Geborene, 1 Prozent der Bevölkerung. Das Zweikindersystem führt also im besten Falle dahin, den Grundbesitz auf Kosten der militärischen Macht und der industriellen Leistungsfähigkeit der Nation zu entlasten. Die Staatsmänner und Oekonomen Frankreichs sind auch gar nicht erbant von dieser Methode, die Landwirthschaft zu retten.
Frankreich ist das Land, in dem die Revolution die Feudalwirthschaft und das feudale Erbrecht auf gründlichsten hinweggefegt hat. In England und Deutschland hat der große Grundbesitz dagegen auch in der bürgerlichen Gesellschaft eine bedeutende Macht bewahrt und das prägt sich unter Anderem in der besonderen Form des Erbrechts aus, das er für sich oder wenigstens für die bevorzugtesten seiner Mitglieder bewahrt hat, dem Fideikommiß. Darnach wird ein Landgut aus dem freien Eigenthum eines Einzelnen das gebundene Eigenthum einer Familie, das einem einzelnen Familienmitgliede (gewöhnlich dem Erstgeborenen des Erblassers) zum Nutzgenuß zufällt, das er aber nicht veräußern oder verringern darf. Seine Geschwister haben nur gleiches Anrecht mit ihm auf das bewegliche Vermögen des Erblassers, vom fideikommissarisch gebundenen Grundbesitz sind sie ausgeschlossen. Seit dem Eintreten der Agrarkrisis ist in Preußen die Zahl der Fideikommisse stark gewachsen. Nach Conrad wurden Fideikommisse in den sieben östlichen Provinzen Preußens gestiftet:
Bis zu diesem Jahrhundert |
153 |
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1861/1870 |
36 |
1800/1850 |
72 |
1871/1880 |
84 |
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1851/1860 |
46 |
1881/1886 |
135 |
Innerhalb 16 Jahren, seit 1871, wurden mehr Fideikommisse gestiftet, als während der ersten 70 Jahre unseres Jahrhunderts! und diese Stiftungen nehmen ihren Fortgang. In dem Moment, wo vorliegende Zeilen zum Druck gelangen, geht die Mittheilung durch die Presse, daß in Preußen 1896 13, 1897 9 neue Fideikommisse errichtet wurden. Daß diese Stiftungen nicht der „Fürsorge für die Landwirthschaft“, sondern der Fürsorge für einige Aristokratenfamilien entspringen, ist klar.
Eine bäuerliche Abart des Fideikommisses ist das Anerbenrecht, das den Grundbesitz nicht so streng bindet und dem jeweiligen Grundbesitzer größere Bewegungsfreiheit läßt, das aber ebenfalls die Erbtheilung aufhebt. In manche Gegenden Deutschlands und Oesterreichs, wo das Großbauernthum überwiegt, hat sich dies Recht, wenn auch nicht als Gesetz, so doch als Sitte erhalten. In neuester Zeit sind vielfache gesetzliche Bestimmungen erlassen worden, welche diese Sitte kräftigen und ihr eine juristische Unterlage geben sollen, denn konservative Politiker und Oekonomen erblicken darin eines der kräftigsten Mittel, den Bauernstand und damit das Bollwerk des Privateigenthums zu erhalten.
Es unterliegt für uns keinem Zweifel, daß das Anerbenrecht im Stande ist, jene Gefahren für den Grundbesitz, die ihm aus der Erbtheilung drohen, abzuwenden, wenigstens dort, wo es entschieden, nicht zaghaft durchgeführt wird. Dort aber heißt es nichts Anderes als die Enterbung der sonst zur Miterbschaft Berufenen, es heißt die Rettung der bäuerlichen Wirthschaft auf Kosten der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung, es heißt die Rettung des Privateigenthums durch Konfiskation des Erbrechts der Erbberechtigten, es heißt einen Damm gegen das Proletariat aufrichten durch Vermehrung des Proletariats.
Beim gebundenen Großgrundbesitz ist die Enterbung der jüngeren Söhne, wie sie z. B. in England üblich, von keiner großen Bedeutung. Kirche, Armee und Staatsverwaltung haben dort die Aufgabe, genügend viele gutdotirte Sinekuren für den enterbten adeligen Nachwuchs zu liefern. Anders beim Bauern. Er hat nicht genug Einfluß auf Staat und Kirche, um diese an Versorgungsanstalten seiner jüngeren Söhne ausnützen zu können. Das Anerbenrecht heißt da nichts anderes als die Verurtheilung aller seiner Kinder, mit Ausnahme eines Einzigen, zur Lohnknechtschaft.
Aber noch in anderer Weise fördert das Anerbenrecht, und zwar um so mehr, je mehr es sich dem Familienfideikommiß nähert, das heißt, je kräftiger es der Zersplitterung des Bodens und seiner Verschuldung in Folge der Erbtheilung entgegenwirkt, die Proletarisirung der Landbevölkerung. Es giebt den Tendenzen nach Zentralisirung des Bodens ein entschiedenes Uebergewicht über die Tendenzen nach seiner Zersplitterung. Es fördert dadurch die Möglichkeit, den Betrieb zu erweitern und rationeller zu gestalten, reißt aber gleichzeitig eine Menge kleiner Grundbesitzer von der Scholle, die sie an ihre Heimath fesselte.
Weder in der Sitte noch im Gesetz gilt das Anerbenrecht für den Kleinbauern; es wäre für diesen nur eine Fessel, und sein Wohlergehen beruht immer weniger auf seinem Grundbesitz, sondern auf seinem Erwerb außerhalb desselben. Das Anerbenrecht soll den Großbauern schützen. In Oesterreich gilt es blos für Landgüter „mittlerer Größe“, in Mecklenburg für Bauerngüter, welche auf wenigstens 37½ Scheffel veranschlagt sind, in Bremen für Güter von mindestens 50 Hektar, in Westfalen und Brandenburg für Güter mit einem Grundsteuerreinertrag vom mindestens 75 Mark u. s. w.
Das Anerbenrecht des Großbauern proletarisirt nicht nur seine jüngeren Geschwister und seine jüngeren Kinder, es hat auch die Tendenz, seine kleineren Nachbarn zu proletarisiren. Damit fördert es aber auch die Flucht vom Land in die Stadt, die Entvölkerung des flachen Landes und wirkt damit der Entwicklung einer rationellen Landwirthschaft entgegen.
So heißt es z. B. über „die Ortschaften mit geschlossenem Erbgang“ in Hessen:
„Hier wird fast allgemein seit Jahren über Arbeitermangel geklagt. Aus diesen Orten ist auch die Auswanderung der jungen Leute und kräftigen Männer, die ja nichts ihr Eigen nennen, nach den Industriegegenden sehr beträchtlich, nur die Frauen und Kinder und älteren Personen bleiben zurück und aus diesen müssen dann auch die Landwirthe – Bauern und Großökonomen – ihr Arbeitspersonal entnehmen.“ (Verhältnisse der Landarbeiter, II, S. 233)
Dasselbe gilt in verstärktem Maße vom Fideikommiß. Es ist eines der mächtigsten Mittel der Bildung und Ausdehnung von Latifundien. Es ist allerdings ganz falsch, wenn behauptet wird, beim Grundbesitz herrsche blos die Tendenz zur Dezentralisation und nur künstliche Schranken könnten dem entgegenwirken. Wo die Waarenproduktion in der Landwirthschaft vorherrscht, da treten beide Tendenzen nacheinander und nebeneinander auf, die zur Zentralisation und die zur Dezentralisation. In den östlichen Provinzen Preußens gab es nach Conrad am Ende des vorigen Jahrzehnts 2.498 Privatbesitzer von über 1.000 Hektar mit einem Gesammtgrundbesitz von 4.684.254 Hektar. Davon waren Fideikommißbesitzer 308 mit einem Besitz von 1.295.613 Hektar, etwa ein Viertel der Fläche des Besitzes über 1.000 Hektar. In Frankreich giebt es keine Fideikommisse. Trotzdem nimmt dort der Großbetrieb stärker zu, als in Deutschland, wie die S. 132 abgedruckte Tabelle beweist. In Deutschland nahmen die Betriebe über 50 Hektar 1895 32,56 Prozent der landwirthschaftlich benutzten Fläche ein, in Frankreich 1892 die Betriebe mit mehr als 40 Hektar 43,05 Prozent. Leider sind in der französischen Statistik die mehr als 40 Hektar umfassenden Betriebe nur in Bezug auf ihre Anzahl, nicht ihren Flächeninhalt nach Größenklassen unterschieden. Da ist es bezeichnend, daß gerade die größten Betriebe sehr stark zugenommen haben. Man zählte:
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1882 |
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1892 |
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Zu- (+) oder |
---|---|---|---|---|---|---|
Betriebe über 40 Hektar |
142.000 |
139.000 |
− 3.000 |
|||
davon |
Betriebe von 40–100 Hektar |
113.000 |
106.000 |
− 7.000 |
||
|
Betriebe über 100 Hektar |
29.000 |
33.000 |
+ 4.000 |
Das ist freilich nur eine Betriebs- keine Besitzstatistik. Aber immerhin kennzeichnet sie die allgemeine Tendenz. Die Besitzstatistik kann nur eine größere, sicher nicht eine geringere Zentralisirung anzeigen, als die Betriebsstatistik.
Aber ist es auch nicht richtig, daß blos der Schutz des Fideikommisses Großgrundbesitz erzeugt, so ist es doch sicher, daß dieser Schutz seine Entstehung und Ausbildung im höchsten Grade begünstigt; damit schafft er aber auch die Vorbedingungen für die höchste Stufe der Landwirthschaft, welche diese innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise erreichen kann.
Die große Ausdehnung der Latifundien ermöglicht es ihnen am ehesten, jedem einzelnen ihrer Betriebe jene Ausdehnung und Gestalt der Bodenfläche zu geben, die seiner Eigenart am angemessensten; sie erlaubt es, verschiedene Betriebe zu einem planmäßig geleiteten ökonomischen Gesammtorganismus zu vereinigen; andererseits aber erleichtert das Fideikommiß die Akkumulation von Kapital zur Intensifizirung des Betriebs, da sie von diesem die Lasten fernhält, welche die Erbtheilung mit sich bringt. Nach der Verschuldungsaufnahme von 1883 in 42 preußischen Amtsgerichtsbezirken kamen daselbst Grundbuchschulden auf 1 Thaler Grundsteuerreinertrag (ohne Abzug der verschuldeten Gebäudewerthe):
Fideikommiß und |
|
Besitzungen mit Grundsteuerreinertrag von |
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---|---|---|---|---|
über 500 Thlr. |
100–500 Thlr. |
30–100 Thlr. |
||
20,30 Mk. |
84,40 Mk. |
54,10 Mk. |
56,20 Mk. |
Die Sicherheit des Besitzes, die dem Fideikommiß eigen, regt zu weitaussehenden Meliorationen an, fördert aber auch die Entwicklung des Pachtverhältnisses, das dort am ehesten gedeiht, wo der Pächter sicher ist, nicht durch Besitzwechsel oder Insolvenz des Besitzers in seinen Rechten verkürzt zu werden.
Es ist daher kein Zufall, daß das durch Fideikommisse geschützte Latifundienwesen die beiden höchsten Formen kapitalistischer Landwirthschaft erzeugt hat, in England das kapitalistische Pachtsystem, in Oesterreich den Riesenbetrieb einer Vereinigung von Domänen.
Aber wenn diese Foren des Latifundiums auch mehr als jede andere Form des Grundbesitzes die Möglichkeit des vollkommensten kapitalistischen Betriebs gewährt, so ist es gerade das fideikommissarisch geschützte Latifundium, welches mehr als jede andere Grundbesitzform der Nothwendigkeit möglichst rationeller Wirthschaft enthoben ist.
Es ist dieser Nothwendigkeit vor Allem dadurch enthoben, daß sein Besitzer von der Aufgabe befreit ist, seinen Besitz im Konkurrenzkampf zu vertheidigen. Wir gehören nicht zu Jenen, die den Konkurrenzkampf auf dem Markte mit dem Kampf ums Dasein indentifiziren und für eine Naturnothwendigkeit erklären. Ein gewisser Wetteifer der Gesellschaftsmitglieder untereinander und die Auslese der Tüchtigsten ist allerdings eine unerläßliche Vorbedingung eines jeden Fortschritts der Gesellschaft, ja ihrer Behauptung auf der einmal erlangten Höhe. Man ist jedoch sehr im Irrthum, wenn man erklärt, das Wesen einer sozialistischen Gesellschaft sei mit diesem Wetteifer und dieser Auslese unverträglich. Die Aufhebung der Klassenunterschiede, die Ausgleichung der Lebenshaltung der einzelnen Gesellschaftsklassen bedeutet keineswegs Aufhebung aller andern sozialen Unterschiede, die anspornend auf den Einzelnen wirken könnten. Sehen wir doch z. B. heute schon innerhalb einer Gewerkschaft, unter deren Mitgliedern kein Klassenunterschied, kein Unterschied des standard of life besteht, doch Unterschiede in dem Ansehen, der Macht, der Art der Bethätigung der Einzelnen, und dementsprechend auch Wetteifer sowie Auslese bei der Wahl der zur Vertretung und Verwaltung der Gesammtheit Berufenen, und diese Unterschiede müßten sich innerhalb eines so komplizirten Gebildes, wie einer modernen sozialistischen Gesellschaft, noch steigern. Weit entfernt, daß die Gleichheit der Lebenshaltung den Wetteifer unterdrückt und die Auslese der Tüchtigsten zu den hervorragendsten, verantwortungsreichsten, schwierigsten Stellen unmöglich macht, bildet sie vielmehr die Grundlage davon. Ein Wettrennen zwischen Pferden, die von verschiedenen Stellen der Rennbahn zu laufen anfangen, ist ein Unding, und so auch ein Wetteifer unter Leuten, die von vornherein ungleich gestellt sind. Aber auch die Auslese der Tüchtigsten kann nur unter Gleichgestellten erfolgen.
Dieser Wetteifer und diese Auslese sind nicht Konkurrenz im Sinne der bürgerlichen Oekonomie. Sie finden heute statt innerhalb des kapitalistischen Unternehmens, dort, wo nicht die Konkurrenz im Sinne der Oekonomen herrscht, sondern das planmäßige Zusammenarbeiten. Das Regime der Konkurrenz als Regulator des ökonomischen Lebens beginnt dort, wo das planmäßige Zusammenarbeiten aufhört. Das Verhältniß der einzelnen selbständigen Betriebe der Waarenproduktion zu einander wird durch die Konkurrenz bestimmt. Innerhalb des einzelnen Betriebs wird die Produktion planmäßig mit größtmöglicher Oekonomie geregelt, die Produktion innerhalb der Gesellschaft ist eine planlose, die nur dadurch daran gehindert wird, eine völlig chaotische zu werden, daß jene Produkte, die im Ueberfluß produzirt werden, entwerthen, und diejenigen, auf die zu wenig gesellschaftliche Arbeitszeit verwendet werden, die den Bedarf nicht decken, über ihren Werth bezahlt werden – das verschwenderischste und unbehilflichste Verfahren, das man sich denken kann.
Der Planlosigkeit der Waarenproduktion entspricht die Art der Auswahl der Besitzer und Leiter der einzelnen Betriebe. Unter der Herrschaft des Privateigenthums an den Produktionsmitteln ist es der Zufall der Geburt, der diese Auswahl in erster Linie besorgt. Erst hinterdrein tritt die Auslese durch die Konkurrenz in Aktion; sie wirkt jedoch weniger durch Emporhebung der Tüchtigsten, als durch die Ausmerzung der Untüchtigsten, und zwar nicht in der Weise, daß sie den untüchtigen Betriebsleiter von seinem Betrieb entfernt, sondern dadurch, daß sie den ganzen Betrieb zu Grunde richtet – eine Methode, die sich an Grausamkeit und Verschwendung allerdings mit dem Kampf ums Dasein der einzelnen Organismen in der Natur messen kann, so wenig sie auch sonst mit ihm gemein hat.
Aber so brutal und verschwenderisch diese Methode auch ist, sie ist unter der Herrschaft der Waarenproduktion und des Privateigenthums an den Produktionsmitteln die einzig mögliche, die größtmögliche Oekonomie und die möglichst rationelle Gestaltung der Produktion innerhalb des einzelnen Betriebs zu erzwingen.
Für das Fideikommiß ist dieser Zwang aufgehoben – ohne Aufhebung des Privateigenthums an den Produktionsmitteln, das ihn nothwendig macht. Der Besitzer eines fideikommissarisch geschützten Gutes mag dieses noch so schlecht verwalten, er kann dadurch nur seine Einnahmen verringern, er gefährdet aber dadurch nie seinen Besitz.
Es wäre ein Unding, ein industrielles oder kommerzielles Kapital fideikommissarisch sicher stellen zu wollen. Dieses Kapital ist viel zu beweglich und wechselnd, als daß es eine derartige Fesselung ertrüge. Das Kapital ist in stetem Stoffwechsel begriffen; es existirt heute in der Form von Geld, morgen in der von Produktionsmitteln, übermorgen in der von Waare; es unterliegt den mannigfachsten Zusammenziehungen und Erweiterungen, dem Wechsel von Krisis und Prosperität u. s. w. Der Grund und Boden dagegen, mag man ihn noch so oft dem Kapital gleichsetzen, unterliegt ganz anderen Gesetzen. Er ist kein durch Arbeit geschaffener Werth und unterliegt keinem Zirkulationsprozeß. Selbst nach der stofflichen Seite ist er von den Produktionsmitteln, die Kapital darstellen, total verschieden. Diese verschleißen – der Boden ist unzerstörbar. Sie werden durch neue Erfindungen beständig überflüssig gemacht, er bleibt ununterbrochen die Naturbasis aller Produktion. Die Konkurrenz unter den Kapitalien wächst mit ihrer Akkumulation, also mit der Zunahme der Industrie und der Bevölkerung; in demselben Maße bekommt der Grund und Boden mehr den Charakter eines Monopols.
So unsinnig es daher wäre, wollte eine Familie sich ihren Kapitalbesitz durch die fideikommissarische Festlegung einer Fabrik oder einer Bank sichern, so sehr entspricht eine derartige Festlegung dem Familieninteresse beim Grundbesitz, trotzdem das Fideikommiß weniger als eine andere Form des Grundbesitzes die rationellste Wirthschaft erzwingt. Der augenblickliche Besitzer kann bei schlechter Wirthschaft durch momentane Verringerung der Grundrente nur sich selbst schädigen, die Grundlage des Familieneinkommens kann er nicht zerstören. Dieses überdauert die Generationen.
Daß fideikommissarischer Grundbesitz schlecht bewirthschaftet wird, liegt aber von vornherein nahe. Ein modernes Fideikommiß setzt voraus, daß die Staatsgewalt für einzelne grundbesitzende Familien starkes Interesse empfindet, denn sie ist es, die das Fideikommiß gestattet und schützt. Es sind die Familien des Hofadels, die auf diese Weise privilegirt werden, Familien, deren Beschäftigung sie von der Landwirthschaft fernhält und zu Landwirthen untauglich macht. Wenn die fideikommissarischen Latifundien trotzdem nicht zu den schlechtest bewirthschafteten zählen, mitunter geradezu Musterwirthschaften enthalten, verdanken sie dies entweder dem kapitalistischen Pachtsystem, das auf diesen Gütern die beste Gelegenheit findet, sich zu entfalte, oder dem modernen landwirthschaftlichen Schulwesen, das eine mehr als ausreichende Anzahl der tüchtigsten Verwaltungsbeamten produzirt, die den Herren Latifundienbesitzern um ein Billiges zu Gebote stehen und auf deren Gütern die beste Gelegenheit finden, ihr Wissen und ihre Begabung anzuwenden.
Aber ein nachlässiger oder unfähiger Grundbesitzer wird auch in der Auswahl seiner Pächter oder Güterdirektoren leicht schwere Fehler begehen. Auf jeden Fall beweist die gute Wirthschaft auf nicht wenigen Latifundien nicht die Vorzüglichkeit des Fideikommißwesens, sondern die Ueberlegenheit des Großbetriebs, die auch noch unter ungünstigen Umständen zu Tage tritt.
Noch in anderer Weise als durch die Sicherung des Grundbesitzers in seinem Besitz, wirkt das Fideikommiß der rationellsten Gestaltung der Landwirthschaft entgegen. Es ist entweder von vornherein ein Latifundium oder führt doch, wie wir gesehen, zur Bildung eines solchen, da es die Tendenzen zur Dezentralisation des Grundbesitzes aufhebt und blos die zentralisirenden Tendenzen wirken läßt. Je größer aber der Grundbesitz, desto größer die Masse der Grundrente, die er abwirft, desto größer der Luxus des Grundbesitzers. Der naheliegendste Luxus für diesen ist aber der mit Land; namentlich für den fideikommissarischen Grundbesitz, bei dem die Traditionen der Feudalzeit noch stark sind. Je größer der Grundbesitz und je besser bewirthschaftet ein Theil desselben, je größer die Grundrente, desto größer das Bestreben, den übrigen Theil des Besitzes bloßen Vergnügungszwecken zu widmen, Lustschlössern, Ziergärten, Parks, Wildgehegen, desto kleiner also jener Theil des Besitzes, der der Lebensmittelproduktion dient.
In derselben Richtung wirkt übrigens auch die Entwicklung der kapitalistischen Ausbeutung in den Städten. Je mehr diese und die Masse des Mehrwerths wächst, desto größer auch der Luxus der Bourgeoisie, der sich unter Anderem in der Erwerbung und Errichtung von Landsitzen äußert – vom prunkvollen Schloß des Finanzkönigs bis zum einfachen Landhäuschen des kleinen Kaufmanns oder Fabrikanten herab – Landsitzen, die vorwiegend dem Vergnügen dienen, bei denen die Landwirthschaft nur Nebensache. Je mehr die Kommunikationsmittel sich entwickeln, je leichter die Verbindung zwischen Stadt und Land, desto weiter dringen diese Landsitze vor und vertreiben Bauern von ihren Stellen.
Aber nicht nur ill der Errichtung von Landsitzen äußert sich die Zunahme der Masse des Mehrwerths und die Erleichterung der Verbindung von Stadt und Land, sondern auch in der Zunahme der Jagd, die aufhört, ein feudales Privilegium zu sein und auch ein bürgerliches Vergnügen wird. Auf der einen Seite führt dies zu einer Ausdehnung der Forsten auf Kosten des bäuerlichen Grundbesitzes, auf der anderen Seite zu einer übermäßigen Schonung und Vermehrung des Wildstandes auch ohne Ausdehnung der Waldungen. Es sind eben nicht nur diese allein, die Futter für das Wild liefern; auf Feldern und Wiesen findet es viel besser Nahrung.
Ebenso wie die Zunahme der Waldungen, ruinirt die Zunahme des Wildes die bäuerliche Wirthschaft. Trotzdem kann die Ausdehnung des Jagdsports unter Umständen dem Bauern willkommen sein. Der Jagdsport nimmt so sehr zu, daß für manche Bauerngemeinden, die ihre Jagd verpachten, die Nachfrage das Angebot übersteigt und die Pachtpreise in die Höhe treibt. Da kommt der einzelne Hase sehr theuer zu stehen, und es kann für den Bauern vortheilhafter werden, mit seinen Bodenprodukten Hasen und Rebhühner zu ernähren, statt Kühe und Menschen. Es giebt Bauerngemeinden, die aus der Verpachtung der Jagd einen sehr erheblichen Nutzen ziehen. Aber der rationelle Betrieb der Landwirthschaft wird durch die Ausdehnung des Jagdsports stets gehindert.
Also selbst die Vermehrung des Mehrwerths in den Städten erzeugt der Landwirthschaft schädliche Tendenzen, ebenso wie die Zunahme der Grundrente und wie das Erbrecht. Was letzteres anbelangt, so werden dessen schädliche Wirkungen von den Oekonomen umsomehr anerkannt, je näher sie der Landwirthschaft stehen. Aber als Vertreter der Interessen der bürgerlichen Gesellschaft kommen sie im Allgemeinen nicht dahin, das Erbrecht am Grund und Boden aufheben zu wollen und das Gemeineigenthum daran zu fordern. Theoretisch ist das Gemeineigenthum am Grund und Boden mit der bürgerlichen Gesellschaft allerdings dicht unvereinbar, aber die Bourgeoisie empfindet instinktiv nur zu gut, daß die einzelnen Gebiete der bürgerlichen Gesellschaft aufs Engste mit einander verbunden sind und auf einander wirken, und darum wehrt sie sich auf das Entschiedenste gegen das Gemeineigenthum am Boden, obwohl es vereinbar ist mit der kapitalistischen Produktion und obwohl es die Landwirthschaft von einigen ihrer drückendsten, von Generation zu Generation wachsenden Lasten befreien würde.
Die bürgerliche Oekonomie zieht es vor, an den Symptomen herumzudoktern, etwa die Verschuldung in Folge des Erbgangs durch Ausspintisirung besonderer Kreditformen zu erleichtern. Meist erklärt sie beide Systeme des Erbrecht, die gleiche Erbtheilung wie die Monopolisirung des Erbes durch ein Familienmitglied für gleich schädlich und folgert daraus – die Nothwendigkeit beider; das eine soll als Gegengift des anderen dienen. Herrscht in England eine Art des Fideikommisses vor, in Frankreich die gleiche Erbtheilung, so ist Deutschland das gelobte Land, wo wir beide Erbsysteme nebeneinander in Wirkung finden. Daß die deutsche Landwirthschaft darum besser gestellt wäre als die englische oder französische, können wir nicht finden.
Aber die Zahl der die Landwirthschaft schädigenden Faktoren, welche die kapitalistische Produktionsweise erzeugt oder zu besonderer Wirkung steigert, ist mit den erwähnten noch nicht erschöpft.
Wir haben gesehen, wie Grundrente und Verschuldung der Landwirthe wachsen. Nur ein Theil der Grundrenten und Schuldenzinsen bleibt auf dem Lande, wird dort verzehrt oder akkumulirt, der größte Theil fließt in die Stadt, und dieser Theil wächst immer mehr.
So lange die Verhältnisse noch rückständig, ist der Bauer darauf angewiesen, in seiner nächsten Umgebung nach Leuten zu suchen, die ihm Geld pumpen. Seine Gläubiger sind nicht nur Dorfjuden, Korn- und Viehhändler, Krämer, Wirthe, sondern auch sehr christliche Großbauern, die das Halsabschneiden ebenso gut verstehen wie jene. Aber im Laufe der Entwicklung, je mehr das Schuldenmachen aufhört, ein zufälliger Akt zu sein, durch schlechte Wirthschaft oder außergewöhnliche Unfälle verursacht, ein Akt, den man möglichst heimlich abmacht, da er stets auf einen Nothstand schließen läßt, je mehr es ein nothwendiges Stück des Produktionsprozesses selbst wird, und je mehr der Waarenverkehr zwischen Stadt und Land sich entwickelt, desto mehr wird das primitive, heimliche Wucherwesen verdrängt durch besondere Institutionen, in denen die Kreditoperationen offen vor sich gehen und einen normalen Akt, keinen Akt der Verzweiflung darstellen, die daher nicht Erpresserzinsen, sondern normale Zinsen fordern. Diese Institutionen sind aber entweder von vornherein städtische, Banken, viele Genossenschaften &c., oder sie entleihen die benöthigten Kapitalien städtischen Kapitalisten. Diese Umwandlung des Kreditwesens ist eine nothwendige Entwicklung. So nützlich sie aber für den einzelnen Bauern ist, im Ganzen betrachtet, stellt sie sich dar als ein Wachsen der Tributpflichtigkeit des Landes an die Stadt; ein stets wachsender Theil der auf dem Lande geschaffenen Werthe strömt in die Stadt ohne durch Gegenwerth ersetzt zu werden.
Dasselbe ist aber der Fall mit den Grundrenten. Je mehr die kapitalistische Entwicklung fortschreitet, desto größer wird der kulturelle Unterschied zwischen Stadt und Land, desto mehr bleibt dieses hinter jener zurück, desto größer auch die Mittel des Lebensgenusses und der Zerstreuung, die die Stadt im Gegensatz zum flachen Land bietet. Und gleichzeitig wächst die Leichtigkeit des Verkehrs zwischen Stadt und Land. Kein Wunder, daß alle Jene, deren Güter groß genug, um sie durch Pächter oder Miethlinge bewirthschaften zu lassen, und deren Grundrenten hoch genug, es vorziehen, längere öder kürzere Zeit im Jahre in der Großstadt zuzubringen und dort ihre Renten zu verzehren, was in besonders extremen Fällen zum Absentismus führt, zum völligen Fernbleiben des Gutsbesitzers von seinem Gute, wie z. B. in Irland oder auf Sizilien, wo jahrhundertelange Mißwirthschaft eines schrankenlosen Latifundienwesens eine Barbarei geschaffen hat, die dem Latifundienbesitzer selbst den vorübergehenden Aufenthalt auf seinem Besitz nicht zu einem Vergnügen macht – und einen anderen Lebenszweck kennt diese Sorte Grundbesitzer nicht. Die irische und die sizilianische Wirthschaft zeigen die verderblichen Folgen des fideikommissarisch geschützten Latifundiensystems dort, wo nicht der moderne kapitalistische Großbetrieb sich entwickelt hat und im Stande ist, diese Folgen zu überwinden.
Auch wo nicht das Extrem des Absentismus herrscht, wird die zeitweilige Abwesenheit des Großgrundbesitzers von seinem Gute zur Regel, damit aber auch das Abströmen eines Theils seiner Grundrente vom Lande in die Stadt. Und während sein Luxus auf dem flachen Lande zur Schädigung der Landwirthschaft durch Jagd, Lustschlösser &c., zur Verminderung der Kulturfläche und zur Freisetzung von bäuerlichen Arbeitskräften führt, führt er in der Stadt zur Förderung von Industrie und Handel, zur Vermehrung der Beschäftigung, zur Anziehung von Arbeitskräften und zur Akkumulation von Kapital.
In gleicher Richtung wirken aber auch die Geldsteuern, die immer mehr anwachsen und die am schwersten auf der Bauernschaft lasten. In den Städten ist die Produktion von vornherein vorwiegend Waarenproduktion und aus ihrer Entwicklung erwachsen die Geldsteuern. Auf dem flachen Lande ist die Produktion, namentlich der kleineren Betriebe, selbst heute noch vorwiegend Produktion für den Selbstgebrauch. Die städtische Entwicklung drängt dem flachen Lande die Geldsteuern auf, die nicht seiner Produktionsform entspringen, sondern ursprünglich im Widerspruch dazu stehen, dadurch aber ein mächtiger Faktor der Umwälzung dieser Produktionsform werden.
Die Geldsteuern sind auf dem flachen Lande eines der treibenden Momente der Entwicklung aus der Produktion für den Selbstgebrauch zur Waarenproduktion; aber die Geldsteuern und sonstigen Geldbedürfnisse des Bauern wachsen in der Regel weit rascher an als die ländliche Waarenproduktion und die ihr entsprechenden Einrichtungen des Handels und des Kredits. Dies ist vielfach bis heute noch eine Ursache beständiger Geldverlegenheit des Bauern und seiner Abhängigkeit vom Zwischenhändler und Wucherer.
Dieselben Geldsteuern aber, die den Bauern so sehr bedrängen, sie dienen nicht dazu, die Entwicklung des flachen Landes, sondern die der Stadt, namentlich der Großstadt zu fördern. Nur ein minimer Theil der Staatssteuern wird auf dem flachen Lande verwendet; in den Städten sind die Kasernen, in den Städten die Kanonen- und Gewehrfabriken, in den Städten die Ministerien, die Gerichte, dort demzufolge auch die Advokaten, die der Bauer zu bezahlen hat, wenn er einen Prozeß führt; in den Städten sind die vom Staate erhaltenen mittleren und höheren Schulen, die Museen, die staatlich subventionirten Theater u. s. w. u. s. w. Der Bauer muß ebenso wie der Städter seinen Beitrag zur Deckung der Kulturbedürfnisse leisten, aber er bleibt so gut wie völlig ausgeschlossen von der Kultur. Kein Wunder, daß er sie nicht begreift, daß er sich ihr, die ihm blos Lasten auflegt, feindlich gegenüberstellt, zum Gaudium der reaktionären Demagogie, die an angeblicher Rücksicht auf den Geldbeutel des Volkes Einschränkung aller Ausgaben für Kulturzwecke fordert, anstatt das Hinaustragen der Kultur aufs flache Land und die Aufhebung des kulturellen Gegensatzes zwischen Stadt und Land anzustreben. Dies wird eine der wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft der Zukunft sein.
Nicht Feindschaft gegen die Landwirthschaft, sondern ökonomische Triebkräfte, die sich stärker erweisen als das Belieben der Regierungen, sind es, welche zu der Konzentration des ganzen staatlichen Lebens in den Städten führen. Die heutigen Regierungen sind alle vielmehr sehr große Freunde der Landwirthschaft, und es ist ja bekannt, wie sie ihr auf alle mögliche Weise, durch Lebensmittelzölle, Liebesgaben, Prämien aller Art, kräftig unter die Arme greifen.
Aber so gewaltig die Verschiebungen in den Vermögensverhältnissen sind, die sie dadurch verursachen, das Abströmen der Waarenwerthe ohne Gegenleistung von dem flachen Lande in die Stadt wird dadurch weder aufgehalten noch auch nur in seinem Wachsthum gehindert. Alle diese Unterstützungen kommen eben in letzter Linie nur dem Grundbesitz zu Gute; sie sind Mittel zur Hebung der Grundrente. Diese aber bildet, wie wir wissen, eine Belastung der Landwirthschaft, was beim Pachtsystem klar zu Tage tritt, beim Hypothekarsystem indirekt und versteckt, aber darum nicht minder stark, zur Wirkung kommt. Beim Pachtsystem setzen diese Unterstützungen den Pächter in Stand, einen höheren Pachtzins zu zahlen. Wo Grundbesitzer und Landwirth eine Person, da gewinnt dieser anscheinend mit jenem; aber das Steigen der Grundrente führt zum Steigen des Preises seines Landguts; das kann selbst den augenblicklichen Besitzer bereits zur Vergrößerung der Schuldenlast seines Gutes führen, es vermehrt sicher die Belastung seines Nachfolgers, sei dieser Käufer oder Erbe. Nach kurzem Zwischenraum werden die Unterstützungen der Landwirthschaft auch in diesem Falle nur Unterstützungen der thatsächlichen Grundbesitzer, der Hypothekargläubiger.
Diese aber wohnen zum größten Theil in der Stadt; auch die Großgrundbesitzer verzehren dort den größten Theil ihrer Renten; die Steigerung der Grundrente durch Zölle, Subventionen &c. bedeutet also nicht eine Besteuerung der Stadt zu Gunsten des flachen Landes, nicht einen Rückfluß von Werthen aus jener zu diesem; diese Steigerung der Grundrente bedeutet vielmehr, daß außer der Landwirthschaft auch noch die Massen der städtischen Konsumenten gebrandschatzt werden zu Gunsten einiger zumeist in den Städten lebenden Grundbesitzer und ihrer städtischen Gläubiger.
Dem immer steigenden Abfluß so vieler Werthe in die Städte, den kein Rückfluß von Gegenwerthen wettmacht, entspricht ein stets steigender Abfluß von Nährstoffen in der Form von Korn, Fleisch, Milch &c., die der Landwirth verkaufen muß, um Steuern, Schuldenzinsen und Pachtzinsen zu bezahlen. Gleichzeitig wächst aber in Folge des fortschreitenden Untergangs der häuslichen Industrie der ländlichen Bevölkerung für den Selbstgebrauch und des wachsenden Bedarfs an Industrieprodukten aus der Stadt, der Abfluß solcher Werthe vom Lande in die Stadt, denen ein Rückfluß von Gegenwertheu entspricht. Aber so wenig dieser Abfluß vom Standpunkt des Werthgesetzes eine Ausbeutung der Landwirthschaft bedeutet, so führt er doch thatsächlich, ebenso wie die anderen eben erwähnten Faktoren, zu ihrer stofflichen Ausbeutung, zu einer Verarmung des Grund und Bodens an Nährstoffen. Der Fortschritt der Technik des Landbaus, weit entfernt, diesen Verlust auszugleichen, ist vielmehr nichts anderes als eine fortschreitende Verbesserung der Methoden, den Boden auszusaugen und die Masse der Nährstoffe zu vergrößern, die ihm jährlich entzogen werden, um in die Stadt abzufließen.
Man hat diesem Satz entgegengehalten, daß gerade die moderne Agronomie das Hauptgewicht auf die Statik des Landbaus legt und fordert, daß dem Boden die Nährstoffe, die man ihm entzieht, wieder durch entsprechende Düngung zugeführt werden. Damit wird jedoch der obige Satz durchaus nicht umgestoßen. Die Thatsache der wachsenden Aussaugung des Bodens steht fest. Bei dem jetzigen Verhältniß von Stadt und Land und bei den heutigen Mitteln des Bodenanbaus würde dies binnen Kurzem zum völligen Verfall der Landwirthschaft führen, wenn nicht die Hilfsdünger wären. Diese ermöglichen es, der Verringerung der Bodenfruchtbarkeit vorzubeugen, aber die Nothwendigkeit, sie in steigendem Maße anzuwenden, bedeutet nur eine weitere unter den vielen Belastungen der Landwirthschaft, die keine Naturnothwendigkeit sind, sondern aus den bestehenden sozialen Verhältnissen entspringen. Bei Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land, oder wenigstens von dicht bevölkerter Großstadt und verödetem flachen Lande würden die dem Boden entzogenen Stoffe ihm immer wieder völlig zurückfließen können, und die Hilfsdünger hätten dann höchstens die Aufgabe, den Boden an gewissen Stoffen zu bereichern, nicht aber die, seiner Verarmung entgegenzuwirken. Jeder Fortschritt der Technik des Bodenanbaus bedeutete dann auch ohne Zufuhr von künstlichen Düngern eine Vermehrung des Gehalts an löslichen Nährstoffen im Boden.
Es ist bezeichnend, daß trotz aller Fortschritte der Agronomie in England von den sechziger Jahren bis in die achtziger die Weizenerträge abnahmen, während sie bis dahin gestiegen waren. Die Jahresernte pro Acre betrug durchschnittlich
1857–1862 |
|
28,4 Bushels |
|
1869–1874 |
|
27,2 Bushels |
1863–1868 |
30,8 Bushels |
1875–1880 |
22,6 Bushels |
Dieses Sinken hat seit den achtziger Jahren aufgehört, was aber nicht auf eine Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit zurückzuführen ist, sondern darauf, daß in Folge der überseeischen Konkurrenz die zum Weizenanbau weniger geeigneten Böden in Weide verwandelt werden, so daß nur noch die fruchtbarsten in Anbau bleiben. Die Anbaufläche des Weizen ist seit den sechziger Jahren bis heute von 3.800.000 Acres auf 1.900.000, also genau auf die Hälfte, herabgegangen.
In diesem Zusammenhang sind auch die Vieh- und Pflanzenseuchen zu erwähnen, die im Fortgang der kapitalistischen Kultur immer mehr die Landwirthschaft heimsuchen und sie schwer belasten.
Manche dieser Seuchen haben in den letzten Jahrzehnten einen solchen Umfang angenommen, daß sie die landwirthschaftliche Thätigkeit in ganzen Ländern völlig brach zu legen drohten; man erinnere sich an die Verheerungen durch die Reblaus und den Koloradokäfer, durch Maul- und Klauenseuche, Schweinerothlauf und Schweineseuche u. s. w.
„Die Phylloxeraschäden (in Frankreich), für welche ein Steuernachlaß gewährt wurde, wurden bewerthet 1884 mit 125,9, 1885 mit 165,6, 1886 mit 175,3, 1887 mit 185,1, 1888 mit 61,5 Millionen Francs ... Nach den neuesten Berichten dauern die Verheerungen durch die Phylloxera fort. Seit seinem ersten Auftreten (1880) hat sich das gefährliche Insekt bereits in 63 Departements (1890) verbreitet und Hunderttausende Hektar Weinlands verwüstet.“ (Juraschek, Uebersichten der Weltwirthschaft, S. 328)
Von der Maul- und Klauenseuche wurden betroffen in Deutschland:
In den Jahren |
|
Gehöfte |
|
Darin Stückzahl |
---|---|---|---|---|
1887 |
1.242 |
31.868 |
||
1888 |
3.185 |
82.834 |
||
1889 |
23.219 |
555.178 |
||
1890 |
39.693 |
816.911 |
||
1891 |
44.519 |
821.130 |
||
1892 |
105.929 |
4.168.619 |
Von 1892 an trat ein vorübergehendes Zurückgehen der Seuche ein, aber 189n suchte sie wieder 68.874 Gehöfte heim mit einem Viehbestand von 1.548.429 Stück.
Das sind erschreckende Ziffern.
Die Hauptursache dieser rapiden Zunahme der Seuchengefahr suchen wir in der Verdrängung der urwüchsigen Nutzthiere und Nutzpflanzen durch „veredelte“ Rassen, d. h. Produkte künstlicher Zuchtwahl. Die natürliche Zuchtwahl führt zur Auslese und Fortpflanzung der für die Erhaltung der Art tauglichsten Individuen; die künstliche Zuchtwahl in der kapitalistischen Gesellschaft läßt dieses Moment ganz bei Seite, ihr handelt es sich um die Auslese und Fortpflanzung von Individuen, die möglichst hoch verwerthbar sind, die möglichst wenig Kosten verursachen, frühreif sind und bei denen die nutzbaren Theile möglichst groß, die nicht verwerthbaren Organe möglichst verkümmert sind. Derartig „veredelte“ Rassen bringen einen weit höheren Profit als die urwüchsigen Rassen, aber ihre Ausdauer und Widerstandsfähigkeit ist eine ungemeine geringe.
Während aber die Widerstandsfähigkeit der veredelten Rassen abnimmt, nimmt ihre Verbreitung zu. Die „edlen“ Thiere und Pflanzen, die nur bei der sorgfältigsten und verständigsten Pflege gedeihen, finden heute, dank der Bemühungen zur Erhaltung des Kleinbauern und zur Verbesserung seiner Wirthschaft, auch Eingang in dieser. Gleichzeitig verändert sich aber auch der Charakter der Wirthschaft, was namentlich in der Viehhaltung auffallend zu Tage tritt. Es hört die Sommerweide auf, die das Vieh erfrischte und kräftigte, der Stall des Bauern wird aber aus Geldmangel nicht verbessert und vergrößert. In diesem bäuerlichen Stalle, in dessen Enge und dessen Schmutz das derbe mittelalterliche Vieh es zur Noth noch den Winter über aushalten konnte, wird das zarte moderne Vieh lebenslänglich eingesperrt. Selbst in England, das gerade in Bezug auf Viehhaltung auf einer hohen Stufe steht, sind die Ställe meist unzureichend.
„Herr Wilson Fox konstatirt in seinem Bericht aus Lancashire, daß ungesunde und schlecht gebaute Viehställe mit ungenügendem Raum und Luftzutritt zu der Verbreitung der Tuberkulose (beim Rindvieh) viel beitragen. Anstatt 600 Kubikfuß bekommt in manchen Fällen eine Kuh nur 260 Kubikfuß Luftraum und Anstalten zur Isolirung erkrankter Thiere sind nicht getroffen. Ein Zeuge wies darauf hin, daß, wenn das Kuhstallgesetz wirklich in dem Chorley-Distrikt in Kraft träte, sieben Zehntel der Gebäude niederzureißen wären.“ (Der Bericht der englischen Agrarenquete von 1897, S. 363)
Eine der Ursachen, die die Verheerungen der Pflanzenschädlinge begünstigt, ist das Verschwinden der insektenfressenden Vögel, das nicht nur durch ihre Verfolgung hervorgerufen wird, sondern mehr noch durch die Verminderung ihrer Nistgelegenheiten, eine Folge der zunehmenden Kultur. In der Forstwirthschaft sind es der moderne Großbetrieb, die Verdrängung der Plänterwirthschaft durch die Schlagwirthschaft, und die Verdrängung der langsam wachsenden Laubhölzer durch die rasch wachsenden, schneller verwerthbaren Nadelhölzer, was die Waldverwüstungen durch die Waldschädlinge begünstigt.
Verringert die moderne Art der Zuchtwahl und des Betriebs die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen und Vieh gegen die kleinen Organismen, die sie bedrohen, so sorgt die Entwicklung des modernen Verkehrs dafür, daß diese Schädlinge sich rasch verbreiten, und ganze Landstriche verwüsten. Hand in Hand mit der Verkümmerung des Bodens geht die Verzärtelung seiner Produkte. Zu den Kosten der Düngung gesellen sich die der Seuchenbekämpfung, und wo man diese Kosten scheut oder nicht tragen kann, da mehren sich die Mißernten, und Vieh- und Pflanzenseuchen vollenden den Ruin des Landwirths.
Das Anwachsen der Großstädte und das Aufblühen der Industrie, das, wie wir gesehen, zu steigender Aussaugung des Bodens führt, und in den wachsenden Kosten der Düngung, die dieser Aussaugung entgegenzuwirken hat, der Landwirthschaft stets wachsende Lasten auferlegt, bleibt dabei nicht stehen. Es raubt dieser auch ihre Arbeitskräfte.
Wir haben im siebenten Kapitel gesehen, wie das Anwachsen der landwirthschaftlichen Großbetriebe die Kleinbauern, damit aber auch das Reservoir ländlicher Arbeitskräfte vom Laude verdrängt. Dieser Prozeß findet jedoch seine Grenzen.
Auf der anderen Seite haben wir im vorigen Kapitel die zeitweilige Aus- und Abwanderung kennen gelernt, die aus dem Bedürfniß des Kleinbauern nach einem Nebenerwerb entspringt. Auch diese führt oft dahin, der Landwirthschaft Arbeitskräfte zu entziehen, die zu ihrem rationellen Betrieb unentbehrlich sind; aber andererseits führt sie der Landwirthschaft von der Industrie, aus der Stadt neue Kapitalien zu, die ihre rationelle Gestaltung fördern.
Ganz anders wirkt jedoch die Landflucht der Landbevölkerung, die durch die Anziehungskraft der Großstädte und der Industriegegenden erzeugt wird.
In den Städten finden Lohnarbeiter ganz andere Beschäftigungsmöglichkeiten, als auf dem flachen Lande, weit mehr Gelegenheit zur Gründung eines selbständigen Haushalts, mehr Freiheit und mehr Kultur. Je größer die Stadt, desto mehr entwickelt diese Vortheile, desto größer ihre Anziehungskraft.
Auf dem flachen Lande ist die Begründung eines selbständigen Haushalts, einer Familie, nur möglich durch den Erwerb (Kauf oder Pachtung) eines eigenen landwirthschaftlichen Betriebs. Das ist besonders erschwert dort, wo der Großbetrieb sich entwickelt und daher in dessen Gegenden ein besonders starkes Motiv der Landflucht. Aber auch in Gegenden mit starker Parzellirung des Bodens stößt die Gründung eines Haushalts auf Hindernisse. Für das Gesinde, Knechte und Mägde, ist sie, beim Mangel genügender Ersparnisse völlig ausgeschlossen. Sie sind veturtheilt, lebenslänglich nicht nur Besitzlose, sondern auch unselbständige, Anhängsel eines fremden Haushalts, ausgeschlossen von Ehe und Familie zu bleiben. Nur einen Weg giebt es unter Umständen für sie, zu Selbständigkeit und Freiheit, zu Ehe und Familie zu gelangen, die der Schützer der Familie und Ehe, der fromme Großbauer oder Junker ihnen weigert: die Flucht in die Stadt, zu den sittenlosen, Ehe und Familie auflösenden Sozialdemokraten.
Wie stark dies Motiv in der dienenden Landbevölkerung ist, mögen einige Stellen aus dem Büchlein eines Bauern zeigen, der mit dem Gesinde lebt und empfindet. Es heißt da:
„Aber auch jetzt noch erleidet in keiner anderen Hinsicht die Freiheit und Würde des Menschen so viel Abbruch, als wie in dieser Beziehung die Lage der Dienstboten oder der besitzlosen Landarbeiter überhaupt beschaffen ist. Indem es ohnehin allgemein bekannt, mit welchen Schwierigkeiten eine Verehelichung derselben verknüpft wird, ist es wohl nicht nöthig, dieses Thema noch weiter zu erörtern und gehen wir gleich zu den Konsequenzen über, die aus diesen Ursachen entspringen. Da es der weitaus größten Anzahl normal angelegter Menschen nicht möglich ist, den Geschlechtstrieb gänzlich zu unterdrücken, andererseits aber die gegenwärtigen Gesellschaftszustände nicht danach beschaffen sind, daß sich derselbe innerhalb geregelter Grenzen entfalten kann, so ist es auch nicht anders zu erwarten, als daß die zur Aufrechthaltung der heutigen Ordnung gezogenen Schranken beständig durchbrochen werden. Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist eine unbedingte Folge, die aus dieser Zwangslage hervorgeht, und hat sich derselbe allmälig auch in den Reihen der ländlichen Dienstboten derartig eingebürgert, daß es eine vergebliche Mühe sämmtlicher Moral-, Sitten- und Religionslehrer sein wird, dieses Faktum von der Bildfläche der heutigen Gesellschaft auszumerzen. Die jetzige Ehe ist für diese Klassen zum größten Theil nicht erreichbar, weshalb sie zu niederen Formen des Geschlechtsverkehrs zurückgreifen müssen ... Daß unter diesen Umständen das Leben eines Dienstboten oder Arbeiters überhaupt große Demüthigungen in sich schließt, ja mit einer Masse von Geheimthuerei, Täuschung, Schande, Zwang und allen Arten und Formen von Unwürdigkeiten verbunden ist, liegt klar zu Tage. Dazu ist die öffentliche Meinung auf dem Lande noch immer eine strenge Sittenrichterin, weshalb es so viele vorziehen, in dem Gewühle einer Großstadt sich der scharfäugigen Fama zu entziehen.
„Einen Riesentheil der vom Lande in die Stadt Flüchtenden treibt nur der Mangel an Liebe oder die Beschränkungen, die mit derselben verbunden sind, diesen Lasterbühnen zu, um dort, bis auf wenige vom Glück Begünstigte, von Generation zu Generation mehr dem Elend und vollständiger Degeneration zu verfallen. Welches Wonneleben aber auch den Nachkommen des ländlichen Proletariats in ihrer Heimath in Aussicht steht, ist mit wenigen Worten wiederzugeben. Trotz dringenden Bedarfs an solcher Menschenwaare wird ihr Dasein im besten Falle von ihren Erzeugern, die sich selten mit ihrer Erziehung befassen können, daher auch von wahren Elternfreuden keinen Begriff erreichen, nur als eine Last empfunden und in den zahlreichsten Fällen blüht ihnen die gewiß nicht zu große Ehre, unter den Gemeindelasten verzeichnet zu stehen. Mit Noth und Schande für ihre Erzeuger beginnt ihr Lebenseintritt, mangelhafte Erziehung ist die Fortsetzung, die härteste Lohnsklaverei bildet die Krone ihres dornenbestreuten Lebens, welches in der Regel einen liebeleeren Abschluß erreicht.“ (Johann M. Filzer, Anschauungen über die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ... mit besonderer Berücksichtigung des Bauernstandes, S. 161, 162)
Der eigene Hausstand bezeichnet aber nicht blos die Möglichkeit einer geordneten Ehe und Familie, er bezeichnet auch die Möglichkeit, außer der Arbeit sich als Staatsbürger zu bethätigen, sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen – welchen Zusammenschluß in der städtischen Großindustrie auch die Konzentration der Arbeitermassen auf kleinem Raume begünstigt – und durch die Kraft der Organisation und der Theilnahme am kommunalen und staatlichen Leben bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu erringen.
Auch das muß den Landarbeiter in die Stadt ziehen. Dazu kommen noch andere Momente. Je intensiver der landwirthschaftliche Betrieb wird, desto ungleichmäßiger die Beschäftigung, die er seinen Arbeitern bietet. Während einige Maschinen die Zahl der beschäftigten Arbeiter erheblich verringern, z. B. die Dreschmaschine, welche einen großen Theil der bisher im Winter beschäftigt gewesenen Arbeitskräfte überflüssig macht, erfordern andere geradezu einen größeren Arbeitsaufwand, z. B. die Drillsäemaschine. Auch bringt die Fruchtwechselwirthschaft die Nothwendigkeit mit sich, Pflanzen anzubauen, die sogenannten Hackfrüchte, Kartoffeln, Rüben &c., die während ihrer Vegetationszeit wiederholt von Menschenhänden bearbeitet werden müssen durch Jäten, Hacken, Häufeln u. s. w. Der intensivere Betrieb der Landwirthschaft hat daher im Allgemeinen die Tendenz, die Zahl der Arbeitskräfte, deren er im Winter bedarf, zu vermindern, dagegen während des Sommers im Verhältniß zur bebauten Fläche mehr Arbeiter zu verlangen. Das führt auf der einen Seite zur möglichsten Rednzirung des Gesindes, und der fest verpflichteten Tagelöhner, die man während des ganzen Jahres erhalten muß, es führt aber gleichzeitig immer größere Unbeständigkeit in der Beschäftigung der freien Tagelöhner herbei. Diese wachsende Unsicherheit der Existenz muß in Gegenden, in denen die Landwirthschaft die einzige Erwerbsquelle, die Landarbeiter in die Stadt treiben, in der wohl auch keine Beständigkeit der Beschäftigung herrscht, aber doch größere Aussicht, wenn in dem einen Beruf nichts zu finden, in einem anderen unterzukommen.
Der Prozeß der Abwanderung in Industriegegenden und Städte vollzieht sich um so eher, je mehr das Verkehrswesen entwickelt ist, je leichter die Verbindung zwischen Stadt und Land, je mehr der Landarbeiter von den Verhältnissen in der Stadt erfährt und je leichter er dahin gelangen kann.
Die Erleichterung des Verkehrs zwischen Stadt und Land, zwischen dem Produktionsort und dem Markt ist aber auch eine unerläßliche Bedingung des Gedeihens der intensiven Waarenproduktion in der Landwirthschaft. Alle Landwirthe müssen eifrig bemüht sein, Verbesserungen und Erweiterungen im Eisenbahn- und Postwesen zu erlangen; aber dieselbe Post, die ihnen die Markt- und Saatenstandsberichte und Geschäftsbriefe bringt, bringt dem Landarbeiter Briefe eines Verwandten in der Stadt, der froh ist, der ländlichen Sklaverei entronnen zu sein, sie bringt sogar Zeitungen, freilich nur „gutgesinnte“, die aber, je besser gesinnt sie sich geberden, desto mehr über das Wohlleben und die Anmaßungen der städtischen Arbeiter zetern und dem verkümmerten Landarbeiter den Mund danach wässern machen. und dieselbe Eisenbahn, die dem Landwirth Maschinen und Kunstdünger bringt, sein Getreide, sein Vieh, seine Butter dem städtischen Abnehmer zuführt, sie entführt ihm auch diejenigen, die alle seine Produkte schaffen.
In gleicher Richtung wirkt der Militarismus, der die jungen Leute vom Lande in die Stadt zieht und dort mit städtischem Leben bekannt macht. Wer zum Militär kommt, der geht leicht der Landwirthschaft nicht blos für zwei Jahre, sondern für immer verloren. Sonderbarerweise sind gerade die Großgrundbesitzer und Großbauern, die am meisten darunter leiden, die energischsten Stützen des Militärstaates.
Am leichtesten werden von der Landflucht die besitzlosen Arbeiter ergriffen, unter diesen wieder am ehesten die unverheiratheten. Aber je mehr die Belastung der Landwirthschaft durch Steuern, Schulden, Aussaugung des Bodens wächst, je schärfer die Konkurrenz des bäuerlichen Betriebs mit dem Großbetrieb (und mit überseeischem Betrieb, auf den wir noch zu sprechen kommen), je mehr er den Konkurrenzkampf nur durch Ueberarbeit und Verzicht auf alle Bedürfnisse der Kultur, mitunter selbst auf nothwendige Lebensbedürfnisse, durch freiwillige Degradirung zur tiefsten Barbarei führen kann, desto mehr verliert auch die bäuerliche Scholle die Kraft, ihren Besitzer an den Boden zu fesseln, desto mehr reißt auch in kleinbäuerlichen Kreisen die Flucht vom Lande in die Stadt ein.
Diese Flucht überragt bereits an Ausdehnung die natürliche Bevölkerungszunahme und führt zur absoluten Abnahme der landwirthschaftlichen Bevölkerung. Von 1882 bis 1895 wuchs im Deutschen Reich die Zahl der landwirthschaftlichen Betriebe von 5.276.344 auf 5.558.317, wuchs die landwirthschaftlich benutzte Fläche von 31.868.972 Hektar auf 32.517.941 Hektar. Aber die Bevölkerung, die von der Landwirthschaft lebte, nahm in demselben Zeitraum von 19.225.455 auf 18.501.307 ab, also um nicht weniger als 724.148 Köpfe. und diese Abnahme trifft die kleinbäuerlichen Gegenden ebenso wie die großbäuerlichen und die der Latifundien; sie findet sich in allen Provinzen des preußischen Staates und in allen größeren Bundesstaaten – mit Ausnahme Braunschweigs, das eine Zunahme von 120.062 auf 125.411 aufweist.
Die Zahl der Lohnarbeiter betrug in Deutschland:
|
|
1882 |
|
1895 |
Abnahme (−) oder |
---|---|---|---|---|---|
Landwirthschaft |
5.881.819 |
5.619.794 |
− 262.025 |
||
Industrie |
4.069.248 |
5.955.613 |
+ 1.859.570 |
||
Handel |
727.262 |
1.233.045 |
+ 505.783 |
Die gleiche Erscheinung zeigt sich in Frankreich. Dort verschob sich das Verhältniß der landwirthschaftlichen zur nichtlandwirthschaftlichen Bevölkerung in folgender Weise:
Jahr |
|
Landwirth- |
|
Nichtland- |
|
Von der |
---|---|---|---|---|---|---|
1876 |
18.968.605 |
17.937.183 |
51,4 |
|||
1881 |
18.279.209 |
19.422.839 |
48,4 |
|||
1886 |
17.698.482 |
20.520.471 |
46,6 |
|||
1891 |
17.435.888 |
20.907.304 |
45,5 |
Auch hier finden wir eine absolute Abnahme der Landbevölkerung und auch hier ist diese Abnahme der Verminderung der Arbeiterzahl geschuldet. Man zählte Erwerbsthätige in der französischen Landwirthschaft:
|
|
1882 |
|
1892 |
|
Zunahme (+) oder |
---|---|---|---|---|---|---|
Selbständige |
3.460.600 |
3.604.789 |
+ 144.189 |
|||
Lohnarbeiter |
3.452.904 |
3.058.346 |
− 394.558 |
Die Verringerung der Zahl der Lohnarbeiter war noch größer, als in Deutschland.
Am krassesten tritt die Abnahme der landwirthschaftlichen Arbeiter in England auf, dem Lande des am meisten entwickelten landwirthschaftlichen Großbetriebs und der meisten Großstädte. Dort zählte man Lohnarbeiter in der Landwirthschaft 1861 1.168.227, 1871 996.642, 1881 890.174, 1891 798.912. Ihre Zahl verringerte sich in dreißig Jahren um 364n313, um 31,3 Prozent, fast ein Drittel.
Aber in diesen Zahlen tritt der Verlust noch nicht vollständig zu Tage, den die Landwirthschaft erleidet. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es namentlich die jüngeren selbständigen Leute sind, die abwandern. und Greise bleiben zurück. Das gilt für die periodische wie für die dauernde Abwanderung. Das heißt aber nichts anderes, als daß, während die Landbevölkerung an Zahl abnimmt, auch ihre Arbeitsfähigkeit sich verringert.
Eine Illustrirung dieser Thatsache liefert uns die jüngste Berufsstatistik. Man zählte im Deutschen Reich 1895 Erwerbsthätige in der Landwirthschaft 8.292.692, in der Industrie 8.281.220. Die beiden Berufszweige sind einander an Zahl fast gleich. Aber wie verschieden ist ihre Vertheilung auf die einzelnen Alterskategorien!
|
Unter 14 J. |
14–20 |
20–30 |
30–40 |
40–50 |
50–60 |
60–70 |
70 u. mehr |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Landwirthschaft |
135.125 |
1.712.911 |
1.761.104 |
1.347.206 |
1.232.989 |
1.149.404 |
702.268 |
251.685 |
Industrie |
38.267 |
1.770.316 |
2.321.139 |
1.750.933 |
1.206.624 |
759.403 |
336.256 |
98.282 |
Landw. + oder − |
+ 96.958 |
− 54.705 |
− 560.035 |
− 403.737 |
+ 26.365 |
+ 590.001 |
+ 366.012 |
+ 153.403 |
Also gerade in den arbeitskräftigsten Altersklassen vom 14. bis zum 40. Jahre hat die Landwirthschaft gegenüber der Industrie ein Minus von einer Million an Arbeitskräften aufzuweisen; in den weniger tüchtigen Altersklassen ein ebenso großes Plus.
Noch drastischer spricht eine Tabelle, die wir der Schrift von C. Ballod: Die Lebensfähigkeit der städtischen und ländlichen Bevölkerung (S. 66), entnehmen. In Preußen waren von je 1.000 Personen am 1. Dezember 1890 in den
Personen |
|
Landgemeinden |
Städten über |
Auf die Landbevölkerung |
---|---|---|---|---|
0–15 Jahren |
379 |
313 |
+ 66 |
|
15–20 Jahren |
94 |
100 |
− 6 |
|
20–30 Jahren |
143 |
210 |
− 77 |
|
30–40 Jahren |
122 |
140 |
− 27 |
|
40–50 Jahren |
100 |
105 |
− 5 |
|
50–60 Jahren |
79 |
66 |
+ 13 |
|
60–70 Jahren |
54 |
38 |
+ 16 |
|
70–100 Jahren |
29 |
19 |
+ 10 |
|
Zusammen |
1.000 |
1.000 |
|
Noch seien einige Zahlen hier erwähnt, die wir in dem Buche von J. Goldstein über Berufsgliederung und Reichthum (S. 28 und 59) finden. Goldstein hat untersucht, wie groß der Prozentsatz der Bevölkerung im Alter von 15–45 Jahren in den verschiedenen Grafschaften England ist. Um nicht zu weitläufig zu werden, geben wir blos die extremsten Zahlen für die acht am meisten und die acht am wenigsten landwirthschaftlichen Grafschaften an.
Grafschaften |
Von 1.000 Personen der |
|
Grafschaften |
Von 1.000 Personen der |
||
---|---|---|---|---|---|---|
Landwirth- |
Altersklassen |
Landwirth- |
Altersklassen |
|||
Huntingdon |
232 |
400 |
London |
5 |
494 |
|
Cambridge |
199 |
419 |
Lancaster |
20 |
479 |
|
Hereford |
186 |
407 |
Durham |
21 |
455 |
|
Rutland |
183 |
417 |
York W.R. |
31 |
475 |
|
Lincoln |
181 |
421 |
Stafford |
34 |
446 |
|
Suffolk |
177 |
406 |
Middlesex E |
39 |
464 |
|
Norfolk |
167 |
410 |
Warwick |
40 |
456 |
|
Wilts |
149 |
416 |
Monmouth |
49 |
459 |
|
|
Maximum 421 |
|
Minimum 455 |
Die Unterschiede zwischen industrieller und ländlicher Altersklassenschichtung sind auffallend genug. Sie sind nicht durch die Abwanderung allein zu erklären. Die größere Lebenszähigkeit der agrikolen Bevölkerung trägt wohl zu dieser Vertheilung der Altersklassen auch bei. Auf jeden Fall zeigt aber diese Tabelle deutlich, daß, bei gleicher Arbeiterzahl, die Industrie über die größere Zahl kräftiger Elemente verfügt.
Aber es sind nicht blos die physisch kräftigsten, sondern auch die energischsten und intelligentesten Elemente, die am meisten dem Lande entfliehen, wen sie am ehesten Kraft und Muth dazu finden und den Widerspruch zwischen der wachsenden Kultur der Stadt und der wachsenden Barbarei des flachen Landes am ehesten und meisten fühlen. Vergeblich suchen Großgrundbesitzer und Bauern durch Herabdrückung der Schulbildung die Landbevölkerung daran zu hindern, daß ihr dieser Gegensatz zum Bewußtsein kommt. Die ökonomischen Beziehungen zwischen Stadt und Land sind zu enge, als daß es möglich wäre, die Landbevölkerung vor den „Verführungen“ der Stadt zu bewahren. Und wie sehr auch die Grundbesitzer sich bemühen mögen, um ihre Leute eine chinesische Mauer aufzuführen, der Militarismus, den sie doch so sehr verehren, reißt diese Mauer nieder und führt die Bauernjungen in die Städte. Die Verkümmerung der Schulbildung, die Erschwerung aller Gelegenheiten, sich durch Zeitungen und Bücher zu bilden, führt blos dazu, daß die Vorstellung der Landleute von der Stadt nicht immer die klarsten sind, andererseits aber dazu, daß den intelligenten Leuten auf dem Lande die Barbarei ihrer Umgebung um so schärfer zum Bewußtsein gebracht wird, sie um so eher in die Stadt flüchten.
Statistisch läßt sich diese Seite der Landflucht nicht belegen. Aber es ist bekannt, daß die Landwirthe weniger über die Abnahme von Arbeitskräften überhaupt klagen, als vielmehr über die Abnahme intelligenter Arbeitskräfte.
Die intellektuelle Kluft zwischen dem flachen Lande und der Stadt, welche die enorme Bevorzugung der letzteren in Bezug auf Mittel der Bildung und geistigen Anregung hervorgerufen, wird dadurch noch vertieft.
Zur Bevölkerungsabnahme und geistigen Verödung auf dem flachen Lande gesellt sich aber nicht selten auch noch körperliche Degeneration. Diese ist nicht auf die Fabriksdistrikte beschränkt. Unterernährung, Wohnungen, die allen hygienischen Anforderungen Hohn sprechen, Ueberarbeit, Schmutz und Unwissenheit, ungesunde Nebenbeschäftigung (Hausindustrie) lassen vielfach auch die Landbevölkerung körperlich verkommen.
In letzter Zeit sind sogar statistische Zahlen vorgeführt werden, die darauf hindeuten sollen, daß im Allgemeinen bereits die industrielle Bevölkerung kriegstüchtiger, also physisch besser entwickelt ist als die landwirthschaftliche. Indeß ist die Beweiskraft dieser Zahlen noch sehr strittig, wir sehen daher davon ab, sie hier zu benutzen.
Aber mag es auch noch nicht gerechtfertigt sein, im Allgemeinen von einer physischen Minderwerthigkeit der landwirthschaftlichen Bevölkerung zu reden, ihre Superiorität büßt sie sicher ein. Selbst in einem Bauernlande wie der Schweiz, zeichnet sie sich physisch nicht mehr aus. Von 241.076 Stellungspflichtigen in den Jahren 1884–1891 waren 107.607 Landarbeiter und Bauern. Man zählte bei
|
Zurückgestellte |
Taugliche |
Untaugliche |
---|---|---|---|
den Bauern |
18,9 % |
61,7 % |
38,3 % |
der Gesammtheit der Untersuchten |
19,8 % |
63,0 % |
37,0 % |
Der Prozentsatz der Tauglichen war also bei den Bauern noch etwas geringer als im Durchschnitt.
Nicht nur ökonomisch, numerisch und intellektuell, auch physisch wird die Landbevölkerung immer mehr herabgedrückt.
So führt die kapitalistische Entwicklung nicht nur zu einer stets wachsenden Mehrbelastung der Landwirthschaft, sondern auch zur Untergrabung „der Springquellen allen Reichthums“, der Erde und des Arbeiters. (Vergleiche das Kapital von Marx, I. Band, 13. Kapitel, § 10, Große Industrie und Agrikultur, wo der oben auseinandergesetzte Gedankengang bereits seinen klassischen Ausdruck gefunden.)
Von diesen Veränderungen bleibt natürlich der landwirthschaftliche Betrieb nicht unberührt. Vor Allem ist es die Arbeiterfrage in anderem Sinne als in den Städten, die ihm Verlegenheiten bereitet, nicht die Frage, was mit den Arbeitern anfangen, sondern wu sie hernehmen.
Wir haben schon im siebenten Kapitel darauf hingewiesen, daß der Großgrundbesitz dort, wo er das Land zu sehr von Kleinbetrieben entblößt hat, solche wieder künstlich zu schaffen sucht. De stärker der Zug nach der Stadt sich geltend macht, desto mehr sucht er die Arbeitskräfte, deren er bedarf, an die Scholle zu binden. Aber wo die Industrie größere Anziehungskraft erlangt hat, genügt die bloße Schaffung kleiner Bauernstellen nicht, da muß der juristische Zwang dazutreten, die Arbeiter zu fesseln und zur Lohnarbeit beim großen Grundbesitz anzuhalten; da werden neue Kleinbetriebe geschaffen, die der Grundherr gegen die Verpflichtung bestimmter Arbeitsleistungen verpachtet. Eine neue Feudalität entsteht. Aber nicht auf lange. Das Vordringen der Industrie macht ihr ein Ende. Diese neuen Pachtverträge mit der Verpflichtung zu bestimmten Arbeitsleistungen haben sich nur dort bewährt, wo keine Industrie in der Nähe. Wo diese hinkommt, da vermag auch das verlockendste Anerbieten die Arbeiter nicht zu bewegen, sich zu binden. Sie ziehen es vor, die freie Verfügung über ihre Arbeitskraft sich zu bewahren, um jede Gelegenheit benützen zu können, sie vortheilhaft loszuschlagen.
Kärger erklärt als „unumstößliches“ Ergebniß der Enquete über die Verhältnisse der Landarbeiter in Nordwestdeutschland, die Thatsache,
„daß dort die besten, für Arbeiter und Arbeitgeber gleich günstigen Arbeitsverhältnisse herrschen, wo der größte Theil der landwirthschaftlichen Arbeiten außer durch Dienstboten von den Heuerlingen verrichtet wird. Hier haben die Arbeitgeber stets genug Arbeitskräfte zur Verfügung, um alle landwirthschaftlichen Arbeiten in ordnungsmäßiger Weise zu erledigen, und hier befinden sich die Arbeiter sowohl materiell in sehr guter Lage, die ihnen in den meisten Fällen das Zurücklegen von Ersparnissen gestattet, als auch ideell in einer durchaus zufriedenen Stimmung.“
Trotz dieses Ueberflusses von Zufriedenheit giebt es zahlreiche Kreise, in denen die Arbeiter verbohrt genug sind, damit unzufrieden zu sein. Zwei Momente sind es, die sich der Verallgemeinerung des Heuerlingsverhältnisses entgegenstemmen:
„Einmal ein trotziger, unabhängiger Sinn der Bevölkerung, der jede Uebernahme einer über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden Verpflichtung als Knechtschaft verabscheut, aus welchem Grunde sich die Einführung der Heuerlingsverfassung in den westfälischen Kreisen Paderborn, Büren, Warburg und Höxter vielfach als unmöglich erwiesen hat. Zum anderen die unmittelbare Nähe einer starken industriellen Thätigkeit, die insbesondere im bergisch-märkischen Kohlenrevier und dann auch in der Gegend von Hamburg-Harburg die alten Heuerlingsverhältnisse hat verschwinden machen und neue nicht aufkommen lassen.
„Die Ursachen hierfür liegen hauptsächlich in dem hohen Lohne, den Bergbau und Industrie zahlen können und der daher es jedem ländlichen Arbeiter als unräthlich erscheinen läßt, sich auf allzu lange Zeit durch Eingehung eines Pacht- und Arbeitsvertrags der Möglichkeit zu verschließen, bei erhöhter Nachfrage nach industriellen Arbeitern von diesen durch Angebot seiner eigenen Arbeitskraft Vortheil zu ziehen.“
Die Industrie sorgt also dafür, daß dem feudalen Ideal des Herrn Kärger nicht die Zukunft gehört.
Allgemeiner anwendbar ist die Heranziehung fremder Arbeiter von auswärts, theils als ständige, theils als periodische Wanderarbeiter. Wenn die steigende Proletarisirung der Bauernschaft die Vermehrung des Angebots solcher Arbeitskräfte begünstigt, so erzeugt das Abströmen der ländlichen Arbeitskräfte in die industriellen Gegenden die rasch wachsende Nachfrage nach ihnen. In zahlreichen Distrikten könnte die Landwirthschaft ohne fremde Arbeiter nicht mehr bestehen. Aber so wichtig die fremde Arbeit geworden ist, sie kann höchstens dazu dienen, die Lasten, welche der Arbeitermangel der Landwirthschaft auferlegt, gleichmäßiger über das ganze Land, oder, wenn man Ausländer zu Hilfe nimmt, über mehrere Länder zu vertheilen, nicht aber der Landwirthschaft im Ganzen neue Arbeitskräfte zuzuführen. Was die von außen zuziehende Arbeit hier giebt, das nimmt sie dort; sie bringt dem Westen Arbeitskräfte, um sie dem Osten zu nehmen, verbreitet Arbeitermangel auch dort, wo der Einfluß der Industrie noch nicht direkt fühlbar geworden, und präparirt mit der zeitweisen den Boden für die dauernde Abwanderung. Fast nie werden die fremden Arbeiter einen vollen Ersatz für die nach der Stadt abgezogenen Einheimischen bieten können. Es sind, wie schon bemerkt, gerade die energischsten, intelligentesten Arbeiter, die dem Lande am ehesten den Rücken kehren. Dagegen stammen die neu zuziehenden Arbeiter aus ökonomisch rückständigen Gegenden, Gegenden, in denen die Volksbildung schlechter ist, meist aber auch die Agrikultur tiefer steht. Die Folge ist nicht blos ein Rückgang der Leistungsfähigkeit der Landarbeiterklasse im Allgemeinen, sondern sehr oft auch ein Rückgang in der Methode der Landwirthschaft.
„Das Eigenthümliche an den ganzen Arbeiterverhältnissen“, berichtet z. B. Kärger aus den Bergwerksdistrikten Westfalen, „ist der Umstand, daß ein einheimischer ländlicher Arbeiterstand überhaupt fast gar nicht existirt, und daß auch die Kinder aller Arbeiter sofort nach der Konfirmation sich fast ausnahmslos dem Bergbau widmen. Fast alle in der Landwirthschaft gebrauchten Arbeiter stammen daher von auswärts. Zu Dienstboten bezieht man Leute aus Ost- und Westpreußen, Hessen, Hannover, Waldeck und Holland, muß das aber immer von Neuem wieder thun, da es die meisten nicht länger wie 1 bis 2 Jahre bei der Landwirthschaft aushalten, wenn sie erst erfahren haben, mit wie viel leichterer Mühe im Bergbau ein höherer Verdienst erzielt werden kann. Zur Erntezeit kommen Wanderarbeiter von selbst und zwar vornehmlich aus dem Regierungsbezirk Minden, die sogenannten Bielefelder Schnitter. Wer es vermeiden kann, engagirt allerdings diese hochbezahlten Wanderarbeiter lieber nicht und sucht sich mit dem Gesinde durchzuhelfen. Nach Schwelm und Hagen, wo die Besitzungen im Durchschnitt kleiner sind, kommen diese Erntearbeiter daher weit seltener, am seltensten nach dem Kreise Schwelm, wo der Kleinbesitz durchaus überwiegt.
„Ein eigentlicher Mangel an Arbeitern existirt zwar nach einigen Berichten in diesen Gegenden für die Landwirthschaft nicht, namentlich dann nicht, wenn der Gang der Industrie ein schlechter ist, wohl aber ein vollständiges Fehlen von ständigen und ein großer Mangel an guten landwirthschaftlichen Arbeitern. Nach den meisten Berichten hält es aber überhaupt schwer, irgend welche Arbeiter zu erlangen, und ein Generalberichterstatter behauptet, der Mangel an Arbeitern, namentlich an besseren, sei so groß, daß den meisten Landwirthen der Betrieb der Landwirthschaft überhaupt verleidet wird.“ (Verhältnisse der Landarbeiter, I, S. 133)
Aus dem Großherzogthum Hessen (Oberhessen) theilt ein Berichterstatter mit:
„Früher hat es einen wirklichen Taglöhnerstand gegeben, der berufsmäßig jahraus jahrein in Arbeit ging und bei der Ausführung der Arbeiten selbst dokumentirte, daß er berufsmäßig geschult und erfahren war, und ans den man sich verlassen konnte. Er ist aber verschwunden; die vielen Dreschmaschinen nahmen die Arbeit zur Winterszeit auf den Höfen, in den Industriebezirken war solche das ganze Jahr hindurch zu finden, und so begann in der Mitte der siebziger Jahre die Auswanderung nach dem Siegener Lande, nach Westfalen, Belgien, Paris, dann aber namentlich nach Amerika, Australien, Argentinien, um dort ‚das Glück zu versuchen‘. Und offen gestanden, nicht Wenige haben es dort auch gefunden. Diese nun veranlaßten die ihnen bekannten guten Elemente nachzukommen. An deren Stelle sind die sogenannten verheiratheten Knechte getreten, ein Sammelsurium aus aller Herren Länder: Schweizer, Ost- und Westpreußen, Polen, Oberschlesier, ja Schweden u. A.; theils verschrieben und importirt, theils freiwillig zugewandert, stellen sie im Durchschnitt eine vollständig verkommene rohe Bande dar, die mit der Hefe der Wanderarbeiterinnen in wilder Ehe lebt, dem Trunk ergeben ist und ohne Berufsgeschick, Intelligenz und Treu als Pferdeknechte auf den Pachthöfen oder als sogenannte Schweizer (Rinderviehfütterer und Melker) gegen hohen Lohn stets Dienst findet ... Dabei reichen diese hier ansässigen Arbeitskräfte auf den Wirthschaften mit starkem Rübenbau nicht aus, und so kommen vom zeitigen Frühjahr an aus der Rhön, vom Eichefeld, aus Bayern, dem Schwarzwald, aus Oberschlesien, Posen und Westpreußen noch zahlreiche männliche und weibliche Wanderarbeiter hinzu, die bis zum Spätherbst für theures Geld gehalten werden müssen, eben weil die geborenen Oberhessen nicht mehr längere Zeit auf die Pachthöfe in Arbeit gehen mögen.“ (Zustände der Landarbeiter, II, S. 230, 231)
Endlich sei noch ein drittes Beispiel mitgetheilt, um die Degradirung der Landwirthschaft durch den Fortschritt der Industrie zu illustriren.
Dr. Rud. Meyer zitirt in einem Artikel (Neue Zeit, XI, 2, S. 284) einige Mittheilungen des Verwalters einer Domäne in Böhmen von ein paar tausend Hektaren mit Zuckerrüben und Getreidebau. Dieser sagt unter Anderem:
„Früher behackten wir das gedrillte Getreide mehrmals mit der Pferdehacke, thun das aber nicht mehr, da ein ungeschulter Arbeiter, welcher die Hacke dirigirt, das Getreide beschädigt. Wir haben aber fast keine tüchtigen Arbeiter als Gesinde mehr bei den Gespannen, und die wenigen, die etwas taugen, wechseln schnell. Wenn die jungen Männer beim Militär die Welt kennen gelernt haben, wollen sie nicht mehr um niedrigen Lohn bei uns lauge und schwer arbeiten und gehen irgendwo anders hin. So behalten wir von der ansässigen Bevölkerung Greise, Kinder, Weiber und miethen Knechte aus der tschechischen Taborer Gegend. Die sind sehr ungebildet und roh und können keine Maschinenarbeit leisten. Deshalb haben wir die Pferdehacken im Magazin verrosten lassen.“
Diese Mittheilungen zeigen uns bereits, wie schwer es ist, in der heutigen Landwirthschaft dasjenige Mittel gegen die Arbeiternoth anzuwenden, das ihn Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität das naheliegendste erscheint: die Maschine. Nicht überall findet der Landwirth die zur Benutzung der Maschine geeigneten Arbeitskräfte, und sie gehen der Landwirthschaft immer mehr verloren. Trotzdem macht die Maschine auf dem Lande auch heute noch erhebliche Fortschritte, aber längst nicht in dein Maße, in dem es nothwendig wäre, sollte sie der Arbeiternoth entgegenwirken können. Wir haben nur ganz vereinzelte Angaben darüber gefunden, daß Landwirthe sich durch die Einführung von Maschinen zu helfen vermochten. Wir sehen hier ganz davon ab, daß die landwirthschaftlichen Maschinen zwar immer Arbeit sparend sind im Verhältniß zur Menge der erzeugten Produkte, aber nicht immer im Verhältniß zur bebauten Fläche. Eine Reihe von Maschinen auf dem Lande erfordert mehr Arbeiter auf gleicher Fläche, als die einfachen Werkzeuge.
„In manchen Fällen wird gerade durch Anwendung von mehr oder besseren Maschinen der Bedarf an Menschenhänden nicht verringert, sondern vergrößert. Die Drillsäemaschine erfordert behufs Besäung der gleichen Fläche mehr Arbeit als die Breitsäemaschine oder die Saat mit der Hand u. s. w.“ (Th. v. d. Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse, S. 168)
Endlich hat man noch ein viertes Mittel angerathen, um der Arbeiternoth entgegenzuwirken: eine ausgiebige Lohnerhöhung, bessere Behandlung, Behausung, Beköstigung der Arbeiter. Dieses Mittel ist sicher das wirksamste unter den vier genannten, aber es scheint ebenfalls nicht ausreichend, der Landwirthschaft die nöthigen Arbeitskräfte zu sichern. Der höhere Lohn ist nicht der einzige Faktor, der den Landarbeiter in die Stadt zieht; die leichtere Aussicht, im Winter Arbeit zu finden, die größere Unabhängigkeit, die größere Leichtigkeit der Familiengründung und die kulturelle Ueberlegenheit der Stadt überhaupt – das sind Faktoren, die höchstens durch eine gewaltige Lohnerhöhung paralysirt werden könnten.
„Ueber den Mangel an weiblichen Dienstboten“, schreibt F. Großmann (Zustände der Landarbeiter, II, S. 419), „wird in den Elbmarschen hauptsächlich wegen des Abzugs nach den Städten sehr geklagt. Der Berichterstatter findet diese Erscheinung um so auffallender, als diejenigen, die in den benachbarten kleinen Städten in den Dienst traten, um (nur ?) reichlich halb so viel verdienten, als auf dem Lande. Selbst in Hamburg sei durchschnittlich der Lohn nicht höher, wohl aber die Ausgaben.“
Auch bessere Behandlung vermag nicht die Landarbeiter auf die Dauer zu fesseln:
„Wie viele Fälle“, ruft ein Berichterstatter aus, „hat man nicht, daß die Dienstherrschaften ihre Dienstboten kaum als Menschen betrachten und achten; wie oft müssen die Dienstboten sich nicht mit einem sehr mittelmäßigen, manchmal schlecht zubereiteten Essen behelfen. Oefters steht nicht eine einigermaßen gemüthliche, ordentlich geheizte Stube, in der die Dienstboten sich in ihren freien Stunden aufhalten können, zu ihrer Verfügung, und manchmal müssen sie durch allerlei Gerümpel eine in einem abgelegenen Theile des Hauses belegene Art Schlafstube aufsuchen, die kaum mit einem Fußboden, den nöthigen Sitplätzen, eines Tisches zu geschweigen, versehen sind. Dahingegen, wenn man seine Dienstboten in gewisser Beziehung als zur Familie gehörig betrachtet, mit ihnen über seine eigenen Betriebsangelegenheiten und über ihre eigenen Angelegenheiten sich unterhält, mit ihnen an einem Tische ißt, welches in hiesiger Gegend in sehr vielen Fällen Sitte ist, wenn ihnen erlaubt wird, sich in ihren Freistunden in der Wohnstube der Familie aufzuhalten, oder ihnen eine sonstige gemüthliche, standesgemäße, gut geheizte Stube, respektive Schlafstube zu ihrer Verfügung steht, wenn ihnen die Zeitungen u. s. w. zum Lesen zugestellt werden, dann werden die ordentlichen Dienstboten auch mit ihrem Schicksal zufrieden sein. Jedoch auch in solchen Fällen trachten die Dienstboten im Allgemeinen danach, als Briefträger, Eisenbahnbeamte, Näherinnen, Stubenmädchen u. s. w. angestellt zu werden oder auch in den größeren Städten eine Stellung zu erhalten; weil es dort sich weit angenehmer leben läßt, wie in einem ruhigen, abgelegenen, öfters nicht einmal mit einer Shankwirthschaft versehenen einfachen Dorfe. Ordentliche Dienstboten können bei den jetzigen hohen Löhnen, vorausgesetzt, daß sie nicht, wie hier leider in hohem Grade der Fall ist, zu früh heirathen, sehr leicht so viel verdienen, daß sie mit reichlich 30 Jahren sich eine kleine Landstelle anzukaufen vermögen, namentlich bei den jetzt so heruntergegangenen Kaufpreisen, auf der vier Kühe mit einigen Schafen gehalten werden können.“ (A. a. O., S. 423)
Weder hohe Löhne, noch gute Behandlung, noch die Aussicht auf selbständigen Besitz vermögen die Masse der Landarbeiter von der Landflucht abzuhalten.
Und dann, auf welchem Wege können denn die Landarbeiter höhere Löhne und bessere Behandlung erlangen? Es giebt keine Unternehmerklasse, die sich freiwillig zu einer Lohnerhöhung versteht; sie muß dazu gezwungen werden. Die ländlichen Lohnarbeiter sind heute jedoch noch zu schwach, sie durch die Kraft ihrer Organisationen dazu zwingen zu können. Eine Lohnerhöhung auf dem Lande ist nur die Folge wachsenden Mangels an Arbeitern. Hoher Lohn und reichliches Angebot von Arbeitern, das sind zwei Erscheinungen, die sich auf dem flachen Lande, bisher wenigstens, ausschließen.
So gut also der Rath ist, eine Lohnerhöhung, die im Stande wäre, der Landflucht Einhalt zu thun, ist nicht zu erwarten. Diese nimmt ihren Fortgang, ohne sich durch ein Hinderniß aufhalten zu lassen.
Anderson Graham sagt darüber in seinem Werke Rural Exodus (zitirt bei Goldstein, Berufsgliederung, S. 39):
„Wenn sie niedrige Löhne haben, wie in Wiltshire, dann wandern sie aus; und wenn sie hohe Löhne haben, wie in Northumberland, laufen sie auch fort. Wenn die Farmen klein sind, wie in dem Distrikt von Sleaford (Lincoln), gehen sie auf und davon; und in Norfolk, wo in der Regel die Farmen größer sind, nimmt die Landflucht noch immer zu. Der Landmann scheint durchdrungen zu sein von dem verzweifelten Gedanken, daß es für ihn auf dem Lande keine glückliche Zukunft mehr geben kann; ohne Weiteres legt er Spaten und Hacke bei Seite und zieht davon.“
Da die Selbsthilfe versagt, soll staatlicher Zwang helfen. Verschärfung der Gesindeordnungen, Bestrafung des Kontraktbruchs, Erschwerung der Eheschließungen soll dem Landwirth sein Gesinde sichern; die Beseitigung oder Erschwerung der Freizügigkeit durch Wanderverbote, Verhinderung der Aufnahme Zuziehender in die Städte, Erhöhung der Eisenbahnfahrpreise u. dergl. soll die Ab- und Auswandernden in ihrer Heimath zurückhalten.
Aber die Maßregeln ersterer Art würden nur dazu beitragen, das Leben auf dem flachen Lande für das Gesinde und Kontraktarbeiter überhaupt noch unerträglicher zu machen, es müßte ihre Landflucht steigern. Die Beseitigung der Freizügigkeit aber, selbst wenn die industrielle Bevölkerung sie sich gefallen ließe und wenn sie durchführbar wäre, würde wohl einigen Landwirthen helfen, nicht aber der Landwirthschaft im Ganzen. Sie würde zahlreichen Kleinbauern die einzige Möglichkeit eines Nebenerwerbs rauben und sie ins tiefste Elend stürzen; sie würde aber auch jede mit Lohnarbeitern betriebene Landwirthschaft in industriellen Gegenden unmöglich machen, denn dort, das haben wir gesehen, kommt sie ohne auswärtige Arbeiter nicht aus. Sie würde den Bankerott der Landwirthschaft in den ökonomisch rückständigen Gegenden hinausschieben, ihn aber in den ökonomisch vorgeschrittenen Gegenden beschleunigen.
Gegen die Arbeiternoth der Landwirthschaft ist in der kapitalistischen Gesellschaft kein Kraut gewachsen. Wo die feudale Landwirthschaft am Ende des 18. Jahrhunderts war, dort ist die kapitalistische am Ende des 19. in einer Sackgasse, aus der sie durch eigene Kraft auf der gegebenen sozialen Grundlage nicht heraus kann.
Man glaubt, eine Schilderung aus dem vorigen Jahrhundert zu hören, wenn man liest:
„Ein Mangel an Arbeitern ist vorhanden und macht sich namentlich in den großen Guts- und größeren Bauernwirthschaften fühlbar. Die Folge davon ist, daß größere Güter und selbst Bauerngüter einzeln verpachtet werden; hierdurch entsteht der Nachtheil, daß Meliorationen unterbleiben und eine Art Raubbau getrieben wird, indem zu wenig Rindvieh gehalten wird und nur Latrine und Hilfsdünger zur Verwendung kommen. Das beeinträchtigt natürlich die nachhaltige Ertragsfähigkeit des Bodens. Auch kommt es schon vor, daß Sandfelder, die früher mit Vortheil bebaut wurden, brach liegen und schon jahrelang nicht mehr bebaut werden, oft solche der Arbeiter selbst, die bei den hohen Arbeitslöhnen mehr durch bezahlte Arbeit verdienen als wenn sie ihre Aecker bebauen.“ (Zustände der Landarbeiter, II, 206.)
So wird aus Hessen berichtet; und aus Bayern:
„Wie in den Generalberichten mitgetheilt wird, soll der Mangel an Arbeitern in manchen Gegenden Bayerns nicht nur zur Störung eines geregelten Wirthschaftsbetriebs, sondern auch zu einer geringeren Intensität des Betriebs überhaupt geführt haben.“ (A. a. O., S. 190)
Man vergleiche damit auch die oben angeführten Zitate über die Wirkungen der Anwendung auswärtiger Arbeiter. Trotz aller technischen Fortschritte ist bereits, daran kann man nicht zweifeln, stellenweise ein Niedergang der Landwirthschaft eingetreten. Dauert der Arbeitermangel fort, dann wird er ein allgemeiner werden.
„Eine Verminderung der Arbeitskräfte muß nothwendiger Weise zur Folge haben, daß die jährlich bestellte Ackerfläche abnimmt, die Weidefläche zunimmt.“ (Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse, S. 176)
Alle Betriebe, die Lohnarbeiter beschäftigen, werden von den niederdrückenden Folgen des Arbeitermangels getroffen, die kleineren aber mehr als die größeren. Jenen stehen am wenigsten die Mittel zu Gebote, die den Arbeitermangel, wenn auch nicht beseitigen, so doch wenigstens stellenweise mildern können. Sie haben kein Land, das sie an Lohnarbeiter gegen feste Arbeitsverpflichtungen ausleihen könnten; ihr Arbeiterbedarf ist zu gering, als daß es sich lohnte, eigens von weither Arbeiter kommen zu lassen; sie müssen mit jenen vorlieb nehmen, die sie in der Nähe finden; Maschinen können sie schon gar nicht anwenden, und zu einer ausgiebigen Lohnerhöhung fehlen ihnen am ehesten die Mittel.
Dafür aber sind diese kleinere, Lohnarbeiter anwendenden Betriebe gerade diejenigen, die am meisten jene Arbeiterklasse beschäftigen, welche am leichtesten fortwandert: die unverheiratheten Arbeiter, Knechte und Mägde.
Am wenigsten unter den Betrieben, die der Waarenproduktion, nicht ausschließlich oder fast ausschließlich dem Haushalt dienen, werden von der Landflucht jene betroffen, die wenige Lohnarbeiter beschäftigen, zur Noth mit den Arbeitskräften der Familie auskommen, und die doch groß genug sind, um den Besitzer an die Scholle zu fesseln. Das sind im Ganzen und Großen die Betriebe zwischen 5–20 Hektar. Ihnen kommt es auch zu Gute, daß die Neigung zur Zersplitterung des Bodens, die gerade diese Betriebe am meisten bedroht, sich um so mehr verringert, je mehr die Landflucht die landwirthschaftliche Bevölkerung ergreift. Es nimmt damit die Nachfrage nach Land ab und die unverhältnißmäßig hohen Preise der kleinen Güter gehen herunter. Die Parzellirung des Landes hört auf, profitabel zu sein, die Güterschlächterei nimmt ein Ende. So ist es denn kein Wunder, daß gerade diese Betriebe die einzigen sind, die in Deutschland merklich an Boden gewonnen haben. Die landwirthschaftlich benutzte Fläche nahm von 1882–1895 um 648.969 Hektar zu, die der Betriebe mit 5–20 Hektar allein um 563.477 Hektar; die der Betriebe mit 1–2 Hektar verminderte sich um 50.177 Hektar, die derjenigen mit 20–50 Hektar um 62.898 Hektar.
Von 1.000 Hektar landwirthschaftlich benutzter Fläche entfielen auf Betriebe mit
|
Unter |
1 bis |
2 bis |
5 bis |
20 bis |
100 bis |
Ueber |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1882 |
24 |
33 |
100 |
288 |
311 |
222 |
22 |
1895 |
25 |
34 |
101 |
299 |
303 |
216 |
25 |
Zunahme (+) |
+ 1 |
+ 1 |
+ 1 |
+ 11 |
− 8 |
− 6 |
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Bedeutend an Boden gewonnen haben mir die mittelbäuerlichen Betriebe mit 5–20 Hektar; am meisten verloren haben die großbäuerlichen mit 20–100 Hektar (vgl. S. 173).
Diese Zahlen erfreuen das Herz aller guten Staatsbürger, die da in der Bauernschaft das festeste Bollwerk der bestehenden Ordnung sehen. Sie bewegt sich doch nicht, nämlich die Landwirthschaft, rufen sie begeistert, für sie gilt das Marxsche Dogma nicht. In diesen Zahlen erscheinen in der That die dezentralisirenden wie die zentralisirenden Tendenzen ausgelöscht, die allenthalben in der Landwirthschaft während unseres Jahrhunderts bis in die achtziger Jahre hinein wahrzunehmen waren. Eine neue Blüthe der Bauernschaft scheint anzubrechen, die alle sozialistischen Tendenzen der Industrie zu Schanden machen muß.
Aber diese Blüthe wurzelt im Sumpf. Sie erwächst nicht aus dem Wohlstand der Bauernschaft, sondern aus der Bedrängniß der gesammten Landwirthschaft. Sie entspringt denselben Ursachen, die dazu führen, daß bereits eingeführte und bewährte Maschinen in der Landwirthschaft wieder aufgegeben werden, daß feudale Formen des Arbeitsvertrags wiedererstehen, daß das Ackerland durch die Weide verdrängt wird, daß manche Aecker anfangen, brachzuliegen. An dem Tage, an dem es gelänge, für die Landwirthschaft ihre besondere „Arbeiterfrage“ befriedigend zu lösen, und sie damit erneutem Aufschwung entgegenzuführen, würden die dem Mittelbetrieb günstigen Tendenzen sich sofort wieder in ihr Gegentheil verkehren. Prosperität der Landwirthschaft und Fortbestehen der bäuerlichen Wirthschaftsweise sind zwei Begriffe, die bei entwickelter kapitalistischer Produktionsweise einander ausschließen. Dafür sprechen die Erfahrungen nicht nur Europas, sondern auch der Oststaaten der Union. (Vergl. S. 134)
Man darf aber auch nicht erwarten, daß der gegenwärtig einsetzende Niedergang der Landwirthschaft bei längerer Andauer zur Verdrängung des Großbetriebs und des Zwergbetriebs führen und den Stand der zufriedenen Mittelbauern, den Sismondi im Anfange unseres Jahrhunderts noch so begeistert schilderte, zur Herrschaft in der Landwirthschaft bringen und befähigen wird, der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung ein: Bisher und nicht weiter, entgegen zu setzen.
Wird auch die Klasse der Mittelbauern von allen Waaren produzirenden Klassen der agrikolen Bevölkerung von dem Mangel an Lohnarbeitern am wenigsten getroffen, so leidet dafür gerade sie am meisten unter den anderen Lasten, die der modernen Landwirthschaft erwachsen! Der Mittelbauer ist das Hauptobjekt der Ausbeutung durch Wucherer und Zwischenhändler, Geldsteuern und Militärdienst treffen ihn am härtesten, sein Boden ist der Verarmung und Aussaugung am meisten ausgesetzt. Und da diese Betriebe zu den irrationellsten unter den Waaren produzirenden gehören, sind sie diejenigen, die am meisten den Konkurrenzkampf durch übermenschliche Arbeit und untermenschliche Lebensweise führen. Erinnern wir uns des Ausspruchs, daß die kleinen Bauern, so lange sie noch nicht anspannen, sich verhältnißmäßig wohl befinden; „mit der eigenen Anspanne beginnt erst das karge Leben“.
Noch fesselt diese Bauern ihr relativ bedeutender Besitz au die Scholle. Aber nur noch sie, nicht mehr ihre Kinder. Gleich den Lohnarbeitern und den Zwergbauern fangen auch die Kinder der Mittelbauern an, von der Landflucht ergriffen zu werden, und das um so mehr, je näher die Industrie ihnen rückt. Aus einer der Provinzen, in denen die Bauernschaft sich noch am gesündesten und kraftvollsten erhalten hat, aus Schleswig-Holstein, wird berichtet:
„Diejenigen Knechte, ebenso die Söhne der Bauern, welche bis zum Eintritt in das Heer in der väterlichen Wirthschaft thätig waren, kehren nach Beendigung ihrer Militärpflicht, wenn sie nicht ein Handwerk erlernen, nur selten dauernd auf das Land zurück, sondern gehen in die Städte, weil ihnen das Leben auf dem flachen Lande nicht mehr zusagt.“ (Verhältnisse der Landarbeiter, II, S. 426)
Je eher aber die Kinder des Mittelbauern es müde werden, seine schlechtest gehaltenen und meist geschundenen Lohnarbeiter zu sein, je mehr sie darnach trachten, der bäuerlichen Barbarei zu entrinnen, um so mehr verkleinern sich die Familien der Mittelbauern, um so weniger reichen sie aus, auch nur nothdürftig den Betrieb zu führen, desto größer die Rolle, die die Lohnarbeiter auch hier spielen, und desto mehr macht sich die Arbeiterfrage, neben den anderen Schädigungen, auch in dieser Klasse von Betrieben bemerkbar.
Heute schon sind die Mittelbauern nichts weniger als wahrhaft konservativ, das heißt mit dem Bestehenden zufrieden. Im Gegentheil, sie sind ebenso begierig, das Bestehende umzuwälzen, wie die radikalsten Sozialdemokraten, allerdings in ganz anderer Richtung wie diese. Sie werden trotzdem den Staat nicht umstürzen, so wild sie sich auch oft geberden, aber sie hören auf, eine Stütze des Bestehenden zu sein. Die Agrarkrisis erstreckt sich auf alle Waaren produzirenden Klassen der Landwirthschaft; sie macht vor den Mittelbauern nicht Halt.
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Zuletzt aktualisiert am 27.2.2012