Karl Kautsky


Die Agrarfrage




Erster Abschnitt
Die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft


VI. Großbetrieb und Kleinbetrieb


a) Die technische Ueberlegenheit des Großbetriebs

Je kapitalistischer die Landwirthschaft wird, desto mehr entwickelt sie einen qualitativen Unterschied der Technik zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb.

In der vorkapitalistischen Landwirthschaft bestand ein solcher, wie schon angedeutet nicht, wenn wir absehen vom Plantagensystem und ähnlichen Betriebsformen, die für uns hier nicht in Betracht kommen. Der Grundherr bebaute sein Land mit den menschlichen und thierischen Arbeitskräften und den Werkzeugen seiner dienstpflichtigen Bauern, Was er selbst dazu lieferte, war geringfügig und den bäuerlichen Produktionsmitteln nicht überlegen. Die größere Zahl seines Gesindes diente in erster Linie den größeren Bedürfnissen seines Haushalts, und beeinflußte nicht die Weise des Feldbaus. Auch durch eine zusammenhängende große Fläche unterschied sich nicht das Herrngut vom Bauerngut. Die Grundstücke des Herrn bildeten ebenso wie die der Bauern zerstreut liegende Stückchen in den Dorffluren und waren ebenso wie die der Bauern dem Flurzwang unterworfen. Der einzige Unterschied zwischen der Bauernwirthschaft und der Herrnwirthschaft war, wie schon oben erwähnt, der, daß diese mit unwilligen Zwangsarbeitern betrieben wurde, die ihr Vieh und sich selbst möglichst wenig anstrengten. Die Herrnwirthschaft bedeutete da eine enorme Verschwendung von Arbeitszeit und Arbeitsmitteln.

Das änderte sich, als die feudalen Dienste aufhörten und der Grundbesitzer freier Eigenthümer seines Bodens wurde, den er möglichst arrondirte, mit eigenen Werkzeugen, eigenem Vieh, eigenen Lohnarbeitern, nach eigenem Plan bebaute. Da nahm der Großbetrieb eine ganz andere Gestalt an als der Kleinbetrieb, und nun wurde der Letztere derjenige, der Arbeit und Arbeitsmittel verschwendete.

Der Unterschied zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb mußte zunächst zu Tage treten in Haus und Hof, im Haushalt, der für den Großbetrieb eine enorme Bedeutung bekam, seitdem er mit eigenem Vieh, eigenen Werkzeugen und eigenen Lohnarbeitern produzirte.

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Industrie und Landwirthschaft liegt darin, daß in letzterer immer noch der eigentliche Wirthschaftsbetrieb und der Haushalt eine feste Einheit bilden, während in der Industrie, von einigen Rudimenten abgesehen, beide völlig von einander unabhängig sind. Es giebt keinen landwirthschaftichen Betrieb ohne dazugehörigen Haushalt. Man kann aber den Satz auch Umdrehen und sagen, es giebt auf dem flachen Lande keinen selbständigen Haushalt, der nicht Landwirthschaft treibt.

Daß aber der größere Haushalt dem kleineren an Arbeits- und Materialersparung überlegen ist, bedarf kaum noch eines Beweises. Vergleichen wir ein großes Gut, das ebensoviel Land umfaßt, wie 50 kleine Bauernstellen, so finden wir hier eine Küche mit einem Kochherd, dort 50 Küchen mit 50 Kochherden. Hier vielleicht 5 Köchinnen, dort 50. Hier werden im Winter vielleicht 5 Wohnstuben geheizt, 5 Lampen gebrannt, dort 50. Hier werden Petroleum, Zichorienkaffee und Margarine im Großen gekauft, dort im Kleinen &c.

Gehen wir aus dem Haus in den Hof, so finden wir dort beim Großbetrieb einen Stall für 50–100 Kühe, wo die kleinen Bauern 50 Ställe für je 1–2 Kühe haben; wir finden eine Scheune, einen Brunnen an Stelle von 50. Gehen wir dann weiter, so finden wir auch entsprechend weniger Wege – Feldbahnen können die Bauern überhaupt nicht anwenden – vom Hof zu den Feldern, weniger Hecken und Zäune, weniger Raine.

Je kleiner ein Grundstück, desto größer die Länge seiner Grenzen im Verhältniß zur Fläche. Die Länge der Grenze beträgt bei quadratischer Form des Grundstücks pro Ar bei einem Flächeninhalt von

10 ha

5 ha

1 ha

50 a

25 a

10 a

5 a

1 a

 1,26 m 

 1,79 m 

 4,00 m 

 5,66 m 

 8,00 m 

12,65 m

17,89 m

40,00 m

Um 50 Grundstücke von je 20 Ar einzuzäunen, braucht man mehr als siebenmal so viel Zaunmaterial, so viel Arbeit, wie bei einem solchen von 10 Hektar.

Nehmen wir als Begrenzung des Grundstücks einen 20 Zentimeter breiten Rain an, so beträgt die Fläche, die bei quadratischer Form des Grundstücks dadurch unproduktiv wird, pro Ar bei einem Flächeninhalt von

 

 

10 ha

 

5 ha

 

1 ha

 

50 a

 

25 a

 

10 a

 

5 a

 

1 a

Quadratmeter

0,25

0,36

0,80

1,113

1,60

2,53

3,58

8,00

Bei der Abgrenzung eines Grundstücks von 10 Hektar gehen auf diese Weise blos 2½ Ar verloren, bei der Abgrenzung von 50 Grundstücken von je 20 Ar dagegen 18 Ar.

Je länger die Grenzen eines Grundstücks, desto größer auch der Verlust an Saatgut, das (bei der Handsaat) unvermeidlicher Weise über die Grenzen hinausfällt, desto größer der Aufwand an Arbeit bei der Bearbeitung des Grundstücks.

„Die Bearbeitung des Landes“, sagt Krämer im Goltz’schen Handbuch der Landwirthschaft (I, S. 198) „mit Pflug, Exstirpator, Egge, Walze, Pferdehacke und Häufelpflug und das Besäen desselben mit der Maschine erfordert für die gleiche Fläche umsomehr Kosten, je kleiner die Parzelle ist. Diese Steigerung des Aufwandes auf kleineren Parzellen beruht in einer Häufung der Zeitverluste, welche die Bearbeitung der Grundstücke mit sich bringt. Solche Verluste entstehen regelmäßig beim Umdrehen an den Kopfenden, bei der Querbearbeitung eines, je nach der Länge des ganzen Bezuges verschieden breiten Randstreifens an der Schmalseite der Grundstücke (Anwand, Vorend &c.), und bei der von Hand auszuführenden Bestellung der von der Bestellung der Anwand nicht erreichten Ecken.“

Die 50 Bauernstellen bedürfen aber auch 50 Pflüge, 50 Eggen, 50 Wagen &c., wo der eine große Besitz mit viel weniger, vielleicht einem Zehntel dieser Zahl auskommt. Der Großbetrieb spart daher, bei gleicher Betriebsart, erheblich an Inventar. Dies zeigt uns auch die Statistik der landwirthschaftlichen Maschinen. Eine der wenigen derselben, die dem kleineren Betrieb fast in derselben Weise zugänglich sind, wie dem großen, ist die Dreschmaschine. 1883 zählte man auf 1.000 Hektar landwirthschaftlich benutzter Fläche in den Betrieben von

2–100 ha

  

2,84 Dampsdreschmaschinen,

  

12,44 Dampsdreschmaschinen,

über 100 ha

1,08 Dampsdreschmaschinen,

  1,93 Dampsdreschmaschinen,

Niemand wird diesen Unterschied darauf zurückführen wollen, daß in den kleinen Betrieben die Dreschmaschine stärker verbreitet ist, als in den großen.

Trotz der Ersparniß an Inventar bei gleicher Betriebsart kann das Inventarkonto des Großbetriebs ein nicht blos absolut, sondern auch relativ viel höheres sein, weil seine Betriebsart nicht dieselbe bleibt. Denn eine ganze Reihe von Werkzeugen und namentlich Maschinen kann nur in einem Großbetrieb mit Vortheil angewandt werden. Der Bauer kann sie nicht gehörig ausnützen.

Nach Kraffts landwirthschaftlicher Betriebslehre finden ihre volle Ausnützung erst bei Anwendung

ein Gespannpflug auf

     30 ha Ackerland

eine Drillsäe-, Getreidemäh-, Göpeldreschmaschine auf

     70 ha Ackerland

eine Dampfdreschmaschine auf

   250 ha Ackerland

ein Dampfpflug auf

1.000 ha Ackerland

Auch die elektrische Kraft ist mit Vortheil nur in großen Betrieben anzuwenden.

„Es erscheint vorläufig ausgeschlossen, daß die elektrische Kraftübertragung ein Mittel bietet, die Reinerträge sämmtlicher landwirthschaftlichen Betriebe, vor Allem der kleineren, zu steigern. Selbst bei Gütern mit einer Ausdehnung von 1.000 Morgen Ackerland ist der Vortheil noch fraglich. Erst bei größeren Betrieben ergeben sich günstige Verhältnisse.“ (Köttgen, Ist die Elekrotechnik &c., in Thiels Landw. Jahrb. XXVI, S. 672)

Diese Daten erhalten die richtige Beleuchtung, wenn man bedenkt, daß im Deutschen Reich 1895 von 558.317 landwirthschaftlichen Betrieben nur 306.828 mehr als 20 Hektar, nur 25.061 mehr als 100 Hektar umfaßten. Die ungeheure Mehrheit der landwirthschaftlichen Betriebe ist so klein, daß sie nicht einmal einen Gespannpflug voll ausnützen kann, von den Maschinen gar nicht zu reden.

Im Jahre 1884 forderte die Regierung der Vereinigten Staaten Berichte von ihren Konsuln über die Aussichten für den Absatz amerikanischer landwirthschaftlicher Maschinen im Ausland. Aus allen Ländern mit kleinem Grundbesitz lauten übereinstimmend die Nachrichten dahin, daß die Betriebe zu klein seien, um die Anwendung von Maschinen oder selbst von verbesserten Gerätheil zu gestatten. So aus Württemberg, Hessen, Belgien, Frankreich &c. Der Konsul Kiefer aus Stettin meldet, es sei für einen Amerikaner ein lächerlicher Anblick, zu sehen, wie die Leute noch mit Aexten Holz spalteten, die den Tomahawks der Indianer glichen. Konsul Mosher in Sonneberg berichtet: „Die Ackerbaugeräthe in Thüringen sind höchst roh. Ich betrachtete kürzlich einige alte Holzschnitte, die wirthschaftliche Szenen dieser Gegend aus dem 15. Jahrhundert darstellten, und war überrascht, zu sehen, wie sehr die dort dargestellten Geräthe den jetzt gebräuchlichen ähneln.“ Fast nur in den herzoglichen Musterwirthschaften findet man moderne Geräthe. Aehnliches berichtet aus Südfrankreich der Konsul Wilson in Nizza: „Im Innern ist immer noch der alte Pflug ans der Römerzeit allgemein oder doch häufig im Gebrauch, der den Boden blos ritzt, ohne Furchen aufzuwerfen.“ (Reports from the consuls of the United States on agricultural machinery, S. 510, 524, 621)

Von je 100 landwirthschaftlichen Betrieben jeder Größenklasse benutzten 1895 im Deutschen Reiche:

Betriebe

Maschinen
überhaupt

Dampfpflüge

Drillmaschinen

Mähmaschinen

Dreschmaschinen

Dampf-

Andere

unter 2 ha

  2,03

0,00

  0,46

  0,01

  1,08

  0,49

2–5

13,81

0,00

  1,29

  0,06

  5,20

  6,56

5–20

45,80

0,01

  4,88

  0,68

10,95

31,89

20–100

78,79

0,10

17,69

  6,93

16,60

64,69

100 und darüber

94,16

5,29

57,82

31,75

61,22

60,53

Ueberall ist in der Maschinenanwendung der Großbetrieb weit voran. Abgesehen von der Dreschmaschine ist eine Anwendung von Maschinen im Kleinbetrieb kaum zu bemerken.

Wie mit den Geräthen, Werkzeugen und Maschinen steht’s auch mit den menschlichen, thierischen und sonstigen Kräften, die sie bewegen und lenken. Der Kleinbetrieb braucht auf gleicher Fläche viel mehr davon, um den gleichen Nutzeffekt zu erzielen, und er kann sie nicht so voll ausnutzen, ihre Wirksamkeit nicht so hoch steigern, wie der Großbetrieb. Die 50 Pflüge und 60 Wagen der Kleinbauern in unserem Beispiel brauchen 50 Gespanne, 50 Lenker, während die 5 Pflüge und Wagen des Großbetriebs nur 5 Gespanne und 5 Lenker brauchen. Allerdings haben die 50 Zwergbauern vielleicht jeder nur eine Kuh vorgespannt, indeß der Pflug des Großbetriebs mit vier Pferden bespannt ist, aber das macht die Sache nicht besser. Der Doppelpflug verrichtet mit einem Pflüger und drei Pferden dieselbe Arbeit, die zwei einfache Pflüge mit je zwei Pferden verrichten. Der Dreifurchenpflug leistet mit einem Arbeiter und vier Pferden ebensoviel, wie drei einfache Pflüge mit drei Arbeitern und sechs Pferden.

Nach Renning (zitirt bei Roscher, Nationalökonomik des Ackerbaus, S. 164) fand man um das Jahr 1860 im Königreich Sachsen auf 100 Acker bäuerlichen Besitzes 3,3 Pferde, auf Rittergütern nur 1,5. Bei der Zählung von 1883 fand man in Deutschland auf 1.000 Hektar landwirthschaftlich benutzter Fläche

In den Betrieben

  

Pferde

  

Ochsen

  

Kühe

von 2–100 Hektar

111

101

451

über 100 Hektar

  75

  60

137

Beim Bauer dienen bekanntlich die Kühe vielfach nicht blos zur Milchproduktion und Nachzucht, sondern auch Spannvieh. Die große Zahl von Kühen beim Kleinbetrieb ist in nicht geringem Maße auch darauf zurückzuführen, daß der Bauer mehr Viehzucht und weniger Getreidebau treibt, als der Großbetrieb; die Differenz in der Pferdehaltung kann dagegen dadurch ncht erklärt werden.

In Großbritannien kommen nach der Betriebsstatistik von 1880 auf je 1.000 Acres Land:

In Betrieben von Acres

     1–5     

    5–20    

   20–50   

  60–100  

 100–300 

 300–500 

500–1.000

über 1.000

Pferde

  72

  58

  54

  49

  43

  37

  32

24

Rindvieh

395

336

284

242

196

153

113

81

Neben der thierischen spart der Großbetrieb auch an der menschlichen Arbeitskraft, wie die eben mitgetheilten Beispiele wohl hinlänglich erweisen, indem er unter sonst gleichen Umständen weniger Vieh, weniger Geräthe braucht, mehr arbeitsparende Maschinen anwendet, den Nutzungsflächen die rationellste Form und Ausdehnung geben kann u. s. w.

Braucht aber der einzelne Großbetrieb relativ, im Verhältniß zur Bodenfläche bei gleicher Betriebsart, weniger lebendes und todtes Inventar und weniger Arbeitskräfte, so wendet er natürlich stets absolut mehr davon an, als der einzelne Kleinbetrieb, das heißt aber nichts Anderes, als daß er sich die Vortheile der Arbeitstheilung in viel größerem Ausmaß zu Nutzen machen kann, als der Letztere. Ihm allein ist in vollstem Maße jene Spezialisirung und Anpassung der Geräthe und Werkzeuge an die einzelnen Verrichtungen des Betriebs möglich, durch die der moderne Betrieb dem vorkapitalistischen so überlegen ist. Ebenso bei den Viehrassen. Der Zwergbauer benutzt seine Kuh als Milchvieh, Spannvieh, Zuchtvieh; bei ihm ist von Zuchtwahl, von Anpassung der Rasse und des Futters an spezielle Bedingungen keine Rede. Ebenso wenig kann er die mannigfachen Arbeiten seines Betriebs verschiedenen Personen zutheilen. Wohl aber kann dies der Großbetrieb, und er erzielt verschiedene Vortheile dabei. Er theilt die Arbeiten in solche, die besondere Geschicklichkeit oder Sorgfalt erfordern und solche, die blos Kraftaufwand verlangen. Erstere theilt er jenen seiner Leute zu, die besondere Anstelligkeit oder Sorgsamkeit bekunden und deren Geschicklichkeit und Erfahrung dadurch wächst, daß sie dieser besonderen Arbeit sich ausschließlich oder vorwiegend widmen. In Folge der Arbeitstheilung und des größeren Betriebsumfangs bleibt aber auch der Einzelne länger bei seiner Arbeit, hat er diese nicht so oft zu wechseln und verringert dadurch den Zeit- und Kraftverlust, der mit jedem Wechsel der Arbeit und der Arbeitsstelle verbunden ist. Endlich sind ihm die Vortheile der Kooperation zugänglich, des planmäßigen Zusammenwirkens Vieler, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Auf diesen Vortheil machte schon 1773 ein englischer Landwirth aufmerksam. Er wies darauf hin, daß ein Pächter bei der Anwendung derselben Arbeiterzahl auf 300 Acres, die 10 Pächter auf je 30 Acres anwendeten, „einen Vortheil in dem Verhältniß der Knechte habe, den nur ein Praktiker leicht verstehen wird; denn es ist natürlich, zu sagen, daß 1 : 4 dasselbe sei, wie 3 : 12; aber in der Praxis gilt das nicht; denn bei der Ernte und vielen anderen Operationen, die eine ähnliche Beschleunigung bedürfen, wird durch die gleichzeitige Anwendung vieler Hände die Arbeit besser und schneller gethan. So werden z. B. bei der Ernte 2 Kutscher, 2 Verlader, 2 Auflader, 2 Harker, und der Rest am Schober oder in der Scheune doppelt so viel Arbeit leisten, wie ebensoviele Arbeiter, wenn sie in mehreren Wirthschaften zersplittert arbeiten würden.“ (Zitirt bei Marx, Kapital, I, 2. Aufl., S. 334)

Die Ausdehnung des Betriebs ermöglicht es auch, einzelne Arbeiten von Fachleuten rasch und gut besorgen zu lassen, die der Bauer umständlich und schlecht besorgt oder sich, oft nach langem Warten unter den dringendsten Umständen, von einem entfernt wohnenden Fachmann besorgen läßt; große Betriebe haben mitunter eigene Schmiede-, Sattler-, Stellmacherwerkstätten zur Ausführung von Reparaturen und Herstellung einfacher Geräthe, Werkzeuge und Hilfsmittel.

Aber der wichtigste Vortheil, den der Großbetrieb aus seiner größeren Arbeiterzahl zieht, ist wohl die Arbeitstheilung zwischen sogenannter Hand- und Kopfarbeit. Wir haben gesehen, wie wichtig eine wissenschaftliche Leitung für den landwirthschaftlichen Betrieb geworden ist, wie nur sie eine planvolle Wirthschaft ermöglicht, die jede Verschwendung, jede Verringerung des Bodenreichthums vermeidet und dabei doch die höchsten Erträge erzielt, wie nur ein wissenschaftlich gebildeter Landwirth bei rationell angelegter und genau durchgeführter Buchführung stets diejenige Fruchtfolge, Düngung, Maschine, Viehrasse, Futterart finden wird, die jeweilig den ununterbrochen wechselnden Anforderungen der Wissenschaft und des Marktes entspricht, In der heutigen Gesellschaft sind aber manuelle und wissenschaftliche Ausbildung streng getrennt. Einen wissenschaftlich vollkommen gebildeten Landwirth kann nur jener Betrieb anwenden, der groß genug ist, daß die Arbeit der Leitung und Beaufsichtigung der Wirthschaft eine Arbeitskraft ausschließlich beschäftigt.

Diese Größe ist unter bestimmten Verhältnissen eine gegebene. Sie wechselt mit der Betriebsart; bei sehr intensivem Betrieb, z. B. Weinbau, kann sie auf 3 Hektar herabsinken, bei extensivem, z. B. Weidewirthschaft, auf 500 Hektar steigen. Im Durchschnitt kann man unter mitteleuropäischen Verhältnissen annehmen, daß bei intensiverem Betrieb schon ein Gut von 80–100 Hektar, bei extensiverem ein solches von 100–125 Hektar eine besondere Person ausschließlich mit der Leitung beschäftigt.

Erst von dieser Größe an ist also im Allgemeinen bei uns ein nach wissenschaftlichen Grundsätzen eingerichteter und geleiteter Betrieb möglich. In Deutschland gab es aber 1895 von 5.558.317 landwirthschaftlichen Betrieben nur 25.061, die 100 Hektar und mehr zählten! Kein Wunder, daß von rationeller Landwirthschaft noch so wenig zu merken! Goltz erklärt, der durchschnittliche Ernteertrag sei sehr gering „im Vergleich mit den Erträgen, welche selbst auf minder guten Böden, aber bei sorgfältiger Kultur geerntet werden können und thatsächlich geerntet werden. Bei praktischen Landwirthen, die eine ausgebreitete Erfahrung haben, glaube ich auf keinen Widerspruch zu stoßen, wenn ich behaupte, daß man im Stande ist, durch bessere Kultur die Ernteerträge um 4–8 Zentner pro Hektar durchschnittlich zu steigern. Thatsächlich ist meines Erachtens die Möglichkeit zur Steigerung der Erträge noch eine erheblich größere, aber ich nehme absichtlich eine Zahl an, die von keinem Sachkenner angefochten werden kann“. (Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, S. 165) Danach könnte bei besserer Kultur Deutschland 1.000 Millionen Zentner Getreide mehr produziren, ohne Vergrößerung der mit Getreide angebauten Fläche.

Den Leitern und Besitzern von kleineren Betrieben, die von der Leitung nicht ganz in Anspruch genommen werden und selbst bei den verschiedenen Verrichtungen mit Hand anlegen müssen, sucht man durch niedere landwirthschaftliche Schulen ein höheres Wissen beizubringen, als es die Volksschule bietet. Wir sind die Letzten, den Nutzen dieser Schulen zu bestreiten, aber es liegt auf der Hand, daß das Wissen, welches sie verbreiten, sich nicht entfernt mit dem von den Hochschulen Gebotenen messen kann. Uns scheinen sie eher geeignet, billige Unterbeamte für den Großbetrieb heranzuziehen und dadurch dessen Verwaltungskosten zu verringern, als selbständige moderne Landwirthe zu bilden. Die landwirthschaftlichen Mittelschulen haben aber noch eine andere Seite. Ein Fachmann klagt, daß nur allzuleicht auf ihnen „Lebensgewohnheiten großgezogen werden, welche nicht für den mittleren und noch weniger für den kleineren Landwirth passen und zur Folge haben, daß sich der Schüler später in den kleinen Verhältnissen nicht wohl fühlt oder diesen nicht entsprechend lebt und dann durch den Besuch der Schule keinen Vortheil, sondern Schaden für sein ganzes Leben genommen hat“. (Kirchner, im Goltzschen Handbuch 1, S. 421.)

Kirchner befürchtet diese Folgen dort, wo sich in den Schulen studentisches Wesen und studentische Gebräuche einnisten, aber die Einnistung dieser Aeußerlichkeiten ist ja nur die Folge der innerlichen Umwandlung, welche die Landwirthschafts- und Ackerbauschulen bewirken. Höhere Schulbildung und das Genügen an proletarischer Lebenshaltung sind miteinander nicht verträglich. Die Masse der Gebildeten rekrutirt sich aus der Bourgeoisie, wächst mit Ansprüchen der bürgerlichen Lebenshaltung auf, die sich unvermerkt durch den naturnothwendigen Einfluß des Milieus auch jenen Gebildeten mittheilen, die sich von unten emporarbeiten. Bei einem Einkommen, das dem Bauern, dem Handwerker, dem Industriearbeiter eine höchst behagliche Existenz ermöglicht, geht der Gebildete auf die Dauer zu Grunde – physisch oder moralisch, sehr oft nach beiden Richtungen hin. Jene Konservativen haben nicht so ganz Unrecht, die erklären, eine höhere Bildung mache den Bauern untüchtig für seinen Beruf. Eine lächerliche, öfter noch widerliche Uebertreibung dieses Standpunkts ist es, wenn man auch schon das Bischen Bildung, welches unsere Volksschule lehrt, für unverträglich mit der bäuerlichen Existenz erklärt. Es heißt das auf der einen Seite den Bauern zum Vieh degradiren, auf der anderen ihm auch die letzte Möglichkeit abschneiden, seinen Betrieb mindestens einigermaßen rationell zu gestalten.

Aber jene höhere Bildung, die ein vollkommen rationeller Betrieb erfordert, ist allerdings mit den heutigen Existenzbedingungen des Bauern schwer verträglich, Damit ist natürlich nicht eine Verurtheilung der höheren Bildung, sondern der Lebensbedingungen des Bauern ausgesprochen. Es besagt nichts anderes, als daß der bäuerliche Betrieb dem Großbetrieb gegenüber sich nicht auf seine höheren Leistungen, sondern auf seine geringeren Ansprüche stützt. Der Großbetrieb muß von vornherein weit mehr leisten, als der Kleinbetrieb, um nur denselben Reinertrag zu erreichen, wie dieser, da auf seinem Unkostenkonto die Erhaltungskosten (in Geldlöhnen und Naturalien) nicht nur bäuerlicher, sondern auch städtisch-bürgerlicher Arbeitskräfte stehen.

Am schlechtesten sind in dieser Beziehung die mittleren Güter daran; sie haben die relativ höchsten Verwaltungskosten. Dieselben sinken rasch, je größer der Betrieb. Ein Gut von 100 Hektar braucht einen geschulten Verwalter (Besitzer oder Pächter); ein Gut von 400 Hektar braucht nur noch einen Unterbeamten mehr, sein Ertrag ist unter sonst gleichen Umständen der vierfache, die Verwaltungskosten betragen nur das anderthalbfache.

Der größere Betrieb ist innerhalb der bäuerlichen Klasse unter sonst gleichen Umständen dem kleineren überlegen; dasselbe gilt innerhalb der Klasse des Großbetriebs bis zu bestimmten Grenzen, die wir noch kennen lernen werden. Dagegen findet an der Grenze zwischen bäuerlichem und Großbetrieb ein Umschlag der Quantität in die Qualität statt, um mit Hegel zu reden, der bewirken kann, daß der bäuerliche Betrieb an dieser Grenze dem etwas größeren, von einem wissenschaftlich gebildeten Landwirth verwalteten, wenn auch nicht technisch, so doch ökonomisch überlegen ist. Die Kosten der wissenschaftlich-geschulten Leitung belasten leicht ein kleines Rittergut über seine Leistungsfähigkeit hinaus. Noch leichter passirt das natürlich dort, wo die Leitung nicht wissenschaftlich, sondern blos junkerlich geschult ist. Je geringer ihre Leistungsfähigkeit, desto größer in diesem Falle ihre Ansprüche.

Dagegen ist der große Bauer dem kleinen, das. große Rittergut dem kleinen überlegen – selbstverständlich immer unter der Annahme sonst gleicher Verhältnisse.

Zu den technischen Vortheilen des Großbetriebs vor dein Kleinbetrieb sind ferner noch zu zählen diejenigen, die ihm bei baulichen Anlagen erwachsen, welche nur dann mit Erfolg wirken können, wenn sie auf einem größeren Gebiet vorgenommen werden, namentlich Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen. Eine kleine Fläche zu drainiren, ist oft ganz unmöglich, meist von geringem Werth. In der Regel drainirt man nur größere Flächen. Nach Meitzen waren in Preußen 1855 auf größeren Besitzungen 178.012 Morgen drainirt, auf kleineren blos 20.877. Auch die Feldeisenbahnen eignen sich nur für größere, zusammenhängende Flächen.

In allen diesen Vortheilen des Großbetriebs auf dem Gebiet der Produktion gesellen sich nun noch mannigfache Vortheile auf dem Gebiet des Kredits und des Handels.

Auf keinem Gebiet ist die Ueberlegenheit des Großbetriebs über den Kleinbetrieb größer als im Handel.

„Es kostet nicht mehr Zeit, mit großen als mit kleinen Zahlen zu rechnen. Es kostet zehnmal soviel Zeit, 10 Einkäufe für 100 Pfund Sterling, wie einen Einkauf für 1.000 Pfund Sterling zu machen ... Im Handel viel mehr als in der Industrie kostet dieselbe Funktion, ob im Großen oder Kleinen verrichtet, gleich viel Arbeitszeit.“ (Marx, Das Kapital, III, 1, S. 279)

Auch die Transportkosten, namentlich auf der Eisenbahn, verringern sich für größere Waarenmassen. Wer im Großen einkauft, kauft billiger und besser, als im Kleinen; wer im Großen verkauft, kann bei gleichbleibenden, ja selbst größerem Nutzen, billiger verkaufen, die Konkurrenz unterbieten. Aber der große Kaufmann hat nicht nur, im Verhältniß zum Umfang seines Umsatzes, viel geringere Unkosten als der kleine, er beherrscht und übersieht auch den Markt ganz anders, als der kleine. Dies gilt zunächst für den eigentlichen Kaufmann, es gilt aber auch für den Industriellen und den Landwirth, insofern diese an Waarenkäufer und Verkäufer Funktionen des Kaufmans zu verrichten haben. Das letzterwähnte Moment, die geringere Beherrschung und Kenntniß des Marktes gilt viel mehr als für den kleinen Kaufmann, für den kleinen Handwerker, der sich kein kaufmännisches Personal halten kann und der nur nebenbei als Kaufmann fungirt, es gilt aber am meisten für den Bauern in seiner Isolirung auf dem Laude. Dieser ist unter allen Käufern und Verkäufern auf dem Waarenmarkt am schlimmsten daran; seine kommerziellen Kenntnisse sind am geringsten; er ist am wenigsten in der Lage, günstige Gelegenheiten rasch auszunutzen oder gar vorauszusehen, ungünstigen vorzubeugen. Dabei ist aber sein Betrieb viel mannigfaltiger, als der des städtischen Handwerkers, er umfaßt viel mehr Arbeitszweige und zwingt daher zu verschiedenartigeren Käufen und Verkäufen. Der Schuster braucht neben dem Werkzeug blos Leder zu kaufen, Zwirn und Nägel; er verkauft blos Schuhe. Der Bauer kauft neben den Werkzeugen Vieh, Saatgetreide, Futter, Kunstdünger, er verkauft Vieh, Getreide, Milch, Butter, Eier &c. &c. Niemand ist so abhängig vom Zwischenhandel wie er.

Am größten und verderblichsten äußert sich diese Abhängigkeit dort, wo der Zwischenhändler gleichzeitig auch als Wucherer auftritt, wo dringendes Geldbedürfniß zur Zahlung von Steuern oder Schulden den Bauern zwingt, seine Waare um jeden Preis loszuschlagen oder gar sie zu verkaufen, ehe sie noch marktreif ist.

Hier stoßen wir noch auf einen Punkt, in dein der Großbetrieb dem Kleinbetrieb überlegen: den Kredit.

Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, daß die moderne Landwirthschaft ohne Kapital nicht betrieben werden kann. Wir haben auch gesehen, daß dort, wo das Pachtsystem nicht vorherrscht, die Hypothek das Hauptmittel ist, durch das sich der Landwirth Geld verschafft. Daneben kann er noch seinen Personalkredit in Anspruch nehmen oder er kann ein Stück seines Gutes verkaufen, um Geld zur Bewirthschaftung des übrigen zu erhalten. Dies letztere Verfahren ist jedoch nicht immer möglich, sehr oft nicht räthlich. Denn durch Verkleinerung des Gutes geht ja der Besitzer der Vortheile des größeren Betriebs verlustig. Ueberdies verliert er die Aussicht auf die Preissteigerung des abgetrennten Stückes in Folge des Steigens der Grundrente und des Sinkens des Zinsfußes. Der Personalkredit und die Hypothek also sind die Hauptmittel für ihn, sich Kapital zu verschaffen.

Der Hypothekarkredit wird namentlich dort in Anwendung gebracht, wo es sich um die Beschaffung von fixem Kapital handelt (Meliorationen, Bauten – von Besitzveränderungen als Ursache der Hypothekarverschuldung sehen wir hier ab); der Personalkredit, wo es sich um die Beschaffung von zirkulirendem Kapital handelt – Dünger, Samen, Arbeitslöhne und dergleichen.

Ehedem entsprang die Verschuldung des Grundbesitzers einem Nothstand; sie war ein anormaler Zustand. In der kapitalistischen Produktionsweise wird sie überall dort, wo Grundbesitzer und Landwirth juristisch eine Person, zu einer aus dem Produktionsprozeß selbst entspringenden Nothwendigkeit. Die Verschuldung des Grundbesitzes ist da eine unvermeidliche Erscheinung. Damit wird aber auch die Art der Verschuldung des Grundbesitzes zu einem wesentlichen Faktor der landwirthschaftlichen Produktion.

Das gilt für den Kleinbetrieb, wie für den Großbetrieb. Aber bei der Erlangung des Kredits hat der letztere mannigfache Vortheile. Der Abschluß und die Verwaltung einer Hypothek von 200.000 Mark macht nicht entsprechend mehr Arbeit und Unkosten, als die einer Hypothek von 2.000 Mark; 200.000 Mark, au hundert Stellen ausgeliehen, verursachen hundertmal so viel Arbeitsaufwand, wie dieselbe Summe, an einer Stelle untergebracht.

Ein drastisches Beispiel davon, wie die wirkt, bringt Lafargue in seinem bemerkenswerthen Artikel über Den kleinen Grundbesitz in Frankreich in der Neuen Zeit (I, S. 348):

„Bei einer Hypothekenschuld sind die Kosten im Verhältniß üm so bedeutender, je geringer die Anleihe und je kürzer der Zeitraum, für den sie aufgenommen ist. Folgendes sind z. B. die Zinsen und die gewöhnlichen Kosten einer Hypothekenschuld von 300 Francs:

Gebühren des Notars

5 Francs

–  Centimes

Die Ausfertigung des Vertrags in zwei Exemplaren

3 Francs

–  Centimes

Eintragungszettel (Bordereau de l’inscription et de redaction)

3 Francs

–  Centimes

Stempel

1 Francs

95 Centimes

Eintragungsgebühr von 1 Franc 10 Centimes pro 100 Francs

3 Francs

30 Centimes

Eintragung im Hypothekenbureau

3 Francs

–  Centimes

Minimalinteressen von 5 Prozent

15 Francs

–  Centimes

Kosten der Rückzahlung

15 Francs

25 Centimes

Zusammen:

48 Francs

50 Centimes

Es erhält also der Schuldner für eine Hypothekenschuld von nominell 300 in Wirklichkeit blos 281 Francs 50 Centimes.“

In Deutschland steht es nicht anders. In dem Jahresbericht der Preußischen Zentral-Bodenkredit-Aktiengesellschaft für 1894 – erstattet im April 1895 – lesen wir:

„In den letzten Jahren haben wir es uns besonders angelegen sein lassen, den kleinen und mittleren Besitzern die Darlehensaufnahme zu erleichtern. Wenn letztere bisher noch sehr viel mit hoch verzinslichen Hypotheken von Privaten, Stiftungen und Sparkassen belastet sind, so hat dies darin seinen Grund, daß die Bodenkredit-Institute in den meisten Fällen auch bei Beleihung kleiner Grundstücke von einer Taxaufnahme, nicht absehen können und daß die wirklich entstehenden, vom Darlehensnehmer zu erstattenden Taxkosten bei kleinen Darlehen zur Höhe des Darlehens selbst in keinem Verhältniß stehen. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, haben wir seit zwei Jahren Taxpauschalpreise eingeführt. Danach sind uns von den Darlehensnehmern ohne Rücksicht auf die Höhe der uns wirklich entstehenden Kosten zwei vom Tausend des beantragten Darlehens – mindestens jedoch 30 Mark und höchstens 300 Mark – zu entrichten. Bei Darlehen von 1.500 Mark, der bei uns statutenmäßig zulässig geringsten Darlehenssumme, bis 15.000 Mark ist also für Taxaufnahmen und für Prüfungsgebühren immer nur der geringe Betrag von 30 Mark zu zahlen.“

Diese „Sozialreform“ besteht also darin, daß für Darlehen von 1.500 Mark ebenso viel an Taxkosten zu entrichten ist, wie für solche von 15.000 Mark! Darlehen unter 1.500 Mark werden überhaupt nicht gegeben. Die ganz kleinen Grundeigenthümer bekommen überhaupt keinen Hypothekarkredit. Sie sind also so glücklich, schuldenfrei zu bleiben!

In Preußen ist nach der Untersuchung, die Meitzen 1884 anstellte, der Großgrundbesitz hypothekarisch schwerer belastet als der kleine Grundbesitz. Die Grundbuchschulden betrugen in Prozenten des Schätzungswerthes bei Besitzungen mit Grundsteuerreinertrag:

500 Thlr. und mehr

 100–500 Thlr. 

  30–100 Thlr.  

53,8

27,9

24,1

Das braucht noch keine größere Nothlage des Großgrundbesitzes anzuzeigen, sondern kann von der größeren Erschwerung des Hypothekarkredits für den Bauern herrühren. Um so mehr ist dieser auf den Personalkredit angewiesen.

Mit dem Personalkredit steht es aber noch schlimmer als mit dem Hypothekarkredit. Der große Landwirth verkauft seine Produkte direkt auf dem großen Markte, er steht mit diesem in steter Beziehung und findet daher in den ökonomischen Zentren, in denen sich das große Leihkapital in großen Massen anhäuft, das nach Anlagemöglichkeiten sucht, ebenso Kredit wie ein Kaufmann oder ein Industrieller, wenn er ein guter Wirth ist.

Der Bauer in seiner Isolirung mit der kleinen Menge von Produkten, die er zu verkaufen hat, erreicht damit nicht den großen Markt. Seine Geschäfte macht er mit dem Zwischenhändler ab, der in der nächsten Kleinstadt wohnt oder ihn besucht. Dem städtischen großen Leihkapital bleiben seine geschäftlichen Transaktionen völlig unbekannt, er hat keinen Bankier in der Stadt, bei dem er seine Einnahmen deponirt, und der ihm dann auch kreditirt. Braucht der Bauer Geld, dann muß er sich an einen der ihm nahe stehenden ländlichen Kapitalisten wenden und er hat da keine große Auswahl, dem sie sind auf dem Lande dünn gesät. Oft ist’s der Zwischenhändler selbst oder ein Dorfwirth oder Großbauer, Leute, die seine Verhältnisse kennen, denen die kleinen Darlehensgeschäfte nicht zu unbedeutend sind, die aber um so größeren Profit aus dem kleinen Darlehen zu ziehen trachten und ziehen können, da die Nachfrage nach Kapital auf dem Lande das Angebot weit übersteigt, die Nothlage des Bauern oft eine dringende und die ökonomische Ueberlegenheit des Kapitalisten eine enorme. Während für den Großgrundbesitzer, wenigstens wenn er ein verständiger und leistungsfähiger Landwirth ist, im Laufe der kapitalistischen Entwicklung der Geldwucher die Gestalt des modernen Produktionskredits annimmt, dessen Zinsfuß der Profitrate angepaßt ist, bleibt der Bauer auf die mittelalterlichen Formen des blutsaugerischen Wuchers angewiesen, der erpreßt, was er erpressen kann, Zinsen nimmt, die außer jedem Verhältniß zur Profitrate stehen, und dadurch, statt die Produktion zu fördern, die Existenz des Schuldners völlig untergräbt. Die kapitalistische Entwicklung bringt für den Bauern ebenso wie für den Großgrundbesitzer den Zwang zur Verschuldung mit sich, aber sie beseitigt für jenen, dank seinem Kleinbetrieb, nicht ohne Weiteres wie für diesen die mit den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktion unvereinbaren Erscheinungen des mittelalterlichen Schuldenwesens.

Wenn wir alle diese Vortheile des Großbetriebs in der Landwirthschaft erwägen, die geringeren Verluste an Kulturfläche, die Ersparungen an lebendem und todtem Inventar, die vollere Ausnutzung des Inventars, die Möglichkeit, Maschinen anzuwenden, die dem Kleinbetrieb versagt sind, die Arbeitstheilung, die wissenschaftlich geschulte Leitung, die kommerzielle Ueberlegenheit, die leichtere Geldbeschaffung – dann wird man es schwer begreiflich finden, daß Professor Sering mit voller Entschiedenheit behauptet:

„Es unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, daß schlechterdings jeder Zweig der Bodenkultur im mittleren und kleineren Betrieb ebenso rationell wie im großen betrieben werden kann, ja, daß ganz im Gegentheil zur industriellen Entwicklung, die fortschreitende Intensität der Bodenkultur dem kleineren gegenüber dem Großbetrieb ein sehr wesentliches Uebergewicht verleiht.“ (Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland, S. 91)

Angesichts dieses „wesentlichen Uebergewichts“ sollte man erwarten, daß Professor Sering die Zerschlagung der großen Güter fordert. Aber das fällt ihm gar nicht ein. Unmittelbar nach der oben zitirten Behauptung erklärt er:

„Aus der Thatsache, daß die Großgrundbesitzer die Führer auf dem Gebiet des wirthschaftlichen Fortschritts sind, folgt nur, daß es eine arge Schädigung unserer Entwicklung bedeuten würde, wenn der Großbetrieb im Osten gänzlich aufhören sollte. Nirgendwo thut eine absolute Gleichmacherei gut; die Differenzirung ist die Voraussetzung aller Entwicklung; es sind nicht nur die staatlichen, sondern auch die wirthschaftlichen Leistungen unserer östlichen Grundaristokratie, welche ihren Fortbestand als ein nationales Bedürfniß erscheinen lassen.“

Also der Kleinbetrieb hat in Bezug auf rationelle Bewirthschaftung dem Großbetrieb gegenüber auf allen Gebieten ein wesentliches Uebergewicht, und zwar um so mehr, je intensiver die Wirthschaft; trotzdem aber lassen die wirthschaftlichen Leistungen der ostelbischen Großbetriebe deren Fortbestand als ein nationales Bedürfniß erscheinen.

Wir werden später sehen, wie diese gleichzeitige Schwärmerei für Klein- und Großbetrieb zu erklären ist, hier sei nur konstatirt, daß selbst eine so enthusiastische Verehrung der Kleinkultur, wie die Serings, es nicht wagt, die Konsequenz ihres Standpunkts zu ziehen und die Aufhebung des Großbetriebs zu fordern, ans Furcht, dadurch den Fortschritt der Landwirthschaft lahmzulegen.

Bei unbefangenen Beurtheilern findet man aber recht wenig von dieser enthusiastischen Verehrung des Kleinbetriebs. Treffend faßt Krämer, durchaus kein Gegner der Bauernschaft (im Goltzschen Handbuch, I, S. 196), die Vorzüge des Großbetriebs zusammen:

„Bekannt und erklärlich ist, daß der Kleinbetrieb mit einem unverhältnißmäßig hohen Aufwand für Bauten, für Gespannvieh und für todtes Inventar belastet ist, ebenso daß manche laufende Bedürfnisse desselben, beispielsweise für Heizung und Beleuchtung, sich höher berechnen als im Großbetrieb. Esliegt in der inneren Natur gewisser Wirthschaftsaufgaben, daß dieselben nur auf quantitativ breiter Grundlage mit Erfolg durchgeführt werden können. So die Thierzüchtung, der Betrieb technischer Gewerbe, die Anwendung von Maschinen, die Ausführung von Meliorationen u. s. w. Auf solchen Gebieten ist der Großbetrieb immer überlegen. Aehnliche Vorsprünge mögen demselben zu Gute kommen in der Verwerthung der Produkte und in der Benutzung des Kredits. Vor Allem aber gereicht es ihm zum Vortheil, daß er nach Maßgabe seiner Stellung und Aufgabe in der Lage ist, seinem Unternehmen einen bestimmten, der Uebersichtlichkeit und der ordnungsmäßigen Durchführung desselben dienenden Plan zu Grunde zu legen, und in der Anwendung des wichtigen und fördernden Prinzips der Konzentration und der Theilung der Arbeit die Wirthschaftskräfte durch Uebung in je besonderen Richtungen auch zu höheren Leistungen zu entwickeln. Kein Zweifel, daß die moderne Entwicklung der Landwirthschaft gerade dem Großbetrieb reichlichere Hilfsmittel der Wissenschaft und Technik dargeboten hat, welche ihn in Stand setzen, mittels einer spezifischen Ausbildung des Wirthschaftspersonals in allen jenen Beziehungen einen Vorzug zu behaupten.“

Das klingt etwas anders als die Behauptung der Herrn Professor Sering.
 

b) Ueberarbeit und Unterkonsumtion im Kleinbetrieb

Was hat der Kleinbetrieb diesen Vortheilen des Großbetriebs entgegenzusetzen? Den größeren Fleiß und die größere Sorgsamkeit des Arbeiters, der für sich selbst schafft .im Gegensatz zu dem Lohnarbeiter, und die Bedürfnißlosigkeit des kleinen selbständigen Landwirths, die selbst die des Landarbeiters noch übersteigt.

John Stuart Mill, einer der eifrigsten Verfechter der Kleinkultur, hebt als ihr vornehmstes Charakteristikum die unermüdliche Abrackerung ihrer Arbeiter hervor. Er zitirt unter Anderem in seinen Grundsätzen der politischen Oekonomie einen englischen Autor über die Bauern in der Pfalz:

„Sie arbeiten fleißig früh und spät, weil sie das Bewußtsein haben, daß sie für sich selbst arbeiten. Sie plagen sich tagaus, tagein, jahraus, jahrein, sie sind die geduldigsten, unermüdlichsten und beharrlichsten aller Lastthiere. Das gemeine Volk in England wäre erstaunt, könnte es sehen, wie mühevoll sich die Deutschen ihr Feuerholz verschaffen.“

Und er spricht weiter von dem „fast übermenschlichen Fleiß“ der kleinen Bauern, der auf alle Beobachter einen mächtigen Eindruck macht. Ob der Eindruck der Beobachtung von Menschen als der „geduldigsten und unermüdlichsten aller Lastthiere“ auch ein erhebender war, darf wohl bezweifelt werden.

Aber nicht nur sich selbst peitscht der Kleinbauer zur Arbeit, sondern auch seine Familie. Sind doch in der Landwirthschaft Haushalt und Wirthschaftsbetrieb innig verbunden und daher die widerstandslosesten aller Arbeitskräfte, die Kinder, stets zur Hand! Wie in der Hausindustrie wirkt auch in der kleinbäuerlichen Wirthschaft die Familienarbeit der Kinder noch verderblicher als die Lohnarbeit bei Fremden.

„Frauen- und Kinderarbeit“, sagt ein Berichterstatter aus Westfalen, „in fremden Diensten kommt sehr selten vor und hat keinerlei Nachtheile im Gefolge, letztere ist sogar von entschieden günstiger Wirkung. Wohl aber werden die Kinder manchmal von ihren eigenen Eltern, und zwar derart überangestrengt, daß der Berichter eine ungünstige Wirkung hiervon bei der militärischen Aushebung konstatiren zu können glaubt.“

Und ein Anderer schreibt beschwichtigend:

„Die Beschäftigung der Kinder in Besorgniß erregendem Grade findet höchstens (!) seitens der Eltern statt und gegenüber solchen Kindern, die die Heuerlinge gegen Kost und Kleidung bei sich aufnehmen.“ (Verhältnisse der Landarbeiter in Nordwestdeutschland, Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik, I, S. 83, 122)

Wirklich sehr beruhigend!

Man muß schon ein sehr verbohrter Verehrer des kleinen Grundbesitzes sein, um einen Vorzug in diesem Zwang zu sehen, den er seinen Arbeitern auferlegt, zu bloßen Lastthieren zu werden, deren ganze Lebenszeit, mit Ausnahme der Schlaf- und Fütterungszeiten, Arbeitszeit ist.

Die Arbeitswuth ist jedoch nicht eine Eigenschaft, die dem Bauern von vornherein innewohnt. Dagegen sprechen schon die zahlreichen Feiertage des Mittelalters, die sich in manchen katholischen Gegenden bis heute erhalten haben. Roscher führt das Beispiel einer Gegend in Niederbayern an, wo man 204 Feiertage jährlich zählte (u. A. 40 Kirchweih- und Nachkirchweihtage der Umgegend, 12 Scheibenschießen &c.) und wo der Feierabend schon um 4 Uhr Nachmittags beginnt! Wie bescheiden ist demgegenüber die Forderung achtstündiger Arbeitszeit für 300 Tage im Jahre!

Erst in dem Maße, in dem aus der Arbeit für den Selbstgebrauch die Arbeit für den Markt entsteht, entwickelt sich die übermäßige Anspannung der Arbeitskraft. Es ist der Stachel der Konkurrenz, der dazu antreibt. Die Führung des Konkurrenzkampfs durch Ausdehnung der Arbeitszeit geht aber stets Hand in Hand mit technischer Rückständigkeit des Betriebs. Die letztere erzeugt die erste – und umgekehrt. Ein Betrieb, der nicht im Stande ist, der Konkurrenz durch technische Verbesserungen zu begegnen, wird getrieben, ihr durch stärkere Anspannung seiner Arbeiter die Spitze zu bieten. Andererseits wird ein Betrieb, in dem die Arbeiter aufs Aeußerste angespannt werden können, viel weniger dem Zwang unterliegen, in technischer Beziehung aufs Vollkommenste ausgerüstet zu sein, als ein Betrieb, dessen Arbeiter ihrer Abrackerung Grenzen setzen. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Arbeiter zu dehnen, ist ein wirksames Hinderniß des technischen Fortschritts.

In derselben Richtung wirkt die Möglichkeit, die Kinderarbeit besser auszunützen. Wir haben oben gesehen, daß eine rationelle Landwirthschaft ohne größere wissenschaftliche Einsicht unmöglich ist. Die landwirthschaftlichen Mittel- und Fortbildungsschulen sind allerdings nicht im Stande, eine gründliche Hochschulausbildung in den Naturwissenschaften und der Nationalökonomie zu ersetzen, aber immerhin ermöglichen sie es dem durch sie unterrichteten Bauern, wenn auch nicht die rationellste, so doch eine rationellere Wirthschaft zu führen als die des unwissenden Bauern ist. Aber dem Bedürfniß nach höherem Wissen stellt sich sieghaft in den Weg das Bedürfniß nach möglichst frühzeitiger und ausgiebiger Ausbeutung der Familienmitglieder in der Wirthschaft. Giebt es doch Gegenden, namentlich in Bayern und Oesterreich, wo den Bauern schon der Volksschulzwang bis zum 14. Jahre zu weit geht, wo sie die Reduzirung des schulpflichtigen Alters auf das 12. oder höchstens 13. Lebensjahr entweder zäh festhalten, oder aufs Energischste anstreben.

In dem Maße, in dem die Landwirthschaft mehr eine Wissenschaft wird, in dein der Konkurrenzkampf zwischen rationeller und kleinbäuerlich-schablonenhafter Wirthschaft sich verstärkt, in demselben Maße wächst das Bedürfniß der letzteren nach vermehrter Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft und nach Einengung des den Kindern beigebrachten Wissens.

Die größere Auspam1ung der Arbeitskraft des kleinen selbständigen Landwirths und seiner Familie ist also, abgesehen von allen ethischen und sonstigen Bedenken, auch von rein ökonomischem Standpunkte aus kein Vorzug des Kleinbetriebs zu nennen.

Nicht besser als mit dem größeren Fleiß steht es mit der größeren Bedürfnißlosigkeit des Kleinbauern.

Wir haben schon gesehen, daß der Großbetrieb ökonomisch diesem gegenüber dadurch im Nachtheil ist, daß er neben Handarbeitern auch „Kopfarbeiter“ zu bezahlen hat, die weit höhere Ansprüche stellen als erstere. Aber er muß auch dem Handarbeiter eine höhere Lebenshaltung zugestehen, als die ist, auf die sich der kleine Bauer herabdrücken läßt. Der Besitz, der den Bauer peitscht, sich mehr zu schinden, als der besitzlose Lohnarbeiter, treibt ihn auch, seine Ansprüche ans Leben noch unter das Niveau der Ansprüche des letzteren auf ein Minimum zu reduziren.

Aber ebenso wenig wie die erstere ist die zweite Wirkung unter allen Umständen eine Folge der bäuerlichen Wirthschaft. Dasselbe Mittelalter, das so viele Feiertage kannte, sah auch ein fröhliches Wohlleben der Bauern, die sich all Speise und Trank nichts abgehen ließen, wie wir gesehen. und wo sich mittelalterliche Verhältnisse oder wenigstens Traditionen bis heute erhalten haben, da ist auch jetzt noch der Bauer kein Filz.

Aber er wird es, wo die Konkurrenz sich seines Betriebs bemächtigt. Das zeigt uns am deutlichsten der französische Bauer, der am längsten als freier Privateigenthümer den Wirkungen der freien Konkurrenz ausgesetzt ist.

Ein englischer Beobachter aus dem Anfang der achtziger Jahre erklärt, er könne sich keine jämmerlichere Existenz denken, als die eines französischen Bauern. Ihre Häuser verdienten den Namen von Schweineställen. Ein französisches Bauernhaus wird folgendermaßen beschrieben:

„Kein Fenster war vorhanden, nur zwei Scheiben, die man nicht öffnen konnte, über dem Thore und weder Licht noch Luft, wenn nicht das Thor offen stand. Kein Eckbrett, kein Pult, kein Schrank war zu sehen; auf dem Fußboden lagen Zwiebeln, schmutzige Kleider, Brot, Säcke und ein unbeschreibbarer Kehrichthaufen ... Fast immer liegen des Nachts Männer, Weiber, Kinder und Vieh bunt durcheinander. Und dieser Mangel an Komfort rührt nicht immer von Armuth her; die Leute hatten überhaupt jeden Sinn für Anstand verloren, sie dachten an weiter nichts als das Sparen von Brennmaterial.“

Ihr Geiz artet in Gemeinheit ans, sagt der Verfasser an anderer Stelle, sie scheinen sogar schon die Fähigkeit des Genießens verloren zu haben, und so lange sie einen Sou ersparen könnten, sei ihnen jedes Vergnügen und jede Annehmlichkeit des Lebens gleichgiltig.

„Nicht ein Buch oder eine Zeitung war je zu sehen, nicht ein Bild oder ein Holzschnitt an der Wand, nicht ein bischen Porzellan, nicht ein Zierrath, nicht ein gutes Möbel, keine Wanduhr, der Stolz des englischen Pächterhauses. Es ist unmöglich, sich ein Leben zu denken, welches so gänzlich ohne jedes Fortschreiten, ohne Annehmlichkeit von irgend einer Art ist. Ueber jeden Pfennig, der für die nothwendigsten Sachen ausgegeben werden soll, wird gemurrt. Das Resultat ist eine silzige, armselige, abscheuliche Existenz, die kein anderes Ideal kennt, als so viele Sous wie möglich in den alten Strumpf zu stecken.“

Nicht besser steht’s jedoch in den ländlichen Kleinbetrieben Englands. Wie deren Besitzer und Pächter dort arbeiten und leben, zeigt uns der jüngste Bericht der britischen parlamentarischen Agrarkommission (1897). Es heißt da:

„In der ganzen Gegend (Cumberland) arbeiten die Söhne und Töchter der Farmer umsonst. Ich kenne keinen Fall, wo ein Vater seinem Sohne oder seiner Tochter einen Lohn zahlt. Sie geben den Söhnen 1 bis 2 Schilling auf Tabak.“

Ein Kleinbauer (kleiner Freeholder) aus Lincoln erklärt:

„Ich habe eine Familie großgezogen und sie nahezu todtgeschunden. Meine Kinder sagten: ‚Vater, wir wollen nicht hier bleiben und uns zu Tode rackern‘, gingen in die Fabriken und überließen mich mit meinem Weib unserem Schicksal.“

Ein anderer:

„Ich und meine Kinder, wir arbeiten mitunter 18 Stunden im Tag, durchschnittlich 10 bis 12. Ich lebe hier zwanzig Jahre. Nur mühsam bringe ich mich durch. Im letzten Jahre verloren wir Geld. Wir essen nur sehr wenig frisches Fleisch. “

Ein Dritter: „Wir arbeiten härter als Taglöhner, wie Sklaven. Der einzige Vortheil, den wir haben, ist, daß wir frei sind. Wir leben sehr sparsam“ u. s. w.

Mr. Read erklärte vor der Kommission über die Lage der kleinen Farmer in den Ackerbaugegenden:

„Der einzige Weg für ihn, sich zu behaupten, ist der, zu arbeiten wie zwei Taglöhner und nicht mehr auszugeben wie einer. Seine Kinder sind mehr abgerackert und schlechter erzogen als die Kinder von Taglöhnern.“ (Royal Commission on Agriculture final report, S. 34, 357)

Nur ans Gegenden, wo Obst- oder Gemüsebau vorherrscht oder Gelegenheit zu Nebenerwerb vorhanden, lauten die Berichte weniger düster.

Aehnlich steht’s in vielen Gegenden Deutschlands. Aus Hessen berichtet ein Beobachter in der Neuen Zeit (XIII, I, S. 471):

„Der Kleinbauer fristet das denkbar schlechteste Dasein. Die ländlichen Taglöhner stehen sich gegen ihn viel besser; denn sie sind, wie sie auch selbst sagen, auch ‚mit dem Maul‘ bei dem Arbeitsherrn, d. h. sie bekommen die Kost. Sie. unterliegen mit ihrem Einkommen nicht so sehr den Launen des Wetters, abgesehen davon, daß in schlechten Jahren die Kost auch schlechter ist.“

Als Ursache der besseren Kost der Taglöhner wird angegeben, daß „es das einzige Zugmittel ist, noch gute Arbeiter zu bekommen, wenn man besseres Essen giebt.“ Hauptnahrungsmittel sind Kartoffeln.

„Die Wohnungen der Kleinbauern sind äußerst ärmlich, die Häuser gewöhnlich aus Holz und Lehm, in ungefälliger Form gebaut und in den letzten Jahren sehr vernachlässigt. Dabei ist die Wohnung sehr dürftig ausgestattet, ein Tisch, eine Bank, einige Stühle, ein Bett mit Vorhang – Himmelbett –, ein Schrank, das ist meist aller Reichthum.“

Ein Beispiel davon, wie bäuerliche Hungerkunst zur ökonomischen Ueberlegenheit eines Kleinbetriebs führen kann, zeigt uns A. Buchenberger im Großherzogthum Baden. Er verglich in der Gemeinde Bischoffingen ein größeres bäuerliches Gut von 11 Hektar und ein solches von 5,5 Hektar. Das erstere war in Folge außerordentlicher Umstände genöthigt, ausschließlich Lohnarbeiter zu verwenden, ein höchst ungünstiger Fall, da das Gut zu klein war, um die Nachtheile der Lohnarbeit durch die Vortheile eines großen Betriebs wett zu machen. Das kleinere Gut wurde ausschließlich vom Besitzer und seiner Familie (Frau und sechs erwachsene Kinder) bearbeitet. Der größere Betrieb wies ein Defizit von 933 Mark, der kleinere einen Ueberschuß von 191 Mark auf. Die Hauptursache der Differenz ist darin zu suchen, daß in dem Betrieb mit Lohnarbeitern die Kost eine reichliche war – im Werth von fast einer Mark pro Kopf und Tag, während in dem Betrieb, in dem die Familienmitglieder so glücklich waren, für sich selbst schassen zu dürfen, der Werth der Kost bloß 48 Pfennig pro Kopf und Tag betrug, also kaum die Hälfte dessen, was die Lohnarbeiter verzehrten. (Bäuerliche Zustände in Deutschland. Berichte, veröffentlicht vom Verein für Sozialpolitik. II, S. 276.) Hätte die Bauernfamilie des kleinen Betriebs ebenso gut gegessen, wie die Lohnarbeiter des größeren, sie hätte statt eines Ueberschusses von 191 Mark ein Defizit von 1.250 Mark aufzuweisen gehabt! Ihr Ueberschuß stammte nicht aus der vollen Scheune, sondern aus dem leeren Magen.

Dies Bild sei noch ergänzt durch einen Bericht aus dem Weimarischen Kreis. Es heißt da:

„Wenn trotz allen diesen unwirthschaftlichen Verhältnissen Subhastationen nicht noch viel häufiger vorkommen, so beruht dies nur darin, daß unser kleiner Landmann für seine Selbständigkeit eine unglaubliche Summe von Entbehrungen zu ertragen weiß. Es giebt deren ganze Klassen, bei welchen frisches Fleisch, das der Knecht auf dem Gute jede Woche mindestens zweimal haben muß, pur an hohen Festtagen auf den Tisch kommt, und bei denen ebenso frische Butter zu den Leckerbissen gehört. So lange die Leute bei einem kleinen Besitz noch nicht anspannen, noch dabei auf Taglohn gehen, befinden sie sich verhältnißmäßig sehr wohl, mit der eigenen Anspanne beginnt erst das karge Leben.“ (A. a. O., I, S. 92)

Auch hier wieder die Erscheinung, daß der Lohnarbeiter des Großbetriebs besser daran ist, als der selbständige Besitzer des Kleinbetriebs.

Endlich sei noch auf einige Ausführungen hingewiesen, die wir in einer Abhandlung Hubert Auhagens über Großbetrieb und Kleinbetrieb in der Landwirthschaft finden (Thiels Landwirthschaftliche Jahrbücher 1896). Auhagen verglich zwei Wirthschaften, eine von 4,6 Hektar und eine von 26,5 Hektar auf ihre Rentabilität, nicht auf die Produktivität der in ihnen verwendeten Arbeitskräfte. Er berechnete für den kleineren Betrieb eine größere Rentabilität.

Aber wie kommt diese zu Stande? Dem Kleinbetrieb helfen die Kinder, den großen kosten sie Geld.

„Der Kleinbauer erhält, sobald seine Kinder größer werden, eine wesentliche Hilfe an ihnen. Die Hilfe der Kinder beginnt oft schon mit dem Laufen.“

In dem untersuchten Falle verwendet der Kleinbauer seine Kinder, auch sein jüngstes mit sieben Jahren, schon im Betrieb. An Schulkosten giebt er im Jahre 4 Mark aus. Der größere Bauer schickt die Kinder zur Schule. Er hat einen vierzehnjährigen Sohn, der auf dem Gymnasium studirt und ihn allein 700 Mark im Jahre kostet – mehr als die ganze Familie des Kleinbauern baar für ihren Haushalt ausgiebt. Welche Ueberlegenheit des Kleinbetriebs!

Neben den Jüngsten schanzen im Kleinbetrieb aber auch die Aeltesten noch tüchtig.

„Oft habe ich solche Altentheiler im Alter von über siebzig Jahren gefunden, die noch eine volle Arbeitskraft ersetzen konnten und natürlich das Gedeihen der Wirthschaft in hohem Grade beförderten.“

Natürlich schinden sich die vollkräftigen Individuen erst recht.

„Der gewöhnliche Taglöhner, besonders im Großbetrieb, denkt bei seiner Arbeit: wenn es doch erst Feierabend wäre; der Kleinbauer, wenigstens bei allen dringenden Arbeiten: wenn der Tag doch noch ein paar Stunden länger dauerte ... Ist eine bestimmte Zeit für die Ausführung einer Arbeit besonders vortheilhaft, wie das bei den meisten Arbeiten der Fall ist, so kann der Kleinbetrieb jene günstige Zeit durch Früheraufstehen und Länger- und in diesem Falle auch Schnellerarbeiten besser ausnützen, an der größere Besitzer, dessen Arbeiter dann gewöhnlich nicht eher aufstehen, nicht länger und nicht besser arbeiten wollen, als an anderen Tagen.“

Aber diese unmäßige Plage erntet auch den gebührenden Erfolg: Der Bauer findet sich mit der erbärmlichsten Lage ab. Auhagen erzählt uns mit Bewunderung von einem Bauern im Deutsch-Kroner Kreise; er

„bewohnt einen Lehmkaten, der 9 Meter lang und 7½ Meter tief ist. In der Mitte des Hauses befindet sich eine Thüre, welche direkt in die Wohnstube führt. Diese Wohnstube ist zugleich Kammer, es schlafen darin Mann, Frau und vier Kinder. Aus diesem Raume kommt man in eine kleine Küche, von da in die Kammer der Magd, die einzige fremde Person in der Wirthschaft. Diese Kammer ist der beste Raum im Hause, denn die Magd will es mit Recht so gut haben, wie sie es an einer anderen Stelle haben kann. Das Haus zu bauen kostete 860 Mark. Nur Zimmermeister, Tischler und Ofensetzer waren davon bezahlt; alles Uebrige hatte die Familie nebst Verwandten selbst ausgeführt. Die Frau war siebzehn Jahre verheirathet, hatte aber erst ein Paar Schuhe gebraucht, Sommer und Winter ging sie barfuß oder in Holzpantoffeln. Kleider webte sie selbst für sich und ihren Mann. Kartoffeln, Milch, seltener ein Häring, bildeten die Nahrung. Der Mann rauchte nur Sonntags eine Pfeife Tabak. Die Leute wußten nicht, daß sie besonders einfach (einfach ist gut! – K.) lebten und äußerten sich nicht unzufrieden über ihre Lage ... Bei dieser einfachen Lebensweise hatten die Leute fast jährlich einen kleinen Ueberschuß aus ihrer Wirthschaft. Als ich die Leute nach dem Werthe ihrer Wirthschaft fragte, antworteten sie, daß sie ihnen nicht unter 8.000 Mark feil sei.“

Welch erhebender Lobeshymnus auf den Segen des Kleinbetriebs, der selbst aus den „einfachsten“ Verhältnissen, das heißt aus schmutzigster, entwürdigendster Noth immer noch Ueberschüsse zu produziren weiß! Der Lohnarbeiter fühlt sich auch auf dem Lande bereits als Mensch, nicht als bloßes Lastthier, er hat höhere Bedürfnisse als der Kleinbauer, vertritt eine höhere Kulltur, als dieser. Also weg mit dem Lohnarbeiter, das heißt mit dem Großbetrieb, es lebe der ihm so unendlich überlegene Kleinbetrieb!

Für uns freilich bedeutet die untermenschliche Ernährung des Kleinbauern ebenso wenig einen Vorzug des Kleinbetriebs, wie sein übermenschlicher Fleiß. Beide bezeugen uns vielmehr die ökonomische Rückständigkeit des Kleinbetriebs, beide sind Hemmnisse des ökonomischen Fortschritts. Dank ihnen wird das kleine Grundeigenthum ein Mittel, das „eine halb außerhalb der Gesellschaft stehende Klasse von Barbaren schafft, die alle Rohheit primitiver Gesellschaftsformen mit allen Qualen und aller Misere zivilisirter Länder verbindet.“ (Marx, Kapital, III, 2, S. 347. Vergl. Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, S. 50, 51.) Daß konservative Politiker diese Barbarei als letzten Hort der kapitalistischen Zivilisation mit allen Mitteln zu erhalten suchen, ist allerdings begreiflich.

Besser, als mit dem Fleiß und der Bedürfnißlosigkeit der Bauern steht es mit ihrer größeren Sorgfalt. Die Sorgfalt spielt im Ganzen lud Großen in der landwirthschaftlichen Produktion eine größere Rolle als in der industriellen, und sie ist sicher bei dem Arbeiter, der für sich selbst schafft, eher vorhanden, als bei dem Lohnarbeiter. Wenn auch nicht gegenüber jeder Art des Großbetriebs, so bildet sie doch gegenüber dem kapitalistischen einen Vorzug des Kleinbetriebs. Aber man darf diesem Punkte keine allzu übertriebene Bedeutung beimessen. Die anderen Waffen des Kleinbetriebs gegenüber dem Großbetrieb, seine Ueberarbeit, seine Unterernährung und die damit Hand in Hand gehende Unwissenheit wirken seiner Sorgsamkeit geradezu entgegen. Je länger der Arbeiter schaffen muß, je schlechter er sich nährt, je weniger er Zeit und Geld auf seine Bildung verwenden kann, desto geringer die Sorgfalt bei seiner Arbeit. und was nützt ihm die größte Sorgfalt, wenn ihm die Zeit fehlt, das Vieh und den Stall zu reinigen, wenn er seine Zugthiere – oft nur die Milchkuh – ebenso überbürden, sein Vieh ebenso unvollkommen nähren muß, wie sich selbst!

Ueber die Kleinbauern im Kreise Merzig (Regierungsbezirk Trier) sagt der Saarburger Ackerbauschuldirektor J. J. Bartels:

„Diese Kleinbesitzer leben fast einzig von Kartoffeln und Roggenbrot; Fleisch- und Fettverbranch ist sehr gering. Man kann dreist behaupten, daß die Ernährung unzureichend ist, daß besonders die Willensenergie darunter leidet. Die Generation wird stumpf, gleichgiltig, unfähig zu richtiger Auffassung von Ursachen und Wirkungen in ihrem eigenen Geschäft.“ (Bäuerliche Zustände, I, S. 212)

Am elendesten aber wird der Kleinbetrieb dort, wo er nicht ausreicht, seinen Mann auch nur einigermaßen zu nähren, wo dieser zu einem Nebenerwerb greifen muß, um sich zu behaupten. So schreibt z. B. der Hohenheimer Professor Heil über die Kleinbauern in den schwäbischen Oberämtern Stuttgart, Böblingen und Herrenberg:

„Was die höheren Erträge der großen Güter bedingt, die tiefere Furche und sorgfältige Behandlung der Felder, die gewinnende äußerliche Beschaffenheit der Bodenprodukte, die reichlichere Ernährung und die größere Reinlichkeit beim Vieh – das Alles dringt nur ganz langsam und mühselig durch bei dem Bauern, dem es an Muth und Geld fehlt, mehr zu wagen. Ebenso sind zahlreiche, anderwärts längst eingeführte Maschinen fast unbekannt ... Und nun kommt noch ein Umstand dazu, der seine tiefen Wurzeln in den bestehenden Verhältnissen hat. Wir möchten wenigstens den vielenorts getadelten Mangel an wirklichem Fleiß und Ausdauer nicht auf die Volksart, sondern auf den Kleinbesitz zurückführen. Es ist anerkannt, daß die Verbindung von durchaus verschiedenen Beschäftigungen lähmend wirkt. Verliert der Kleinhändler und Hausirer die Lust und die Kraft für die anstrengende Landarbeit, so ist der Bauer meist ein schlechter Handwerker und der Handwerker ein schlechter Bauer.“ (Bäuerliche Zustände, III, 227; vergl. I, 83, 120)

Was das für die deutsche Landwirthschaft bedeutet, zeigen folgende Ziffern:

Die Zahl der elenden Zwitterbetriebe ist also eine ungeheure.

Befindet sich der größte Theil der kleinen Landwirthe in einer Lage, welche die Entwicklung besonderer Sorgfalt keineswegs fördert, so ist auf der anderen Seite der Großbetrieb wohl im Stande, auch mit Lohnarbeitern sorgfältige Arbeit zu erzielen. Schon gute Bezahlung, gute Ernährung, gute Behandlung wirken viel.

„Durch Nachlässigkeit oder beabsichtigte Fehler unzufriedener, mangelhaft bezahlter oder genährter Arbeiter kann und wird der Wirthschaft sehr viel Nachtheil zugefügt werden, weit mehr, als am Lohn gespart wird, während, das zeigt die Erfahrung, diejenigen Betriebe, welche auskömmlich bezahlte Arbeiter beschäftigen, gedeihen und rentiren.“ (Kirchner, im Goltzschen Handbuch, I, S. 435)

Gut genährte und bezahlte, dabei intelligente Arbeiter, das ist eine unentbehrliche Vorbedingung eines rationellen Großbetriebs. Kein Zweifel, daß diese Vorbedingung heute in den meisten Fällen noch fehlt, und daß es Thorheit wäre, von dem „aufgeklärten Despotismus“ der großen Landwirthe eine Besserung zu erwarten. Diese wird, wie in der Industrie, so in der Landwirthschaft, den Unternehmern aufgezwungen werden müssen durch die organisirte Arbeiterschaft, entweder direkt oder indirekt, vermittelst der Staatsgewalt. Der Arbeiterbewegung liegt die Aufgabe ob, durch moralische und physische Hebung des ländlichen Proletariats, durch Bekämpfung der ländlichen Barbarei eine wichtige Vorbedingung des rationellen landwirthschaftlichen Großbetriebs zu schaffen, damit aber auch eine der letzten Stützen des Kleinbetriebs wegzuräumen.

Außer durch gute Bezahlung und Ernährung der Arbeiter hat aber der Großbetrieb noch andere Mittel, höhere Sorgfalt bei der Arbeit zu erzielen. Thünen führte z. B. ein System der Gewinnbetheiligung ein, demzufolge alle ständigen Gutsarbeiter einen Antheil an dem Ueberschnß des Reingewinns über ein gewisses Minimum hinaus erhielten. Allgemein verbreitet aber ist die Methode, die Arbeitstheilung zur Erzielung größerer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit der Arbeiter zu benutzen. Der Großbetrieb hat, wie schon oben bemerkt, bei der großen Zahl von Arbeitern, die er beschäftigt, die Möglichkeit, einzelne besonders geschickte, gewissenhafte, intelligente auszusuchen und mit Arbeiten besonders zu betrauen, bei denen die Qualität eine wichtige Rolle spielt – entweder als alleinige Arbeiter oder als Vorarbeiter und Aufseher der anderen.

Endlich aber ist zu bemerken, daß gerade in den entscheidenden Zweigen der Landwirthschaft, vor Allem im eigentlichen Ackerbau, die Maschine nicht nur schneller, sondern auch vollkommener arbeitet, als der Handarbeiter mit einfachen Werkzeugen, und Resultate erzielt, welche dieser auch bei der größten Sorgfalt nicht erreichen kann. Wir haben ja gesehen, daß die Maschine besser pflügt, säet, schneidet (außer bei lagerndem Getreide), drischt, das Getreide reinigt, sortirt, als der Bauer mit einfachem Werkzeug oder Geräth. Wir haben auch, trotz Professor Sering, noch keinen Fachmann gefunden, der der Ansicht wäre, im Ackerbau könne der Kleinbetrieb ebenso rationell produziren, wie der Großbetrieb. Nein, es sind viel bescheidenere Produktionszweige, in denen sie ihn noch für konkurrenzfähig erklären.

Für gewisse Wirthschaftssysteme, sagt Professor Krämer, ist der Großbetrieb vorzuziehen, für andere der Kleinbetrieb. Letzteres ist dort der Fall, wo man es mit „komplizirten und werthvollen Kulturen zu thun hat, bei welchem die einzelnen Arbeiten ganz besondere Sorgfalt erfordern ... Gerade in diesen Aufgaben der Pflanzenkultur erwächst so recht die ergiebigste Gelegenheit zu zweckmäßiger Ausnutzung der Nebenstunden und der Verwerthung auch schwächerer Kräfte (der kleinen Kinder?! – K.K.) der Unternehmerfamilie, und daher auch zu wohlfeiler Bestreitung der Arbeit, wie dies insbesondere der Erfolg der Garten- und Rebkultur und des Anbaus und der Zurichtung gewisser Industriepflanzen im Kleinbetrieb beweist.“ (Im Goltzschen Handbuch, I, S. 197)

Welche Bedeutung diese, vorläufig noch dem Kleinbetrieb günstigen Kulturarten gegenüber dem Ackerbau und der Viehzucht haben, zeigen folgende Zahlen: 1889 waren im Deutschen Reiche mit Handelsgewächsen bepflanzt 161.408 Hektar, mit Wein 120.935 Hektar. Dagegen mit Futterpflanzen und Wiesenheu 8.533.790 Hektar, mit Getreide 13.898.058 Hektar, mit Kartoffeln ca. 3 Millionen Hektar.

Uebrigens giebt es auch auf dem Gebiete der Garten- und Weinkultur bereits genug erfolgreiche Großbetriebe.

Dabei sind die Anbauflächen vieler Handelspflanzen im Rückgang begriffen. Die des Tabaks ging im deutschen Zollgebiet von 1881 bis 1893 von 27.248 Hektar auf 15.198 Hektar zurück. Seitdem hat sie sich wieder etwas gehoben (1896 22.076 Hektar), ist aber von der Ausdehnung, die sie 1881 hatte, noch weit entfernt. Der Anbau des Flachses und Hanfes ist ebenfalls zurückgegangen. Mit Flachs und Hanf waren bebaut 1878 155.100 Hektar, 1883 123.600 Hektar, 1893 68.900 Hektar.

Nicht viel besser steht’s mit dem Hopfen, dessen Anbaufläche von 1878 bis 1883 stieg, von 40.800 Hektar auf 45.900 Hektar, seitdem aber wieder gefallen ist auf 42.100 Hektar (1893).

Die Bevorzugung des Anbaus von Handelspflanzen kann den Bauern mitunter recht verhängnißvoll werden.

„Was Böhmen anbelangt“, schreibt Dr. Rob. Drill, „so ist es bekannt, daß in Hopfengegenden die Bauern fast ausschließlich Hopfenkultur betreiben und dadurch ihr Wohl und Wehe von dieser einen Pflanze abhängig machen. Dieser Vorgang ist aber geradezu ein Hazardspiel, weil der Hopfen sehr starken Preisschwankungen unterliegt. ist schon vorgekommen, daß in Böhmen ganze Dörfer nach einer oder zwei schlechten Hopfenernten an den Bettelstab gebracht waren.“ (Die Agrarfrage in Oesterreich, S. 24.)

Nach Krafft, Betriebslehre, S. 82, schwankt der Hopfenpreis um 1.000 und mehr Prozent.

Spricht man von der Landwirthschaft im Allgemeinen, dann kommen die Kulturarten, in denen der Kleinbetrieb dem Großbetrieb überlegen, kaum in Betracht, und dann kann man wohl sagen, daß der Großbetrieb dem Kleinbetrieb entschieden überlegen ist.

Gerade die „Praktiker“ erkennen das auch an. Sie ziehen die Bewirthschaftung eines großen, verschuldeten Gutes der eines kleinen, schuldenfreien, das denselben Werth repräsentirt, in der Regel vor. Ein großer Theil der Hypothekenverschuldung entspringt dieser Vorliebe der „Praktiker“ für den Großbetrieb. Wer 50.000 Mark auf den Erwerb eines Gutes auslegen will, zieht es vor, ein Gut im Marktwerth von 100.000 Mark zu kaufen und eine Hypothek im Betrag von 50.000 Mark darauf aufzunehmen, statt eines im Werthe von 50.000 Mark gegen baare Zahlung zu erwerben.

Aber noch in anderer Weise erkennen sie die Ueberlegenheit des Großbetriebs an: durch Gründung von Genossenschaften. Genossenschaftlicher Betrieb ist Großbetrieb.
 

c) Das Genossenschaftswesen

Es kann uns nicht beikommen, die Bedeutung des Genossenschaftswesens zu leugnen. Die Frage ist nur die, sind die Vortheile des genossenschaftlichen Großbetriebs dem Bauern auf allen jenen Gebieten zugänglich, auf denen der Großbetrieb dem Kleinbetrieb überlegen? Und wie weit reicht diese Ueberlegenheit?

Vor Allem machen wir die Beobachtung, daß bisher das landwirthschaftliche Genossenschaftswesen sich fast völlig auf die Gebiete des Kredits und des Handels beschränkt hat. Von den industriellen Unternehmungen einzelner Genossenschaften, wie Molkereien, Zuckerfabriken und dergleichen sehen wir hier ab. Ihre Bedeutung für die Landwirthschaft werden wir weiter unten bei der Betrachtung der landwirthschaftlichen Industrie erörtern. Hier handelt es sich mir um die eigentliche Landwirthschaft. Da können blos die Meliorationsgenossenschaften als direkt in die Produktion eingreifende Vereinigungen bezeichnet werden. Die anderen landwirthschaftlichen Genossenschaften dienen, wie gesagt, vornehmlich Zwecken des Kredits oder des Zwischenhandels.

Auf diesen Gebieten ist aber die Genossenschaft von Vortheil nicht bloß für den Kleinbetrieb, sondern auch für den Großbetrieb.

Nirgends sind die Vorbedingungen genossenschaftlicher Organisation schwächer entwickelt als beim Bauern, den seine Arbeits- und Lebensbedingungen isoliren, auf einen engen Horizont beschränken, der Muße berauben, welche die genossenschaftliche Selbstregierung erfordert. Am schlimmsten steht’s damit in den Polizeistaaten, in denen Jahrhunderte lange bureaukratische Bevormundung und Unterdrückung die Gewohnheiten einer genossenschaftlichen Demokratie völlig ertödtet hat. Neben der Unwissenheit erweist sich die politische Unfreiheit als eine arge Beeinträchtigung des bäuerlichen Wohlstandes. Nirgends sind die Bauern schwerer zu genossenschaftlichem Zusammenschluß zu bewegen, als dort, wo die Traditionen des patriarchalischen Regimes noch nicht erschüttert sind und die Stützen von „Thron und Altar“ noch fest stehen.

Weit leichter als für die Bauern wird der genossenschaftliche Zusammenschluß für die Großgrundbesitzer, die viel geringer an Zahl sind und denen Muße, weitreichende Verbindungen, kaufmännisches Wissen – eigenes oder gemiethetes – genügend zu Gebote stehen.

Und so finden wir denn auch hier, wie bei jedem anderen landwirthschaftlichen Fortschritt, daß der Großbetrieb vorangeht. Das Genossenschaftswesen ist unentbehrlich für den Bauern geworden, aber in den meisten Fällen nicht als ein Mittel, der vereinzelten Leistung des Großgrundbesitzers durch die Vereinigung vieler kleiner Kräfte zu einer Gesammtleistung ebenbürtig zu werden, sondern als ein Mittel, die Vortheile, die das Genossenschaftswesen jedem Betheiligten bringt, nicht völlig in den Händen des Großbetriebs allein zu lassen, sondern auch ein Theilchen davon für sich zu erhaschen.

Im Hypothekenwesen war es zuerst der Großbetrieb, der sich der Vortheile des Genossenschaftswesens bemächtigte. Die preußischen „Landschaften“ reichen bis ins vorige Jahrhundert zurück. Sie waren ursprünglich bloße Zwangsgenossenschaften der ritterschaftlichen Güter einzelner Provinzen zur Gewährung von Hypothekarkredit. In den sechziger und siebziger Jahren unseres Jahrhunderts gingen sie, eine nach der anderen, daran, auch nicht ritterschaftliche Güter zu belehnen. Aber gleich den Hypothekarinstituten, die aus der Beleihung ein Geschäft machen, haben sie durchaus keine Lust, sich mit der Belehnung der kleinen Güter abzugeben, die zu viele Scherereien und Kosten verursacht. Grundstücke, die weniger als einen bestimmten Grundsteuerreinertrag abwerfen (150 Mark in der Provinz Sachsen, in Schleswig-Holstein, Westfalen, Brandenburg, 240 Mark in Pommern) oder unter einem bestimmten Taxwerth stehen (6.000 Mark in Posen), werden nicht belehnt.

Hier ist die genossenschaftliche Organisation ein Mittel, dem größeren Grundbesitz Vortheile zu verschaffen, die dem kleinen nicht zugänglich sind.

„Bei einer ganz summarischen Unterscheidung“, erklärt F. Hecht in der Einleitung zu seinem schon zitirten Buche über die staatlichen und provinziellen Bodenkreditinstitute in Deutschland, „wird man sagen können: Die genossenschaftliche Organisation des Bodenkredits ist vornehmlich dem Großgrundbesitz zu Gute gekommen.“

Für den kleinen Bauern kommt die Kreditgenossenschaft vornehmlich in Betracht für den Personalkredit. Was der vereinzelte Bauer nicht kann, das kann die Kreditgenossenschaft, den Kredit des städtischen großen Geldkapitals zu modernen kapitalistischen Bedingungen erlangen. Sind die Darlehen der einzelnen Bauern zu geringfügig, um das Großkapital zu interessiren, so spielen die Anleihen einer ganzen Genossenschaft eine ganz andere Rolle. und ist ein Darlehen an einen ihr ganz unbekannten Bauern für eine städtische Bank eine zu riskante Sache, so wird durch die Solidarhaft der Genossen das Risiko auf ein Minimum reduzirt. So entsteht durch die Kreditgenossenschaften auch für den Bauern die Möglichkeit, Geld zu mäßigen Zinsen zu erhalten, die er Dank der Verbesserung des Betriebs welche ihm die Anleihe ermöglicht, bezahlen kann, ohne sich zu ruiniren. Kein Zweifel, die Kreditgenossenschaften sind für die Bauern von größter Bedeutung, als Mittel des ökonomischen Fortschritts, zwar nicht des Fortschritts zum Sozialismus, wie man vielfach meint, sondern zum Kapitalismus, jedoch auch als solche ökonomisch höchst werthvoll.

Aber selbstverständlich nur dort, wo sie Wurzel fassen und gedeihen. und das geschieht nicht so leicht. Ihre Gründung und Leitung ist für einfache Bauern keine leichte Sache und es ist fraglich, ob die große Masse der bäuerlichen Bevölkerung im Stande ist, sie ohne allzugroßes Lehrgeld zu verallgemeinern. Ja bis heute wird noch sehr lebhaft darüber gestritten, welche Oganisationsform die den Eigenthümlichkeiten der Landwirthschaft angemessenste sei, und die Anhänger der einen Richtung werfen der anderen vor, sie sei nicht im Stande, etwas für die Landwirthe zu leisten.

Die Raiffeisenschen Kassen stehen unter der Kuratel der Geistlichkeit, in den Schulze-Delitzschen überwiegen die Handwerker. Aber auch die bestorganisirten ländlichen Vorschußkassen werden nur einem Theile der Bauernschaft Nutzen bringen können. Nicht jeder Landwirth kann, wenn er braucht, ein Darlehen erhalten. Man muß mit äußerster Vorsicht vorgehen, sollen schwere Schädigungen der Genossenschaft vermieden werden. Die nicht Kreditwürdigen, also gerade die Bedürftigsten, fallen nach wie vor dem Dorfwucherer in die Krallen. Immerhin sind die Kreditgenossenschaften diejenigen Genossenschaften (abgesehen von denen der landwirthschaftlichen Industrien), welche für die Bauernschaft die wichtigsten. Sie wachsen auch rasch an. Nach Sering (Das Genossenschaftswesen und die Entwicklung der preußischen Zentralgenossenschaftskasse, Verhandlungen des preußischen Landes-Oekonomie-Kollegiums, Februar 1897) zählte man im Deutschen Reiche 1871 erst etwa 100 ländliche Darlehnskassen, 1891 2.134, 1896 6.391. In Preußen zählte man nach einer von der Zentralgenossenschaftskasse veranstalteten Statistik am 1. Oktober 1895, als die Kasse ins Leben trat, ca. 5.000 Genossenschaftskassen, 30.Oktober 1897 schon 7.636. Darunter freilich auch die bekannten „Pumpgenossenschaften“.

Der Großgrundbesitzer hat derlei Anstalten nicht nöthig. Der findet, wenn kreditwürdig, auf einfachere Weise den nöthigen Kredit.

Wie die Genossenschaften des Hypothekarkredits sind auch die Meliorationsgenossenschaften keine dem Kleinbetrieb eigenthümliche Einrichtung, und dasselbe gilt von den Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften.

Der Handel, das Ausstechen des Konkurrenten auf dem Markte, das Gewinnen des Kunden und das Ausnutzen der Konjunktur ist gerade nicht die der Eigenart des Genossenschaftswesens entsprechendste Bethätigung. Der Einzelunternehmer, unabhängig, rücksichtslos, aufs Lebhafteste interessirt, besorgt das besser als der Genossenschaftsbeamte.

Das gilt für den Verkauf der einzelnen Waaren um so mehr, je ungleichmäßiger Nachfrage und Angebot sowie die Qualität der Produkte. Dieser Ungleichmäßigkeit schreiben wir es hauptsächlich zu, daß der Viehverkauf so schwer genossenschaftlich zu betreiben ist. Fast alle dahin abzielenden Versuche sind in Deutschland gescheitert. Die Ungleichmäßigkeit der Produkte macht sich aber in einer Verkaufsgenossenschaft weit stärker geltend, wenn sie von zahlreichen Kleinbauern gebildet wird, die auf die verschiedenste Weise unter den verschiedensten Umständen produziren, als wenn ihr nur einige große Betriebe angehören, von denen jeder rationell wirthschaftet. So berichtet z. B. v. Mendel-Steinfels:

„Der genossenschaftliche Butterabsatz hat sich überall da bewährt, wo es sich um die Verwerthung größerer und gleichmäßiger Quantitäten von Butter handelt, also von Waaren aus Molkereigenossenschaften oder von Großgrundbesitzern. Wo aber die Genossenschaft die Verwerthung der Butter vieler kleiner Produzenten zu besorgen hatte, da hat sie immer Schiffbruch gelitten.“ (Handwörterbuch der Staatswissenschaften, II, S. 950)

Was die Molkereigenossenschaften für den Kleinbauern bedeuten, werden wir, wie schon gesagt, später beleuchten. Hier wollen wir nur festhalten, daß die gedeihenden Verkaufsgenossenschaften in der Regel solche des Großbetriebs nicht des Kleinbetriebs sind. Das gilt nicht nur für den Verkauf von Butter, sondern auch für den von Vieh, Getreide und Spiritus. Die Spiritusverkaufsgenossenschaften, die in letzter Zeit in Norddeutschland so sehr in die Halme schießen, sind bei Lichte betrachtet nichts als Kartelle der Spiritusfabriken zum Hochhalten der Spirituspreise.

Die Verkaufsgenossenschaft wird für den Kleinbetrieb in größerem Maße erst nutzbar gemacht werden können, wenn es möglich wird, die einzelnen Mitglieder der Genossenschaft zu einheitlicher Produktion nach einheitlichem Plan und mit einheitlichen Mitteln zu bringen. Dazu sind die Aussichten gering, und es scheint eher, daß die deutschen Bauern nicht geneigt sind, noch weiteren Lehrgeld auf diesem Gebiet zu bezahlen. Sicher ist ein rasches Vorwärtsschreiten der bäuerlichen Genossenschaften auf diesem Gebiete in nächster Zeit aufgeschlossen.

Sie befinden sich hier im Stadium des Tastens und Versuchens.

Besser dagegen steht es mit den Einkaufsgenossenschaften zur gemeinsamen Anschaffung von Kunstdünger, Futter, Saatgut, Vieh, Maschine und dergleichen. Diese sind in rascher Zunahme begriffen. Man zählte landwirthschaftliche Rohstoffvereine: 1875 56, 1880 68, 1888 843, 1894 1.071, 1896 1.085.

Daneben gab es 1894 214 landwirthschaftliche Werkzeug- und Maschinengenossenschaften.

Auf dem Gebiet des Einkaufs von Rohstoffen und Maschinen können die landwirthschaftlichen Genossenschaften wohl eilte sehr fruchtbare Thätigkeit entfalten. Hier handelt es sich um einfache Verhältnisse. Der Markt ist bekannt, es sind die Genossenschafter selbst, die ihre Aufträge aufgeben; und die Verkäufer an die Genossenschaft sind nicht zersplitterte Kleinbetriebe, sondern großindustrielle Unternehmungen oder landwirthschaftliche Großbetriebe (z. B. Thierzüchter).

Der vortheilhafte Einfluß dieser Genossenschaften für den Landwirth ist nicht zu leugnen. Sie ersparen die Kosten des Zwischenhandels; freilich, was der Landwirth dabei profitirt, verliert der Zwischenhändler – merkwürdiger Weise eifert gegen die großen Waarenhäuser und Konsumvereine, die den Arbeitern ihre Konsummittel billiger machen, Niemand mehr als die Agrarier, dieselben Leute, die eifrigst beflissen sind, den Zwischenhandel dort zu Grunde zu richten, wo er Beamten, Offizieren und Grundbesitzern die Waaren vertheuert. Neben der Ersparung der Kosten des Zwischenhandels haben die ländlichen Einkaufsgenossenschaften noch den Vortheil, daß sie den Landwirth vor Verfälschungen bewahren. Aber auch hier wieder müssen wir die Frage aufwerfen, ob nicht der Großbetrieb dabei mehr zu gewinnen hat, als der Kleinbetrieb. Wenn z. B. die Berliner Hauptgenossenschaft den Großgrundbesitzern billige Kohlen für ihre Dampfmaschinen liefert, so ist das nicht ein Modus, der geeignet ist, den Kleinbetrieb besonders zu fördern. Und die Genossenschaften, die Maschinen anschaffen, um sie an die Mitglieder zu verkaufen oder zu vermiethen, werden natürlich einem Mitglied um so mehr zu statten kommen, je mehr Maschinen es anwenden kann, also je größer sein Betrieb. Es sind offenbar nicht die Kleinbauern, sondern die Großbauern und die Großgrundbesitzer, die aus den Dampfpfluggenossenschaften den größten Vortheil ziehen.

Auf den größeren Wirthschaften der Provinz Sachsen wird fast durchgängig mit dem Dampfpflug gepflügt. Aber nur wenige davon besitzen einen solchen, die meisten Pflüge gehören Dampfpfluggenossenschaften an.

Auf dem national sozialen Parteitag zu Erfurt (September 1897) sprach der Pastor Göhre in seinem Referat über das Genossenschaftswesen die Befürchtung aus, der Großgrundbesitz werde sich der ländlichen Genossenschaften bemächtigen und sie seinen Zwecken dienstbar machen. Auf dem 1896 zu Stettin abgehaltenen landwirthschaftlichen Genossenschaftstage sei das Bureau vollständig in den Händen der Großgrundbesitzer gewesen, Von 41 Rednern nahmen nur 4 Kleingrundbesitzer zu kurzen Bemerkungen das Wort. Auch der 1897 zu Dresden abgehaltene Genossenschaftstag sei ganz verjunkert gewesen. Dazu stimmt das Loblied, welches Sering in seinem oben zitirten Vortrag vor dem Landes-Oekonomie-Kollegium den Genossenschaften sang, weil sie eine „neue Interessen- und Arbeitsgemeinschaft“ begründen. „Hier finden wir für einander thätig und einstehen Bauern und Großgrundbesitzer, Geistliche und Lehrer, Arbeitgeber und Arbeiter.“

Diese Hinweise dürften genügen, zu zeigen, daß das Genossenschaftswesen von großer Bedeutung für die moderne Landwirthschaft ist, daß es aber keineswegs ein Mittel darstellt, auch nur auf jenen Gebieten, auf denen es in Wirksamkeit tritt, den Vorsprung aufzuheben, den der Großbetrieb vor dem Kleinbetrieb hat. Im Gegentheil ist es vielfach sogar ein Mittel, diesen Vorsprung noch zu vergrößern. Am meisten scheint es uns den mittleren Betrieben zu Gute zu kommen, am wenigsten den kleinen.

Die wichtigsten Gebiete landwirthschaftlicher Thätigkeit sind jedoch den Genossenschaften selbständiger Einzelbetriebe gar nicht zugänglich.

Wir haben gesehen, daß der Dampfpflug (und noch andere Maschinen, z. B. die Drillsäemaschinen) der Maschinengenossenschaften für die kleinen Landwirthe nicht anwendbar. sind. Andere Maschinen aber sind für die genossenschaftliche Anwendung durch selbständige Landwirthe von vornherein nicht geeignet. Das sind diejenigen, deren Benutzung an bestimmmte, kurze Zeitfristen gebunden ist. Welchen Werth hat der Besitz einer genossenschaftlichen Mähmaschine, wenn alle Genossenschafter gleichzeitig mähen müssen? Selbst die genossenschaftliche Benutzung von Dreschmaschinen ist geeignet, Streitigkeiten und Schädigungen hervorzurufen. Für den großen Landwirth, der seine Dampfdreschmaschine besitzt, hat diese den Vortheil, daß er noch auf dem Felde, unmittelbar nach der Ernte, das Korn ausdreschen kann; er erspart die Kosten des Transports und der Aufbewahrung (Scheunenräume) des ungedroschenen Getreides und hat dieses sofort nach der Ernte zum Verkauf bereit, so daß er jede Konjunktur ausnutzen kann. Diese Vortheile gehen dem Genossenschafter verloren, der sein Getreide ungedroschen einfahren und warten muß, bis die Reihe au ihn kommt.

Die Vortheile der größeren zusammenhängenden Fläche, der Arbeitstheilung, der Leitung durch wissenschaftlich gebildete Leute, gerade die entscheidenden Vortheile des Großbetriebs, kann natürlich diese Art des Genossenschaftswesens den kleinen Landwirthen nie bringen. und darum ist es ein eitle Hoffnung, zu erwarten, die Genossenschaft werde den Kleinbetrieb zu eine ebenso rationellen Wirthschaft befähigen, wie die des Großbetriebs ist. Wollen die kleinen Landwirthe sich wirklich durch das Genossenschaftswesen der Vortheile der im Großen betriebenen Landwirthschaft bemächtigen, dann dürfen sie nicht Umwege einschlagen, sondern müssen gerade auf ihr Ziel los marschiren; dann dürfen sie sich nicht auf die Gebiete des Handels und des Wuchers beschränken, sondern müssen sich au jenes Gebiet begeben, das für den Landwirth das entscheidende ist, das Gebiet der Landwirthschaft selbst.

Es ist offenbar, daß ein genossenschaftlich bewirthschaftetes großes Gut sich aller Vortheile des Großbetriebs bemächtigen kann, die durch bloße Rohstoff-, Maschinen-, Kredit- und Verkaufsgenossenschaften zum Theil gar nicht, zum Theil nur dürftig und unvollkommen, zu erreichen sind. Zugleich aber muß einem genossenschaftlich bewirthschafteten Landgut die Ueberlegenheit der Arbeit für den eigenen Nutzen über die Lohnarbeit zu Gute kommen. Eine derartige Genossenschaft müßte sich also dem kapitalistischen Großbetrieb nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen erweisen. Aber merkwürdig – gerade diese Art Genossenschaften zieht kein Landwirth in Erwägung. Als schüchterne Uebergänge zu solchen Genossenschaften könnte man vielleicht manche Viehzuchtgenossenschaften betrachten, z. B. die Fohlenaufzuchtsgenossenschaften. Der Bauer hat meist keinen Tummelplatz für sein Fohlen und ist versucht, es zu früh einzuspannen und dadurch zu ruiniren. Auch kann er nicht geeignete Stallungen und sachgemäße Aufsicht und oft auch nicht zweckmäßiges Futter beschaffen. Diesem Uebelstand helfen die Fohlenaufzuchtsgossenschaften ab, z. B. die 1895 in Ihlienworth begründete, in der die Mitglieder ihre Fohlen unterbringen, und wo diese gesunde Ställe, einen geräumigen Tummelplatz und sachkundige Pfleger finden. Aber auch diese Art Genossenschaften, wenn sie schon landwirthschaftliche Betriebe darstellen, beziehen sich doch nur auf Nebenzweige der Landwirthschaft und sind ebenfalls nur Palliativmittel, einzelne Folgen der Isolirtheit und Beschränktheit des bäuerliches Betriebs zu beseitigen, ohne ihm diese Eigenschaften selbst zu nehmen.

Woher kommt es aber, daß die Bauern keine Miene machen, auch ihre Hauptbetriebe genossenschaftlich zu betreiben? Warum beschränken sie sich auf unzureichende Palliative?

Man hat sich das dadurch zu erklären gesucht, daß die landwirthschaftliche Arbeit nicht sozialer Natur und daher dem gesellschaftlichen Betrieb nicht förderlich sei. Als einziger Beweis dafür dient aber die Erscheinung, die zu erklären ist.

Es ist nicht einzusehen, warum die moderne Landwirthschaft, die zum kapitalistischen Betrieb taugt, zum genossenschaftlichen nicht taugen sollte. Etwa ans dem einfachen Gründe, weil der letztere noch nicht versucht worden? Das wäre ein schlechter Grund, denn es sind bereits Versuche, und zwar gelungene Versuche gemacht worden.

In den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, als große Denker bereits erkannt hatten, nicht der Kleinbetrieb, sondern der sozialistische Großbetrieb sei das Mittel, die kapitalistische Ausbeutung zu überwinden, wo man aber noch nicht einsehen gelernt hatte, daß der sozialistische Großbetrieb eine Reihe bestimmter ökonomischer, politischer, intellektueller Voraussetzungen erheische, wenn er in größerem Umfang ins Leben treten und sich behaupten solle, damals versuchten es nicht wenige Enthusiasten, unter ihnen der erste und weitaus größte, Robert Owen, durch Gründungen von sozialistischen Kolonien und Genossenschaften sofort die Ansätze zu einer sozialistischen Gesellschaft ins Leben zu rufen. Nicht alle Versuche glückten, und diejenigen, die glückten, waren nichts weniger an Ansätze zu einer sozialistischen Gesellschaft. Aber eines bewiesen sie unleugbar: die Möglichkeit genossenschaftlicher Produktion, die Möglichkeit, den individuellen Kapitalisten durch gesellschaftliche Einrichtungen zu ersetzen.

Die meisten dieser Versuche wurden naturgemäß auf industriellem Gebiete gemacht. Aber einer auch auf landwirthschaftlichem. Es war die Genossenschaft von Ralahine, die trefflich gedieh und nur durch einen unglücklichen Zufall zu Grunde ging. Dieses genossenschaftliche Experiment ist so interessant und wenig bekannt, daß wir die Erzählung unserer Quelle vollinhaltlich wiedergeben. Wir entnehmen den Bericht dem Anhang zu Charles Bray, Philosophy of necessity, II, S. 581 ff. Brentano hat denselben Bericht in seinen Noten zu der Schrift der Frau Webb über Die britische Genossenschaftsbewegung mitgetheilt, S. 229.

„In Irland“, theilt uns Bray mit, „wurde ein erfolgreiches genossenschaftliches Experiment angestellt, durch Herrn Vandaleur aus seinem Gute Ralahine in der Grafschaft Clare. Seine Pächter gehörten zur niedrigsten Gattung von Irländern; sie waren arm, unzufrieden, liederlich und bösartig. Vandaleur wünschte sehr, ihren Charakter und ihre Lage zu heben, und hätte es auch gern in seinem eigenen Interesse gesehen, stetige und brauchbare Arbeiter zu erhalten; er beschloß daher 1830 einen Versuch nach den Grundsätzen Owens mit einigen den Umständen angepaßten Aenderungen zu machen. ungefähr 40 Landarbeiter waren bereit, auf seinen Plan einzugehen, und er bildete aus ihnen eine Gesellschaft unter seiner eigenen Leitung und Aussicht. Dieser Gesellschaft verpachtete er sein Landgut Ralahine, das 618 englische Acres umfaßte (1 Acre = 40,49 Ar), davon ungefähr 267 Acres Weideland, 285 Pflugland, 63½ Sumpf und 2½ Acres Garten. Der Boden war im Ganzen gut, hie und da steinig. Dazu gehörten sechs Hütten und ein altes Schloß, die in Wohnungen für die Verheiratheten verwandelt wurden, sowie sonstige Gutsgebäude, Ställe, Scheunen &c., die zum Theil herhalten mußten zur Einrichtung eines gemeinsamen Speisesaals, eines Sitzungssaals, einer Schule und von Schlafräumen für die Kinder und die Unverheiratheten. Alles das verpachtete er um 700 Pfund Sterling im Jahr, inbegriffen eine Sägemühle, eine durch Wasser getriebene Dreschmaschine und die Gebäude einer Fabrik und einer Weberwerkstätte, aber ohne Maschinerie. Für das lebende und todte Inventar und für Vorschüsse, die ihnen gemacht wurden, damit sie Nahrung und Kleidung bis zur nächsten Ernte hätten, hatten sie weitere 200 Pfund Sterling zu zahlen. Sie sollten in den dazu hergerichteten Gebäuden gemeinsam leben und mit denn gemeinsamen Kapital im gemeinsamen Interesse zusammenarbeiten. Der Ueberschuß über die oben genannten Pachtzinsen sollte das Eigenthum der über 17 Jahre alten Mitglieder der Gesellschaft sein, zu gleichen Theilen für Männer und Frauen, für Verheirathete und Unverheirathete. Die Werkzeuge, Geräthe und Maschinen waren in gutem Stand zu halten und zu erneuern, wenn abgenutzt; das Vieh war nach Zahl und Werth auf gleicher Höhe zu halten. Die Pacht war stets in Produkten des Gutes zu zahlen; im ersten Jahre sollte sie berechnet werden nach den Marktpreisen der Produkte in Limerick, in späteren Jahren sollten dieselben Mengen Korn, Rindfleisch, Schweinefleisch, Butter &c. in natura abgeliefert werden, wie im ersten Jahre; und welche Verbesserungen immer die Gesellschaft anbrachte, die Rente sollte nicht gesteigert werden; auch war ihnen ein Pachtkontrakt für lange Dauer mit gleicher Rente zugesagt, sobald sie genügend Kapital gesammelt, um das Inventar zu kaufen.

„Bis dahin blieb Vandaleur Eigenthümer desselben. Der Pachtzins betrug mehr als er bisher je erzielt. 1831 wurde die Pacht von 900 Pfund Sterling bezahlt, 1832 betrug der Werth des Ertrags fast 1.700 Pfund Sterling; an Vorschüssen für Nahrung, Kleidung, Saatgut &c. hatte die Gesellschaft in dem Jahre 550 Pfund Sterling erhalten. Extravorschüsse für den Bau von Häuschen, Anschaffung von Möbeln und dergleichen, absorbirten den Ueberschuß; aber der Wohlstand stieg und ein Grundstein zu Gedeihen und Glück war gelegt.

„Die Mitglieder der Gesellschaft sollten so lange arbeiten, so viel Arbeit verrichten und nur so viel an Lohn aus der gemeinsamen Kasse nehmen, als wären sie gewöhnliche Landarbeiter, und zwar so lange, bis sie ein eigenes Kapital besäßen. Zu diesem Zweck hielt der Sekretär genau Buch über Arbeitszeit und Leistung eines Jeden an jedem Tag, und am Ende der Woche erhielt Jeder für seine Arbeit so viel Lohn, als ehedem Vandaleur dafür gezahlt hatte. Die Aussicht auf einen Antheil an dem Ueberschuß erwies sich als ein starker Antrieb zur Arbeit, und diese Leute leisteten im Tage doppelt so viel als die Lohnarbeiter der Umgebung. Der aus der gemeinsamen Kasse vorgeschossene Lohn wurde in Arbeitsnoten ausbezahlt, die nur in ihrem eigenen Konsumladen angenommen wurden. Das ermöglichte es dem Grundbesitzer, sie ohne Vorschüsse in baarem Gelde zu erhalten und wirkte der Trunkenheit entgegen, da berauschende Getränke in ihrem Konsumladen nicht gehalten wurden und die Arbeitsnoten in den Schenken keine Annahme fanden.

„Der Konsumladen führte nur Waaren bester Qualität, die zu Engrospreisen abgegeben wurden. Nach irischer Sitte bildeten Kartoffeln und Milch die Hauptnahrung, und der Betrag, der aus der gemeinsamen Kasse bezogen wurde, war verhältnißmäßig gering, aber die Vortheile, welche die Mitglieder der Gesellschaft aus ihrer Vereinigung zogen, hoben ihre Lage hoch über die gewöhnliche Lebenshaltung ihrer Klasse. Die Männer erhielten 4 Schillinge pro Woche. Ihre Ausgaben waren: für Gemüse, namentlich Kartoffeln, 1 Schilling, Milch (10 Quarts) 10 Pence, Wäsche &c. 2 Pence, Krankenkasse 2 Pence, Kleider 1 Schilling 10 Pence. Die Frauen erhielten 2 Schilling 6 Pence in der Woche; sie gaben für Gemüse 6 Pence aus, für Milch 8 Pence, Wäsche &c. 2 Pence, Krankenkasse 1¼ Pence, Kleider 1 Schilling ¾ Pence. Verheirathete Mitglieder, die besonders wohnten, zahlten der Gesellschaft wöchentlich 6 Pence Miethe und etwa 2 Pence für Heizung. Alle Kinder vom vierzehnten Monat an wurden aus der gemeinsamen Kasse erhalten, ohne Belastung ihrer Eltern. Bis zum achten oder neunten Jahre wurden sie in der Kinderschule untergebracht, dann im gemeinsamen Speisesaal zusammen mit den unverheiratheten Mitgliedern. Die Erwachsenen zahlten von ihrem Lohne nichts für Miethe, Feuerung, Vorlesungen, Schulen, Vergnügungen. Sie kauften jeden Artikel im Durchschnitt um 50 Prozent billiger und erhielten bessere Waaren aus ihrem eigenen Konsumladen, sie sonstwo erhalten konnten. Jedes Mitglied konnte stets auf volle Beschäftigung und auf denselben Taglohn rechnen und die Preise der Lebensmittel waren im Konsumladen stets dieselben. Die Kranken und Invaliden erhielten aus der Krankenkasse einen vollen Taglohn. Wenn ein Vater starb, war für seine Familie gesorgt.

„Allmälig stieg die Mitgliederzahl auf das Doppelte der ursprünglichen an. Wohnungen und Mobiliar waren sauber und nett, die Speisen gut und ohne Verschwendung zubereitet, und sie bedienten sich in jedem Produktionszweig so viel als möglich der Maschinen. Die jungen Leute beider Geschlechter unter siebzehn Jahren thaten abwechselnd die Dienstbotenarbeiten. Die Arbeitsstunden dauerten im Sommer von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends mit einer Stunde Mittagspause. Jeden Abend versammelte sich der Verwaltungsausschuß, um die Arbeiten für den folgenden Tag anzuordnen, wobei die individuellen Neigungen und Fähigkeiten möglichst berücksichtigt wurden. Die jungen Leute wurden angehalten, neben der Landarbeit ein nützliches Gewerbe zu lernen, und Jeder, welches immer seine Funktion in der Gesellschaft, hatte bei Feldarbeiten mitzuhelfen, namentlich in der Erntezeit. Der Ladenhalter vertheilte die Nahrungsmittel, Kleidung u. s. w., der Gärtner die Gartenprodukte. Vandaleur verkaufte den Ueberschuß an Produkten und besorgte die Einkäufe für die Wirthschaft und den Konsumladen. Alle Streitigkeiten wurden durch ein Schiedsgericht entschieden und während der drei Jahre ihres Beisammenseins hatten sie nie die Intervention eines Advokaten oder Friedensrichters nöthig. Craig, der eifrige und begabte Beirath Vandaleurs, erzählt, mit welcher Bewunderung die Besucher von Ralahine sprachen, einem System, das die wilden Irländer zähmte und bei ihnen an Stelle der Armuth, der Lumpen, des Elends Reinlichkeit, Gesundheit und Wohlstand setzte.

„Es ist schmerzlich, zu berichten, wie diese Gesellschaft gerade zu der Zeit, als sie rapide Fortschritte machte, plötzlich zertrümmert wurde, und wie melancholisch die Ursache dieses Endes war. Vandaleur gehörte der Aristokratie an und bei allen seinen Vorzügen theilte er eines ihrer Laster. Die Spielwuth ruinirte ihn, seine Familie, seine Gründung. Er floh aus seiner Heimath, seine Gläubiger nahmen sein ganzes Besitzthum in Beschlag, und ohne zu untersuchen, welche Ansprüche die Arbeiter von Ralahine darauf hatten, benutzten sie es, ihre eigenen zu decken. Die Gesellschaft war nicht registrirt, auch hatte Vandaleur keinen Pachtvertrag mit ihr abgeschlossen, daher bot das Gesetz ihr keinen Schutz.“

Nicht minder entschieden wie Ralahine zeigen die kommunistischen Gemeinden in Nordamerika, welche trefflichen Ergebnisse der genossenschaftliche Betrieb der Landwirthschaft auf moderner Grundlage erzielen kann. Nordhoff weist in seinem Buche über diese Gemeinden zu wiederholten Malen darauf hin, daß deren Landwirthschaft die ihrer Nachbarn an Intensivität und rationeller Ausnützung der vorhandenen Kräfte weit übertrifft. Ihr Gedeihen beruht nicht zum Geringsten auf ihrer überlegenen Agrikultur. „Sie sind ausgezeichnete Landwirthe“, sagt er von der Amana-Gemeinde, „die schönes Vieh halten, das sie mit deutscher Sorgfalt betreuen; sie haben Stallfütterung im Winter“. (S. 40) Die Shakers haben

„gewöhnlich schöne Scheunen und alle Arbeitsgelegenheiten sind aufs Beste und Bequemste eingerichtet ... In der Landwirthschaft scheuen sie keine Mühe; langsam arbeiten sie Jahr für Jahr daran, den Boden urbar zu machen, ihn von Steinen zu reinigen und gutes Ackerland herzustellen. Sie lieben Kulturen, die viele detaillirte Sorgfalt erfordern, wie z. B. die Zucht von Gartensämereien. Sie halten schönes Vieh und ihre Wirthschaftsgebäude sind in der Regel ausgezeichnet eingerichtet, um Arbeit zu sparen.“ (S. 149)

„Die Farm (der Perfektionisten von Amerika) ist ausgezeichnet gehalten.“ (S. 278) „Ich darf nicht vergessen mitzutheilen, daß (in der Auroragemeinde) die Obstgärten, Weinberge und Ziergärten rationell und ausgezeichnet bearbeitet sind ... ich zweifle nicht, daß sie Aurora mit seinen Obstgärten und sonstigen werthvollen Kulturen mit der Hälfte der Kosten, die ein privates Unternehmen erheischt hätte, zu dem gemacht haben, was es ist.“ (S. 319, 323)

Die Bishop Hill-Kolonie „besaß 1859 zehntausend Acres Land, alles ordentlich eingezäunt und in ausgezeichnetem Stande. Sie haben das feinste Vieh im Staate“. (S. 346) Und das waren nicht Ausnahmen. Nordhoff erklärt in seinem Resumee ausdrücklich die überlegene Landwirthschaft für eine der Eigenthümlichkeiten der kommunistischen Kolonien. (S. 415) (The communistic societies of the United States)

Das dürfte genügen, zu zeigen, daß die landwirthschaftliche Arbeit der genossenschaftlichen Form keineswegs widerstrebt. Wenn trotzdem die Bauern keinen ernsthaften Versuch machen, sich dieser Form auf denn eigentlichen Gebiet ihrer Tätigkeit zu bemächtigen, so liegt der Grund davon sehr nahe.

Niemand wird behaupten wollen, daß die industrielle Arbeit nicht genossenschaftlich aufs Beste betrieben werden kann. Wir sehen aber, daß trotzdem die Handwerker ebenso wie die Bauern keine Miene machen, von der Einzelproduktion zur genossenschaftlichen überzugehen. So wie diese, versuchen auch jene, nur auf den Gebieten der Waarenzirkulation und des Kredits die Vortheile des Großbetriebs durch genossenschaftliche Organisationen zu gewinnen. Hier wie dort soll der genossenschaftliche Großbetrieb nur ein Mittel sein, der irrationellen Kleinproduktion das Leben zu verlängern, statt sie zur Großproduktion überzuführen.

Und das ist begreiflich genug. Die Handwerker können zu genossenschaftlicher Produktion nicht übergehen, ohne ihr Privateigenthum an den Produktionsmitteln aufzugeben. Je mehr sie besitzen, je eher sie im Stande wären, durch ihre Vereinigung einen konkurrenzfähigen, kapitalkräftigen Großbetrieb zu gründen, desto weniger sind sie geneigt, ihr Privateigenthum in eine gemeinsame Kasse zu thun. Um so weniger, da ja in der heutigen Gesellschaft eine jede derartige Gründung ein Sprung ins Dunkle ist, ein Experiment, bei dem der einzelne Betheiligte nicht wie der wagende Kaufmann bei seinen Spekulationen, sich auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen kann, sondern bei dem sein Gedeihen ganz abhängig ist von den Fähigkeiten, dem Gemeinsinn, der Disziplin Anderer, Eigenschaften, von denen die beiden letzteren gerade beim isolirt arbeitenden Handwerker am wenigsten entwickelt sind.

Noch mehr als für den Handwerker gilt das alles für den Bauern. Man hat das Wort vom Eigenthumsfanatismus der Bauern für eine Beschimpfung erklärt, es spricht aber nur eine bekannte Thatsache aus. Weit mehr noch als der Handwerker an seiner Einzelwerkstatt hängt der Bauer an seinem Grund und Boden. Je mehr die Bevölkerung anwächst, je größer das Verlangen nach Land, desto zäher klebt er an seiner Scholle. In Amerika verläßt er, oder verließ er wenigstens bis vor Kurzem, leichten Herzens sein Gut, wenn es nicht mehr genügenden Ertrag abwarf, um nach dem Wesen zu ziehen, wo noch genug Land vorhanden. In Deutschland und Frankreich ist ihm keine Entbehrung groß genug, seine Parzelle zu behaupten, kein Preis hoch genug, ihr eine neue hinzuzufügen. Man denke nur an die Schwierigkeiten, denen eine so nothwendige und wohlthätige Operation, wie die Zusammenlegung der mit anderem Besitz bunt gemengten Grundstücke des Einzelnen begegnet!

Dabei handelt es sich nur um einen Austausch von Grundstücken, bei dem jeder Betheiligte gewinnt. Diese Operation kann der widerstrebenden Minorität einer Gemeinde aufgezwungen werden. Schon im vorigen Jahrhundert ging der „aufgeklärte“ Absolutismus in dieser Richtung vor, mitunter recht rücksichtslos. Aber heute noch ist man in Deutschland weit von der allgemeinen Durchführung der Zusammenlegung der Grundstücke entfernt. Da kann man sich denken, wie aussichtslos der Versuch wäre, eine bäuerliche Produktivgenossenschaft zu gründen, bei der die Betheiligten ihre Grundstücke nicht auszutauschen, sondern an die Genossenschaft abzugeben hätten, eine Operation, die den widerstrebenden Elementen nicht aufgezwungen werden könnte.

Und der von vornherein zu Mißtrauen geneigte Bauer wäre der Genossenschaft gegenüber besonders geneigt dazu, denn seine jetzige Arbeits- und Lebensbedingungen isoliren ihn noch mehr als den Handwerker, entwickeln in ihm noch weniger als in diesem die genossenschaftlichen Tugenden.

Das Genossenschaftswesen in die Produktion einzuführen, das vermögen nur jene Elemente, die nichts zu verlieren haben, als ihre Ketten, jene Elemente, die der kapitalistische Betrieb geschult hat in dem gesellschaftlichen Zusammenarbeiten, in denen der organisirte Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung die genossenschaftlichen Tugenden groß gezogen hat, das Vertrauen zur Gesammtheit der Genossen, die Hingabe an die Gesammtheit, die freiwillige Unterordnung unter sie.

Kein Entwicklungsstadium läßt sich überspringen. Die große Masse der Durchschnittsmenschen kann unter normalen Verhältnissen nicht unvermittelt vom handwerksmäßigen oder bäuerlichen Betrieb zum genossenschaftlichen Großbetrieb übergehen. Das Privateigenthum an den Produktionsmitteln steht dem hemmend im Weg. Erst die kapitalistische Produktionsweise schafft die Vorbedingungen für den genossenschaftlichen Großbetrieb, indem sie nicht nur eine Klasse von Arbeitern hervorbringt, für die das Privateigenthum an den Produktionsmitteln aufgehoben ist, sondern auch den Produktionsprozeß zu einem gesellschaftlichen macht und den Klassengegensatz zwischen den Kapitalisten und ihren Lohnarbeitern erzeugt und verschärft, der diese zwingt, die Ersetzung des kapitalistischen Eigenthums an den Produktionsmitteln durch das gesellschaftliche anzustreben.

Nicht von den Besitzenden, nur von den Besitzlosen kann der Uebergang zur genossenschaftlichen Produktion ausgehen. Damit soll jedoch nicht etwa gesagt sein, daß für Bauern und Handwerker nur ein einziger Weg zur genossenschaftlichen Produktion führt, der durch das Durchgangsstadium des Proletariats hindurch; daß sie naturnothwendig vom Kapital expropriirt werden müßten, daß sozialistische Produktion unmöglich sei, so lange es noch Bauern und Handwerker gebe. Nichts irriger als das. Damit ist nur so viel gesagt, daß einzig das siegreiche Proletariat die Initiative zur genossenschaftlichen Produktion ergreifen und die Bedingungen schaffen kann, welche es auch Handwerkern und Bauern nicht blos ideell, wie heute, sondern thatsächlich möglich machen, zu genossenschaftlicher Großproduktion überzugehen.

Bewähren sich erst einmal die sozialistischen – von proletarischen können wir dann nicht mehr reden – Genossenschaften, ist einmal das Risiko verschwunden, das heute noch jedem wirthschaftlichen Unternehmen anhaftet, wird der Bauer durch das Aufgeben seines Bodens nicht mehr mit der Proletarisirung bedroht, dann wird auch er erkennen, daß das Privateigenthum an den Produktionsmitteln nur ein Hinderniß für ihn ist, zu einer höheren Betriebsform überzugehen, ein Hinderniß, dessen er sich dann gern entledigen wird.

Dagegen ist es ein Unding, zu erwarten, daß der Bauer in der heutigen Gesellschaft zur genossenschaftlichen Produktion übergehen wird. Das heißt aber nichts Anderes, als daß es ausgeschlossen ist, das Genossenschaftswesen könne in der kapitalistischen Produktionsweise für den Bauern ein Mittel werden, sich aller Vortheile des Großbetriebs zu bemächtigen, und dadurch sein bäuerliches Eigenthum, diese wankende Säule des Bestehenden, zu stärken und zu befestigen. Der Bauer, der einmal erkannt hat, daß er nur durch genossenschaftliche landwirthschaftliche Produktion sich behaupten kann, der wird auch zur Erkenntniß kommen, daß eine derartige Produktion für ihn nur dort erreichbar ist, wo das Proletariat die Macht hat, die gesellschaftlichen Verhältnisse seinen Interessen entsprechend zu gestalten. Dann aber wird er Sozialdemokrat.


Zuletzt aktualisiert am 26.2.2012