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Wir haben gesehen, wie die Masse der Bevölkerung in den Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise immer mehr zu Proletariern wird, zu Arbeitern, die getrennt sind von ihren Produktionsmitteln, so daß sie auf eigene Faust nichts produzieren können und daher gezwungen sind, sollen sie nicht verhungern, das einzige zu verkaufen, was sie besitzen, ihre Arbeitskraft. Die Mehrzahl der Bauern und Kleingewerbetreibenden gehört tatsächlich auch schon zum Proletariat. Was sie davon scheidet, ihr Besitz, ist nur noch ein dünner Vorhang, mehr geeignet, ihre Ausbeutung und Abhängigkeit zu verhüllen als zu verhindern, ein Vorhang, den jedes stärkere Lüftchen hebt und davonträgt. Auf der anderen Seite sehen wir eine kleine Schar von Besitzenden, Kapitalisten und Großgrundbesitzern, denen die wichtigsten Produktionsmittel, die wichtigsten Lebensquellen für die ganze Bevölkerung allein gehören und denen dieser Alleinbesitz die Möglichkeit und die Macht verleiht, die Besitzlosen von sich abhängig zu machen und auszubeuten.
Während die Mehrheit der Bevölkerung immer tiefer in Not und Elend versinkt, ist es diese kleine Schar von Kapitalisten und Großgrundbesitzern, die samt den ihr anhängenden Schmarotzern allein alle jene ungeheuren Vorteile einheimst, welche sich ergeben aus den Errungenschaften der heutigen Kultur, vor allem aus den Fortschritten in den Naturwissenschaften und deren praktischer Anwendung.
Sehen wir uns nun diese kleine Schar Auserwählter näher an; betrachten wir die Rolle, die sie im Wirtschaftsleben spielt, und die Folgen, die daraus für die Gesellschaft erwachsen.
Wir haben bereits die drei Arten kennengelernt, in die das Kapital zerfällt: das Kaufmannskapital, das Wucherkapital, das industrielle Kapital. Die letztgenannte Kapitalart ist die jüngste, vielleicht nicht so viele Jahrhunderte alt, als die anderen beiden Kapitalarten Jahrtausende zählen. Aber der jüngste Bruder ist rascher, viel rascher gewachsen als die älteren; er ist zum Riesen geworden, der sie unterjocht und in seinen Dienst gezwungen hat. Für den Kleinbetrieb in seiner vollkommenen (klassischen) Form ist der Handel keine unbedingte Notwendigkeit. Der Bauer wie der Handwerker kann die Produktionsmittel, soweit er welche kaufen muß, direkt vom Produzenten beziehen; er kann sein Produkt direkt an den Konsumenten verkaufen. Der Handel dient auf dieser Stufe der ökonomischen Entwicklung vorzugsweise dem Luxus, er ist aber für den Fortgang der Produktion im ganzen, für die Erhaltung der Gesellschaft, nicht unentbehrlich.
Die kapitalistische Produktion dagegen ist, wie wir gesehen, von vornherein auf den Handel angewiesen – wie andererseits der Handel von einer gewissen Stufe an zu seiner Weiterentwicklung der kapitalistischen Produktion bedarf. Je mehr diese sich ausbreitet, je mehr die kapitalistische Produktionsweise die herrschende wird, um so notwendiger erweist sich der Fortgang des Handels für das ganze Wirtschaftsleben. Er dient heute nicht mehr bloß dem Überfluß, dem Luxus. Die ganze Produktion, ja die Ernährung der Bevölkerung eines kapitalistischen Landes hängt heute davon ab, daß der Handel ungestört in seinen Bahnen sich bewegt. Es ist dies einer der Gründe, die gegenwärtig einen Weltkrieg viel verheerender machen müssen, als er je gewesen. Der Krieg führt zu einer Stockung des Handels, eine solche bedeutet aber heute eine Stockung der Produktion, des ganzen wirtschaftlichen Lebens, bedeutet einen ökonomischen Ruin, der sich weiter erstreckt und nicht minder unheilvoll ist als die Verwüstungen auf dem Kriegsschauplatz.
Ebenso wichtig wie die Entwicklung des Handels ist für die kapitalistische Produktionsweise die Entwicklung des Wuchers geworden. Der Wucherer war unter der Herrschaft des Kleinbetriebs ein Schmarotzer, der die Notlage oder den Leichtsinn anderer benützte, ihnen ihr Blut abzuzapfen. Das Geld, das er anderen lieh, diente in der Regel - und die Regel war, daß jeder Produzent die nötigen Produktionsmittel selbst besaß – nur zu Zwecken unproduktiver Ausgaben. Wenn z. B. ein Edelmann Geld pumpte, so tat er es, um dasselbe zu verjubeln; wenn ein Bauer, so, um damit seine Geldabgaben oder Prozeßkosten zu bezahlen. Das Borgen gegen Zins galt daher als unmoralisch und wurde allgemein verdammt.
Ganz anders in der kapitalistischen Produktionsweise. Geld ist jetzt Mittel, einen kapitalistischen Betrieb einzurichten, Arbeitskräfte zu kaufen und auszubeuten. Wenn ein Unternehmer heutzutage Geld aufnimmt, um ein neues Unternehmen zu gründen oder ein schon bestehendes zu erweitern, so bedeutet das nicht – vorausgesetzt natürlich, das Unternehmen gedeiht –, daß er sein bisheriges Einkommen um den Betrag der Verzinsung dieser Geldsumme schmälert. Das geliehene Geld dient ihm vielmehr dazu, Arbeitskräfte auszubeuten, also sein Einkommen zu vergrößern, und zwar um mehr als den Betrag der schuldigen Zinsen. Der Wucher verliert jetzt seinen ursprünglichen Charakter. Seine Rolle als Mittel der Ausbeutung der Notlage und des Leichtsinns tritt immer mehr zurück gegenüber der Rolle, die kapitalistische Produktion zu „befruchten“, das heißt, es zu ermöglichen, daß ihre Entwicklung noch rascher vor sich geht, als durch die bloße Ansammlung von Kapital in den Geldschränken der industriellen Kapitalisten ermöglicht würde. Der Abscheu vor dem Wucherer hört nun auf; dieser wird makellos und erhält auch einen neuen, wohlklingenden Namen: Kreditgeber.
Gleichzeitig ist die Hauptrichtung der Bewegung des zinstragenden Kapitals eine andere geworden. Die Geldsummen, welche die Wucherkapitalisten in ihren Schränken aufhäuften, flössen früher aus diesen Sammelbecken durch tausend Kanäle an die Nichtkapitalisten ab. Heute sind die Geldschränke des Wucherkapitals – der Kreditinstitute - vielmehr Sammelbecken geworden, in welche durch tausend Kanäle das Geld der Nichtkapitalisten hineinfließt, um von dort aus den Kapitalisten zugeführt zu werden. Der Kredit ist heute wie ehedem ein Mittel, Nichtkapitalisten – Besitzlose und Besitzende - dem Kapital zinspflichtig zu machen. Aber er ist jetzt auch ein mächtiges Mittel geworden, die Besitztümer, die sich in den Händen der verschiedenen Klassen von Nichtkapitalisten befinden, von den ungeheuren Reichtümern der katholischen Kirche und des alten Adels an bis herab zu den dürftigen Spargroschen der Dienstmädchen und Taglöhner, in Kapital zu verwandeln, das heißt in ein Mittel der Ausbeutung der einen und der Zersetzung der anderen dieser Klassen. Man preist die heutigen Krediteinrichtungen, die Sparbanken usw., weil sie die Spargroschen der Lohnarbeiter, Handwerker und Bauern zu Kapital und diese zu „Kapitalisten“ machen, wie die Anhänger der heutigen Ordnung behaupten. Aber diese Ansammlung der Gelder von Nichtkapitalisten hat keinen anderen Zweck, als den Kapitalisten neue Kapitalien zur Verfügung zu stellen und dadurch die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zu beschleunigen. Was aber das für Lohnarbeiter, Bauern und Handwerker bedeutet, haben wir gesehen.
Wenn die heutigen Krediteinrichtungen immer mehr dafür sorgen, daß die gesamten Vermögen der verschiedenen Klassen der Nichtkapitalisten zu Kapital werden, welches der Kapitalistenklasse zur Verfügung gestellt wird, so sorgen sie andererseits dafür, daß die Kapitalien der Kapitalistenklasse besser ausgenützt werden als bisher. Sie werden die Sammelbecken aller Geldsummen der einzelnen Kapitalisten, welche diese jeweilig in ihren Unternehmungen zu verwenden keine Gelegenheit haben, und sie machen diese Summen, die sonst „tot“ daliegen würden, anderen Kapitalisten zugänglich, die ihrer bedürfen. Sie ermöglichen es auch, die Waren in Geld zu verwandeln, ehe sie verkauft sind, und vermindern dadurch die Umlaufzeit, also auch die Menge des Kapitals, die jeweilig zum Betrieb eines bestimmten Unternehmens erforderlich ist.
Durch alles das wird die Menge und Wirkungskraft des Kapitals, das der Kapitalistenklasse zur Verfügung steht, ungemein erweitert. Daher ist der Kredit heute einer der kräftigsten Hebel der kapitalistischen Produktion geworden. Neben der hohen Entwicklung des Maschinenwesens und der Ansammlung der industriellen Reservearmee ist er eine der Hauptursachen jener Schnellkraft der heutigen Produktionsweise, welche die Industrie befähigt, auf den leisesten Anstoß hin rasch in die Höhe zu schießen und sich mächtig auszudehnen.
Aber der Kredit ist noch weit empfindlicher gegen jede Störung als der Handel. Und jede Erschütterung, die er erfährt, pflanzt sich auf das ganze wirtschaftliche Leben fort.
Manche Ökonomen haben den Kredit für ein Mittel gehalten, wodurch die Besitzlosen oder wenig Besitzenden zu Kapitalisten gemacht werden könnten. Aber wie schon sein Name besagt, beruht der Kredit auf dem Vertrauen des Kreditgebers in den Kreditnehmer. Je mehr dieser besitzt, desto größer die Sicherheit, die er bietet, desto größer der Kredit, den er genießt. Das Kreditwesen ist also nur ein Mittel, den Kapitalisten noch mehr Kapital zu verschaffen, als sie besitzen, das Übergewicht der Kapitalisten zu vergrößern, die gesellschaftlichen Gegensätze zu verschärfen, nicht abzuschwächen.
Das Kreditwesen ist demnach nicht nur ein Mittel, die kapitalistische Produktion schneller zu entwickeln und sie zur Ausnützung jeder günstigen Konjunktur zu befähigen; es ist auch ein Mittel, den Untergang des Kleinbetriebs zu fördern; es ist aber endlich auch ein Mittel, das ganze Getriebe der heutigen Produktionsweise immer verwickelter und empfindlicher gegen Störungen zu gestalten und das Gefühl der Unsicherheit auch in die Reihen der Kapitalisten zu tragen, den Boden, auf dem sie sich bewegen, immer schwankender zu machen.
Während die wirtschaftliche Entwicklung auf der einen Seite dahin führt, Handel und Kredit in immer engere Beziehung zur Industrie zu bringen, bewirkt sie auf der anderen Seite, daß infolge der zunehmenden Arbeitsteilung immer mehr die verschiedenen Funktionen (Verrichtungen), welche der Kapitalist im Wirtschaftsleben zu erfüllen hat, verschiedenen, voneinander gesonderten Unternehmungen und Einrichtungen zufallen. Ehedem hatte der Kaufmann die Waren nicht bloß zu kaufen und zu verkaufen; er mußte sie auch sammeln, aufspeichern und auf den oft sehr entfernten Markt bringen; er mußte die Waren sortieren, auslegen und den einzelnen Käufern zugänglich machen. Heute haben wir nicht bloß die Arbeitsteilung zwischen Kleinhandel und Großhandel; wir haben eigene große Unternehmungen für das Transportwesen und für die Aufspeicherung der Waren (Lagerhäuser, Elevatoren); auf den größten Zentralmärkten, den Börsen, ist das Kaufen und Verkaufen so sehr eine Tätigkeit für sich geworden, so losgelöst von den anderen Verrichtungen des Kaufmanns, daß man da nicht bloß Waren kauft und verkauft, die noch weit entfernt, ja, noch gar nicht erzeugt worden sind, sondern daß man auch Waren kauft, ohne sie in Besitz nehmen zu wollen, daß man Waren verkauft, die man nicht besitzt.
Ehedem konnte man sich einen Kapitalisten nicht vorstellen ohne einen großen Geldschrank, in dem das Geld sich sammelte, welches er vereinnahmte, aus dem er das Geld entnahm, welches er zu seinen Zahlungen benötigte. Heute ist das Kassenwesen der Kapitalisten in den wirtschaftlich vorgeschrittenen Ländern, namentlich England, Amerika, Sache besonderer Unternehmungen, Banken, geworden. Man zahlt nicht mehr an den Kapitalisten, sondern an dessen Bank, erhält von ihr, nicht vom Kapitalisten, was dieser schuldet. So kommt es dahin, daß einige wenige Zentralunternehmungen das Kassenwesen der ganzen Kapitalistenklasse eines Landes besorgen.
Aber wenn in dieser Weise die verschiedenen Funktionen des Kapitalisten verschiedenen selbständigen Unternehmungen zufallen, so werden sie dadurch nur äußerlich, juristisch, unabhängig voneinander; wirtschaftlich bleiben sie nach wie vor auf das engste aneinandergekettet und aufeinander angewiesen. Die Funktionen der einen dieser Unternehmungen können nicht regelrecht vor sich gehen, wenn die Funktionen irgendeiner der anderen Unternehmungen, mit denen sie geschäftlich verbunden sind, eine Störung erleiden.
Je mehr Handel, Kredit und Industrie in gegenseitige Abhängigkeit voneinander geraten und je mehr die verschiedenen Verrichtungen der Kapitalistenklasse gesonderten Unternehmungen zufallen, um so größer die Abhängigkeit des einzelnen Kapitalisten von den anderen. Die kapitalistische Wirtschaft eines Landes – ja, in gewissen Beziehungen bereits die des ganzen Weltmarkts – wird immer mehr ein einziger ungeheurer Körper, dessen Teile in engster Verbindung miteinander stehen. Gerät die Masse der Bevölkerung immer mehr in Abhängigkeit von den Kapitalisten, so geraten diese immer mehr in Abhängigkeit voneinander.
Das wirtschaftliche Getriebe der heutigen Produktionsweise wird immer mehr ein so verwickelter und empfindlicher Mechanismus, daß sein ungestörter Fortgang mehr und mehr davon abhängt, daß alle seine unzähligen Rädchen genau ineinandergreifen und ihre Schuldigkeit tun. Nie bedurfte eine Produktionsweise so sehr der planmäßigen Regelung wie die heutige. Aber das Privateigentum macht es unmöglich, Plan und Ordnung in dieses Getriebe zu bringen. Während die einzelnen Betriebe wirtschaftlich immer abhängiger voneinander werden, bleiben sie rechtlich, juristisch voneinander unabhängig. Die Betriebsmittel jedes einzelnen Betriebs sind Privateigentum, ihr Eigentümer kann darüber nach Belieben verfügen.
Je mehr der Großbetrieb sich entwickelt, je großer die einzelnen Betriebe werden, desto mehr wird die wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb eines jeden derselben eine geregelte, nach einem bestimmten, genau erwogenen Plane bis ins Kleinste geordnete. Aber das Zusammenwirken der einzelnen Betriebe miteinander bleibt der blinden Triebkraft der freien Konkurrenz überlassen. Unter ungeheurer Verschwendung von Kraft und Mitteln und durch stets stärker werdende Erschütterungen hält diese das wirtschaftliche Getriebe im Gang; nicht dadurch, daß sie jeden an seinen richtigen Platz stellt, sondern dadurch, daß sie jeden zermalmt, der dem Fortgang des Getriebes im Wege steht. Man nennt das „Auslese der Besten im Kampf ums Dasein“. In der Tat merzt aber die freie Konkurrenz weniger die Untüchtigen als vielmehr diejenigen aus, die an einem falschen Platze stehen, zu dessen Behauptung entweder ihre Fähigkeiten oder aber – und das ist die Hauptsache – ihre Kapitalien nicht ausreichen. Aber sie begnügt sich heutzutage nicht damit, diese dem „Kampf ums Dasein“ nicht Gewachsenen auszumerzen. Jede solche Ausmerzung eines Unterlegenen zieht den Ruin oder die Erschütterung zahlreicher anderer Existenzen nach sich, die in ökonomischer Verbindung mit dem Betrieb standen, der dem Bankerott anheimgefallen – Lohnarbeiter, Gläubiger, Lieferanten usw.
Man gebraucht heute noch gern das Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied. Es stammt aus der Zeit des Kleinbetriebs, wo von den persönlichen Eigenschaften des einzelnen Arbeiters sein Schicksal abhing – und nur das seine und das seiner Familie. Heute hängt das Schicksal eines jeden Mitglieds einer kapitalistischen Gesellschaft immer weniger von seiner Persönlichkeit, immer mehr dagegen von tausenderlei Umständen ab, auf die es keinen Einfluß hat. Es ist nicht mehr eine Auslese der Besten, welche die Konkurrenz heute zustande bringt.
Woher zieht nun die Kapitalistenklasse ihr Einkommen? Handelskapital und Wucherkapital erlangen ihre Gewinne und Zinsen ursprünglich durch Abzüge vom Besitz der auf ihre Hilfeleistung oder Vermittlung angewiesenen Personen aus den verschiedensten Klassen. Das industrielle Kapital heckt seinen Profit durch Ausbeutung der besitzlosen Lohnarbeiter. Aber je mehr die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt, desto mehr überflügelt das industrielle Kapital die anderen Kapitalarten, desto mehr macht es sich diese dienstbar, wie wir gesehen, was es aber nur dadurch kann, daß es einen Teil des Mehrwerts, den es aus den Lohnarbeitern gezogen, an sie abtritt. Infolge dieser Entwicklung wird der von den Proletariern erzeugte Mehrwert immer mehr die einzige Quelle, aus welcher die gesamte Kapitalistenklasse ihre Einnahmen schöpft. Wie Handwerk und bäuerliche Landwirtschaft im Verschwinden begriffen sind und das Wesen der heutigen Gesellschaft immer weniger beeinflussen, so auch die alten Formen des Kaufmanns- und Wucherkapitals, die aus der Ausbeutung der nichtkapitalistischen Klassen ihre Gewinne zogen. Es gibt heute schon Staaten ohne Handwerk und Bauernschaft – siehe England. Aber kein einziger der modernen Staaten ist denkbar ohne Großindustrie. Wer die heutigen Formen des Kapitals verstehen will, der muß vom industriellen Kapital ausgehen: In dem Mehrwert, den die kapitalistische Industrie produziert, ist die wesentlichste und immer mehr hervortretende der Quellen zu suchen, denen aller kapitalistische Gewmn entströmt.
Wir haben bereits im vorigen Kapitel den Mehrwert kennengelernt, den der industrielle Proletarier erzeugt und der industrielle Kapitalist sich aneignet. Wir haben auch gesehen, in welcher Weise die Menge des Mehrwerts, die der einzelne Arbeiter erzeugt, im Verhältnis zur Größe seines Lohnes immer mehr gesteigert wird: durch Vermehrung der Arbeitslast des Arbeiters, Einführung arbeitsparender Maschinen und billigerer Arbeitskräfte usw. Gleichzeitig wächst auch mit der Entwicklung der kapitalistischen Industrie die Zahl der ausgebeuteten Proletarier: So schwillt die Masse des Mehrwerts, der der Kapitalistenklasse zufließt, immer mehr und mehr an.
Aber leider, leider wird „des Lebens ungemischte Freude keinem Sterblichen zuteil“, und so muß die Kapitalistenklasse „teilen“, so verhaßt ihr auch das Teilen ist; sie muß den Mehrwert, den sie ergattert, teilen mit dem Grundbesitz und dem Staat. Und der Anteil, den diese beiden einsacken, wächst von Jahr zu Jahr.
Wenn wir von den Klassen reden, die immer mehr zu den Alleinbesitzern und Ausbeutern, den Monopolisten der Produktionsmittel werden, so müssen wir unterscheiden zwischen den Kapitalisten und den Großgrundbesitzern. Denn der Grund und Boden ist ein Produktionsmittel eigener Art. Er ist das unentbehrlichste von allen; ohne ihn ist keine menschliche Tätigkeit möglich; selbst der Seefahrer und der Luftschiffer bedürfen eines Abfahrts- und eines Landungsplatzes. Aber der Grund und Boden ist auch ein Produktionsmittel, das keineswegs beliebig vermehrbar ist. Es ist indes bisher kaum jemals in einem größeren Gebiet vorgekommen, daß jedes Fleckchen Erde von seinen Bewohnern in Anbau genommen worden wäre. Selbst in China gibt es noch weite Strecken unbebauten Landes.
Unter der Herrschaft des bäuerlichen Kleinbetriebs im mittelalterlichen Europa besaß jeder Bauer seinen Hof und sein Ackerland für sich. Wasser, Wald, Weide waren Gemeineigentum, und die Menge des unangebauten Bodens war so groß, daß man jedem erlauben konnte, jene Grundstücke in Besitz zu nehmen und zu bewirtschaften, die er in der Wildnis urbar machte. Da kam die Entwicklung der Warenproduktion mit ihren Folgen, die wir bereits kennengelernt. Die Erzeugnisse des Bodens wurden zu Waren, sie erhielten einen Wert. Das machte rückwirkend auch den Boden zu einer Ware mit einem Wert. Die einzelnen Bauerngemeinden und Genossenschaften suchten jetzt den Kreis ihrer Mitglieder zu schließen, und diese fingen an, den Grund und Boden, den sie gemeinsam besaßen und zum Teil (als Wald und Weide) auch gemeinsam bewirtschafteten, nicht mehr als unveräußerliches Gemeineigentum der Gemeinde oder Genossenschaft, sondern als eine Art von gemeinsamem Privateigentum zu betrachten, das nur den augenblicklichen Mitgliedern und deren Erben gehörte, von dem alle später hinzukommenden Gemeindemitglieder ausgeschlossen waren. Sie wollten den Boden zu ihrem Monopol machen. Aber nach dem Gemeineigentum der Gemeinde wurde noch jemand anderer lüstern, der Grundherr, welcher der Schutzherr des Gemeineigentums gewesen war; sollte dieser Grundbesitz, der jetzt so wertvoll geworden, Privateigentum werden, dann sein Privateigentum. In den meisten Gegenden, namentlich aber dort, wo der landwirtschaftliche Großbetrieb sich entwickelte, gelang es den Grundherrn, sich des bäuerlichen Gemeineigentums zu bemächtigen. Das Bauernlegen, das Vertreiben einzelner Bauern von ihren Wirtschaften, folgte nach. Aller Boden, auch der landwirtschaftlich nicht benutzte, ging jetzt in Privateigentum über, der Grundbesitz wurde ein Vorrecht einiger weniger.
So ist durch die ökonomische Entwicklung, namentlich durch die Bildung des Großgrundbesitzes, der Grund und Boden zu einem Monopol geworden, lange bevor noch die verfügbare Anbaufläche erschöpft war, lange bevor man noch von einer Übervölkerung hätte reden können. Wenn also der Grund und Boden eine Ausnahmsstellung als Produktionsmittel deswegen einnimmt, weil er nicht beliebig vermehrbar ist, so nicht deswegen, weil aller vorhandene Grund und Boden bereits in Anbau genommen worden, sondern weil er – wenigstens in den Kulturländern – bereits vollständig von einer Minderheit in Besitz genommen ist. Dadurch entsteht ein Monopol ganz eigener Art. Die Kapitalistenklasse hat allerdings den besitzlosen Klassen gegenüber das Monopol auf die Produktionsmittel. Aber innerhalb der Kapitalistenklasse selbst gibt es kein Monopol bestimmter Mitglieder derselben auf bestimmte Produktionsmittel, wenigstens kein dauerndes Monopol. Wenn ein Kapitalistenring sich bildet zur Monopolisierung einer bestimmten, höchst wichtigen Erfindung, z. B. einer neuen Maschine, so können sich immer andere Kapitalisten finden, welche diese Maschine entweder ebenfalls kaufen oder durch eine neue Erfindung übertrumpfen oder früher oder später nachmachen. Das alles ist beim Grundbesitz nicht möglich. Die Grundbesitzer haben ein Monopol nicht bloß gegenüber den besitzlosen Klassen, sondern auch gegenüber der Kapitalistenklasse.
Die Eigenart des Grundbesitzes ist am schärfsten ausgebildet in England, wo eine kleine Zahl von Familien den Grundbesitz des ganzen Landes in Händen hat und an ihm festhält, ihn nicht verkauft. Wer Grund und Boden braucht, erhält ihn von ihnen bloß geliehen gegen einen bestimmten Pachtzins, die Grundrente. [7] Ein Kapitalist, der eine Fabrik oder ein Wohnhaus bauen, ein Bergwerk anlegen oder einen landwirtschaftlichen Betrieb unternehmen will, kann in England den Grund und Boden in der Regel nicht kaufen, sondern nur pachten.
Bei uns ist der Kapitalist meist auch Grundeigentümer: Der Fabrikant besitzt den Boden, auf dem seine Fabrik steht, der Bergwerksunternehmer ist der Besitzer der Gruben, die er abbauen läßt; andererseits ist der Großgrundbesitzer meist auch industrieller Kapitalist – die Landwirtschaft wird, wie schon erwähnt, in der kapitalistischen Produktionsweise auch eine kapitalistische Industrie, die im großen und ganzen denselben Gesetzen unterliegt wie die anderen Industriezweige. Wenn der Kapitalist auf eigenem Grund und Boden wirtschaftet, wenn er selbst Grundbesitzer ist, braucht er natürlich den Mehrwert mit diesem nicht zu teilen. Das ändert aber nichts Wesentliches an der Sache. Denn er ist Grundbesitzer nur dadurch geworden, daß er dem früheren Besitzer des Grundstücks ein Kapital gezahlt hat, dessen Zinsen dem Betrag der Grundrente entsprechen. Er bezahlt also die Grundrente auf jeden Fall; in der einen wie in der anderen Form schmälert sie seinen Profit.
Der Monopolcharakter des Grundbesitzes verschärft sich aber um so mehr, je stärker die Nachfrage nach Grundbesitz wird, je mehr die Bevölkerung anwächst, je mehr die Kapitalistenklasse an Grundbesitz bedarf, je mehr die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt. In demselben Maße wächst auch die Grundrente, das heißt der Betrag der gesamten in der kapitalistischen Gesellschaft gezahlten Grundrente. Es muß keineswegs notwendig die Rente jedes Grundstücks wachsen. Ein Grundstück wirft unter sonst gleichen Verhältnissen um so mehr Rente ab, je fruchtbarer und je günstiger gelegen (z. B. näher oder ferner vom Markte) es ist – auf die Gesetze der Rente selbst können wir hier natürlich nicht eingehen. – Die Erschließung neuer fruchtbarer Ländereien kann also die Grundrente eines erschöpften Bodens herabdrücken; aber um so stärker wird die Grundrente des neuerschlossenen Bodens wachsen. So können auch Verbesserungen der Transportmittel die Rente eines dem Markte nahe gelegenen Gebiets herabdrücken zugunsten ferner liegender Gebiete. Beides ist in den letzten zwei Jahrzehnten vor sich gegangen. Die amerikanische Grundrente ist gestiegen, und zwar, soweit nicht landwirtschaftliche Schutzzölle dem entgegenwirkten, auf Kosten der westeuropäischen. Doch gilt dies nur für landwirtschaftlich benützten Boden. In den Städten ist die Grundrente überall in stetigem, raschem Steigen begriffen. Denn die kapitalistische Produktionsweise drängt die Masse der Bevölkerung immer mehr in den Städten zusammen. Unglücklicherweise leidet darunter weniger der Profit der industriellen Kapitalisten als vielmehr die körperliche und geistige Gesundheit der ärmeren Volksklassen. Wir lernen da in der Wohnungsfrage eine neue Quelle der Leiden des Proletariats kennen. Auf dieselbe näher einzugehen ist hier nicht der Ort.
Beschneidet der Grundbesitzer in immer größerem Maße den Anteil des Kapitalisten am Mehrwert – entweder unmittelbar oder mittelbar, etwa durch Erhöhung der Erhaltungskosten der Arbeiter –, so ist nicht minder der Staat in der gleichen Weise tätig. Der moderne Staat ist mit der Kapitalistenklasse und durch sie groß geworden, wie er andererseits das kräftigste Mittel gewesen ist, sie in die Höhe zu bringen. Beide haben einander gegenseitig gefördert. Die Kapitalistenklasse kann des Staates nicht entbehren. Sie bedarf seines Schutzes nach innen und außen.
Je mehr die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt, desto schroffer werden die Gegensätze und Widersprüche, die sie erzeugt; desto verwickelter wird aber auch ihr Getriebe, desto größer die Abhängigkeit der einzelnen voneinander, desto größer das Bedürfnis nach einer Autorität, die über ihnen steht und dafür sorgt, daß jeder die Pflichten erfüllt, die ihm aus seinen wirtschaftlichen Funktionen erwachsen. Ein so empfindliches Getriebe wie die heutige Produktionsweise verträgt weniger als eine andere der bisherigen Produktionsweisen die Austragung von Gegensätzen und Streitigkeiten durch die Selbsthilfe der dabei Interessierten. Anstelle der Selbsthilfe tritt das vom Staat gehütete Recht.
Die kapitalistische Ausbeutung ist keineswegs das Erzeugnis eines bestimmten Rechtes. Es sind vielmehr ihre Bedürfnisse, die das heute geltende Recht geschaffen und zur Herrschaft gebracht haben. Dasselbe erzeugt nicht die Ausbeutung, es sorgt nur dafür, daß sie, wie andere Vorgänge im wirtschaftlichen Leben, so glatt als möglich vor sich geht. Haben wir eben die Konkurrenz als die Triebkraft der heutigen Produktionsweise bezeichnet, so können wir das Recht als das Schmieröl betrachten, welches dafür sorgt, daß die Reibungswiderstände im wirtschaftlichen Getriebe sich möglichst wenig fühlbar machen. Je mehr diese Reibungswiderstände wachsen, je schroffer auf der einen Seite die Gegensätze zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, zwischen Besitzenden und Besitzlosen werden, je größer namentlich das Lumpenproletariat; je mehr auf der anderen Seite innerhalb der Kapitalistenklasse jeder einzelne Unternehmer zum ungestörten Fortgang seines Unternehmens auf die prompte Mitwirkung zahlreicher anderer Kapitalisten angewiesen ist, um so stärker das Bedürfnis nach einem zweckentsprechenden Recht, desto ausgedehnter die Inanspruchnahme seiner Organe – Justiz und Polizei –, um so größer das Bedürfnis nach einer starken Staatsgewalt, die dem Recht Nachdruck zu verleihen vermag.
Aber es handelt sich den Kapitalisten nicht bloß darum, im Innern ihres Landes ungestört produzieren, kaufen und verkaufen zu können. Der Außenhandel spielt von vornherein eine große Rolle in der kapitalistischen Produktion, und je mehr diese zur herrschenden wird, um so mehr erscheint die Sicherung und Ausdehnung des auswärtigen Markts als ein Lebensinteresse der ganzen Nation. Aber auf dem Weltmarkt treffen die Kapitalisten der einen Nation auf Konkurrenten aus anderen Nationen. Diesen die Spitze zu bieten, rufen sie den Staat an, der durch seine Kriegsmacht ihren Rechten Achtung verschaffen oder – was noch besser – gar die fremden Konkurrenten verjagen soll. So wie die Staaten und Monarchen immer mehr in Abhängigkeit von der Kapitalistenklasse geraten, so dienen auch die Kriegsheere immer mehr nicht bloß den persönlichen Zwecken der Monarchen, sondern auch den Zwecken der Kapitalistenklasse. Die Kriege werden immer mehr aus dynastischen zu Handelskriegen und schließlich zu nationalen Kriegen, die in letzter Linie auch nur auf die ökonomischen Gegensätze zwischen den Kapitalistenklassen der einzelnen Nationen zurückzuführen sind.
Der kapitalistische Staat bedarf daher nicht nur eines ausgedehnten Beamtenheeres zu Zwecken der Justiz und Polizei (sowie selbstverständlich zur Verwaltung seiner Finanzen), sondern auch eines starken Kriegsheeres. Beide Heere sind in kapitalistischen Staaten in stetem Wachsen begriffen; aber das Kriegsheer in neuester Zeit rascher als das Beamtenheer.
Solange die Anwendung der Wissenschaft in der industriellen Technik nicht ihren Einzug gehalten hatte, veränderte sich auch die Kriegstechnik nur langsam. Sobald aber das Maschinenwesen in der Industrie zur Herrschaft gelangt war und diese in stete Umwälzung versetzte, hörte auch für die Kriegsmaschinen die bisherige Stetigkeit auf. Jeder Tag bringt eine neue Erfindung und Entdeckung, die, kaum geprüft und mit großen Kosten eingeführt, wieder durch eine andere umwälzende Neuerung verdrängt wird. Und immer umfangreicher, komplizierter und kostspieliger werden die Kriegsmaschinen. Gleichzeitig ermöglichen es die Fortschritte des Transportwesens, immer größere Heeresmassen auf den Kriegsschauplatz zu bringen; infolgedessen werden die Armeen immer mehr ausgedehnt.
Unter diesen Umständen sind in allen europäischen Großstaaten in den letzten zwanzig Jahren die Staatsausgaben für das Kriegswesen (zu denen auch die meisten Staatsschulden zurechnen) in einer geradezu wahnsinnigen Steigerung begriffen.
Der Staat wird immer kostspieliger, seine Lasten immer drückender. Die Kapitalisten und Großgrundbesitzer suchen natürlich überall dort, wo sie die Klinke der Gesetzgebung in der Hand haben, die Lasten so viel wie möglich auf die anderen Volksklassen abzuwälzen. Aber bei denen ist weniger und weniger zu holen, und so muß denn auch, trotz aller Kniffe der Herren Ausbeuter, deren Mehrwert von Staats wegen immer mehr beschnitten werden.
Gleichzeitig mit der eben beschriebenen Entwicklung zeigt die Menge des Gesamtkapitals, das die Kapitalistenklasse in ihren verschiedenen Unternehmungen „werbend“ anlegt, die Tendenz, rascher zu wachsen als die Ausbeutung der Arbeiterklasse, rascher als die Masse des von dieser geschaffenen Mehrwerts.
Wir können auf die Gründe dieser Erscheinung, deren Verständnis größere ökonomische Kenntnisse voraussetzt, hier nicht näher eingehen. Ein Beispiel möge das Gesagte veranschaulichen.
Nehmen wir einen recht in die Augen springenden Fall. Vergleichen wir einen Handspinner vor hundert Jahren, der etwa von einem Kapitalisten als Hausindustrieller ausgebeutet wurde, mit einem Maschinenspinner von heute. Wieviel Kapital ist notwendig, um dem letzteren seine Arbeit zu ermöglichen!, wie gering dagegen das Kapital, das der Kapitalist in der Handspinnerei anwandte: Er zahlte dem Spinner seinen Lohn und gab ihm die Baumwolle oder den Flachs zum Verspinnen. In bezug auf den Lohn hat sich nicht viel geändert, aber der Maschinenspinner verbraucht heute vielleicht hundertmal soviel Rohmaterial als der Handspinner; und welche ungeheuren Baulichkeiten, Dampfmaschinen, Spinnmaschinen usw. sind notwendig, soll die Maschinenspinnerei vor sich gehen können!
Noch ein anderer Umstand kommt in Betracht; der Kapitalist vor hundert Jahren, der den Spinner beschäftigte, legte in seinem Unternehmen bloß die Auslagen für Arbeitslöhne und Rohstoffe an; ein stehendes Kapital gab es kaum, das Spinnrad war nicht zu rechnen. Sein Kapital schlug rasch um, sagen wir in einem Vierteljahr; er brauchte also in seinem Unternehmen bloß ein Vierteil des Kapitals anzulegen, vorzuschießen, das er im ganzen Jahr anwandte. Heute ist in einer Maschinenspinnerei der Betrag des Kapitals, der in Maschinerie und Gebäuden anzulegen ist, ein ungemein hoher. Mag die Umschlagzeit der Kapitalsumme, die für Arbeitslöhne und Rohstoffe vorgeschossen wird, dieselbe sein wie vor hundert Jahren, die Umschlagzeit des anderen Kapitalteils, der vor hundert Jahren kaum vorhanden war, ist eine sehr lange.
Eine Reihe von Ursachen wirkt in entgegengesetzter Richtung: so z. B. das Kreditwesen, namentlich aber das Sinken des Werts der Produkte, welches eine notwendige Folge der Zunahme der Produktivität der Arbeit ist. Aber diese Ursachen sind keineswegs imstande, die in Rede stehende Entwicklung völlig aufzuheben. Dieselbe geht in allen Industriezweigen vor sich, in den einen langsamer, in den anderen schneller, und bewirkt, daß die Größe der jährlich vorgeschossenen Kapitalsumme rasch und erheblich wächst, welche im allgemeinen auf den Kopf des Arbeiters in der Industrie entfällt.
Nehmen wir an, daß diese Kapitalsumme vor hundert Jahren 100 Mark betrug und daß sie heute auf 1000 Mark angewachsen ist; nehmen wir weiter an, die Ausbeutung des Arbeiters habe sich verfünffacht; wenn der Mehrwert, den er vor hundert Jahren erzeugte, jährlich 50 Mark betrug, so betrage er heute bei gleichem Jahreslohn 250 Mark. Die Masse des erzeugten Mehrwerts ist in diesem Falle also an und für sich {absolut) ungemein gestiegen; aber im Verhältnis zur Menge des Kapitals, welche der Kapitalist jährlich anlegt, ist der Mehrwert gefallen; vor hundert Jahren betrug dieses Verhältnis 50 Prozent, heute beträgt es nur noch 25 Prozent.
Das ist natürlich nur ein Beispiel; aber die Tendenz, die es veranschaulicht, besteht wirklich.
Die Gesamtmenge des jährlich in einem kapitalistischen Lande erzeugten Mehrwerts ist in stetem und raschem Wachsen begriffen; noch schneller aber wächst die Gesamtmenge des in den verschiedenen kapitalistischen Unternehmungen angelegten Kapitals der Kapitalistenklasse, auf das sich der Mehrwert verteilt. Bedenkt man außerdem, daß, wie wir eben gesehen, Staatslasten und Grundrente immer mehr von der Masse des jährlich erzeugten Mehrwerts abzwacken, dann wird man begreifen, daß die Menge des Mehrwerts, die im Jahr durchschnittlich auf eine bestimmte Kapitalsumme entfällt, in stetem Sinken begriffen ist, obwohl die Ausbeutung des Arbeiters zunimmt.
Der Profit, das heißt jener Teil des Mehrwerts, der dem kapitalistischen Unternehmer bleibt, zeigt also die Tendenz, im Verhältnis zu dem von diesem vorgeschossenen Gesamtkapital zu sinken, oder anders ausgedrückt, im Laufe der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise wird im allgemeinen der Profit, den eine bestimmte Kapitalsumme abwirft, immer geringer. Natürlich gilt das nur für den Durchschnitt in größeren Zeiträumen. Ein Anzeichen dieses Sinkens ist das stetige Sinken des Zinsfußes.
Während also die Ausbeutung des Arbeiters die Tendenz hat zu steigen, zeigt die Rate des Profits des Kapitalisten die Tendenz zu sinken. Es ist dies einer der sonderbarsten Widersprüche der an Widersprüchen so reichen kapitalistischen Produktionsweise.
Man hat aus diesem Sinken geschlossen, daß die kapitalistische Ausbeutung einmal von selbst ein Ende nehmen werde. Das Kapital werde schließlich so wenig Profit abwerfen, daß die Kapitalisten hungernd nach Beschäftigung suchen würden. Aber das gelte doch nur dann, wenn die Profitrate stetig sänke, indes die Menge des Gesamtkapitals dieselbe bliebe. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Die Menge des Gesamtkapitals in den kapitalistischen Nationen wächst rascher, als die Profitrate abnimmt. Die Zunahme des Kapitals ist eine der Voraussetzungen des Sinkens der Profitrate, und wenn der Zinsfuß von 5 auf 4 und von 4 auf 3 Prozent sinkt, so wird dadurch das Einkommen jenes Kapitalisten nicht geschmälert, dessen Kapital inzwischen von einer Million auf zwei und vier Millionen gestiegen ist.
Das Sinken der Profitrate bzw. des Zinsfußes bedeutet keineswegs eine Verminderung des Einkommens der Kapitalistenklasse; denn die Masse des Mehrwerts, die ihr zufließt, nimmt immer zu; dies Sinken verringert bloß das Einkommen derjenigen Kapitalisten, die nicht imstande sind, den Umfang ihres Kapitals entsprechend zu vergrößern. Im Laufe der ökonomischen Entwicklung steigt die Grenze immer höher hinauf, von der an ein Kapital anfängt, seinen Besitzer „standesgemäß“ zu erhalten. Immer größer wird die Vermögenssumme, deren man zum mindesten bedarf, um ohne eigene Arbeit von der Arbeit anderer leben zu können. Was vor fünfzig Jahren noch ein bedeutendes Vermögen war, ist heute eine Bagatelle geworden.
Das Sinken des Profits und Zinsfußes bewirkt nicht den Untergang, sondern nur die Verengerung der Kapitalistenklasse. Jedes Jahr werden kleine Kapitalisten aus ihr ausgeschieden und dem gleichen Todeskampf ausgesetzt wie Handwerker, Kleinhändler und Kleinbauern; einem Todeskampf, der kürzer oder länger dauern mag, der aber schließlich für sie oder ihre Kinder mit dem Untergang im Proletariat endet. Was sie versuchen, ihrem Schicksal zu entgehen, fördert meist nur ihren Ruin.
Man staunt über die Menge Dummer, die heute jeder Schwindler dahin zu bringen weiß, daß sie ihm ihr Geld anvertrauen, wenn er ihnen nur recht hohe Zinsen dafür verspricht. Die Leute sind in der Regel nicht so dumm, wie sie aussehen; das schwindelhafte Unternehmen ist der letzte Strohhalm, an den sie sich anklammern, um eine entsprechende Verzinsung ihres kleinen Vermögens zu erlangen. Es ist weniger die Habgier als die Furcht vor der Not, was sie blind macht.
Neben dem Konkurrenzkampf zwischen Handwerk und kapitalistischer Großindustrie wütet der Konkurrenzkampf zwischen größeren und kleineren kapitalistischen Betrieben. Jeder Augenblick bringt eine neue Erfindung, eine neue Entdeckung, deren Anwendung die Produktivität der Arbeit erheblich steigert. Jeder dieser Fortschritte entwertet mehr oder weniger bisherige Betriebseinrichtungen und bringt die Notwendigkeit von Neuanschaffungen, oft auch von Betriebserweiterungen mit sich. Wer dazu nicht das nötige Kapital besitzt, wird früher oder später konkurrenzunfähig und geht zugrunde oder wird getrieben, mit seinem Kapital sich einem Industriezweig zuzuwenden, in dem ein kleinerer Betrieb noch nicht konkurrenzunfähig ist. So fördert die Konkurrenz in der Großindustrie die Überfüllung im Bereich der Kleinindustrie und wirkt in dieser Weise dahin, das Handwerk auch in den wenigen Industriezweigen zu ruinieren, in denen der Kleinbetrieb noch einigermaßen lebensfähig ist.
Immer größer, immer umfangreicher werden die Betriebe der Großindustrie. Aus Großbetrieben, die ihre Arbeiter nach Hunderten zählen, werden sie Riesenbetriebe, die Tausende von Arbeitern beschäftigen (Spinnereien, Brauereien, Zuckerfabriken, Eisenwerke usw.). Immer mehr verschwinden die kleineren Betriebe: Die industrielle Entwicklung führt von einem gewissen Punkt anstatt zu einer Vermehrung zu einer fortlaufenden Verminderung der Zahl der Betriebe der kapitalistischen Großindustrie.
Aber nicht genug damit. Die ökonomische Entwicklung führt auch dahin, daß immer mehr kapitalistische Betriebe in einer Hand – sei es im Besitz eines Einzelkapitalisten oder einer Kapitalistengenossenschaft, die aber wirtschaftlich auch nur eine Person (eine juristische Person) ist – sich vereinigen.
Der Wege dazu sind gar mannigfaltige.
Der eine wird gebahnt durch das Bestreben der Kapitalisten, die Konkurrenz auszuschließen. Wir haben oben die Konkurrenz als die Triebkraft der heutigen Produktionsweise kennengelernt. Sie ist die Triebkraft der Warenproduktion und des Warenhandels überhaupt. Aber so notwendig die Konkurrenz für die Gesamtheit der Gesellschaft der Warenproduktion ist, so sehr gelüstet jeden Warenbesitzer danach, seine Ware auf dem Markt ohne Konkurrenz zu sehen. Ist er allein der Besitzer einer gesuchten Ware, hat er ein Monopol darauf, dann kann er ihren Preis weit über ihren Wert hinaus steigern, dann sind die nach dieser Ware Verlangenden in vollständigster Abhängigkeit von ihm. Wo mehrere Verkäufer mit Waren derselben Art auf dem Markt auftreten, können sie künstlich ein Monopol schaffen dadurch, daß sie miteinander sich verbinden, so daß sie zusammen einen einzigen Verkäufer bilden. Eine solche Vereinigung, ein Kartell oder Ring, Trust, Syndikat usw. ist natürlich um so eher möglich, je geringer die Zahl der Konkurrenten, deren widersprechende Interessen unter einen Hut zu bringen sind.
Insofern die kapitalistische Produktionsweise den Markt und die Zahl der Konkurrenten auf demselben erweitert, erschwert sie die Bildung von Monopolen im Handel und in der Industrie. Aber in jedem kapitalistischen Betriebszweig kommt, wie schon erwähnt, früher oder später der Augenblick, von dem an die weitere Entwicklung desselben zu einer Verminderung der Zahl der Betriebe führt, die er enthält. Von da an reift derselbe immer mehr der Kartellierung entgegen. Der Zeitpunkt der Reife kann in einem gegebenen Lande beschleunigt werden dadurch, daß dessen innerer Markt durch Schutzzölle vor der ausländischen Konkurrenz bewahrt wird. Die Zahl der Konkurrenten für diesen Markt wird dadurch verringert, und es wird den inländischen Produzenten erleichtert, sich zusammenzutun, ein Monopol zu schaffen und, dank dem „Schutz der nationalen Arbeit“, dem nationalen Konsumenten die Haut über die Ohren zu ziehen.
In den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Kartelle, durch welche für bestimmte Waren deren Produktion und Preis „geregelt“ wird, bekanntlich sehr gewachsen, namentlich in den Ländern des Schutzzolls – Vereinigte Staaten, Deutschland, Frankreich. Wo es zur Kartellierung kommt, da bilden die verschiedenen Betriebe, die sich verbinden, tatsächlich nur einen Betrieb unter einer Leitung, sehr oft werden sie auch formell einer einheitlichen Leitung unterstellt.
Es sind gerade die wichtigsten, für den Fortgang der Produktion unentbehrlichsten Waren, Kohle und Eisen, deren Produktion bzw. Verarbeitung am ehesten der Kartellierung unterliegt. Die meisten Kartelle erstrecken ihre Wirkungen weit hinaus über die durch sie monopolisierten Industriezweige; sie machen das ganze Getriebe der Produktion von einigen Monopolisten abhängig.
Gleichzeitig mit dem Bestreben, die verschiedenen Betriebe eines bestimmten Industriezweigs in einer Hand zusammenzufassen, entwickelt sich das Bestreben, verschiedene Betriebe verschiedener Industriezweige, von denen der eine das Rohmaterial oder die Werkzeuge für den anderen liefert, in einen einzigen zu vereinigen. Viele Eisenbahngesellschaften besitzen eigene Kohlengruben und Lokomotivenfabriken; die Zuckerfabriken trachten darnach, einen Teil der Zuckerrüben, die sie verarbeiten, selbst zu bauen; der Kartoffelproduzent richtet eine eigene Schnapsbrennerei ein usw.
Noch ein dritter Weg der Zusammenfassung verschiedener Unternehmungen in eine Hand ist zu nennen. Er ist der einfachste von allen.
Wir haben gesehen, daß der Kapitalist in der heutigen Produktionsweise höchst wichtige Verrichtungen, Funktionen, zu besorgen hat. So überflüssig diese unter einer anderen Organisation der Produktion sein mögen, unter der Herrschaft der Warenproduktion und des Privateigentums an den Produktionsmitteln ist die Großproduktion nur möglich als kapitalistische Produktion. Es ist da notwendig, soll die Produktion vor sich gehen und sollen die Produkte an die Konsumenten gelangen, daß der Kapitalist mit seinem Kapital eingreift und dasselbe zweckentsprechend anwendet. Wenn der Kapitalist auch nichts produziert, wenn er auch keinen Wert schafft, so spielt er doch im wirtschaftlichen Getriebe eine wichtige Rolle.
Aber je größer ein kapitalistischer Betrieb wird, um so notwendiger ist es für den Kapitalisten, einen Teil seiner wachsenden Geschäftslast abzugeben, entweder an andere kapitalistische Unternehmungen, wie wir gesehen, oder an eigene Lohnbeamte, die er anstellt, damit sie seine Funktionen verrichten. Ob diese Funktionen von einem Lohnarbeiter oder Kapitalisten besorgt werden, macht natürlich im Wirtschaftsleben nichts aus; sie werden nicht wertschaffend dadurch, daß sie der Kapitalist von anderen verrichten läßt. Der Kapitalist muß sie also aus dem Mehrwert bezahlen. Wir lernen da einen neuen Abzug vom Mehrwert kennen, wodurch ebenfalls der Profit geschmälert wird. Der Kapitalist rechnet natürlich die Ausgaben für seine Beamten, Direktoren, Verwalter usw. unter die Produktionskosten, unter Arbeitslöhne.
Wenn das Wachsen eines Betriebes den betreffenden Kapitalisten zwingt, sich durch Anstellung von Beamten zu entlasten, so erleichtert ihm das Anwachsen des Mehrwerts diese Ausgabe. Je größer der Mehrwert, desto mehr von seinen Funktionen kann der Kapitalist durch Beamte verrichten lassen, bis er schließlich seiner ganzen Tätigkeit sich entledigt hat, so daß ihm nur noch die Sorge bleibt, wie er denjenigen Teil seines Profits, den er nicht verbraucht, rentabel anlegen soll.
Die Zahl der Betriebe, in denen es so weit gekommen ist, nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das zeigt am deutlichsten die Zunahme der Aktiengesellschaften, in denen, für das blödeste Auge erkennbar, die Person des Kapitalisten bereits in der heutigen Produktionsweise ganz gleichgültig geworden und nur noch sein Kapital von Bedeutung ist. In England (für Deutschland fehlen ältere Zahlen) betrug die Zahl der registrierten Aktiengesellschaften 1845 erst 57 (abgesehen von den wieder aufgelösten), 1862 nur 1815, 1888 dagegen bereits 11 001 mit einem eingezahlten Aktienkapital von über 12 000 Millionen Mark.
Man hat im Aktienwesen ein Mittel zu finden geglaubt, den „kleinen Leuten“ die Vorteile des Großbetriebes zugänglich zu machen. Aber wie der Kredit ist auch das Aktienwesen, das ja nur eine besondere Form des Kredits bildet, vielmehr ein Mittel, die Vermögen der kleinen Leute den großen Kapitalisten zur Verfügung zu stellen.
Ist die Person des Kapitalisten in einem Betrieb entbehrlich geworden, dann kann diesen jeder betreiben, der das nötige Kapital besitzt, ob er etwas von dem besonderen Geschäft versteht oder nicht. Dadurch entsteht für einen Kapitalisten die Möglichkeit, die verschiedensten Betriebe, die zueinander in gar keiner Beziehung stehen, in seiner Hand zu vereinigen. Am bequemsten bekommt der große Kapitalist Aktiengesellschaften in seine Hand. Er braucht bloß einen größeren Bruchteil ihrer Aktien zu besitzen – die ebenso schnell gekauft wie verkauft sind –, um das Unternehmen von sich abhängig und seinen Interessen dienstbar zu machen.
Zu bemerken ist endlich noch, daß im allgemeinen die großen Kapitalien schneller anwachsen als die kleinen; denn je größer das Kapital, desto größer (unter sonst gleichen Umständen) die Masse des Profits, also das Einkommen (Revenue), das es abwirft, desto geringer der Bruchteil davon, dessen der Kapitalist zu seinem persönlichen Gebrauch bedarf, desto größer der Teil, den er als neues Kapital zu seinem bisherigen schlagen (akkumulieren) kann. Ein Kapitalist, dessen Unternehmen jährlich 10 000 Mark abwirft, wird davon nach kapitalistischen Begriffen nur bescheiden leben können. Er kann froh sein, wenn es ihm gelingt, jährlich 2000 Mark – ein Fünftel seines Profits zurücklegen zu können. Der Kapitalist, dessen Kapital so groß ist, daß er 100 000 Mark Einkommen daraus zieht, kann, auch wenn er etwa fünfmal soviel für sich und seine Familie verwendet wie der ersterwähnte Kapitalist, doch drei Fünftel seines Profits zu seinem Kapital schlagen. Und ist das Kapital eines Kapitalisten gar so groß, daß es eine Million im Jahr abwirft, dann wird er Mühe haben, ein Zehntel davon für sich zu verwenden, wenn er ein normaler Mensch ist, und trotz großen Aufwandes bequem neun Zehntel seines Profits akkumulieren können.
Während die kleinen Kapitalisten immer schwerer um ihre Existenz kämpfen müssen, schwellen die großen Vermögen immer rascher an und erreichen binnen kurzem eine gewaltige Ausdehnung.
Fassen wir alles das zusammen: das Anwachsen der Größe der Betriebe, das rasche Anschwellen der großen Vermögen; die Verminderung der Zahl der Betriebe, die zunehmende Zusammenfassung mehrerer Betriebe in einer Hand, dann wird es klar, daß die Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise dahin geht, die Produktionsmittel, welche das Monopol der Kapitalistenklasse geworden sind, in immer weniger und weniger Händen zu vereinigen. Diese Entwicklung läuft schließlich darauf hinaus, daß die gesamten Produktionsmittel einer Nation, ja der ganzen Weltwirtschaft, das Privateigentum einer einzelnen Person oder Aktiengesellschaft werden, die darüber nach Willkür verfügt; daß das ganze wirtschaftliche Getriebe zu einem einzigen ungeheuren Betrieb zusammengefaßt wird, in dem alles einem einzigen Herrn zu dienen hat, einem einzigen Herrn gehört. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln führt in der kapitalistischen Gesellschaft dahin, daß alle besitzlos sind, einen einzigen ausgenommen. Es führt also zu seiner eigenen Aufhebung, zur Besitzlosigkeit aller und zur Versklavung aller. Die Entwicklung der kapitalistischen Warenproduktion führt aber damit auch zur Aufhebung ihrer eigenen Grundlagen. Die kapitalistische Ausbeutung wird widersinnig, wenn der Ausbeuter keine andern Abnehmer seiner Waren mehr findet als die von ihm Ausgebeuteten. Sind die Lohnarbeiter die einzigen Konsumenten, dann sind die Produkte unverkäuflich, in denen der Mehrwert verkörpert ist, dieser wird -wertlos.
In der Tat wäre ein Zustand, wie der hier geschilderte, ebenso ungeheuerlich wie unmöglich. Es wird und kann nie dazu kommen. Denn die bloße Annäherung an diesen Zustand muß die Leiden, Gegensätze und Widersprüche in der Gesellschaft zu einer solchen Höhe treiben, daß sie unerträglich werden, daß die Gesellschaft aus ihren Fugen geht und zusammenbricht, wenn der Entwicklung nicht schon früher eine andere Richtung gegeben wird. Aber wenn auch dieser Zustand in Wirklichkeit nicht vollständig erreicht werden wird, wir steuern ihm rasch entgegen, rascher als die meisten glauben. Denn während auf der einen Seite die Zusammenfassung der einzelnen kapitalistischen Betriebe in wenigen Händen vorwärtsgeht, wächst auf der anderen mit der Entwicklung der Arbeitsteilung, wie wir gesehen, die gegenseitige Abhängigkeit der anscheinend selbständigen Betriebe voneinander. Diese gegenseitige Abhängigkeit wird aber immer mehr zu einer einseitigen Abhängigkeit der kleinen Kapitalisten von den großen. So wie die meisten anscheinend selbständigen Arbeiter der Hausindustrie tatsächlich nur Lohnarbeiter des Kapitalisten sind, so sind auch bereits viele anscheinend selbständige Kapitalisten in der Botmäßigkeit anderer Kapitalisten, sind bereits viele anscheinend selbständige kapitalistische Betriebe tatsächlich nur noch Filialen eines ungeheuren kapitalistischen Unternehmens. Und diese Abhängigkeit der kleineren von den großen Kapitalisten nimmt vielleicht noch rascher zu als die Zusammenfassung der verschiedenen Betriebe in dem Privateigentum weniger. Das wirtschaftliche Getriebe wird bei den kapitalistischen Nationen heute schon in letzter Linie von einigen wenigen Riesenkapitalisten beherrscht und ausgebeutet. Dessen Zusammenfassung unter einige wenige Firmen ist fast nur noch Formsache.
Während die ökonomische Abhängigkeit der großen Masse der Bevölkerung von der Kapitalistenklasse immer mehr zunimmt, wächst auch innerhalb dieser die Abhängigkeit der Mehrheit von einer an Zahl stets sich verringernden, aber an Macht und Reichtum stetig zunehmenden Minderheit.
Aber ebensowenig als für die Proletarier, Handwerker, Kleinhändler und Bauern bringt die Abhängigkeit für die Kapitalisten eine Vermehrung ihrer Sicherheit. Im Gegenteil, auch für sie gilt, was für alle anderen: Mit ihrer Abhängigkeit wächst zugleich auch die Unsicherheit ihrer Lage. Natürlich am meisten für die kleineren Kapitalisten. Aber volle Sicherheit bietet heute auch das größte Kapital nicht.
Einige Ursachen der wachsenden Unsicherheit der kapitalistischen Unternehmungen haben wir schon berührt: Die Empfindlichkeit des ganzen Getriebes gegen äußere Störungen nimmt zu; indem aber die kapitalistische Produktionsweise die Gegensätze zwischen den verschiedenen Klassen und Nationen verschärft, die Massen, die einander gegenübertreten, immer mehr anschwellen läßt und ihre Kampfesmittel immer gewaltiger gestaltet, vermehrt sie die Anlässe zu solchen Störungen und vergrößert die Verheerungen, welche dieselben anrichten. Die wachsende Produktivität der Arbeit vermehrt nicht bloß den Mehrwert, der den Kapitalisten zufällt, sie vermehrt auch die Menge der Waren, die auf den Markt gelangen und von den Kapitalisten abgesetzt werden müssen. Mit der Ausbeutung wächst auch die Konkurrenz, der erbitterte Kampf aller Unternehmer gegen alle Unternehmer. Und Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht eine stete technische Umwälzung, gehen unaufhörlich neue Erfindungen und Entdeckungen, die Bestehendes entwerten und nicht bloß einzelne Arbeiter, nicht bloß einzelne Maschinen, sondern oft ganze Betriebe, ja ganze Industriezweige überflüssig machen.
Kein Kapitalist kann auf die Zukunft bauen, keiner weiß mit Bestimmtheit, ob er imstande sein wird, das, was er erworben, zu behalten und seinen Kindern zu hinterlassen.
Die Kapitalistenklasse selbst spaltet sich immer mehr in zwei Schichten: eine, an Zahl stets zunehmende, die für das wirtschaftliche Leben ganz überflüssig geworden ist, die nichts zu tun hat, als die wachsenden Massen von Mehrwert, die ihr zufließen, zu verjubeln und zu vergeuden, soweit sie sie nicht benutzt, um neue Kapitalien aufzuhäufen. Man erinnere sich dessen, was wir im vorigen Kapitel über die Stellung der Gebildeten in der heutigen Gesellschaft gesagt, und man wird sich nicht wundern, wenn man sieht, daß die weitaus größte Mehrzahl der reichen Müßiggänger ihr Geld nur in geistlosen und rohen Vergnügungen zum Fenster hinauswirft. Die andere Schicht von Kapitalisten, diejenigen, die in ihren Unternehmungen noch nicht überflüssig geworden, nimmt an Zahl immer mehr ab, aber es wachsen ihre Sorgen und die Lasten ihrer Verantwortlichkeit. Verkommt der eine Teil der Kapitalisten immer mehr in träger Tagedieberei, so reibt sich der andere auf im nimmer ruhenden Konkurrenzkampf.
Für beide Schichten aber wächst die Unsicherheit ihrer Existenz. So läßt die heutige Produktionsweise nicht einmal die Ausbeuter, nicht einmal diejenigen, die alle ihre ungeheuren Vorteile monopolisieren und für sich allein einheimsen, zu einem vollen Genuß derselben kommen.
So groß die allgemeine Unsicherheit für alle Klassen schon unter gewöhnlichen Verhältnissen ist, sie wird noch gewaltig gesteigert durch die Krisen, welche die Warenproduktion von einer gewissen Höhe der Entwicklung an mit Naturnotwendigkeit von Zeit zu Zeit hervorruft.
Bei der Wichtigkeit, welche die Krisen in den letzten Jahrzehnten für unser gesamtes Wirtschaftsleben erlangt haben, und der Unklarheit, die noch in weiten Kreisen über ihre Ursachen herrscht, ist es wohl gestattet, etwas näher darauf einzugehen.
Die großen modernen Krisen, die den Weltmarkt erschüttern, entspringen der Überproduktion, welche wieder eine Folge ist der Planlosigkeit, die mit der Warenproduktion notwendig verknüpft ist.
Eine Überproduktion in dem Sinne, daß man mehr erzeugt, als man braucht, kann unter jeder Produktionsweise eintreten. Aber sie kann selbstverständlich keinen Schaden anrichten, wenn die Produzenten für den eigenen Bedarf produzieren. Wenn z. B. eine urwüchsige Bauernfamilie einmal mehr Korn erntet, als sie braucht, dann hebt sie den Überschuß für Zeiten der Mißernte auf, oder, wenn ihre Scheuern überfüllt sind, verfüttert sie ihn an das Vieh, oder, im schlimmsten Fall, läßt sie ihn eben liegen.
Anders bei der Warenproduktion. Diese setzt (in ihrer entwickelten Form) voraus, daß niemand für sich produziert, jeder für andere. Jeder muß kaufen, was er braucht. Aber die Gesamtproduktion ist keineswegs planmäßig eingeteilt, jedem Produzenten ist es vielmehr überlassen zu erraten, wie groß der Bedarf an den Waren ist, die er erzeugt. Andererseits kann unter der Warenproduktion, sobald dieselbe über die unterste Stufe des Tausches hinaus ist, abgesehen von den Produzenten der Geldware, der Edelmetalle, niemand kaufen, ehe er verkauft hat. Das sind die beiden Wurzeln, denen die Krisis entspringt.
Nehmen wir zur Veranschaulichung den einfachsten Fall an. Auf einem Markt treffen zusammen ein Geldbesitzer, etwa ein Goldgräber, mit zwanzig Mark Gold; ferner ein Winzer mit einem Fäßchen Wein, ein Leinweber mit einem Stück Leinwand und ein Müller mit einem Sack Mehl. Jede dieser Waren habe den gleichen Wert von zwanzig Mark - eine andere Annahme würde den Fall bloß verwickelter machen, ohne am Endergebnis etwas zu ändern. Diese vier Warenbesitzer seien die einzigen auf dem Markt. Nehmen wir nun an, jeder habe die Bedürfnisse des anderen richtig berechnet: Der Winzer verkauft seinen Wein an den Goldgräber und kauft um die zwanzig Mark, die er dafür erhält, das Stück Leinwand vom Leinweber; dieser endlich benützt den Erlös aus seiner Leinwand, um den Sack Mehl zu erwerben. Jeder geht zufrieden vom Markt heim.
Übers Jahr kommen die vier wieder zusammen; jeder rechnet auf denselben Absatz wie früher. Der Geldbesitzer verschmäht auch nicht den Wein des Winzers. Aber der Winzer hat unglücklicherweise keinen Bedarf an Leinwand; oder er braucht das Geld vielleicht zur Bezahlung einer Schuld und zieht es daher vor, in einem zerrissenen Hemd einherzugehen, statt Leinwand zu kaufen. Der Winzer behält seine zwanzig Mark in der Tasche und geht heim. Der Leinweber wartet nun vergebens auf einen Käufer. Und da der Leinweber wartet, wartet der Müller auch. Wohl ist die Familie des Webers sehr hungrig, wohl verlangt ihn nach dem Mehlsack, aber er hat Leinwand produziert, nach der keine Nachfrage besteht, und weil die Leinwand überschüssig war, ist nun auch das Mehl überschüssig geworden. Weber und Müller haben kein Geld, sie können nicht kaufen, was sie brauchen; und was sie produziert haben, ist jetzt überproduziert, ebenso aber auch, was für sie produziert worden, z. B., um das Beispiel fortzuführen, der Tisch, von dem der Schreiner erwartete, der Müller werde ihn kaufen.
Die wesentlichsten Erscheinungen einer wirtschaftlichen Krisis sind in diesem Beispiel bereits gegeben. Natürlich tritt sie in Wirklichkeit bei so einfachen Verhältnissen nicht ein. In den Anfängen der Warenproduktion produziert ja jeder Betrieb immer noch mehr oder weniger zum Selbstgebrauch; die Warenproduktion bildet in jeder Familie bloß einen Teil ihrer gesamten Produktion. Der Leinweber und der Müller unseres Beispiels besitzen jeder ein Stück Land und etwas Vieh und können mit Gemütsruhe eine Weile warten, bis sich ein Käufer für ihre Waren findet. Sie können zur Not auch ohne ihn leben.
Der Markt ist aber in den Anfängen der Warenproduktion auch noch klein, leicht übersehbar, und Produktion und Konsumtion, das ganze gesellschaftliche Leben, bewegen sich jahraus, jahrein in dem gleichen Geleise. In den kleinen Gemeinwesen der Vorzeit kannte einer den andern, seine Bedürfnisse, seine Kauffähigkeit ganz gut. Das wirtschaftliche Getriebe blieb stets dasselbe; die Zahl der Produzenten, die Produktivität ihrer Arbeit, die Menge ihrer Produkte, die Zahl der Konsumenten, ihr Bedarf, die Geldsummen, über die sie verfügten – alle diese Verhältnisse änderten sich nur langsam, und jede Änderung wurde sofort bemerkt und berücksichtigt.
Anders gestalteten sich die Dinge durch das Aufkommen des Warenhandels. Unter dem Einfluß desselben tritt die Produktion für den Selbstbedarf immer weiter zurück, die einzelnen Warenproduzenten und noch mehr die Warenhändler werden immer ausschließlicher auf den Verkauf ihrer Waren angewiesen, und zwar auf den möglichst raschen Verkauf. Eine Verzögerung oder gar Verhinderung des Verkaufs einer Ware wird jetzt für ihren Besitzer immer verhängnisvoller; sie kann unter Umständen zu seinem wirtschaftlichen Untergang führen. Gleichzeitig wachsen aber auch die Möglichkeiten einer Stockung im Handel.
Durch den Warenhandel werden die verschiedensten voneinander weit abliegenden Märkte miteinander in Verbindung gebracht; der Gesamtmarkt wird dadurch sehr erweitert, aber auch unübersichtlicher gemacht. Das wird noch befördert durch das Dazwischenschieben eines oder mehrerer Vermittler zwischen Produzenten und Konsumenten, wie es der Handel mit sich bringt. Gleichzeitig werden die Waren durch den Handel und die Entwicklung des Transportwesens beweglicher; ein geringer Anreiz genügt, sie an einem Punkt in großer Menge zusammenströmen zu lassen.
Die Abschätzung des Bedarfs und der vorhandenen Warenvorräte wird jetzt immer unsicherer; die Entwicklung der Statistik beseitigt diese Unsicherheit nicht, sie ermöglicht es nur, überhaupt eine Abschätzung zu treffen, die von einer gewissen Höhe der Warenproduktion an ohne Statistik unmöglich wäre. Es wird immer mehr und mehr das gesamte wirtschaftliche Leben von der kaufmännischen Spekulation abhängig, und diese wird immer gewagter.
Der Kaufmann ist von vornherein Spekulant; das Spekulieren ist nicht erst auf der Börse erfunden worden. Und das Spekulieren ist eine notwendige Funktion des Kapitalisten. Indem der Kaufmann spekuliert, das heißt, den zu erwartenden Bedarf abschätzt, indem er seine Waren dort kauft, wo sie billig, das heißt, im Überflusse vorhanden sind, und dort verkauft, wo sie teuer, das heißt, spärlich sind, hilft er etwas Ordnung in das Durcheinander der planlosen Produktion der voneinander unabhängigen Privatbetriebe bringen. Aber bei seinen Spekulationen kann er sich auch täuschen. Um so mehr, da er nicht Zeit hat, sich lange zu besinnen, denn er ist nicht der einzige Kaufmann auf der Welt. Hunderte und Tausende von Konkurrenten lauern darauf, gleich ihm jede günstige Gelegenheit auszunützen; wer sie zuerst erspäht, hat den größten Vorteil davon. Da heißt es, rasch sein, nicht viel überlegen, nicht lange herumfragen, sondern wagen: Wer wagt, der gewinnt! Aber er kann auch verlieren. Ist irgendwo auf einem Markt eine große Nachfrage nach einer Ware vorhanden, dann strömen sie bald massenhaft dorthin, bis mehr davon vorhanden ist, als der Markt verdauen kann. Dann sinken die Preise, der Kaufmann muß billig, oft mit Verlust verkaufen oder mit seinen Waren einen anderen, besseren Markt aufsuchen. Seine Verluste bei diesem Spiel können so groß sein, daß sie ihn ruinieren.
Es sind unter der Herrschaft einer entwickelten Warenproduktion auf einem Markt immer entweder zu wenig oder zu viel Waren vorhanden; die bürgerlichen Ökonomen erklären das für eine höchst weise und bewunderungswürdige Einrichtung; wir denken etwas anders; aber auf jeden Fall ist sie unvermeidlich, solange die Warenproduktion - von einer gewissen Höhe der Entwicklung an – besteht. Diese weise Einrichtung kann aber unter Umständen auch dahin führen, daß infolge irgendeines außergewöhnlich starken Anreizes die Überladung eines Marktes mit Waren eine ungewöhnlich große wird, daß demnach auch die Verluste der Kaufleute besonders ausgedehnte sind und eine große Zahl derselben zahlungsunfähig – bankerott wird. Da haben wir bereits eine Handelskrisis in bester Form.
Die Entwicklung des Verkehrswesens einerseits und des Kreditwesens anderseits erleichtert die plötzliche Überschwemmung eines Marktes mit Waren, fördert aber dadurch auch die Krisen und vergrößert ihre verheerenden Wirkungen.
Immerhin mußten die Handelskrisen an Umfang und Tiefe beschränkt sein, solange der Kleinbetrieb die vorherrschende Produktionsform bildete. Es war nicht möglich, daß unter dem Einfluß irgendeines Anreizes die Menge der für den Gesamtmarkt erzeugten Produkte rasch anschwoll. Die Produktion ist unter der Herrschaft des handwerksmäßigen Kleinbetriebs einer raschen Erweiterung nicht fähig. Sie kann nicht vergrößert werden durch Vermehrung der Zahl der Arbeiter, da sie in gewöhnlichen Zeiten ohnehin alle arbeitsfähigen Mitglieder der ihr gewidmeten Bevölkerungsschichten beschäftigt. Sie kann nur vergrößert werden durch Ausdehnung der Arbeitslast der einzelnen – Verlängerung der Arbeitszeit, Sonntagsarbeit usw. Dazu hatte aber der selbständige Handwerker und Bauer in der guten alten Zeit, als er noch nicht die Konkurrenz des Großbetriebs auszuhalten hatte, verteufelt wenig Lust. Bequemte er sich aber doch zur Überarbeit, so nützte das auch nicht viel, denn die Produktivität der Arbeit war gering.
Das ändert sich seit dem Erstehen der kapitalistischen Großindustrie. Sie entfaltet nicht nur alle Hilfsmittel, die den Handel befähigen, die Märkte rasch mit Waren zu überschwemmen, zu einer ehedem ungeahnten Leistungsfähigkeit, sie erweitert nicht nur den Markt zum Weltmarkt, der den ganzen Erdball umfaßt, sie vermehrt nicht nur die Zahl der Zwischenglieder zwischen Produzenten und Konsumenten, sie befähigt auch die Produktion, jedem Anreiz des Handels zu folgen und sich sprunghaft auszudehnen.
Schon der Umstand, daß die Arbeiter jetzt dem Kapitalisten völlig unterworfen sind, daß dieser ihre Arbeitsstunden vermehren, ihre Sonntagsruhe, ihre Nachtruhe aufheben kann, setzt.die Kapitalisten in den Stand, die Produktion rascher auszudehnen, als es früher möglich gewesen. Eine Stunde Mehrarbeit bedeutet aber heute, bei der großen Produktivität der Arbeit, eine ganz andere Erweiterung der Produktion als zu den Zeiten des Handwerks. Die Kapitalisten sind indes auch imstande, ihre Betriebe rasch zu erweitern. Das Kapital ist eine sehr elastische, dehnbare Größe, namentlich dank dem Kreditwesen. Flotter Geschäftsgang vermehrt das Vertrauen, lockt das Geld auf die Straße, verkürzt die Umlaufszeit eines Teils des Kapitals, vermehrt also dessen Wirkungsfähigkeit usw. Das Wichtigste aber ist: dem Kapital steht immer eine industrielle Reservearmee von Arbeitern zur Verfügung. So ist der Kapitalist imstande, jederzeit seinen Betrieb zu vergrößern, neue Arbeiter einzustellen, die Produktion rasch zu steigern, jede günstige Konjunktur gehörig auszunutzen.
Wir haben im Anfang dieses Kapitels auseinandergesetzt, daß unter der Herrschaft der Großindustrie das industrielle Kapital immer mehr in den Vordergrund tritt und immer mehr das ganze kapitalistische Getriebe beherrscht. Innerhalb der kapitalistischen Industrie selbst aber werden wieder besondere Industriezweige zu leitenden, so namentlich die Gewebe- und Eisenindustrien. Erhält eine derselben einen besonderen Anstoß, z. B. durch die Eröffnung eines neuen großen Marktes, etwa China, oder durch die plötzliche Inangriffnahme ausgedehnter Eisenbahnbauten, etwa in Amerika, so dehnt sie sich nicht nur rasch aus, sondern teilt den ihr gewordenen Anstoß sofort dem ganzen wirtschaftlichen Leben mit. Die Kapitalisten vergrößern ihre Betriebe, legen neue an, steigern den Gebrauch an Roh- und Hilfsmaterial; neue Arbeiter werden eingestellt, es wachsen gleichzeitig Grundrenten, Profite und Löhne. Die Nachfrage nach den verschiedensten Waren steigt, die verschiedensten Industrien beginnen am wirtschaftlichen Aufschwung teilzunehmen, der schließlich ein allgemeiner wird. Jedes Unternehmen scheint gedeihen zu müssen, das Vertrauen wird blind, der Kredit ungemessen; wer nur irgend Geld hat, sucht es gewinnbringend anzulegen, wer an den aufschnellenden Renten und Profiten Anteil hat, sucht etwas davon in Kapital zu verwandeln. Der Wonnetaumel ist ein allgemeiner.
Inzwischen hat sich die Produktion riesenhaft erweitert, der Mehrbedarf des Marktes ist befriedigt; aber es wird weiter produziert. Einer weiß ja vom anderen nichts, und wenn dem einen oder anderen Kapitalisten auch in nüchternen Augenblicken Bedenken aufsteigen mögen, so werden sie durch die Notwendigkeit erstickt, die Konjunktur auszunutzen, in der Konkurrenzjagd nicht zurückzubleiben. Den letzten beißen die Hunde. Der Absatz der mehrproduzierten Waren geht immer schwerer und langsamer vor sich, die Speicher der Handelshäuser füllen sich, aber der Taumel dauert fort. Da soll eines der Handelshäuser die Waren bezahlen, die es vor Monaten dem Fabrikanten auf Kredit abgenommen. Die Waren sind noch unverkauft; es besitzt die Waren, nicht aber Geld; es kann seine Verpflichtungen nicht erfüllen, es ist bankerott. Der Fabrikant hat aber ebenfalls Zahlungen zu leisten; da sein Schuldner nicht zahlen kann, ist auch er fertig. Ein Bankerott folgt dem anderen. Allgemeine Bestürzung tritt ein; anstelle des blinden Vertrauens tritt ebenso blinde Furcht, die Panik ist allgemein, der Krach fertig.
Das ganze wirtschaftliche Leben ist aufs tiefste erschüttert. Jedes Unternehmen, das nicht fest im Boden wurzelt, stürzt. Das Verderben trifft nicht bloß die schwindelhaften Unternehmungen, sondern auch alle jene, die sich in gewöhnlichen Zeiten nur noch mühsam über Wasser hielten; in den Zeiten der Krisen wird die Expropriation der Bauern, Handwerker und kleinen Kapitalisten am raschesten besorgt. Aber auch mancher der Großen fällt, und keiner ist sicher, im allgemeinen Zusammenbruch nicht mitgerissen zu werden. Denjenigen unter den großen Kapitalisten, die stehenbleiben, strömt freilich reiche Beute zu; in Krisenzeiten geht nicht bloß die Expropriation der „kleinen Leute“, sondern auch die Zusammenfassung der Betriebe in wenigen Händen und die Ausdehnung großer Vermögen leichter vor sich als sonst.
Aber keiner weiß, ob er stehenbleibt, ob er die Krise überdauert; und während der Krisis, bis der allgemeine Geschäftsgang wieder einigermaßen ins Geleise gekommen, sind alle Schrecken der heutigen Produktionsweise auf den Gipfel getrieben; es wachsen die Unsicherheit, die Not, Prostitution und Verbrechen. Tausende verhungern und erfrieren, weil sie zu viel Nahrungsmittel, zu viel Kleider, zu viel Wohnungen geschaffen. Da tritt es am grellsten zutage, daß die heutigen Produktivkräfte immer unvereinbarer werden mit der Warenproduktion, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln immer mehr zu einem Fluch wird, vor allem für die Besitzlosen, schließlich aber auch für die Besitzenden.
Einige Ökonomen erwarten von den Kartellen eine Beseitigung der Krisen. Nichts irriger als das!
Eine Regelung der Produktion durch die Kartelle setzt vor allem voraus, daß sie alle wichtigen Produktionszweige umfassen und auf internationaler Grundlage aufgebaut sind, über sämtliche Länder der kapitalistischen Produktionsweise sich erstrecken. Bisher gibt es kein einziges internationales Kartell in einem der für das ganze Wirtschaftsleben maßgebenden Industriezweige. Internationale Kartelle sind sehr schwer zu bilden und ebenso schwer zusammenzuhalten. Marx hat schon vor mehr als vierzig Jahren bemerkt, daß nicht nur die Konkurrenz das Monopol schafft, sondern auch das Monopol die Konkurrenz. Je größer die Profite, die einer Reihe von Unternehmungen aus einem Kartell erwachsen, desto größer die Gefahr, daß ein außenstehender mächtiger Kapitalist versucht, ihnen diese Profite durch Gründung eines Konkurrenzunternehmens abzujagen; und je besser der Geschäftsgang, desto größer die Versuchung für jedes einzelne Mitglied des Kartells, sich den Beschränkungen der Produktion zu entziehen, die das Kartell auferlegt. Bei sinkenden Preisen ist das Bestreben nach Kartellierung sehr groß; bei steigenden Preisen sucht jeder Industrielle die Konjunktur so gut als möglich auszunützen und so viel Ware als möglich auf den Markt zu werfen. Als Hemmnis gegen die Überproduktion werden die Kartelle in der Regel ihren Dienst versagen. Ihre Hauptaufgabe der Überproduktion gegenüber besteht nicht darin, dieselbe zu verhindern, sondern deren Folgen von den Kapitalisten auf die Arbeiter und die Konsumenten abzuwälzen. Sie sollen den großen Kapitalisten helfen, die Krise durchzumachen, die Produktion zeitweilig einzuschränken, Arbeiter zu entlassen usw., ohne daß der Profit darunter leidet.
Nehmen wir aber einmal das Unwahrscheinliche an, es gelänge in absehbarer Zeit, die großen Weltindustrien in Kartellen zu organisieren, die international und so stramm diszipliniert sind, daß sie auch bei dem günstigsten Geschäftsgang zusammenhalten. Was wäre die Folge? Die Konkurrenz zwischen den Kapitalisten desselben Industriezweigs wäre damit im besten Falle nur nach einer Seite hin aufgehoben. Es würde uns zu weit führen, zu untersuchen, welche Folgen die anderen Seiten der Konkurrenz, die erhalten bleiben, nach sich ziehen müssen. Nur ein Punkt sei ins Auge gefaßt: Je mehr die Konkurrenz unter den Unternehmern desselben Industriezweiges schwindet, desto größer der Gegensatz zwischen ihnen und den Unternehmern der anderen Industriezweige, die auf deren Waren angewiesen sind. Hören die Kämpfe zwischen den einzelnen Produzenten desselben Industriezweigs auf, so verschärfen sich um so mehr die Kämpfe zwischen Produzenten und Konsumenten – letzteres Wort im weitesten Sinne genommen. In diesem Sinn ist aber jeder Produzent auch Konsument; der Baumwollspinner z. B., ganz abgesehen von seinem persönlichen Konsum, ist Konsument von Baumwolle, Kohlen, Maschinen, öl usw. Die ganze Kapitalistenklasse wird nicht mehr in einzelne Individuen, sondern in Schichten zerfallen, die einander aufs erbittertste bekämpfen.
Heute hat jeder Kapitalist das Bestreben, so viel als möglich zu produzieren, so viel Ware als möglich auf den Markt zu bringen; denn je mehr Ware, desto mehr Profit – unter sonst gleichen Umständen. Nur seine Berechnungen der Aufnahmefähigkeit des Marktes und natürlich die Ausdehnung seines Kapitals setzen seiner Produktion eine Schranke. Dagegen bekommen wir, wenn die Kartellierung allgemein wird, nicht eine Regelung der Produktion und damit ein Aufhören der Krisen, wie uns einige Schönfärber vormalen, sondern wir bekommen das allgemeine Bestreben jedes Kartells, so wenig als möglich zu produzieren, denn je geringer die Menge der Waren, desto höher die Preise. Die frühere Praxis von Kaufleuten, wenn der Markt überfüllt war, einen Teil der vorhandenen Waren zu vernichten, um für den Rest profitable Preise zu erlangen, wird dann allgemeine Praxis werden. Daß dabei die Gesellschaft nicht bestehen kann, ist klar. Strebt jedes Kartell nach Unterproduktion, so muß andererseits ein jedes bestrebt sein, die anderen Kartelle, deren Waren es braucht, zur Überproduktion zu zwingen. Der Wege dazu gibt es viele. Der einfachste ist der, die eigene Konsumtion noch mehr einzuschränken, als das andere Kartell seine Produktion einschränkt. Ein anderer ist der, daß man die Wissenschaft anruft, sie möge ein Ersatzmittel für die Ware, deren Produktion eingeschränkt ist, liefern. Ein dritter besteht darin, daß die betreffenden Konsumenten selber darangehen, das zu erzeugen, was sie brauchen.
Nehmen wir etwa an, die Kupfergruben bilden ein Kartell, schränken die Produktion von Kupfer ein und treiben dessen Preise in die Höhe. Was ist die Folge? Von den Industriellen, deren Unternehmungen Kupfer verarbeiten, werden die einen ihren Betrieb einstellen, bis auf bessere Zeiten, einige werden suchen, andere Metalle anstelle von Kupfer zu verwenden; andere wieder werden selbst Kupferminen erwerben oder in Betrieb setzen und sich so vom Kupferring unabhängig zu machen. Das Ende ist die Sprengung und der Bankerott dieses Kartells, also eine Krise.
Etwas Ähnliches hat sich bekanntlich in Wirklichkeit bereits zugetragen.
Die Kartelle schaffen also die Krisen nicht aus der Welt. Wenn sie in dieser Beziehung einen Erfolg haben sollten, so könnte es höchstens der sein, daß die Krisen eine andere Form annehmen – aber keine bessere. Die Bankerotte werden nicht aufhören, der Unterschied wird nur der sein, daß sie umfangreicher werden, daß sie nicht bloß einzelne Kapitalisten, sondern immer gleich ganze Kapitalistenschichten treffen und mit diesen natürlich auch die ganze große Masse der von denselben abhängigen Existenzen. Die Kartelle können die Krisen nicht beseitigen, wohl aber können sie Krisen verursachen, die weit verheerender sind als alles, was wir bisher gesehen.
Erst dann, wenn sämtliche Kartelle zu einem einzigen sich verschmolzen hätten, in dessen Hand die gesamten Produktionsmittel aller kapitalistischen Nationen vereinigt wären, wenn also das Privateigentum an den Produktionsmitteln tatsächlich aufgehoben wäre, erst dann könnte die Kartellierung eine Beseitigung der Krisen ermöglichen. Dagegen sind die Krisen von einer gewissen Höhe der ökonomischen Entwicklung an unvermeidlich, solange das Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht. Es geht nicht an, einseitig bloß die Schattenseiten des Privateigentums aufzuheben, dieses selbst aber wie bisher fortbestehen zu lassen.
Neben den periodischen Krisen, neben der zeitweisen Überproduktion mit der darauffolgenden zeitweisen Wertvernichtung und Kraftvergeudung entwickelt sich immer stärker die dauernde (chronische) Überproduktion und die dauernde Kraftvergeudung. Wir haben gesehen, daß die technische Umwälzung ununterbrochen vor sich geht; ihr Bereich wird immer ausgedehnter, denn von Jahr zu Jahr werden neue Industriezweige, neue Gegenden von der kapitalistischen Großproduktion erobert; die Produktivität der Arbeit wächst daher unaufhörlich, und zwar (die Gesamtheit der kapitalistischen Gesellschaften genommen) immer rascher und rascher. Gleichzeitig geht die Anhäufung neuen Kapitals ununterbrochen vor sich. Je mehr die Ausbeutung des einzelnen Arbeiters und die Zahl der ausgebeuteten Arbeiter (nicht bloß in einem Lande, sondern in allen kapitalistisch ausgebeuteten Ländern) wächst, desto mehr wächst auch die Masse des Mehrwerts, um so größer wird die Masse des Reichtums, den die Kapitalistenklasse jedes Jahr zurücklegen kann, um ihn in Kapital zu verwandeln. Die kapitalistische Produktion kann daher nicht bei einem gewissen Umfange stehenbleiben; ihre stetige Erweiterung und die stetige Erweiterung ihres Marktes ist eine Lebensfrage für sie; der Stillstand ist ihr Tod. Während ehedem das Handwerk und die Bauernschaft eines Landes jahraus, jahrein gleichviel erzeugten und die Produktion in der Regel nur mit der Bevölkerung wuchs, bedingt die kapitalistische Produktionsweise von vornherein ununterbrochenes Wachstum der Produktion; jede Hemmung desselben bedeutet ein Siechtum für die Gesellschaft, das um so schmerzlicher und unerträglicher wird, je länger es dauert. Neben den zeitweisen Anreizungen zur Erweiterung der Produktion, die von zeitweisen Erweiterungen des Marktes verursacht werden, finden wir einen dauernden Drang zur Erweiterung der Produktion, der aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorgeht, und, anstatt durch eine Erweiterung des Marktes verursacht zu werden, vielmehr eine stete Erweiterung desselben notwendig macht.
Aber mit dieser Erweiterung will es seit den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr recht vorwärtsgehen; das heißt, sie findet immer noch statt, aber während die Produktion die Tendenz hat, sich immer rascher und rascher auszudehnen, vollzieht sich die Ausdehnung des Marktes immer langsamer und langsamer.
Freilich ist das Gebiet, über das die kapitalistische Produktion ihren Markt ausdehnen kann, ein ungeheures; sie überspringt alle lokalen und nationalen Schranken, sie darf den ganzen Erdball zu ihrem Markt machen. Aber sie hat den Erdball sehr klein gemacht. Noch vor hundert Jahren bildeten außer den westlichen Teilen Europas nur verschiedene Küstenländer und Inseln in den fremden Erdteilen den Markt für die kapitalistische Industrie, die hauptsächlich in England betrieben wurde. So gewaltig war jedoch die Tatkraft und Habgier der Kapitalisten und ihrer Vorkämpfer und Helfershelfer und so riesenhaft die Mittel, die ihnen zu Gebote standen, daß seitdem fast alle Länder der Erde den Waren der kapitalistischen, nicht mehr bloß englischen, sondern gesamteuropäischen Industrie erschlossen wurden, so daß beinahe nur noch solche Märkte zu eröffnen sind, in denen nicht viel mehr zu holen ist als das Fieber und – Prügel.
Wohl ermöglicht die staunenswerte Entwicklung des Transportwesens von Jahr zu Jahr eine immer bessere Ausbeutung eines jeden Marktes, aber gerade bei jenen Völkern, die nicht ganz Wilde sind, die eine gewisse Kultur, gewisse Kulturbedürfnisse entwickelt haben, nimmt der Markt immer mehr ein anderes Aussehen an. Das Eindringen der Waren der kapitalistischen Großindustrie tötet die einheimischen Kleinbetriebe allüberall, nicht bloß in Europa, und verwandelt die Handwerker und Bauern in Proletarier. Das bewirkt in jedem der Absatzmärkte der kapitalistischen Industrie zwei wichtige Veränderungen. Es verringert die Kaufkraft der Bevölkerung und wirkt so der Ausdehnung des Absatzes auf den betreffenden Märkten entgegen. Es schafft aber auch dort – und das ist noch viel wichtiger – durch Erzeugung eines Proletariats die Grundlagen zur Einführung der kapitalistischen Produktionsweise. Die europäische Großindustrie gräbt sich so ihr eigenes Grab. Von einem gewissen Punkte der Entwicklung an bedeutet jede weitere Ausdehnung des Marktes für sie das Erstehen eines neuen Konkurrenten. Die Großindustrie der Vereinigten Staaten, die kaum ein Menschenalter zählt, geht daran, sich nicht bloß von der europäischen gänzlich unabhängig zu machen, sondern auch ganz Amerika für sich mit Beschlag zu belegen; die noch jüngere russische Industrie beginnt das ganze ungeheure Gebiet, das Rußland in Europa und Asien beherrscht, allein mit Industriewaren zu versorgen; Ostindien, China, Japan, Australien entwickeln sich zu Industriestaaten, die sich früher oder später in industrieller Beziehung werden selbst genügen können; kurz, es scheint der Augenblick nahe zu sein, wo der Markt der europäischen Industrie sich nicht nur nicht mehr erweitern, . sondern wo er anfangen wird, sich zu verengern. Das hieße aber nichts anderes als der Bankerott der ganzen kapitalistischen Gesellschaft.
Indes seit einiger Zeit schon geht die Ausdehnung des Marktes viel zu langsam für die Bedürfnisse der kapitalistischen Produktion vor sich; diese findet immer mehr und mehr Hemmungen, es wird ihr immer unmöglicher, ihre Produktivkräfte voll zu entfalten. Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs werden immer kürzer, die Zeiten der Krisen immer länger, die Überproduktion wird immer mehr der dauernde Zustand der Produktion.
Infolgedessen wächst die Menge der Produktionsmittel, die nicht genügend oder gar nicht ausgebeutet werden, die Menge der Reichtümer, die ungenutzt verlorengehen, die Menge der Arbeitskräfte, die brachliegen bleiben müssen. Zu diesen sind nicht bloß die Scharen von Arbeitslosen zu rechnen, die bereits zu einer bedrohlichen sozialen Gefahr angewachsen sind, sondern auch alle jene unzähligen und immer noch sich vermehrenden Schmarotzer am Körper der Gesellschaft, die, weil sie produktiv nicht tätig sein können, durch die verschiedenartigsten, meist ganz überflüssigen, aber oft höchst aufreibenden Tätigkeiten ein elendes Dasein zu fristen suchen, die kleinen Zwischenhändler, Wirte, Agenten, Vermittler; dazu gehört ferner auch die ganze ungeheure Menge von Lumpenproletariern in den verschiedensten Abstufungen, die höheren und niederen Gaukler, das Verbrechertum, die gewerbsmäßige Prostitution mit den Zuhältern und anderen Existenzen, die an ihr hängen; dazu gehören ferner die zahlreichen Scharen derjenigen, die sich den Besitzenden zu persönlichen Diensten verdingen; endlich die große Menge von Soldaten: Das stete Anwachsen der Armeen in den letzten zwanzig Jahren wäre kaum möglich gewesen ohne die Überproduktion, die es der Industrie erlaubte, auf so viele Arbeitskräfte zu verzichten.
Die kapitalistische Gesellschaft fängt an, in ihrem eigenen Überfluß zu ersticken; sie wird immer weniger fähig, die volle Entfaltung der Produktivkräfte auszuhalten, die sie geschaffen. Immer mehr Produktivkräfte müssen brachliegen, immer mehr Produkte nutzlos verschwendet werden, soll sie nicht außer Rand und Band geraten.
Die kapitalistische Produktionsweise, die Ersetzung des Kleinbetriebs durch den kapitalistischen Großbetrieb, dessen Produktionsmittel als Privateigentum in wenigen Händen vereinigt, dessen Arbeiter besitzlose Proletarier sind, diese Produktionsweise war das Mittel, die äußerst beschränkte Produktivkraft der Arbeit, die dem Handwerk und der bäuerlichen Landwirtschaft eigen war, unendlich zu vermehren. Dies zu bewirken, war die weltgeschichtliche Aufgabe der Kapitalistenklasse. Sie hat die Lösung dieser Aufgabe vollbracht, indem sie furchtbare Leiden über die von ihr expropriierten und ausgebeuteten Volksmassen verhängte, aber sie hat sie vollbracht. Sie war ebenso eine geschichtliche Notwendigkeit wie die beiden Grundlagen, denen sie entsprossen, die Warenproduktion und das damit eng verknüpfte Privateigentum an den Produktionsmitteln und Produkten.
Aber wenn sie und ihre Grundlagen geschichtlich notwendig waren, so sind sie es heute nicht mehr. Die Funktionen der Kapitalistenklasse fallen immer mehr bezahlten Beamten zu, die große Mehrheit der Kapitalisten hat nur noch die Aufgabe, zu verzehren, was andere erzeugt; der Kapitalist ist ebenso überflüssig geworden, wie es der Feudalherr vor hundert Jahren war.
Ja noch mehr. Wie der Feudaladel im vorigen Jahrhundert ist heute die Kapitalistenklasse bereits ein Hindernis der weiteren Entwicklung. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln hat längst aufgehört, jedem Produzenten das Eigentum an seinen Produkten und seine Freiheit zu gewährleisten. Es steuert heute rasch darauf hin, dies Eigentum und diese Freiheit für die ganze Bevölkerung der kapitalistischen Nationen aufzuheben; aus einer Grundlage der Gesellschaft wird es immer mehr ein Mittel, alle Grundlagen der Gesellschaft aufzulösen. Und aus einem Mittel, die Gesellschaft zur raschesten Entfaltung ihrer Produktivkräfte anzustacheln, hat es sich in ein Mittel verwandelt, das die Gesellschaft immer mehr zur Verschwendung und Brachlegung ihrer Produktivkräfte zwingt.
So verwandelt das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht bloß für die Produzenten der Kleinbetriebe, sondern für die ganze Gesellschaft sein ursprüngliches Wesen in sein Gegenteil. Aus einer Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung wird es zu einer Ursache der gesellschaftlichen Versumpfung, des gesellschaftlichen Bankerotts.
Heute fragt sich’s nicht mehr, ob man das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufrechterhalten will oder nicht. Sein Untergang ist gewiß. Es fragt sich nur: Soll es die Gesellschaft mit sich in den Abgrund reißen, oder soll diese sich der verderblichen Bürde entledigen, um frei und neugestärkt den Weg weiterwandeln zu können, den die Gesetze der Entwicklung ihr vorschreiben?
7. Strenggenommen sind Pachtzins und Grundrente nicht dasselbe. In der Pacht steckt meist auch ein Stück Kapitalzins. Für unsere Zwecke hier darf man jedoch Pachtzins und Grundrente gleichsetzen.
Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012