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Die letzterwähnte Reform ist nicht mehr blos eine solche zu Gunsten der Landarbeiterschaft, sondern auch eine solche zu Gunsten der Landwirthschaft. Sie wird und soll freilich, wie schon erwähnt, nur dem proletarischen Pächter zu Gute kommen; dem kapitalistischen Pächter würde sie ja erst dann nützen, wenn der Pachtzins unter das Maß der normalen Grundrente herabgedrückt würde. Das wäre aber das Ende des Pachtsystems überhaupt, denn in diesem Falle würde der Grundeigenthümer es profitabler finden, seinen Grund und Boden selbst zu bewirthschaften. Der proletarische Pächter kann aber die Erhöhung seines Einkommens, die eine Folge der Pachtreduzirung ist, nicht blos zur Erhöhung seiner Lebenshaltung benutzen, sondern auch zur rationelleren Gestaltung seines Betriebs durch Beschaffung besserer Werkzeuge, Dünger, Samen &c.
Die Forderung der Reduzirung überhoher Pachtzinse durch besondere Gerichtshöfe bildet also den Uebergang von den Maßregeln zum Schutze der Landarbeiter zu den Maßregeln, die das Interesse der Landwirthschaft erheischt.
Es ist offenbar, daß die letzteren für die Sozialdemokratie von keiner so hohen Bedeutung sind, wie die ersteren, die schon deshalb für sie die wichtigsten sein müssen, weil sie bei ihrem Eintreten für den ländlichen Proletarier so ziemlich allein steht. Ganz anders verhält es sich mit der Landwirthschaft. Das Interesse der Landwirthschaft fällt heute zusammen mit den Interessen der landwirthschaftlichen Unternehmer und der Grundbesitzer, mit dem Interesse des landwirthschaftlichen Kapitalprofits und der Grundrente, wie das Interesse der Industrie zusammenfällt mit dem Interesse des industriellen Kapitalprofits, das des Handels mit dem des Handelsprofits. So wichtig diese Erwerbszweige für das gesammte Leben unserer Gesellschaft, also auch des Proletariats sind, sie haben andere und mächtigere Förderer, als das Proletariat. Wenn die Landwirthschaft Noth leidet, so liegt dies sicher nicht daran, daß die Interessen der Landwirthschaft und Grundbesitzer in den heutigen Staaten nicht genügend vertreten und von den Regierungen und Parlamenten nicht genügend beachtet werden, sondern es liegt an Ursachen, die auch die der Landwirthschaft freundlichste Staatsgewalt nicht beseitigen kann, so lange sie auf dem Boden der heutigen Gesellschaft steht und deren Lebensbedingungen nicht aufs Tiefste verletzen will.
Kann es unmöglich die Aufgabe der Sozialdemokratie sein, aus propagandistischen Rücksichten mit den agrarischen Quacksalbern um die Wette Wunderkuren zur sofortigen Genesung der kranken Landwirthschaft anzupreisen, so hat sie auch nicht die Aufgabe, die Wahrung der wirklichen, mit dem Gesammtinteresse der Gesellschaft harmonirenden Interessen der Landwirthschaft in den Vordergrund ihrer Bestrebungen zu stellen, ebenso wenig, als sie die Aufgabe hat, sich für die Interessen der Industrie und des Handels besonders ins Zeug zu legen. Nicht, weil sie diese Interessen unterschätzt, sondern weil sie sicher sein kann, daß sie im modernen Staat genügend zur Geltung kommen, daß dieser alles thut, was in seiner Macht steht, sie zu fördern.
Wie den Industriellen und den Finanzmännern ist auch den Landwirthen und Grundbesitzern (kleinen und großen) gegenüber die Rolle der Sozialdemokratie nicht die eines Agitators, der sie aufzurütteln hat zur Wahrung ihrer Interessen, sondern vielmehr die eines Beobachters, eventuell eines Wächters, der darüber wacht, daß nicht Sonderinteressen auf Kosten der Gesammtinteressen, Augenblicksinteressen auf Kosten der dauernden Interessen die Oberhand gewinnen.
Die Sozialdemokratie, die positiv und antreibend thätig sein muß im Interesse des Proletariats, ist dort, wo sie die Interessen der Gesammtheit in der heutigen Gesellschaft zu wahren hat, im Wesentlichen auf eine negative, abwehrende Haltung angewiesen. Ihrer negativen Seite gegenüber wird ihre positive, wenigstens so lange, als sie nicht bestimmenden Einfluß auf das Staatsleben erhält, auf diesem Gebiet stets zurückstehen müssen.
Daraus allein aber folgt schon, daß es ihr nie gelingen wird, bei der Masse der selbständigen, nicht auf Nebenerwerb angewiesenen Landwirthe und Grundbesitzer die agrarischen Parteien aus dem Felde zu schlagen, die für den Landwirth und Grundbesitzer Sondervortheile auf Kosten der Allgemeinheit fordern. Trotz allen theoretischen guten Willens, den Bauern zu helfen, hat die Sozialdemokratie in der Praxis sich stets genöthigt gesehen, gerade die von den Bauern am dringendsten verlangten agrarischen Maßregeln am entschiedensten zu bekämpfen.
Immerhin giebt es heute schon einige Punkte, in denen die Sozialdemokratie im Interesse der landwirthschaftlichen Entwicklung positiv zu wirken vermag.
Vor Allem muß die Sozialdemokratie auch hier dahin wirken, daß die Ueberreste aus der Feudalzeit beseitigt werden, wo immer sie erhalten oder gar neu belebt worden sind. Die Sozialdemokratie ist für feudale Privilegien nicht zu haben, nicht für das Anerbenrecht, nicht für Fideikommisse. Allerdings, wenn sie gegen die Gebundenheit des fideikommissarischen Grundbesitzes auftritt, so thut sie dies nicht, um, wie die bürgerliche Demokratie, seine Zerschlagung in kleine Bauerngüter zu fördern. Das dünkte uns ein arger technischer Rückschritt.
Weit verderblicher als die Fideikommisse wirkt im Osten Preußens das Recht der Großgrundbesitzer, ihre Besitzungen als selbständige Gutsbezirke aus den Landgemeinden auszuscheiden und damit ihren Antheil an den Lasten der Gemeinde so gut wie gänzlich dieser aufzuhalsen. Sie benutzen die Straßen und Wege der Gemeinde, ihre Arbeiter schicken ihre Kinder in die Schule der Gemeinde, aber zur Tragung der Lasten, die daraus für diese entspringen, sind sie vielfach gar nicht oder nur in lächerlich geringem Maße verpflichtet. Es können da Fälle vorkommen, wie der folgende:
„Im Dorfe Zuckersdorf, Kreis Rummelsburg (Hinterpommern), hat der konservative Rittergutsbesitzer von Gouedies fast die ganze Bauerngemeinde durch Ankauf aufgelöst und seinem Rittergute einverleibt; nur zwei selbständige Bauern sind noch übrig geblieben. Letztere bilden nun die ‚Landgemeinde‘, das Rittergut aber bildet einen selbständigen Gutsbezirk. Nun sollte das Schulhaus neu gebaut werden; die Lasten aber fallen ausschließlich der ‚Landgemeinde‘ zu, d. h. den zwei Bauern, während der Rittergutsbesitzer als ‚Gutsherr‘ frei ausgeht. Die zwei Bauern wollten dagegen prozessiren, man rieth ihnen aber davon ab: es komme doch nichts dabei heraus.“ (Die Epigonen der Raubritter, S. 46)
Nicht minder wird die Bauernfreundlichkeit der preußischen Junker durch das Jagdrecht beleuchtet, das sie geschaffen. Indeß enthält das Jagdrecht nicht blos in Preußen, sondern in ganz Deutschland, Oesterreich &c. mannigfache Ueberreste feudaler Privilegien.
Die feudale Privilegirung der Jagd war eine doppelte. Erstens wurde sie ein Sport auserlesener Art, ein „feudaler“ Sport, der dem Adel vorbehalten blieb. Nur der grundbesitzende Adelige durfte sich ihm hingeben. Die französische Revolution warf dies wie so manches andere Privilegium über den Haufen und setzte an Stelle des ständischen Privilegiums das des Grundbesitzes. Jeder durfte auf seinem Grundbesitz frei jagen. Dasselbe Resultat hatte die Revolution von 1848 in Deutschland. Aber die Reaktion fegte hier die Gleichstellung des Bauern mit dem Großgrundbesitzer wieder weg, wenn sie auch das alte feudale Privilegium nicht wieder herzustellen vermochte. Der Großgrundbesitzer (in Preußen von 75 Hektar an) darf auf seinem Besitz frei jagen, der kleinere Grundbesitzer nicht, außer auf eingefriedigtem Terrain. Das offene Terrain einer Reihe kleiner Grundbesitzer (etwa einer Gemeinde oder eines Bezirks) wird zu einem Jagdbezirk vereinigt, in dem die Jagd blos durch Angestellte oder Jagdpächter der Gemeinde oder des Bezirks ausgeübt werden darf.
Uns läßt diese Beschränkung des Jagdrechts ziemlich kühl. Die Jagd ist sicher nicht ein Mittel, das Proletariat oder überhaupt die Volksmasse ökonomisch oder moralisch zu heben, und dem Proletarier bleibt sie auf jeden Fall vorenthalten, mag sie nun ein Privilegium jeglichen Grundbesitzes oder blos eines des großen sein.
Wichtiger ist für uns die andere Privilegirung der Jagd, die aus der Feudalzeit herübergenommen worden, ihre gesetzliche Oberhoheit über die Landwirthschaft. Diese, namentlich die bäuerliche Landwirthschaft, hat ihr zu dienen, nicht umgekehrt.
Der Bauer hatte in der absteigenden Periode der Feudalzeit die Verpflichtung, das Wild für den gnädigen Herrn zu füttern, Es war ihm verboten, seine Felder einzuhegen und das Wild von ihnen zu verscheuchen (vergl. S. 19). Das hat seit 1789 natürlich ein Ende genommen, aber immer noch besitzt das Wild gegenüber den Saaten des Landmannes eine privilegirte Stellung. Während sonst der Besitzer schädlicher Thiere verpflichtet ist, sie einzuhegen, gilt das beim Wild höchstens für das Schwarzwild. Alles andere Wild ist frei, und der Bauer darf es nicht einmal schießen, wenn es seine Felder verwüstet. Freilich, sie einzuzäunen und das Wild von ihnen zu verjagen, ist ihm gnädigst gestattet, das heißt aber nichts anderes, als daß die Kosten der Anstalten, das Wild vom bäuerlichen Acker fernzuhalten, vom Jagdherrn auf den Bauern übergewälzt werden.
Dabei hat der Bauer nicht den mindesten Einfluß auf die Zahl und Art der Thiere, die in den benachbarten Wäldern der Großgrundbesitzer gehegt werden. Die Jagdpolitik ist aber den Interessen der Landwirthschaft schnurstracks entgegengesetzt.
Die Raubthiere schädigen den Landmann nur wenig. Selbst der Tiger gilt dem ostindischen Bauern als ein Helfer, nicht als ein Feind. Nor wenige, besonders bösartige Tiger greifen den Menschen und das von ihm gehütete Vieh ungereizt an. Der Tiger bedarf auch dieser Beute nicht, angesichts des enormen Wildreichthums des tropischen Waldes. Durch Dezimirung des Wildes, das man kaum von den Feldern fernhalten kann, verdient er sich den Dank des Bauern.
In Europa haben wir keine Königstiger, in der Regel nicht einmal mehr Wölfe, sondern nur Füchslein und Marder. Diese, sowie die Raubvögel, schädigen den aufmerksamen Landmann, der sein Federvieh bei Nacht gut verwahrt, kaum. Sie werden ihm bei weitem mehr nützlich, indem sie in der energischsten und wirksamsten Weise der übermäßigen Vermehrung der Mäuse und anderer Nager entgegei1wirken, die seine Saaten verheeren. Der Jäger aber haßt das kleine Raubzeug, weil es mitunter auch einem Hasen oder einem Rebhuhn den Garaus macht – zum Verdruß des Waldmannes, aber nicht des Landmannes.
Das Interesse des Landmannes verlangt, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, die Schonung des größten Theils des Raubwildes, dagegen Einschränkung der Individuenzahl der pflanzenfressenden Wildarten. Die heute herrschende Jagdpolitik verlangt das Gegentheil und sie trägt über das Interesse des Landmannes den Sieg davon.
Nun haben wir freilich die Verpflichtung des Wildschadenersatzes, aber wie dürftig ist diese! Für manche Thiere (Hasen!) ist der Jagdpächter oder Jagdherr überhaupt von jeder Schadenersatzpflicht völlig befreit. Am unverschämtesten zeigte sich auch hier wieder das preußische Juukerthum, das 1850 ausdrücklich im Jagdpolizeigesetz jede Ersatzpflicht für Wildschaden ausschloß. Nachdem mehrere freisinnige Anträge zur Aufhebung dieses Privilegs abgelehnt worden, brachte endlich 1891 auch das Zentrum ein Wildschadengesetz ein, in dem es die Eingatterungspflicht für alles Schwarzwild verlangte, dann Ersatz von Schaden, den Wechselwild anrichtet, das aus einem fremden Jagdbezirk kommt, durch den Inhaber dieses Bezirks, und Schadenersatz für das übrige Hochwild (das Kleinwild blieb freßfrei) durch den Jagdpächter. Dieses ohnehin sehr bescheidene Gesetz wurde von den Junkern dahin verdreht, daß 1. jeder Ersatzanspruch wegen Schadens durch Wechselwild und ebenso 2. die Eingatterungspflicht gestrichen, 3. an Stelle der Schadenersatzpflicht des Jagdpächters die Ersatzpflicht der Gemeinde gesetzt wurde, das heißt, die Bauern sollen in ihrer Gesammtheit für die Wildschäden aufkommen, und 4. jedes gerichtliche Verfahren in Wildschadensachen ausgeschlossen wurde; bei Streitigkeiten darüber entscheidet die Ortspolizei, das heißt meist der Großgrundbesitz, und der Kreisausschuß, also wieder der Großgrundbesitz.
Es gehört die eiserne Stirne der preußischen Junker, es gehören die preußische Regierung und das preußische Dreiklassenwahlsystem dazu, um der Bauernschaft eine derartige Entschädigung für den Wildschaden anzubieten!
Anderwärts steht’s etwas besser damit, aber nirgends in Deutschland und Oesterreich befriedigend für den Landmann. Bekannt ist’s, daß der Reichstag im bürgerlichen Gesetzbuch die Freßfreiheit der Hasen ausdrücklich anerkannt hat. Das Jagdvergnügen ist wichtiger, als die Volksernährung. Dieser Ueberrest aus der Feudalzeit ist noch zu beseitigen.
Aber in welcher Weise soll das geschehen? Das freie Jagdrecht jedes Einzelnen auf seinem Grund und Boden würde den von großen Jagdrevieren umgebenen Bauern sehr wenig schützen, er müßte denn seine Feldarbeiten vernachlässigen und seine Zeit auf dem Anstand zubringen. Und wenn in wald- und wildreichen Gegenden die Bauernschaft, die von großen zusammenhängenden Jagdrevieren umgeben ist, durch den Wildschaden zu Grunde gerichtet wird, so giebt es wieder Bauerngemeinden, die aus der Verpachtung der Jagd Vortheile ziehen, namentlich Gemeinden in der Nähe großer Städte, wo wenig Wald und Wild zu finden, dafür desto mehr sportlustige Jäger, die sich das Vergnügen, hin und wieder einen Hasen oder ein Rebhuhn zu schießen, gern ein hübsches Stück Geld kosten lassen. Die Freiheit der Jagd für jeden einzelnen Grundeigenthümer würde da mancher Gemeinde eine werthvolle Einnahme entziehen, ohne den Bauern, namentlich den Parzellenbauern, irgend etwas zu nützen.
Nicht in der Ausdehnung, sondern in der Beschränkung des Rechtes des Privateigenthums am Boden sehen wir die beste Lösung der Jagdfrage in der heutigen Gesellschaft. Das Privilegium des Großgrundbesitzes, eigene Jagdbezirke zu bilden, muß ebenso fallen wie das, eigene Gutsbezirke zu bilden. Die einen wie die anderen müssen den Gemeinden oder, wo dies ersprießlicher, den Kreisen einverleibt werden und die Verfügung über die Jagd im Walde des Großgrundbesitzers muß ebenso wie die Jagd auf dem Felde des Bauern, der Gemeinde- oder Kreisvertretung (die natürlich aus allgemeinem, gleichem und direktem Wahlrecht hervorzugehen hat) zugestanden werden, die über die Jagdpolitik in dem gesammten Jagdrevier entscheiden soll.
Sehr vereinfacht würde die Frage der Jagdpolitik durch die Verstaatlichung des gesammten Waldbesitzes – wenigstens in demokratischen Staaten. Eine zweckmäßige Anpassung der Jagd an die Bedürfnisse der Landwirthschaft in den einzelnen Gegenden wäre dann leicht erreichbar. Eine etwaige Beeinträchtigung der Jagd als Sport durch diese Reformen würden wir wohl verschmerzen.
Eine nicht geringere, ja mitunter noch weit größere Schädigung an durch die Jagd erfährt die Landwirthschaft in Gegenden kleinbäuerlichen Besitzen durch die Gemenglage der einzelnen Parzellen, die auch ein Ueberrest aus der Feudalzeit ist, ein Ueberrest der mittelalterlichen Markverfassung mit Dreifelderwirrthschaft und Flurzwang, wie wir sie im ersten Abschnitt geschildert haben. Wir haben gesehen, daß hinter diesem System die Ackerloose der einzelnen Landwirthe nicht ein zusammenhängendes Ganzes bildeten, sondern in den verschiedenen Gewannen zerstreut lagen. Die Ueberwindung der Feudalherrschaft und die Einführung des vollen Privateigenthums am Boden hat die Zersplitterung des Bodeneigenthums des Einzelnen nicht ohne Weiteres beseitigt, sondern vielfach noch vermehrt, namentlich durch Theilung der einzelnen Parzellen in Folge des gleichen Erbrechte aller Kinder eines Erblassers. Eine rationelle Bewirthschaftung solcher kleiner und kleinster Parzellen ist unmöglich. Dazu kommen die großen Zeitverluste, die entstehen, um von einer zur anderen zu gehen, die Menge Land, die durch Wege, Raine &c. verloren geht – kurz, die Gemenglage ist eines der wirksamsten Mittel, die bäuerliche Landwirthschaft nicht blos an jedem Aufschwung zu verhindern, sondern sie sogar immer tiefer herabzudrücken.
Wie weit mitunter die Zersplitterung des Grundbesitzes vorgeschritten ist, mögen einige Zahlen aus Sachsen-Meiningen zeigen:
„Die Flur Leutersdorf, Amtsgericht Meiningen, mit 520,6 Hektar Ackerland, 37,6 Hektar Wiesen, 1,8 Hektar Gärten, 55,7 Hektar Weiden, 191,2 Hektar Wald – im Ganzen einschließlich der Wege, Gewässer, Hofräume, Gebäudeflächen 835,9 Hektar – hat bei 76 (!) Haushaltungen und 363 Einwohnern 7.785 (!) Parzellen; Herpf, 598 Einwohner, im selben Bezirk bei 1.808 Hektar Fläche, worunter 866 Hektar Wald, 10.973 Parzellen; Behrungen, 695 Einwohner, Gericht Römhild, 13.910 Parzellen bei 1.378 Hektar Fläche, worunter 320 Hektar Wald; Wolframshansen, 423 Einwohner, ebendort, 9.596 Parzellen bei 804 Hektar, worunter 145 Hektar Wald. “ (Heine, Die bäuerlichen Verhältnisse im Herzogthum Sachsen-Meininigen, in Bäuerliche Zustände in Deutschland, I, S. 10. Vergl, auch S. 28, S. 137 u. s. w.)
Die Zusammenlegung (Arrondirung, Verkoppelung, Separation &c.) der jedem einzelnen Grundbesitzer gehörenden Parzellen zu einem zusammenhängenden Bodenkomplex hat die besten Wirkungen. So wird z. B. aus dem Eisenacher Oberlande berichtet:
„Trotz des oftmals bedeutenden Beitrags zu den neuen gemeinschaftlichen Anlagen, 4 bis 6 Prozent, wird nach erfolgter Zusammenlegung sehr viel mehr geerntet als vorher, bedeutende Flächen bisher unbenutzten Areals werden durch Meliorationen ertragsfähig gemacht, Ränder, Hecken und Raine verschwinden, und der Grundwerth steigt oft schon kurze Zeit nach erfolgter Planlage um ein Beträchtliches, oft um den dritten Theil, es ist somit in den separirten Fluren eine auffallende Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse sehr bald zu erkennen und wahrzunehmen. “ (A. a. O., S. 31.)
Nach Meitzen berechnete man für die Feldmark Großen- und Altengottern (bei Mühlhausen in Thüringen) mit einer Bodenfläche von 12.934 Morgen den durch die Zusammenlegung der Grundstücke erzielten jährlichen Mehrertrag auf 59.339 Mark jährlich, pro Morgen also auf 4,58 Mark. Die Kosten betrugen inklusive Bewässerungsgräben, neuen Wegen, Brücken &c. 139.902 Mark, also pro Morgen 10,50 Mark, ungewöhnlich viel wegen der großen Entwässerungsarbeiten. (Der Boden &c. des preußischen Staates, I, 438)
Trotz dieser Vortheile macht die Zusammenlegung nur langsame Fortschritte. Eine der Ursachen davon ist in den Kosten zu suchen, die sie verursacht. Nicht nur die Prozedur selbst ist, wie wir eben gesehen, eine ziemlich kostspielige, die Zusammenlegung bedingt auch meist den Uebergang von der alten Dreifelderwirthschaft mit Weidegang zu höherer, intensiverer Wirthschaft, die mehr Kapital erfordert. Wo die nöthigen Geldmittel nicht vorhanden, kann die Zusammenlegung Ursache der Verschuldung des Landwirths werden, wo dieser schon tief verschuldet, kann sie ihn ruiniren.
Anderseits aber ist die Zusammenlegung für den Einzelnen allein nicht möglich; sie erfordert die Zustimmung aller an der Feldflur Betheiligten, da sie ja nur durch Austausch der einzelnen Parzellen untereinander geschehen kann. Das ist schwer so durchzuführen, daß keiner dabei verkürzt wird, und noch schwerer so, daß keiner sich dabei verkürzt fühlt. Bedenkt man noch den konservativen und mißtrauischen Charakter des Bauern, dann ist es klar, daß wir hier wieder einen Fall vor uns haben, wo das Privateigenthum am Grund und Boden dem Fortschritt ein unüberwindliches Hinderniß entgegenstellt.
Dies hat schon zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus dahin geführt, daß man das Privateigenthum am Grund und Boden vorübergehend aufhob, um den Fortschritt durchführen zu können. Der Liberalismus sah sich zu seinem Leidwesen genöthigt, hier ebenfalls die Heiligkeit des Privateigenthums anzutasten. Wo ein bestimmter Bruchtheil der Interessenten die Arrondirung verlangt, sind die anderen gesetzlich gezwungen, sie über sich ergehen zu lassen und ihr Eigenthum mit einem anderen zu vertauschen.
Trotzdem ist heute noch die Gemenglage keineswegs ein Ding der Vergangenheit und es ist in dieser Beziehung für die Verbesserung der Landwirthschaft noch viel zu thun.
Die Sozialdemokratie hat alle Ursache, diesen Fortschritt von zerstückeltem, irrationellem, mittelalterlichem Betrieb zu größerem, intensiverem, modernerem Betrieb zu begünstigen und soweit dies auf gesetzlichem Wege durch weitere Einschränkung der Rechte des Privateigenthums geschehen kann, wird sie sicher dort, wo sie auf diese Dinge Einfluß hat, es an sich nicht fehlen lassen.
Dagegen wird sie sehr vorsichtig sein müssen in Bezug auf die staatliche Subventionirung der Zusammenlegung, die von agrarischer Seite häufig verlangt wird. Die ganze Prozedur bedeutet eine Erhöhung der Grundrente – der Grundwerth kann, wie wir sahen, um ein Drittel steigen. Die staatliche Subvention ist von der Gesammtheit der Steuerträger zu zahlen, darunter auch Proletarier und Kleinbürger in gedrücktester Lage. Haben diese die Aufgabe, einen Theil ihres dürftigen Einkommens zu opfern, damit eine Reihe von Grundbesitzern erhöhte Grundrenten einstreichen? Es sind ja Fälle denkbar, in denen eine derartige Subvention am Platze ist, auch vom proletarischen Standpunkt, aber es kann unmöglich die Aufgabe einer proletarischen Partei sein, solche Geschenke au den Grundbesitz in ihr Programm aufzunehmen.
Neben der Einschränkung der Rechte des Privateigenthums wird ihre Aufgabe bei der Verkoppelung vielmehr eine andere sein müssen. Ist diese schließlich, nachdem das Uebergangsstadium überwunden, von unzweifelhaftem, bedeutendem Vortheil für den Grundbesitzer, so bedeutet sie eine Art Expropriation der ländlichen Proletarier.
Die Raine, Stoppelweiden &c. boten diesen die Gelegenheit, eine Ziege, selbst eine Kuh zu halten. Die Zusammenlegung beseitigt diese öffentlichen Weideplätzchen – in den Feldmarken Großen- und Altengottern wurden durch die Verminderung der Raine und Grenzfurchen 687 Morgen Kulturland gewonnen – und beraubt damit die Landproletarier der Möglichkeit, das für ihren Haushalt so wichtige Stück Milchvieh zu erhalten.
Anderseits werden auch die Zwergbauern durch die Zusammenlegung oftmals geschädigt. Diese kommt hauptsächlich dem Mittel- und Großbauern zu Gute, nicht dem Besitzer einiger weniger Grundstücke. Aber zu den Kosten der Zusammenlegung muß der kleine Besitzer pro Flächeneinheit eben so viel beitragen, wie der größere. Oft wurde er bei der Zusammenlegung auch noch geradezu betrogen, indem man ihm, der im Dorfe wenig zu sagen hat, die Felder an der Peripherie, also in der ungünstigsten, mit dem größten Zeitverlust verbundenen Lage zuwies.
So bedauerlich alles das ist, so kann es doch die Sozialdemokratie der Zusammenlegung nicht feindlich stimmen. Hier ist einer jener Fälle, in denen die Interessen einer proletarischen Schicht mit denen der ökonomischen Entwicklung in Widerspruch gerathen und die Sozialdemokratie dieser nicht hemmend in den Weg treten darf. Sie muß aber hier, wie bei Aufhebung von Hutweiden, Waldstreubezug und dergleichen dahin trachten, daß einerseits die Aufhebung eines Rechtes nicht zu einer einfachen Konfiskation wird, sondern durch eine entsprechende Entschädigung, etwa Gewährung von Landantheilen und dergleichen, wett gemacht wird, sowie anderseits, daß Ungerechtigkeiten in der Ausführung möglichst vermieden werden, theils dadurch, daß der kleine Besitzer im Dorfe und bei der Feldbereinigung gleiches Stimmrecht mit dem größeren erhält, theils dadurch, daß die Kosten durch eine progressive Grundsteuer aufgebracht werden. Wenn wir auch den ökonomischen Fortschritt nicht hindern können und dürfen, so müssen wir doch dahin trachten, daß er so schmerzlos als möglich sich vollzieht.
Die Grundsätze, die in der Frage der Zusammenlegung in Betracht kommen, werden uns auch bei den anderen Aufgaben leiten müssen, die sich aus dem Bestreben, die Landwirthschaft zu fördern, ergeben.
Wir fordern heute schon die Verstaatlichung von Wald und Wasser. Wo und solange aber das Privateigenthum daran nicht aufgehoben, werden wir jede zweckmäßige Einschränkung seiner Rechte zur Sicherung einer rationellen Wald- und Wasserwirthschaft gutheißen.
Im engsten Zusammenhange mit der Frage der Wasserwirthschaft steht die der großen Bodenmeliorationen oder der sogenannten Landeskultur, die im Wesentlichen nichts Anderes ist als der der Landwirthschaft dienende Theil der öffentlichen Wasserwirthschaft: die Ausführung von Entwässerungs- und Bewässerungsanlagen, Trockenlegung von Sümpfen, Gewinnung von Land durch Eindeichungen und dergleichen mehr.
Derartige Anlagen den Einzelnen zu überlassen ist unmöglich. In den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise war es der absolutistische Staat, der solche Anlagen unternahm und so auf eigene Kosten die Grundrente der Grundbesitzer erhöhte, wie er ja auch durch Subventionen die Profite der industriellen Unternehmer steigerte. Der liberale Staat hat in die Meliorationspolitik andere Grundsätze eingeführt. So sagt Meitzen von Preußen:
„Es bildete sich jetzt (in den vierziger und fünfziger Jahren) mit voller Bestimmtheit, im Gegensatz zu dem älteren System der Staatsanlagen, als Hauptgedanke des neueren Meliorationswesens, das Ziel aus, einerseits die lebendige Thätigkeit der Privaten auf Grund der Rentabilität der Unternehmungen entschieden in Anspruch zu nehmen, anderseits aber auch deren Unternehmungslust und Selbsthilfe durch jedes geeignete Mittel zu kräftigen und aufrecht zu halten. Im Sinne des Gesetzes nahm man keinen Anstand, da, wo polizeiliche Fürsorge zur Abwendung größerer Uebel gerechtfertigt war, die Privaten zu zweckmäßigen Meliorationen zu zwingen; andere Anlagen, die Nutzen versprachen, wurden wenigstens durch Hinweise, Vorarbeiten, technische Gutachten und Zusicherung von Hilfe angeregt; dagegen wurden aber auch in der gefahrvollen Zeit der Ausführung durch Unterstützung und Vorschüsse Stockungen möglichst beseitigt, die thätige genossenschaftliche Beihilfe Aller, die von der Anlage Nutzen haben, auf die thunlichste Weise herbeigeführt und den Genossenschaften gesetzlich und thatsächlich die volle Kraftentwicklung gesichert, zu der sie nach Lage der Verhältnisse irgend fähig und bereit war.“ (Der Boden &c. des preußischen Staates, I, S. 468)
Wieder einen anderen Grundsatz führt die Sozialdemokratie ein: sie strebt nach Verstaatlichung der Wasserwirthschaft, aber nicht im Sinne des absoluten Staates, daß der Staat ihre Kosten ausbringen und die Grundeigenthümer den Vortheil davon haben sollen; das Gemeinwesen soll Herr der Wasserläufe bleiben und ihre Erträge ebenso wie die Ertragssteigerungen des Landes, die seiner Wasserwirthschaft entspringen, sollen ihm zu Gute kommen.
Wo das nicht möglich, wo das Privateigenthum am Boden dem hindernd im Wege steht und nicht zu beseitigen ist, da bleibt nichts übrig, als auf dein liberalen Standpunkte zu beharren: Durchführung der Meliorationen nicht durch den Staat, sondern durch Genossenschaften der betheiligten Grundbesitzer auf deren Kosten; dann hat die Staatshilfe bei der Landeskultur nicht in Geschenken an die Grundbesitzer, sondern in der Einschränkung der Rechte ihres Eigenthums, in der Ueberwindung des Widerstands der widerstrebenden Elemente zu bestehen, ohne deren Mitthun das Meliorationswerk nicht durchgeführt werden könnte.
Eine Ausnahme wäre nur dann zu machen, wenn eine Melioration nicht oder nicht ausschließlich dem Interesse des Grundbesitzes, sondern auch einem öffentlichen Interesse diente, etwa bei der Verbesserung des Klima durch Trockenlegung eines Sumpfes, Schaffung eines Verkehrswegs durch einen Kanal. Da kann und muß die staatliche Wasserwirthschaft direkt eingreifen.
Aber auch in diesem Falle wird man verlangen müssen, daß die betheiligten Grundbesitzer zu den Kosten des Unternehmens in dem Verhältniß beitragen, in dem ihre Grundrente dadurch wächst, und man wird ihre Expropriirung fordern müssen, wenn sie zu einem entsprechenden Beitrag sich nicht verstehen wollen. Wollte die italienische Regierung etwa die römische Campagna drainiren, so würde dadurch Rom und ganz Italien gewinnen. Trotzdem wäre es höchst überflüssig, wenn sie dieses öde Gebiet für seine reichen Besitzer, die römische Kirche und die römischen Fürstenfamilien, auf Kosten des armen italienischen Volkes in einen blühenden Landstrich verwandeln wollte.
Aber nicht nur die Rücksicht auf das Proletariat spricht gegen die Aufwendung von öffentlichen Mitteln zu Kulturarbeiten, die nicht im öffentlichen Interesse dringend geboten sind, sondern auch die Rücksicht auf die Rentabilität dieser Arbeiten. Es sieht ja sehr kulturfreundlich aus, wenn man etwa von Moorkultur oder der Gewinnung von Meeresboden für den Ackerbau spricht, aber es ist offenbar, daß derlei Arbeiten – ausgenommen wie gesagt solche, die öffentlichen Zwecken, etwa der Hygiene &c. dienen – nur dann in Angriff zu nehmen sind, wem sie einen Ueberschuß über die Kosten der Arbeit abzuwerfen versprechen.
Der aufgeklärte Absolutismus des vorigen Jahrhunderts, der großen kapitalistischen Thatendraug entwickelte, aber sehr schlecht kapitalistisch zu rechnen verstand, hat derlei Versuche, sein Grundrente tragendes Kulturland zu erweitern, einigemale recht theuer bezahlt. Besondere Vorsicht ist aber heute in der Periode der sinkenden Grundrente geboten. Eine Zeit, in der die kapitalistische Akkumulation tagtäglich neue ungeheure Flächen des fruchtbarsten jungfräulichen Bodens außerhalb Europas dem Verkehr eröffnet, in der in Europa selbst fruchtbarer Ackerboden in Viehweide, ja in Wald zurückverwandelt wird, ist gerade nicht am geeignetsten dazu, große Kosten aufzuwenden, um mühsam einige Flecke unfruchtbaren Terrains in Kulturland zu verwandeln. Roscher zitirt eine Schrift (Aufzeichnungen eines nachgeborenen Prinzen), die schon 1841 in Bezug auf bayerische Landeskultur sagte:
„Wenn man in Bayern mitten im Walde und auf dem herrlichsten Boden Trümmer von Dörfern aus der Zeit vor dem dreißigjährigen Kriege findet, so beklagt man umsomehr die Kapital- und Menschenkräfte, die in das elende Donaumoos gesteckt sind.“ (Nationalökonomik des Ackerbaus, S. 122)
Schon gar nicht kann die Rede davon sein, durch solche Landeskulturarbeiten der Noth der Landwirthschaft oder gar der Bauernschaft abzuhelfen. Was ihr fehlt, ist nicht Land.
Allerdings bleiben auch noch zahlreiche Meliorationen unausgeführt, die rentabel wären; was ihre Durchführung hindert, ist weniger der Mangel an Geld, als das Privateigenthum am Boden, die Zersplitterung des Bodens unter viele Grundeigenthümer. Geld kann man borgen und bekommt es geborgt, wenn das Unternehmen, dem es dienen soll, ein aussichtsreiches, aber die meisten Meliorationen können nur auf großem Gebiet durchgeführt werden, nicht von einzelnen Grundbesitzern für sich allein. Sie werden nur möglich, wenn es gelingt, alle Grundbesitzer unter einen Hut zu bringen. Das ist jedoch sehr schwer. Trägheit, Unwissenheit, Mißtrauen stehen dem im Wege, auch sind die Vortheile von großen Meliorationen für jeden der Betheiligten andere.
Nur die Einschränkung des Eigenthumsrechts kann da die nöthige Einheitlichkeit feststellen, der staatliche Zwang. Sobald ein gewisser Theil der Betheiligten es verlangt und das Projekt sich als zweckmäßig erweist, müssen die Widerstrebenden gezwungen werden können, ihr Land zur Durchführung desselben herzugeben und an den Kosten theilzunehmen. Für diese Methode der Förderung der Landeskultur wird die Sozialdemokratie stets zu haben sein.
Nicht minder wichtig, wie das Meliorationswesen, ist die Bekämpfung der Schädlinge, die die Kulturthiere und Kulturpflanzen und damit die Existenzbedingungen des Kulturmenschen bedrohen.
Wir haben im ersten Abschnitt bereits darauf hingewiesen, daß die moderne Produktionsweise für die Gesundheit der Kulturthiere und Kulturpflanzen immer schwerere Gefahren heraufbeschwört, den Vieh- und Pflanzenseuchen Thür und Thor öffnet.
Eine Folge dieser Verhältnisse sind die neuesten Erschwerungen der Vieh- und Obsteinfuhr. Aber so groß die wirkliche Gefahr für die Landwirthschaft ganzer Landstriche und Länder ist, durch die Einfuhr verseuchter Exemplare dem Ruin entgegengeführt zu werden, so bildet sie doch bei den Einfuhrerschwerungen häufig nur das Aushängeschild, hinter dem sich nicht hygienische, sondern protektionistische Absichten verbergen, indem sie z. B. beim Vieh nicht nur die Einfuhr verseuchten Viehs, sondern von Vieh überhaupt erschweren oder geradezu unmöglich machen. Was verlangt werden muß, ist nicht die Absperrung vom Auslande, sondern einzig und allein von den Seuchenherden, einerlei, ob sie im Inland oder im Ausland liegen, und die ersteren sind offenbar die gefährlicheren, weil näher liegenden und in regerem Verkehr mit dem Lande stehenden. Alle Vorsichtsmaßregeln an der Grenze sind nutzlos, wenn sie nicht Hand in Hand gehen mit einer energischen Bekämpfung der Seuche im Innern.
Hier tritt aber wieder als größte Schwierigkeit auf das Privateigenthum. Eine jede Bekämpfung einer Seuche, möge es eine von Pflanzen oder Thieren sein, ist aussichtslos, wenn sie nicht gleichzeitig an allen bedrohten Punkten entschieden und sachgemäß vor sich geht. Wenn alle Viehbesitzer ihre verseuchten Ställe desinfiziren und einer unterläßt es, so genügt dies, das eben gebannte Uebel von Neuem wieder auftauchen zu lassen. Wenn alle Weinbergbesitzer einer Gegend der Phylloxera zu Leibe rücken und einer sich davon ausschließt, so wird die Reblaus immer wieder die Weinberge der Anderen heimsuchen. Da hilft nur eine, wenigstens vorübergehende, Aufhebung der Eigenthumsrechte; an Stelle der Freiheit der Wirthschaft muß der staatliche Zwang treten.
Und nicht nur zur Bekämpfung des Uebels, wenn es einmal da, ist dieser geboten. Auch hier wie überall ist Prophylaxis die beste Politik. Nicht nur sind eventuelle Feinde des Schädlings, z. B. des Kartoffelkäfers, zu schonen und zu züchten, sondern auch Vorkehrungen ihn Bodenanbau, in der Anlage der Ställe und dergleichen, die sich als nothwendig herausstellen, sind zwangsweise durchzuführen. Wie für Wohnungen kann man auch für Viehställe bestimmte hygienische Vorschriften erlassen und durch Inspektoren für ihre Durchführung sorgen.
Zur Bekämpfung der Tuberkulose der Kühe hat man ihre zwangsweise Impfung mit Tuberkilin, die Separirung der kranken von den gesunden Thieren und die Auffütterung der Kälber mit sterilisirter Milch vorgeschlagen. In Dänemark soll die Impfung ausgezeichnete Resultate ergeben haben. In Frankreich wird alles importirte Rindvieh der Impfung unterworfen. Wir erlauben uns über den Nutzen der Tuberkulinimpfung kein Urtheil, aber wenn er feststeht, müßte ihre zwangsweise Durchführung sicher unseren Beifall finden.
Scheu vor den Eigenthumsrechten wird die Sozialdemokratie nie vor Zwangsmaßregeln zurückschrecken lassen, die sich als nothwendig herausstellen, um den Schädlingen der Landwirthschaft zu Leibe zu rücken. Allerdings wird sie aber auch auf die möglichst zweckentsprechende Durchführung derartiger Maßregeln zu sehen haben.
Heute schon sieht die Staatsgewalt sich genöthigt, der Noth gehorchend, nicht dein eigenen Triebe, zur Bekämpfung von Thier- und Pflanzenseuchen in die Eigenthumsrechte durch Zwangmaßregeln einzugreifen. Diese liegen im Interesse der Landwirthe selbst, und doch stoßen sie oft auf deren hartnäckigsten Widerstand. Daran ist nicht nur Unwissenheit und Trägheit Schuld, sondern auch das Mißtrauen, das der Bauer gegen die Organe der Staatsgewalt hegt, die ihm in der Regel als Organe der Unterdrückung und Aussaugung, als Polizisten und Steuerexekutoren gegenübertreten, und von deren bureaukratischer Verzopftheit er kein Verständniß für die Bedürfnisse der Landwirthschaft erwartet.
Je weiter man die Zwangsgewalt des Staates in der Seuchenbekämpfung ausdehnt, desto mehr wird man auf der eine Seite für die Aufklärung der Landbevölkerung, und zwar nicht nur gelegentliche, sondern systematische, und anderseits dafür sorgen müssen, daß die Erlassung und Ausführung der Zwangsmaßregeln nicht von Juristen, Polizisten und gewesenen Unteroffizieren, sondern von theoretisch und praktisch gebildeten Fachmännern in möglichstem Einvernehmen mit den Organen der demokratischen Selbstverwaltung der Gemeinden oder Kreise geübt wird.
Wer aber soll die Kosten dieser Maßnahmen tragen? Der Staat? Das heißt, den Konsumenten einen Theil der Produktionskosten der Landwirthschaft aufhalsen, auf ihre Kosten die Grundrente erhöhen. Es wäre es unbillig, jenen Landwirtheil, deren Betriebe unter der Seuche leiden, allein die Bezahlung von Maßregeln aufzuerlegen, die im Interesse aller Landwirthe liegen. Auch läge darin ein starker Anreiz für den Einzelnen, den Ausbruch einer Seuche in seinem Stalle oder auf seinem Grundstück zu verheimlichen.
Es werden daher vielfach diese Kosten der Gesammtheit der betheiligten Landwirthe auferlegt, und man ist dahin gekommen,
„für gewisse Seuchenkrankheiten – Rinderpest, Rotz, Lungenseuche, Milz- und Rauschbrand – bei deren rechtzeitiger Anzeige für den Fall der Tödtung, beziehungsweise für den Fall eines nach erfolgter Anzeige eingetretenen Verlustes eine Entschädigung zuzuerkennen; insoweit dies der Fall ist, kann sie also der Besitzer gegen den Verlust ans bestimmten Seuchenfällen für versichert erachten, und man spricht deshalb da, wo die Entschädigungsleistungen auf die Gesammtheit der Thierbesitzer umgelegt werden, von einer Seuchenzwangsversicherung. Dem Wunsche der ländlichen Bevölkerung, daß in diese Seuchenzwangsversicherung auch andere Seuchenkrankheiten, wie namentlich die Perlsucht des Rindes und die Rothlausseuche der Schweine mit der Zeit inbegriffen werden, ist Erfüllung zu gönnen.“ (Buchenberger, Grundzüge der Agrarpolitik, S. 188)
Gegen diese Art staatlicher Versicherung ist sicherlich nichts einzuwenden.
Damit sind wir aber bei einer neuen Frage angelangt, der Bedeutung der staatlichen Versicherung in der Landwirthschaft.
Man behauptet gern, in der Landwirthschaft spiele die Versicherung eine ganz andere Rolle als in der Industrie, und wenn man auch nicht daran denken könne, in dieser die privaten Betriebe staatlich gegen die Folgen aller möglichen Unfälle zu versichern, so sei dies doch für jene geboten. Denn die Landwirthschaft sei ganz den Launen der Naturfaktoren unterworfen, die in der Industrie dem Menschen gebändigt gegenüberständen.
Aber der ununterbrochene Fortgang des Betriebs hängt für den Waarenproduzenten nicht blos von natürlichen, sondern auch von gesellschaftlichen Faktoren ab, und diese sind für die Industrie launenhafter als für die Landwrthschaft. Hängt letztere mehr von den Launen der Natur ab, so weniger von den Launen des Marktes. Die Roh- und Hilfsstoffe, die der Industrielle kaufen muß, produzirt der Landwirth zum großen Theil selbst, und bei aller auswärtigen Konkurrenz ist der Absatzmarkt für den Landwirth ein gesicherterer, von der Mode weit weniger abhängiger als für den Industriellen. Ja, oft wird für jenen die Unbill der Natur durch den Markt in ihr Gegentheil verdreht; eine Mißernte kann eine Preissteigerung herbeiführen, die den Minderertrag mehr an ausgleicht.
Außerdem ist aber gerade gegen die verheerendsten Unfälle der Landwirthschaft eine Versicherung gar nicht möglich; denn diese ist nur für solche Mißgeschicke am Platze, die unter zahlreichen Individuen in der Regel verhältnißmäßig wenige heimsuchen, so daß ein geringer Betrag jedes Einzelnen genügt, die von Unfällen Betroffenen ausreichend zu entschädigen. Dürre oder nasse Sommer, strenge Winter, Hochflutheil sind aber Heimsuchungen, die ganze Landstrecken, ja ganze Staaten treffen und die, wie z. B. Ueberschwemmungen, so massenhaftes Elend hervorrufen, daß die Versicherung dagegen ohnmächtig wäre. Hier hilft nur die Aufwendung aller Kräfte, die dem Gemeinwesen zu Gebote stehen, und auch die nicht immer in zureichender Weise.
So lange die Sozialdemokratie nicht Grund hat, die Verstaatlichung des gesammten Versicherungswesens in Stadt und Land zu fordern, dürfte sie kaum einen Grund haben, gerade das Versicherungspesen auf dem Lande in Pausch und Bogen verstaatlichen zu wollen.
Damit ist nicht gesagt, daß nicht einzelne, der Landwirthschaft eigenthümliche Versicherungszweige heute schon ein gewisses Eingreifen des Staates erfordern können, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Solche Versicherungszweige sind die Vieh- und die Hagelversicherung.
Die Versicherung des Viehs ist eine doppelte: die gegen Seuchengefahr ist von vornherein eine staatliche, wie wir gesehen, da sie ein Stück der staatlichen Seuchenpolizei bildet. Daneben kommt aber noch in Betracht die Versicherung gegen Todesfälle des Viehs, die nicht durch Seuchen verursacht sind.
Diese Art Versicherung ist auf die viehhaltenden Kleinbetriebe beschränkt. Im Großbetrieb ist das Eingehen eines einzelnen Stückes Vieh kein Vorfall, der den Betrieb in empfindlicher Weise stört. Je größer der Viehbesitz, desto mehr wird der Verlust eines Stückes davon ein in ziemlich regelmäßigen Zeiträumen wiederkehrendes Vorkommniß, das einen Theil der unvermeidlichen Unkosten des Betriebs ausmacht. Wie ein großer Rheder versichert der Besitzer eines großen Viehstands sich am besten bei sich selbst.
Anders der kleine Bauer. Steht dem etwa eine Kuh um, so bedeutet das für ihn einen empfindlichen Schaden, oft eine verhängnißvolle Hemmung des ganzen Betriebs. Seine Einnahmen sind zu dürftig, als daß er regelmäßig daraus einen Amortisationsfonds seines Viehbestands zurücklegen könnte, und einzelne Unfälle können sein Vieh hinwegraffen, ehe es noch seine Zeit ausgedient hat. In solchen Fällen bleibt dem nichtversicherten Bauern nichts übrig, als den Kredit des Viehhändlers in Anspruch zu nehmen, der so die Gelegenheit bekommt, ihn gleichzeitig als Händler und als Wucherer in der wirksamsten Weise auszubeuten.
Es liegt nahe, daß die viehbesitzenden Bauern etwa eines Dorfes zusammentreten, und sich gegen solche Unfälle in der Weise zu versichern, daß sie die Kosten jedes einzelnen Unfalls gemeinsam tragen. Diese Art Viehversicherung gehört zu jenen Bestrebungen, die durch genossenschaftlichen Zusammenschluß dem Kleinbetrieb die Vortheile des Großbetriebs verschaffen wollen. So nützlich, ja nothwendig diese Bestrebungen sind, so zeigen sie sich doch auch hier nur als ein dürftiges Surrogat des Großbetriebs.
Dieser, der sich selbst versichert, verliert durch die Versicherung weder an Mitteln noch an Interesse, durch entsprechende Prophylaxe den Viehverlusten möglichst vorzubeugen. Ganz anders der Bauer. Sein Vieh wird von vornherein am meisten gefährdet durch seinen Mangel an Mitteln, durch mangelhafte Stallungen und mangelhafte Fütterung. Die Zahlung der Viehversicherungsprämie verbessert seine Situation in dieser Beziehung sicherlich nicht. Bis zu einem gewissen Grade kann der Bauer den Mangel an Mitteln durch größere Sorgfalt ausgleichen, die er dem Vieh angedeihen läßt. Die Versicherung wirkt aber dahin, ihm diese Sorgfalt überflüssig erscheinen zu lassen. Oft kann die Versicherung für den Bauern geradezu eine Verlockung werden, unzureichendes Vieh krepiren zu lassen, um es durch besseres auf Kosten der Versicherungsgesellschaft ersetzen zu können.
So alt daher die Versuche der bäuerlichen Viehversicherung sind – Kuhgilden finden sich schon im 16. Jahrhundert – und so eifrig das Kapital nach Gebieten sucht, die es sich unterwerfen könnte, es hat sich von der Viehversicherung bis heute recht fern gehalten, und wo es an sie herantrat, hat es mit ihr meist üble Erfahrungen gemacht. Wo die Bauern sich untereinander versichern, da können sie ihre Viehhaltung gegenseitig bis zu einem gewissen Grade kontrolliren. Bei der Viehversicherung durch kapitalistische Unternehmungen wird das ganz unmöglich. Die kapitalistische Viehversicherung ist stets in Gefahr, vom Bauern betrogen zu werden. Will sie Geschäfte machen, dann wird sie trachten, den Bauern zu betrügen. Diese Viehhändlerpraxis im Kleinen behagt aber nicht dem Großkapital. Es überläßt daher die Viehversicherung großmüthig dem Staate und der Gemeinde – auch eine Art Sozialismus.
Bisher ist die Viehversicherung in der Regel nicht über kleine lokale Vereinigungen hinausgekommen, die dem einzelnen Vereinsmitglied bei Viehverlusten in der einen oder anderen Weise beisprangen. Das sind Vereinigungen von Leuten, die einander genau kennen, so daß die Kontrolle eine leichte und einfache und Schädigungen der Gesammtheit durch Nachlässigkeit oder gar Betrug des Einzelnen möglichst erschwert sind. Aber diesen Vortheilen steht der Nachtheil der Kleinheit des Kreises der Versicherten gegenüber, der leicht bei einer lokalen Häufung von Viehunfällen, etwa in Folge einer Futternoth, versagt, wodurch die ganze Versicherung illusorisch gemacht wird.
Hier soll nun der Staat eingreifen, entweder blos dadurch, daß er die einzelnen Ortsvereine in Zusammenhang miteinander bringt und es so ermöglicht, daß eine zeitweilige außergewöhnlich schwere Belastung des einen oder des anderen dieser Vereine von den anderen mitgetragen und dadurch erträglicher wird, oder auch dadurch, daß er einen Beitrittszwang für die einzelnen Viehbesitzer ausspricht und dadurch den Kreis der Versicherten erweitert.
Das Proletariat zieht, wo es kam, die freie, demokratische Organisation der durch die staatliche Bureaukratie ihm aufoktroyirten vor; dies gilt auch für seine Versicherungsorganisationen; es bedarf nicht der Hilfe der Staatsgewalt, um seinen Gewerkschaften und Hilfskassen eine nationale Ausdehnung zu geben. Aber wenn die Bauern das Bedürfniß nach einer nationalen Zusammenfassung ihrer lokalen Versicherungsvereine empfinden, gleichzeitig aber sich für unfähig erklären, sie selbst durchzuführen, und die Hilfe der sonst von ihnen auch allzu freundlich angesehenen staatlichen Bureaukratie dazu anrufen, so braucht das Proletariat dem keine Hindernisse in den Weg zu legen. Kann es dabei behilflich sein, so liegt kein Grund vor, daß es diese Hilfe nicht leistet.
Anders läge freilich die Sache, wenn die Anrufung des Staates ein Mittel werden sollte, einer Reihe von Landwirthen Subventionen auf Kosten der Steuerzahler zuzuschanzen, wenn etwa der Staat durch eine reichliche Dotirung der Versicherungskasse es den Landwirthen ermöglichen wollte, ihren Viehbestand auf Staatskosten zu erneuern. Für solche Liebesgaben kann eine proletarische Partei nicht eintreten,
Anders als mit der Viehversicherung steht es mit der Hagelversicherung. Die Möglichkeit, daß die Versicherung zu nachlässiger oder betrügerischer Wirthschaft führt, ist hier völlig ausgeschlossen. Anderseits ist die Hagelgefahr eine, die den Großbetrieb ebenso bedroht wie den Kleinbetrieb; ein Hagelschlag kann ein großes Gut auf einmal in Grund und Boden hinein verwüsten wie ein kleines. Kann die staatliche Viehversicherung unter Umständen eine Hemmung der landwirthschaftlichen Entwicklung werden, eine Stärkung des kleinen, irrationellen Betriebs auf Staatskosten, so ist das bei der Hagelversicherung ganz unmöglich.
Diese unterscheidet sich aber von der Viehversicherung auch dadurch, daß, während diese gegen Gefahren versichert, die hie und da einen oder den anderen Landwirth in einem Theile seines Inventars bedrohen, jene gegen Gefahren versichert, die in ganzen Ortschaften, ja ganzen Landstrichen jeden Betrieb vollständig lahmlegen. Die Hagelschäden ähneln in dieser Beziehung den Hochwasserschäden, beschränken sich aber doch zumeist auf kleinere Landstriche, so daß, im Gegensatz zu diesen, eine Versicherung gegen sie ohne allzugroße Belastung der Betheiligten möglich ist, wenn deren Kreis ein genügend weiter.
„Wie wenig lebensfähig eine Hagelversicherungsorganisation auf eng umschriebenem Gebiet ist, zeigt der seiner Zeit erfolgte Zusammenbruch der Hagelversicherungsvereine in Württemberg und Hessen und die Thatsache, daß kleine Gegenseitigkeitsgesellschaften häufig außerordentlich starke Vorschüsse erheben müssen (z. B. Ceres in Berlin in den vier Jahren 1887–1890: 175, 99, 1331/3, 100 Prozent der Vorprämie).“ (Buchenberger, Agrarpolitik, S. 176)
Einer Allgemeinheit der Versicherung dort, wo sie privaten Unternehmungen überlassen ist, steht aber die Unregelmäßigkeit der Hagelwetter in den meisten Gegenden ebenso hinderlich im Wege, wie die Vorliebe, mit der sie einzelne Oertlichkeiten aufsuchen. In Gegenden, in denen eine Zeitlang kein Hagelwetter aufgetreten, bildet sich leicht ein Gefühl der Sicherheit, das namentlich den Bauer, der an baarem Geld nicht an Ueberfluß leidet, vor der Versicherung zurückschrecken läßt. Die von Hagel besonders gefährdeten Gegenden wieder wollen die privaten Gesellschaften gar nicht oder nur gegen unerschwingliche Prämien versichern.
Daher hat sich das Bedürfniß nach einer staatlichen Organisation der Hagelversicherung herausgestellt, die in Bayern und Baden schon in gewissem Maße eingeführt ist, und auch die Forderung eines staatlichen Versicherungszwangs läßt sich begründen durch die Verheerungen, die ein Hagelschlag anrichten kann und die dort, wo keine Versicherung vorhanden, eine solche Fülle von Noth schaffen, daß vielfach, wie bei Hochwasserschäden, der Staat gezwungen ist, einzugreifen und Hilfe zu leisten. Aber gerade diese Nothwendigkeit der staatlichen Hilfeleistung dort, wo die Versicherung versagt, rechtfertigt auch eine Subventionirung durch den Staat, da sie diesem die Kosten der außergewöhnlichen Hilfsaktionen abnimmt.
So wenig wir sonst für die Erweiterung der Machtbefugnisse und der sozialen Funktionen des Polizeistaats schwärmen, die staatliche Hagelversicherung scheint uns eine sehr zweckmäßige Maßregel zu sein.
Aber man darf die möglichen Wirkungen der Versicherung, der privaten wie der staatlichen, nicht unterschätzen. So nützlich sie für den Einzelnen ist, der von einem Schaden betroffen ist, so bedeutet sie doch für die Anderen, die den Schaden zu tragen haben, eine neue Steuer, die umsomehr wächst, je zahlreicher die Gebiete der Versicherung und je größer der Umfang der Schädigungen, deren Kosten die Versicherten zu tragen haben.
Diese Schädigungen nehmen aber immer mehr zu mit der Zunahme der modernen Kultur – nicht nur Viehseuchen und Schädigung von Nutzpflanzen sowie Hochfluthen werden durch sie in immer steigendem Maße hervorgerufen, sondern auch Hagelwetter, die, wenn die Theorie des Oberförsters Rinicker in Aargau richtig ist, am liebsten über abgeholzten Höhen sich bilden, also durch die Abnahme der Waldungen begünstigt werden. Die Versicherung läßt die Ursachen der Schädigungen völlig unberührt; sie versagt, wie wir bereits oben bemerkt, gerade den schlimmsten Heimsuchungen gegenüber, die den Landwirth treffen. Sie kann daher nur als ein dürftiges Surrogat für Maßnahmen gelten, die bestimmt sind, den Landwirth unabhängiger zu machen von den Launen der Natur und diese ihm zu unterwerfen. Rationelle Wald- und Wasserwirthschaft, die Hochfluthen und Hagelschäden mindert, Bewässerungsanlagen, die der Dürre, und Entwässerungsanlagen, die der Nässe entgegenwirken, rationelle Zuchtwahl der Nutzthiere und Nutzpflanzen, die nicht blos die Ertragsfähigkeit, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der veredelten Rassen zu heben strebt, Schutz der insektenfressenden Vögel, hygienische Stallbauten, angemessene Fütterung und dergleichen, das sind Maßnahmen, die weit wichtiger sind als die Versicherung. Aber freilich, gar manche derselben steht zu sehr in Widerspruch zu den Existenzbedingungen des Kleinbauern! Man verlange von diesem rationelle Viehzüchtung und Viehhaltung in geräumigen, sauberen Ställen!
Die Viehversicherung der Ortsvereine ist, wie wir gesehen, ihn Grunde genommen ein Versuch, durch genossenschaftliche Organisation einen der Vortheile des Großbetriebs zu gewinnen. Auch bei der Besprechung des Meliorationswesens hatten wir die Genossenschaftsfrage zu streifen. Ihr seien hier noch einige Worte gewidmet als Abschluß unserer Betrachtungen über die Mittel zur Förderung der Landwirthschaft, die von der Sozialdemokratie zu verfechten sind. Wir können uns kurz fassen, da wir um in einem früheren Kapitel eingehender über die Rolle der Genossenschaften in der Landwirthschaft geäußert.
Man darf wohl sagen, daß die Sozialdemokratie dem Genossenschaftswesen im Allgemeinen und so auch dem landwirthschaftlichen im Besonderen sympathisch gegenübersteht. Wir überschätzen es keineswegs; wir betrachten es nicht als ein Mittel, die bäuerliche Betriebe zu retten, denn es ist dem Großbetrieb ebenso zugänglich wie dem Kleinbetrieb, und wo es diesen stärkt, verwandelt es gleichzeitig seinen Besitzer entweder in einen kapitalistischen Ausbeuter oder in einen Ausgebeuteten. Wir betrachten die Genossenschaften von Landwirthen auch nicht als ein Uebergangsstadium zum Sozialismus, außer in dem Sinne, in dem jede Aktiengesellschaft, jeder Großbetrieb überhaupt ein solches Uebergangsstadium darstellt. Aber die Genossenschaften sind auf jeden Fall – in in der Landwirthschaft weit mehr, als in der Industrie – ein kräftiges Mittel der ökonomischen Entwicklung und des Uebergangs vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb, und sie sind dem eigentlichen kapitalistischen Mittel dieser Entwicklung, der Expropriation des kleinen Eigenthum weit vorzuziehen. Wir können die letztere Methode der Entwicklung in der heutigen Gesellschaft nicht hindern, wir dürfen sie aber nicht unterstützen. Wo darf man dies dem Genossenschaftswesen gegenüber thun.
Aber wir müssen uns darauf beschräukeu, etwaige gesetzliche Hindernisse seiner Entfaltung hinwegzuräumen Dagegen hieße seine staatliche Subventionirung auch hier wieder nichts Anderes, als einzelnen Kreisen von Besitzenden zur Verbesserung ihrer persönlichen Stellung eine Subvention durch das Proletariat zuschanzen. Sie liegt nicht einmal im Interesse der Genossenschaften selbst, indem sie faule Gründungen und leichtfertige Geldgebahrung begünstigt. Wir wolle dabei ganz absehen davon, daß die Verfügung über einen Fonds zur Subventionirung von Genossenschaften für jede Regierung, namentlich in nicht demokratischen Staaten, ein Mittel zur Erkaufung politischer Sympathien, ein Korruptionsmittel nach Art des Welfenfonds werden kann.
Ein gut Theil der Genossenschaften weist daher selbst die Subventionirung durch den Staat zurück. (Vergl. darüber z. B. die Artikel von Dr. H. Crüger in der Sozialen Praxis, VI, 338, VII, 203.) Man mag das Manchesterthum nennen, aber Staatshilfe an Private zur Förderung ihrer privaten Interessen ist keineswegs Sozialismus. Eine Sozialreform, die die landwirthschaftliche Waarenproduktion dadurch konservirt, daß sie dem Unternehmer den Profit läßt, das Risiko dem Staat, das heißt der Masse der Bevölkerung, aufbürdet, ist zweifellos für die Agrarier ein verlockendes Ideal, sie ist aber weder in großem Maßstabe durchzuführen noch im Interesse des Proletariats gelegen.
Außer den hier erwähnten giebt es noch ein wichtiges Mittel, die Landwirthschaft zu fördern, ohne die ökonomische Entwicklung aufzuhalten, ja ein Mittel, welches diese vielmehr auf das Stärkste beschleunigt: die Verbreitung fachlicher Bildung.
Das Wichtigste, was darüber zu sagen, haben wir schon oben gesagt, wo wir von der Volksschule handelten. Daß die Sozialdemokratie bereit ist, die landwirthschaftliche Bildung ebenso wie die gewerbliche auch über das Maß der Volks- und Fortbildungsschule hinaus in jeder Weise zu fördern, daß sie nicht geizt, wo es sich um Einführung oder Verbesserung von landwirthschaftlichen Mittel- und Hochschulen, von landwirthschaftlichen Laboratorien und Versuchsstationen, Anlegung von Musterwirthschaften, Veranstaltung von Ausstellungen und dergleichen mehr handelt, bedarf keiner weiteren Ausführung.
Wir glauben nunmehr die wesentlichsten Momente berührt zu haben, die für die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft und das Eingreifen der Sozialdemokratie in diesen Prozeß in Betracht kommen. Daß unser Standpunkt das „Sozialmanchesterthum“ bedeutet, wird nach unseren Ausführungen wohl Niemand mehr behaupten wollen. Aber daß unsere Forderungen vielfach nicht über die Grenzen eines bürgerlichen, demokratisch-sozialreformerischen Agrarprogramms hinausgehen, und daß sie an „Radikalismus“ durch manches Programm von Agrariern oder Bodenreformern übertroffen werden, geben wir gern zu. Wir trösten uns über diesen Mangel damit, daß wir hoffen, in unserer Agrarpolitik die Einheitlichkeit der industriellen und der landwirthschaftlichen Entwicklung gewahrt zu haben, daß unser Standpunkt hier wie dort in vollem Einklang steht, daß wir in der Landwirthschaft nicht das Gegentheil dessen verlangen, was uns in der Industrie als nothwendig erscheint. Agrarier und Bodenreformer brauchen sich nicht darum zu kümmern, ihnen erscheint die Landwirthschaft als ein selbständiges Ganzes; der Sozialdemokrat darf sie aber blos als Theil eines Organismus betrachten, der sich nur im Einklang mit diesem entwickeln kann.
Die Praktiker werden vielleicht manche von uns erhobene Forderung nicht zweckmäßig finden. Bei der Prüfung ihrer Zweckmäßigkeit kommt es darauf an, ob sie geeignet sind, die Entwicklung der Landwirthschaft zu fördern, nicht aber etwa darauf, ob sie geeignet sind, die Bauern zu gewinnen. Wir geben von vornherein zu, daß manche unserer Forderungen, nicht nur solche, die sich auf den Arbeiterschutz beziehen, sondern auch solche, die der Beschränkung der Eigenthumsrechte am Boden gelten, gerade das Gegentheil von Gewinnen der Bauern bewirken dürften.
Sollte es sich aber herausstellen, daß Methoden, die zweckmäßig sind zur Hebung der Landwirthschaft auf eine höhere Stufe, nicht zweckmäßig sind zur Gewinnung des Beifalls der Bauernschaft, so würde das wohl nicht die Unzweckmäßigkeit jener Methoden, sondern die Unzweckmäßigkeit der heutigen kleinbäuerlichen Betriebsweise anzeigen.
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Zuletzt aktualisiert am 26.2.2012