Johann Most

 

Kapital und Arbeit

Kapital und Arbeit

Wie wird nun Geld in Kapital verwandelt?

Von Kapital kann überhaupt nur die Rede sein in einer Gesellschaft, die Waren produziert, bei welcher Warenzirkulation besteht, die Handel treibt. Nur unter diesen historischen Voraussetzungen kann Kapital entstehen. Von der Schöpfung des modernen Welthandels, und Weltmarkts im 16. Jahrhundert datiert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals.

Historisch tritt das Kapital dem Grundeigentum überall zunächst in der Gestalt von Geld gegenüber, von Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital, Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedene Zirkulationsform.

Neben der unmittelbaren Form der Warenzirkulation, verkaufen, um zu kaufen (Ware-Geld-Ware), tritt nämlich auch noch eine andere Zirkulationsform auf; kaufen, um zu verkaufen (Geld-Ware-Geld). Hier spielt nun das Geld bereits die Rolle des Kapitals. Während bei der einfachen Warenzirkulation durch Vermittelung des Geldes Ware gegen Ware ausgetauscht wird, tauscht man bei der Geldzirkulation durch Vermittelung der Ware Geld gegen Geld aus.

Wollte man auf diesem Wege Geld gegen gleich viel Geld, z. B. 100 Taler gegen 100 Taler austauschen, so wäre dies ein ganz abgeschmacktes Verfahren; es wäre viel vernünftiger, wenn die 100 Taler von vornherein festgehalten würden. Solch ein zweckloser Austausch wird aber niemals beabsichtigt, sondern man tauscht Geld gegen mehr Geld aus, man kauft, um teurer zu verkaufen.

Bei der einfachen Warenzirkulation fällt sowohl die Ware, welche zuerst, als die Ware, welche zuletzt auftritt etc., aus der Zirkulation heraus, wird konsumiert; wenn hingegen Geld den Anfangs- und Endpunkt der Zirkulation bildet, so kann das zuletzt erscheinende Geld immer wieder aufs neue dieselbe Bewegung beginnen, es bleibt überhaupt nur solange Kapital, als es dies tut. Nur der Geldbesitzer, welcher sein Geld diese Art von Umlauf durchmachen läßt, ist Kapitalist.

Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln. Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnes. Dieser absolute Bereicherungstrieb, die leidenschaftliche Jagd auf den Tauschwert ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der gescheite Schatzbildner.

Am augenfälligsten tritt die Tendenz: kaufen, um teurer zu verkaufen, beim Handelskapital hervor, allein auch das industrielle Kapital hat ganz dieselbe Tendenz.

Meist wird angenommen, der Mehrwert entsteht dadurch, daß die Kapitalisten ihre Waren über deren eigentlichen Wert verkaufen. Dieselben Kapitalisten, welche verkaufen, müssen aber auch kaufen, müßten also gleichfalls Waren über deren Wert bezahlen, so daß, wenn jene Annahme richtig wäre, die Kapitalistenklasse niemals ihr Ziel erreichen könnte. Sieht man aber ab von der Klasse und betrachtet nur die einzelnen Kapitalisten, so stellt sich folgendes heraus: Ein Kapitalist kann wohl z. B. Wein zum Betrage von 40 Taler gegen Korn im Betrage von 50 Taler eintauschen, so daß er beim Verkaufe 10 Taler gewinnt, allein die Wertsumme dieser beiden Waren bleibt nach wie vor 90 Taler und ist lediglich anders verteilt. Hätte der eine dem andern direkt 10 Taler gestohlen, so stände es nicht anders. „Krieg ist Raub“, sagt Franklin, „Handel ist Prellerei“.[7] Mehrwert entsteht also auf solche Weise nicht. Auch der Wucherer, der direkt für Geld mehr Geld eintauscht, erzeugt keinen Mehrwert. Er zieht nur vorhandenen Wert aus fremder Tasche in die seinige. Es entsteht daher, mögen sich die einzelnen Kapitalisten gegenseitig noch sosehr beschwindeln, durch Kauf und Verkauf allein keinesfalls Mehrwert. Dieser wird vielmehr außerhalb der Zirkulationssphäre geschaffen und in derselben nur realisiert, versilbert.

Geld heckt nicht, und Waren vermehren sich auch nicht von selbst, mögen sie noch sooft die Hände wechseln. Es muß also mit der Ware, nachdem sie gekauft ist und ehe sie wieder verkauft wird, etwas passieren, was deren Wert erhöht. Sie muß auf der Zwischenstation verbraucht werden.

Um aber aus dem Verbrauch einer Ware Tauschwert herauszuziehen, müßte der Geldbesitzer auf dem Markte eine Ware finden, welche die wunderbare Eigenschaft hätte, sich während ihres Verbrauchs in Wert zu verwandeln, deren Verbrauch also Wertschöpfung wäre. Und in der Tat findet der Geldbesitzer auf dem Markte solche Ware: die Arbeitskraft.

Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswert irgendeiner Art produziert.

Damit ein Mensch seine eigene Arbeitskraft als Ware feilbiete, muß er vor allem über sie verfügen können, eine freie Person sein, und um dies zu bleiben, darf er sie stets nur zeitweise verkaufen. Verkauft er sie ein für allemal, so würde er sich aus einem Freien in einen Sklaven verwandeln, aus einem Warenbesitzer in Ware.

Ein freier Mensch ist gezwungen, seine eigene Arbeitskraft als Ware zu Markte zu führen, sobald er außerstand ist, andere Waren zu verkaufen, in denen seine Arbeit bereits vergegenständlicht ist. Will jemand seine Arbeit in Waren verkörpern, so muß er Produktionsmittel (Rohstoffe, Werkzeuge etc.) besitzen und zudem Lebensmittel, wovon er bis zum Verkauf seiner Ware zehrt. Entblößt von solchen Dingen kann er platterdings nicht produzieren und bleibt ihm zum Verkauf nur die eigene Arbeitskraft.

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinne, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andererseits andere Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Betätigung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen. Mit anderen Worten: Der Arbeiter darf kein Sklave sein, darf aber auch außer seiner Arbeitskraft kein Besitztum haben, muß ein Habenichts sein, wenn ihn der Geldbesitzer genötigt finden soll, seine Arbeitskraft zu verkaufen.

Es ist dies jedenfalls kein Verhältnis, das naturgesetzlich begründet werden kann, denn die Erde erzeugt nicht auf der einen Seite Geld- und Warenbesitzer und auf der andern bloße Besitzer von Arbeitskraft. Die geschichtliche Entwicklung und eine ganze Reihe von ökonomischen und sozialen Umwälzungen haben dies Verhältnis erst geschaffen.

Die Ware Arbeitskraft besitzt wie jede andere Ware einen Wert, der bestimmt wird durch die zur Produktion - hier auch zur Reproduktion - des Artikels notwendigen Arbeitszeit. Der Wert der Arbeitskraft ist daher gleich dem Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Unter Erhaltung ist hier natürlich dauernde Erhaltung, welche Fortpflanzung einbegreift, zu verstehen. So wird der Tauschwert der Arbeitskraft bestimmt, ihr Gebrauchswert zeigt sich erst beim Verbrauch derselben.

Der Verzehr von Arbeitskraft, wie von jeder andern Ware, vollzieht sich außerhalb des Bereichs der Warenzirkulation, weshalb wir letztere verlassen müssen, um dem Geldbesitzer und dem Besitzer von Arbeitskraft nach der Stätte der Produktion zu folgen. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie Kapital produziert wird.

Haben wir bisher nur freie, kurz, ebenbürtige Personen miteinander verkehren sehen, die nach Gutdünken über das Ihrige verfügen, kaufen und verkaufen, so bemerken wir schon beim Scheiden von unserem bisherigen Schauplatze und indem wir den handelnden Personen zur Produktionsstätte folgen, daß sich die Physiognomien derselben verändern. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigene Haut zu Markt getragen und nun nichts anderes zu erwarten hat als die - Gerberei.

 

 

Anmerkungen

[7] Zitiert bei Karl Marx: Das Kapital, 2. verb. Aufl., Hamburg 1872, S. 148 (MEW, Bd. 23, S. 178).

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008