Eduard Bernstein

 

Zur Frage des ehernen Lohngesetzes

VIII. Die Lohnformen und ihre Fortentwicklung


Diese Version: Eduard Bernstein: Zur Theorie und Geschichte des Socialismus: Gesammelte Abhandlungen, Bd.1, Berlin 1904, S.78-109.
Transkription/HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


a) Die Bedeutung der Lohnformen

Die Verwerfung der Lohnarbeit in jeder Gestalt entspricht der utopistischen Vorstellung von der Auflösung der Gesellschaft in kleine, als Wirtschaftseinheiten in sich abgeschlossene, streng oder halb kommunistische Gemeinschaften (Phalansterien, Heimkolonien), der nicht minder utopistischen Idee der Verwirklichung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag durch Productivgenossenschaften der Arbeiter oder schliesslich der Utopie eines kommunistischen Gleichheitsstaats, wie ihn namentlich Babeuf und Cabet entworfen haben. Alle diese Utopien sind in einer Zeit erwachsen, wo die Industrie ihre Revolution der Wirtschaft nur erst sehr unvollkommen ausgeführt hatte; ihnen haften noch in verschiedener Abstufung die Eindrücke einer Wirtschaftsepoche an, wo der Güterverkehr noch vorwiegend örtlicher Natur oder an wenig ausgedehnte Bezirke gebunden war und grosscapitalistische Productionsbetriebe eine Ausnahme bildeten. In jener Zeit wurde die Forderung Beseitigung des Systems der Lohnarbeit zum Kampfruf der socialistisch gesinnten Arbeiterschaft erhoben und ist es noch bis in die gegenwärtige Epoche der entwickelten capitalistischen Grossproduction geblieben. Dies, obwohl niemand, der über die Dinge etwas nachgedacht hat, darüber im Zweifel sein kann, dass im Angesicht der ungeheuren Steigerung des Verkehrs, wie sie sich seitdem vollzogen hat, und der gewaltigen Vermehrung der Güter nach Menge und Art auf absehbare Zeit hinaus an allgemeine Beseitigung der Lohnform eben so wenig zu denken ist, wie an eine Abschaffung der Geldes, mit welch letzterem der Arbeitslohn als Arbeitsentgelt überhaupt in mehrfacher Hinsicht in Zusammenhang steht. Vielmehr wird die Lohnform sich neben steigenden Naturalleistungen der Gesellschaft voraussichtlich noch bis ziemlich weit in die der capitalistischen folgende Wirtschaftsordnung hinein forterhalten.

Eine der Rückwirkungen, die das Fortleben jenes in utopistischen Gedankenzügen wurzelnden Schlagworts zur Folge gehabt hat, ist die Vernachlässigung der wissenschaftlichen Untersuchung der Formen des Arbeitslohns und ihrer Grundlagen von Seiten der theoretischen Vertreter des Socialismus. Selbst bei Marx geht das Capitel vom Arbeitslohn in Bezug auf diesen Punct über eine ziemlich äusserliche Empirie wenig hinaus. [1] Zeitlohn und Stücklohn werden zwar von ihm in ihren Hauptzügen beschrieben und auf ihre allgemeine Beziehung zum Mehrwert gekennzeichnet, aber die Frage, ob zwischen der Art der Arbeit und der Form des Lohns ein notwendiger Zusammenhang besteht, wird nur beiläufig und obenhin gestreift. Wohl lesen wir am Anfang des Capitels, das vom Stücklohn handelt: „In den eigentlichen Fabriken, wo Stücklohn allgemein vorherrscht, entziehen sich einzelne Arbeitsfunctionen aus technischen Gründen dieser Messung und werden daher nach Zeitlohn gezahlt.“ [2] Das deutet wenigstens darauf hin, dass zwischen der Art der Arbeit und der Art ihrer Löhnung ein gewisser innerer Zusanunenhang besteht. Aber der Zusammenhang wird nicht näher bezeichnet, beziehungsweise nur auf das Moment der Messung bezogen. Marx fährt dann fort: „An und für sich ist es jedoch klar, dass die Formverschiedenheit in der Auszahlung des Arbeitslohns an seinem Wesen nichts ändert, obgleich die eine Form der Entwickelung der capitalistischen Production günstiger sein mag als die andere.“ Was hier erst hypothetisch hingestellt wird, wird einige Seiten später recht apodiktisch verkündet: „Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich, dass der Stücklohn die der capitalistischen Productionsweise entsprechendste Form des Arbeitslohns ist.“ [3] In der Sturm und Drangperiode der grossen Industrie, namentlich von 1797 bis 1815, habe er als Hebel zur Verlängerung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohns gedient. Und etwas weiter unten bemerkt Marx: „In den dem Fabrikgesetz unterworfenen Werkstätten wird Stücklohn allgemeine Regel, weil das Capital dort den Arbeitstag nur noch intensiv ausweiten kann.“ [4] Wozu als Note die Stelle aus den Fabrikinspectionsberichten für den 30. April 1858 folgt: „Die Arbeiter auf Stücklohn bilden wahrscheinlich 4/5 aller Arbeiter in den Fabriken.“

Über das in diesen Sätzen Gesagte ist die schulgemässe marxistische Literatur nicht hinausgekommen; sie ist vielmehr, weil sie im Angesicht des vorerwähnten Schlagworts mit ihnen nichts anzufangen wusste, lange Zeit ein gutes Stück dahinter zurückgeblieben. Die generelle Verwerfung des StücklohnSystems, das schlechtweg mit dem Accordlohnsystem identificiert wurde, dictierte den bekannten Beschluss des Brüsseler internationalen Socialistencongresses von 1891, der die Arbeiter allerorts zum Kampf wider das Stücklohnsystem aufrief, aber trotz kräftiger und andauernder Unterstützung durch die socialistische Arbeiterpresse fast absolut wirkungslos geblieben ist. Kaum ein Jahr nach Verkündung der Resolution beschloss eine grosse nationale Conferenz des Verbands der englischen Maschinenbauer, der sich bis dahin der Stücklohnarbeit feindlich gegenübergestellt hatte, sie unter bestimmten Bedingungen zuzulassen, und 1893 traten die Arbeiter der Schuhfabriken von Norfolk in einen langen und hartnäckig geführten Ausstand, weil die Fabrikanten von der Stückarbeit zum Zeitarbeitslohn übergehen wollten. Das war England. Aber auch Deutschland hatte in den neunziger Jahren seinen Kampf von Arbeitern für Beibehaltung der Stückbeziehungsweise Accordarbeit. Es waren die Maurer Flensburgs, die im Jahre 1896 einen 16 Wochen dauernden Ausstand für Beibehaltung des dortigen Accordsystems gegen Übergang zum Zeitlohnsystem führten. In seiner Schrift Die Accordarbeit in Deutschland constatiert L. Bernhard auf Grund der von ihm nachgelesenen Berichte der deutschen Gewerkschaftspresse, dass in der ganzen Zeit seit 1891 nur in wenigen vereinzelten Gewerben ein Kampf gegen die Stücklöhne gespielt hat, dasts aber zum Beispiel bei den Holzarbeitern zur selben Zeit, wo das Fachorgan im redactionellen Teil in schärfster Weise gegen die Accordarbeit Stellung nimmt, in den Berichten aus den Mitgliedschaften immer nur von Kämpfen für Abänderung oder Regelung, nicht aber von solchen für Abschaffung der Accordarbeit die Rede ist. [5]

Man könnte dies als eine Bestätigung der Bemerkung von Marx betrachten, die Stück- oder Accordlöhnung sei die dem capitalistischen System entsprechendste Form der Löhnung Indes, so einfach liegt die Sache doch nicht. Der Zeitlohn überwiegt auch heute noch vielfach in sehr capitalistischen Unternehmungen, und der Stücklohn wie der Accordlohn herrschen in ziemlich kleinbürgerlichen Unternehmungen vor. Nach den Webbs [6] hielten zur Zeit der Abfassung ihrer Industrial Democracy 49 Gewerkschaften mit zusammen 573.000 Mitgliedern an Stücklöhnen fest, 38 Gewerkschaften mit zusammen 290000 Mitgliedern an Zeitlöhnen, während 24 Gewerkschaften nüt zusammen 140.000 Mitgliedern Zeit- und Stücklöhne anerkannten. Soweit die organisierten Arbeiter. Was die Gesamtarbeiterschaft betrifft, so berechnet der im Jahre 1900 veröffentlichte Bericht des britischen Arbeitsamts über die Normalsätze der Stücklöhne und Wandeltarife, dass, Handel und die liberalen Berufe; ausgenonunen, aber Landarbeiter und Dienstboten eingeschlossen, von allen um Lx)hn arbeitenden Personen im Vereinigten Königreich 74 % Berufen oder Gewerbszweigen angehören, in denen Zeitlöhne, 26 % solchen, in denen Stücklöhne vorwiegen. Zieht man davon die Landarbeiter und Dienstboten ab, so stellt sich das Verhältnis so: 61 % der Arbeiter entfallen auf Gewerbe, in denen Zeitlöhne, 39 % auf solche, in denen Stücklöhne überwiegen. Es wurde danach im Jahre 1900 die Mehrheit der englischen Arbeiter im Zeitlohn beschäftigt. In Frankreich ergab eine in den Jahren 1891 bis 1893 vom staatlichen Arbeitsamt angestellte Untersuchung, dass in den gewerblichen Unternehmungen – die Landwirtschaft, Fischerei, der Seedienst, der häusliche Dienst und der Eisenbahndienst ausgenommen – 70 % der Angestellten im Zeitlohn und 30 % im Stücklohn arbeteten. Im Eisenbahndienst wurden eine Anzahl Werkstättenarbeiter auf Stücklohn beschäftigt, sonst bestand allgemein die Bezahlung nach Zeit. In Deutschland fehlt es noch an einer ähnlichen allgemeinen Statistik. Es giebt hier nur Erhebungen aus vereinzelten Berufen, die obendrein meist nur einzelne Ortschaften und Districte betreffen.

Im Jahre 1900 veranstaltete der deutsche Buchbinderverband eine statistische Erhebung über die Arbeitsverhältnisse in den deutschen Buchbindereien und verwandten Berufen, an der sich die Gehilfenschaft von 226 Ortschaften beteiligte. Zu den gestellten Fragen gehörte auch die nach der Löhnungsweise; das heisst, ob im Stücklohn, im Accord, abwechselnd in Zeit- und Accordlohn, und bei Kost und Logis gearbeitet wurde (Frage 5 des Werkstattbogens und Frage 7 des Personenfragebogens). Über die Beantwortung heisst es in dem höchst lesenswerten Bericht über die Erhebungen:

„Bei der Frage nach der Entlohnungsart wurden öfters zwei bis drei, ja, alle vier bis fünf Fragen beantwortet. Auch hier war es manchmal nicht sehr einfach, die zutreffende Entlohnungsart mit ziemlicher Sicherheit festzustellen. Mandie hatten wiederum diese Frage mit Stückzeitlohn und dergleichen bezeichnet.“ [7]

Demgemäss fehlt es denn auch an einer Zusammenstellung der Verteilung der verschiedenen Löhnungsarten im ganzen Zählungsgebiete. Was die drei Hauptorte der deutschen Buchbinderei: Berlin, Leipzig und Stuttgart betrifft, so waren nach dem in seiner Art geradezu vorzüglichen Berliner Bericht laut den Werkstattfragebogen beschäftigt:

 

im Zeitlohn

im Accord-
oder Stücklohn

Abwechselnd
im Zeit- oder
Accordlohn

Gehilfen

954

  654

120

Hilfsarbeiter

275

    40

    4

Arbeiterinnen

961

1787

101

Die entsprechenden Zahlen für Leipzig waren:

 

im Zeitlohn

im Accord-
oder Stücklohn

Abwechselnd
im Zeit- oder
Accordlohn

Gehilfen

484

1157

  65

Hilfsarbeiter

  73

    11

  11

Arbeiterinnen

456

1042

100

und für Stuttgart, von wo ebenfalls ein sehr genauer Bericht vorliegt:

 

im Zeitlohn

im Accord-
oder Stücklohn

Abwechselnd
im Zeit- oder
Accordlohn

Gehilfen

843

  170

  60

Hilfsarbeiter

  58

      3

    3

Arbeiterinnen

118

  271

  83

Wir sehen hier, dass während bei den Arbeiterinnen an allen drei Orten der Accordlohn und bei den Hilfsarbeitern ebenso der Zeitlohn überwiegt, bei den Gehilfen Leipzig ein anderes Bild zeigt, als Berlin und Stuttgart. Dort arbeitet die Mehrzahl der Gehilfen im Accordlohn, hier im Zeitlohn.

Im Jahre 1902 veranstaltete die Verwaltungsstelle Berlin des deutschen Metallarbeiterverbandes eine Erhebung über die Arbeitsverhältnisse in der Berliner Metallindustrie, die auch die Lohnform berücksichtigte. Sie erstreckte sich laut dem darüber veröffentlichten Bericht auf insgesamt 1042 Betriebe, in denen 33.479 Personen beschäftigt waren, fast genau ein Drittel der überhaupt in Berlin berufstätigen Metallarbeiter. Nach ihr hatten [8]

Lohnform

 

Betriebe mit
bis zu 100 Personen

 

Betriebe mit
101 bis 500 Personen

 

Betriebe mit
über 500 Personen

 

alle
Betriebe zusammen

Zahl

%

Zahl

%

Zahl

%

Zahl

%

vorwiegend Stücklohn

337

52,25

79

60,77

143

65,30

559

56,24

vorwiegend Zeitlohn

230

35,66

47

36,15

  66

30,14

343

34,50

beides ziemlich gleich

  78

12,09

  4

  3,08

  10

  4,56

  92

  9,26

Die Mehrzahl der gezählten Arbeiter waren hiemach im Stücklohn tätig, der gerade in den grössten Betrieben am stärksten überwiegt. Immerhin bleibt noch in allen Grössenclassen ein grosser Prooentsatz von Arbeitern übrig, die im Zeitlohn arbeiteten.

Eine Statistik über die Lage der deutschen Holzarbeiter, die der deutsche Holzarbeiterverband imi Jahre 1902 veranstaltete, giebt für diese Industrie hinsichtlich der Lohnform Zahlen, die alle Teile Deutschlands umfassen. Nachdem über sie vorliegenden ausgezeichneten Bericht (Stuttgart 1904, J.H.W. Dietz Nachf.) hatten im Jahre 1902 von 10.038 gezählten Werkstätten

 

1902

1897

%

Zahl

%

nur Lohnarbeit

5629

56,1

51,9

nur Accordarbeit

1819

18,1

18,7

beides abwechselnd

2590

25,8

29,4

Und von im ganzen 68.664 gezählten Arbeitern arbeiteten

 

1902

1897

%

Zahl

%

im Zeitlohn

81,077

45,3

41,0

in Accord (Stücklohn)

30,974

45,1

48,4

abwechsehid in Zeitlohn und Stücklohn

  4,793

  7,0

in Halblohn (bei Kost und Logis)

  1,820

  2,6

  3,8

In beiden Rubriken ist ein Rückgang der Accord- bezw. Werklohnarbeit zu verzeichnen. Aber der Gehungsbereich dieser Lohnform stellt sich, wenn man die Rubrik der Arbeiter betrachtet, als sehr viel grösser heraus, als er in der Rubrik der Werkstätten erscheint, was erkennen lässt, dass in den grösseren Werkstätten der Werklohn die vorherrschende Lohnform ist. Ganz besonders trifft dies für die Tischlerei zu. In dieser zeigten die vor bezeichneten Rubriken für 1902 folgende Zahlen:

 

Werkstätten

 

Arbeiter

Zeitlohn

4.532

23.134

Accord- bezw. Stücklohn

1.300

24.573

Beides

1.957

  4.246

Während die Accordwerkstätten nur 16,7 %, d.h. gerade den sechsten Teil aller Werkstätten dieses Gewerbes ausmachten, repräsentierten sie rund 47 Procent seiner Arbeiter – mehr als die 3½ mal so zahlreichen Zeitlohnwerkstätten. In der Stellmacherei hatten 3,9 Procent Accordwerkstätten 23,4 Procent der beschäftigten Arbeiter. Die Zahl der Werklohnarbeiter überwog mehr oder weniger bedeutend in der Drechslerei, Korbmacherei, Bürstenfabrikation, Klavierfabrikation, Stuhlfabrikation, bei den Polierern, Stockarbeitern, Knopfmachern, Nähmaschinenarbeitern, Uhrgehäusearbeitem und den Arbeitern auf photographische Apparate.

Ähnlich steht es in anderen Gewerben. Ein streng einheitliches Bild finden wir in den wenigsten Fällen. Man könnte verleitet sein, daraus zu schliessen, dass die Wahl der Lohnform etwas mehr Zufälliges sei. Aber die völlige Wirkungslosigkeit des Brüsseler Beschlusses nötigt im Verein mit der Tatsache, dass Arbeiter immer wieder für den Stück- oder Accordlohn gegen den Zeitlohn kämpfen, zu der Folgerung, dass es ganz bestimmte Umstände sein müssen, die je nachdem den Unternehmern oder Arbeitern oder auch beiden die eine oder andere Lohnform als die zweckdienlichere erscheinen lassen. Damit ergiebt sich aber auch schon die Notwendigkeit, diese Umstände genauer zu untersuchen und nach wissenschaftlichen Massstäben für die Wertung der Lohnformen zu forschen.

Das kann selbstverständlich nicht im Rahmen eines einzelnen Artikels geschehen. Wer das Buch von Schloss [9] über Lohnmethoden gelesen hat, das bis jetzt noch das beste Werk über diesen Gegenstand bildet und in der schon erwähnten Schrift von Bernhard eine wertvolle Ergänzung gefunden hat, wird ohne weiteres zur Erkenntnis gelangt sein, dass es sich hier um eine Materie handelt, deren erschöpfende Analyse und Darstellung ein Eingehen auf sehr viele Einzelheiten verschiedener Art erheischt. Die Lohnform ist in der Regel die Resultante aus verschiedenen Factoren, die in den einzelnen Productionszweigen, je nach deren Technik und der Disposition ihrer Arbeiter, in verschiedener Stärke wirken und daher notwendigerweise von Productionszweig zu Productionszweig abweichende Ergebnisse zur Folge haben. Der scheinbare Zufall ist. wie überall, auch hier das gesetzmässige Ergebnis von Abweichungen in den Verbindungsgliedern. Wir können auf den grössten Teil der Combinationen, die dabei in Betracht kommen, hier nicht eingehen, sondern müssen uns auf eirüge Bemerkungen über die Hauptformen der Lohnberechnung und die Momente beschränken, die für ihre Beurteilung entscheidend ins Gewicht fallen.

In dem Vorhergehenden wurde, dem Sprachgebrauch folgend, principiell nur zwischen Zeitlohn einerseits und Stücklohn- oder Accordarbeit andererseits unterschieden. Arbeit im Stücklohn und Accordarbeit erscheinen da als wesensgleich. Und so werden sie auch vieUach in der Fachhteratur behandelt, wobei einige Ökonomen die Stücklöhnung, andere den Accord als das umfassende Princip hinstellen, von dem je nachdem dieser oder jene nur eine Unterform bilden. Bei Marx zum Beispiel ist der Stücklohn die Oberform und wird der Accord als eine blosse Abart davon behandelt, wälirend Bernhard dagegen die Stücklohnarbeit nur als eine besondere Form der Accordarbeit gelten lässt. Wir halten das eine für so willkürlich, wie das andere. Wohl haben die genannten Lohnformen ein wichtiges Element mit einander gemein, aber gleichzeitig sind sie auch so stark unterschieden, dass die Behandlung der einen als eine Unterform der andern eine theoretische Unmöglichkeit ist und praktisch zu den grössten Missgriffen verleiten kann. Wir kommen dem Anspruch auf folgerichtige Begriffsbestimmung vielmehr am nächsten, wenn wir auf das beiden Lohnformen gemeinsame Moment zurückgehen und auf Grund dieses letztern den Haupt- oder Oberbegriff zu bilden suchen. Stücklohn und Accordlohn haben nun das eine gemeinsam, dass bei ihnen der Lohn nach der Leistung oder dem verrichteten Werk bemessen wird, ob das Werk nun sich in einem Product verkörpert oder in Dienstleistungen irgend welcher Art bestand, wie Aufsicht, Pflege, Reinigungsarbeit etc. Sie sind beide zunächst Werklohn und in ihrer speciellen Bestimmtheit je Abarten und Unterformen von ihm. Hält man daran fest, so wird man ohne weiteres zu der Folgerung genötigt, dass, was von der einen dieser Unterformen festgestellt werden kann, darum noch nicht schlechtweg auf die andere übertragen werden darf. Man wird, statt zur Verwischung der zwischen ihnen bestehenden Wesensunterschiede, zu ihrer genaueren Prüfung veranlasst, was dann bald zu der weiteren Erkenntnis führt, dass hüben wie drüben noch sehr wichtige Besonderheiten zu unterscheiden sind, die in der Praxis grosse Unterschiede in den Wirkungen bedeuten.

Stellen wir den zusammenfassenden Oberbegriff Werklohn dem Zeitlohn gegenüber, so haben wir in dem einen Fall die Bezahlung des Arbeiters nach dem Resultat seiner Arbeit oder Anstrengung, das heisst dem verfertigten oder geleisteten Werk, im andern die Bezahlung nach der aufgewendeten Arbeits- (oder Dienst-)Zeit. Aber der Unternehmer setzt die Arbeitskraft des Arbeiters nicht um der Zeit, sondern um des Werks willen in Bewegung. Selbst wenn er ihn nach der aufgewendeten Zeit zahlt, hat er doch in der Regel dabei das in dieser geleistete oder zu leistende Werk im Auge. Voraussetzung ist, dass der Arbeiter in einer bestimmten Spanne Zeit ein bestimmtes Quantum Werk leistet. Der Zeitlohn birgt fast durchgängig die Grundidee des Werklohnes in sich, und das wird dem Arbeiter auch durch allerhand Mittel sehr deutlich zum Bewusstsein gebracht. Auf der andern Seite steckt aber auch im Werklohn stets der Zeitlohn. Denn bei Festsetzung der Werklohnbedingungen wird zumeist entweder stillschweigend oder ausdrücklich darauf Bezug genommen, wieviel des betreffenden Werks der Arbeiter von Durchschnittsbefähigung in einem bestimmten Zeitraum zu leisten im stände ist – beziehungsweise wird ihnen ein Normalzeitlohn zu Grunde gelegt. Namentlich will und muss der Arbeiter ein Bild davon haben, wieviel Lohn er bei normaler Anspannung in einem gegebenen Zeitraum (Arbeitstag oder Woche) zu erzielen im Stande ist. Wo mit dem Werklohn Unsicherheit hinsichtlich dieses Punctes verbunden ist, und in dem Masse, wie dies der Fall, wird er dem Arbeiter stets widerwärtig sein. Wie der Fabrikant eine Normalleistung, so hat der Arbeiter einen Normallohn im Auge. Auf Grund dieser Verschiedenheit der Gesichtspuncte hängt die Bestimmung der Lohnform in vielen Fällen von der Entscheidung darüber ab, welche der beiden Parteien jeweilig die stärkere Marktposition inne hat.

Bisher hat im allgemeinen die Entscheidung über die Lohnform bei den Unternehmern gelegen. Fragen wir nach den Rücksichten, von denen sie dabei ausgingen, so führt Marx, wie wir gesehen haben, zwei als massgebend ins Feld: die Rücksicht auf die Messung der Arbeitsleistung und die auf die möglichste Verdichtung der Arbeit. Damit sind nun natürlich die Rücksichten, die für den Unternehmer in Betracht kommen, keineswegs erschöpft; er hat je nachdem auf Qualität der Arbeit grossen Wert zu legen, sowie auf schonende Behandlung seiner Arbeitsmaterialien: komplizierte Maschinen, kostbare Roh- und Halbstoffe in der Industrie, wertvolle Tiere in der Landwirtschaft. Während nun die ersten beiden Rücksichten in der Tat zu irgend einer Form des Werklohnes drängen, nötigen die letzteren, wie man bei Schloss nachlesen kann, der viele Beispiele dafür anführt, sehr oft, vom Werklohn abzusehen und beim Zeitlohn zu bleiben oder zu ihm zurückzukehren. Ein anderer Factor, der gegen den Werklohn spricht, ist die auch von Marx – siehe oben – betonte Schwierigkeit, die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeiters genau abzumessen, sofern nicht diesem Umstand durch ein System combinierter Werklöhnung (Gruppenaccord etc.) abgeholfen werden kann: ferner die in manchen Productionsabteiiungen obwaltende Unvermeidlichkeit unfreiwilliger Arbeitspausen für den Arbeiter, wie sie bei complicierten Arbeitsprocessen (Hüttenarbeit etc.) nicht selten vorkommen, und ähnliche Eigentümlichkeiten mehr.

Kann oder will der Unternehmer die Arbeit nicht gegen Werklohn anfertigen lassen, so hat er zwei Mittel, dafür zu sorgen, dass der Arbeiter im Zeitlohn die für nötig erachtete Menge Arbeit leistet. Entweder vergiebt er die Arbeit an Zwischenpersonen (Werkmeister, Poliere, Zwischenunternehmer) in Verding, die dann darauf achten, dass der Arbeiter die Arbeitszeit nicht vertrödelt, oder er stellt direct bezahlte Aufseher für diese Überwachung an. Den ersteren Ausweg bezeichnet man vielfach mit dem Wort Accord, und er hat nicht wenig dazu beigetragen, die Accordarbeit verhasst zu machen. Tatsächlich können aber solche Zwischenaccorde überhaupt nicht den Methoden der Arbeiterentlöhnung zugerechnet werden.

Accordlohnarbeit liegt da vor, wo Arbeiten an einzelne Arbeiter oder Gruppen von Arbeitern im Geding vergeben werden. Dass sie namentlich da, wo die Arbeiter infolge mangelnder Organisation oder starken Angebots von Arbeitskräften wenig widerstandsfähig sind, zu starker Herabdrückung der Löhne führen kann, steht ausser Frage. Die Geschichte der Arbeit ist an Beispielen dafür überreich. Es steht aber auch ausser Frage, dass in der Industrie solche Verdingungen heute oft schwer zu umgehen sind und dass, wenn die Arbeiter sie ablehnen, der Unternehmer seine Zuflucht eben zur Vergebung an Zwischenunternehmer nimmt, wobei der Arbeiter gewöhnlich nicht besser, sondern schlechter fortkommt, als beim Arbeitergruppenaccord. Sind die Arbeiter zu schwach, einer Übervorteilung bei diesem sich zu widersetzen, dann sind sie auch nicht in der Lage, eine Herabdrückung ihres Zeitlohns oder Überanspannung durch den Accordmeister zu verhindern. Es ist also schon bei dieser, unstreitig mit vielen Mängeln behafteten Form der Werklohnarbeit nicht zweckmässig, den Arbeitern unterschiedslos von ihr abzuraten. Denn gewöhnlich haben sie die Kosten für den Zwischenunternehmer oder Aufpasser zu zahlen.

Wir übergehen die Unterformen des einfachen Gruppenaccords und wenden uns der anderen Form des Werklohns, der Stücklohnarbeit, zu. Auch hier setzen wir die Schattenseiten dieser Lohnform für den Arbeiter als bekannt voraus. Wo der Stücklohn einseitig vom Fabrikanten festgesetzt wird, kann er zum Mittel einer Arbeitstreiberei werden, die vorzeitige Ausmergelung des Arbeiters, Preisgabe seiner Sicherheit und Ausspielen von Arbeiter gegen Arbeiter als Lohndrücker bedeutet. Der Widerstand der Arbeiter gegen solches Stücklohnsystem ist nur zu berechtigt und in jeder Weise zu unterstützen. Ganz anders da. wo es möglich ist, die Unternehmer zur Vereinbarung von Stücklohntarifen mit den organisierten Arbeitern zu bewegen. Hier würde die generelle Verwerfung der Stücklöhnung noch weniger zum Vorteil der Arbeiter ausschlagen, als beim Accordlohnsystem. Der Unternehmer wird unter den heutigen Verhältnissen nicht darauf verzichten, für einen bestimmten Lohn ein bestimmtes Quantum Arbeitsleistung oder Werk zu verlangen, und er wird daher, wenn ihm das Mittel der Stücklöhnung verweigert wird, immer wieder durch verstärktes Aufseherwesen das Ziel zu erreichen suchen, dessen Kosten, wie oben gezeigt, schliesslich stets die Arbeiter zu tragen haben.

Es kommt hierbei in Betracht, dass die moderne Industrie mit beständigen Umwälzungen der Technik, Anschaffung neuer und oft kostspieligerer Maschinerie etc., zu rechnen hat. Sie ist deshalb auch darauf angewiesen, dass die Lohnform elastisch genug ist, sich den technischen Änderungen jeweilig anzupassen. Diese grössere Elasticität besitzt aber der Stücklohn, bei dem eine weitgehende Tarifierung von Teilarbeiten möglich ist und auch statt hat, deren Combination wechseln kann, ohne dass deshalb die beteiligten Arbeiter in ihrem Einkommen geschädigt werden, und der zugleich die Bürgschaft für die erforderhche Ausnutzung der Maschine bietet.

Handelt es sich hierbei lediglich um das Spiel der Interessen von Unternehmer und Arbeiter, so würde der letztere Gesichtspunct den Vertreter der Arbeiterclasse gleichgiltig lassen können. Tatsächlich steht aber hier im Hintergrunde das allgemeine gesellschaftliche Interesse an steter Vervollkommnung und Verbilligung der Production.

So verwerflich die Stücklöhnung überall da ist, wo sie daz dient, die Arbeiter zur Überarbeitung und gegenseitigen Unterbietung zu peitschen, so wenig lässt sich dort gegen sie einwenden, wo sie einen von organisierten Unternehmern un Arbeitern vereinbarten und ständiger gemeinsamer Controle unterworfenen Tarif zur Grundlage hat. Wo ihr diese Controle verbürgt ist, ist sie eine höhere Form der Arbeitslöhnung als der einfache Zeitlohn, ist sie, soweit vorauszusehen, die Lohnform der nächsten socialistischen Zukunft.

Eine socialistische Gesellschaft wird genau dasselbe In teresse an möglichst ausgiebiger Ausnutzung ihrer Productions mittel haben, wie die capitalistische. Dies unter anderm scho deshalb, weil dies die Vorbedingung durchgreifender allge meiner Herabsetzung der notwendigen Arbeitszeit ist. Welche Mittel aber hat sie, diese Ausnutzung zu verbürgen? Sie wird weder die Hungerpeitsche in Bewegung setzen, noch wird sie zum System der antreibenden Aufpasser greifen wollen. Die anziehende Arbeit Fouriers ist für die grosse Mehrheit der in der Industrie zu verrichtenden Arbeiten vorläufig noch ein Traum, und in der Production, die das grosse Publicum nur mittelbar berührt, wird das höhere Pflichtgefühl sich weniger stark äussern, wie bei öffentlichen Diensten unmittelbaren Charakters. Die Gesellschaft wird auch die Bewegungsfreiheit nicht einschränken, sondern sie im Gegenteil in jeder Weise steigern wollen. Aus all diesen Gründen und unter ihren Rückwirkungen wird es geradezu unvermeidlich, die in der Production tätigen Elemente der Gesellschaft materiell an ihrer Ökonomie zu interessieren. Dies kann aber zweckmässig nur durch ein ausgebildetes Werklohnsystem geschehen.

Wie man eine lange Zeit glaubte, in der reinen Productivgenossenschaft die höhere Form der Production gefunden zu haben, bis sich ihre Irrationalität geradezu unabweisbar herausstellte, so hat es auch eine gute Weile gedauert, bis man linter die Irrationalität des Systems der Beteiligung der Arbeiter am Geschäftsgewinn kam. Heute höchstens in kleinen und mittleren Betrieben oder specialistischen Unternehmungen anwendbar, wo sein Erfolg aber auch – und gerade dies beweist seinen irrationellen Charakter – ganz von der Person des Leiters des Geschäfts abhängt, verliert es bei len für die entwickelte capitalistische Wirtschaft typischen Jntemehmungen jeden Sinn und würde es dem Gedanken einer socialistischen Gesellschaft geradezu ins Gesicht schlagen. Es it nicht socialistisdh, sondern particularistisch – wir wählen absichtlich diese Bezeichmmg, und nicht das oft dem Begriff socialistisch gegenübergestellte Wort individualistisch, weil sie den Gegensatz, um den es sich hier handelt, genauer zum Ausdruck bringt. Nicht das Individuelle, sondern das Particularistische ist dem Socialismus feindlich. Die Beteiligung am Geschäftsgewinn bringt die Arbeiter des betreffenden Unternehmens in einen Gegensatz sowohl zum Gemeinwesen als consumierender Einheit, als auch zu ihren übrigen Berufsgenossen. [10] Das erstere findet beim Werklohn überhaupt nicht, das letztere nur beim Werklohn in seiner rohen Form als individueller Accord statt. Wenn die Arbeiter diesen im allgemeinen verwerfen – und zu ihm gehört auch dem Begriff nach der Accord des Einzeluntemehmers nüt kleinen Arbeitergruppen (Colonnen) etc. –, so haben sie sowohl die Erfahrung, wie die theoretische Betrachtung für sich. Der individuelle Accord ist meist – denn Ausnahmen giebt es allerdings auch hier – ein rohes Auskunftsmittel der capitalistischen Wirtschaft in ihren Anfängen; er steht auf einer Stufe mit dem individuelle Schacher beim Warenkauf. Und wie dieser in der Epoche des entwickelten Capitalismus dem System der festen Preise hat weichen müssen, so muss der individuelle Accord immer mehr dem System der festen Löhne weichen, das aber nicht im einfachen Zeitlohn seine höchste Verwirklichung findet, der vielmehr, wie Sidney Webb es in einer Zuschrift an den Verband der englischen Maschinenbauer ausdrückt, eine rohe und barbarische Form der Löhnung darstellt [11], sondern im tarifmässig festgelegten Werklohn oder Werkzeitlohn.

Der Werkzeitlohn entspricht dem Lohnprincip, wie es Rodbertus in seiner Abhandlung Der Normalarbeitstag vorgeschlagen hat. Rodbertus verband mit einer bemerkenswerten Fähigkeit begrifflichen Folgerns einen starken Sinn für die realen Tatsachen – nichts lächerlicher, als die Unsitte, das theoretische Denken als einen Gegensatz zur Würdigung der Praxis zu betrachten. Er sah die Unmöglichkeit ein, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in absehbarer Zukunft zu verwirklichen, er sah auch die Schwierigkeiten der mechanischen Regelung des Arbeitstags, und so arbeitete er als ein Gegenmittel gegen die steigende Herabdrückung der Lohnquote des Arbeiters den Plan eines normalen Werkarbeitstages aus, bei dem Leistung und Arbeitszeit in ein geregeltes Verhältnis zu einander gebracht werden sollten. In welche Irrtümer er dabei verfiel, soll hier unerörtert bleiben. Von Interesse ist, dass der Kern seiner Idee verschiedentlich in der Praxis sich durchgesetzt hat. Am classischsten vielleicht in dem zu Leicester am 9. November 1893 ratificierten Lohntarif in der Schuhwarenfabrikation von Ostengland. Dieser, nach langen Kämpfen zwischen Arbeitern und Unternehmern zu stande gekommene Tarif setzt Stücklöhne bis in die kleinsten Einzelheiten fest, wird aber in der Praxis fast nur als Leitfaden bei Streitigkeiten darüber verwendet, wie viel Arbeit innerhalb der normalen Arbeitszeit vom Arbeiter zu leisten sei. Der Form nach erhält der Arbeiter Zeitlohn, dem Wesen nach ist seine Bezahlung aber ebensogut Werklohn. Oder vielmehr, sie ist eine Combination beider, für die der angemessene Name Werkzeitlohn oder auch Stückzeitlohn wäre, und dass solche Löhnung auch anderwärts stattfindet, zeigt die weiter oben angeführte Bemerkung im Bericht über die Erhebungen in den deutschen Buchbindereien, dass Arbeiter die Frage nach ihrer Löhnung mit Stückzeitlohn beantwortet haben. Mit einer gewissen elementaren Kraft drängt sich der modernen Industrie diese Combination auf, und wir glauben nicht irre zu gehen, wenn wir sie als die voraussichtliche Lösung des Problems bezeichnen, das Interesse des einzelnen Arbeiters, las der Arbeiter als Beruf und Classe und das des Gemeinwesens als Consument möglichst gleichmässig sicher zu teilen. Denn dies ist das eigentliche Lohnproblem, das heute dadurch ein falsches Gesicht erhält, dass zwischen Arbeiter und Gesellschaft der capitaistische Unternehmer steht, der auf der einen Seite die gesellschaftliche Function der Fürsorge für die höchste Ergiebigkeit der Arbeit, das heisst für die billigste Herstellung des Products, hat und auf der anderen Seite in seiner Eigenschaft als Profitmacher dem Arbeiter wie der Gesellschaft gegensätzlich gegenübersteht. Es ist aber ebenso irreführend, über dieser Gegensätzlichkeit die sociale Aufgabe les Unternehmers zu ignorieren, wie es falsch ist, von ihr zu abstrahieren und den Unternehmer nur als Repräsentanten des gesellschaftlichen Interesses zu behandeln. Wo das erstere geschieht, wie zum Beispiel bei Marx, bleibt die Lohntheorie negativ kritisch; aus dem Capital lässt sich nicht ersehen, ob die Arbeiter Werklohnsysteme grundsätzlich bekämpfen oder von deren grundsätzlicher Bekämpfung als utopistisch absehen sollen. Die Ignorierung des Gegensatzes dagegen führt in der Praxis meist zu blinder Verteidigung der Unternehmerdespotie.

Wir müssen es uns versagen, hier auf die einzelnen Abarten des Werklohns und Werkzeitlohns genauer einzugehen. Eine methodische Untersuchung würde, wie schon bemerkt, ein ganzes Buch erfordern. Möge sie bald von geeigneter Seite in die Hand genommen werden! Sie könnte der Arbeiterschaft unschätzbare Dienste leisten. Heute stehen Theoretiker wie Praktiker des Arbeiterkampfes dem Problem der Lohnformen häufig geradezu ratlos gegenüber. Man lese zum Beispiel nur die Beurteilung nach, die in der Arbeiterpresse das System der Prämienlöhne findet. Die einen verwerfen es ob seiner offensichtlichen grossen Gefahren für die Arbeiter, die anderen suchen ihm, da sie die Unmöglichkeit sehen, es aus der Welt zu schaffen, die guten Seiten abzugewinnen. Die letzteren sind im Lager der Arbeiter und ihrer Wortführer eine winzige Minderheit. Die überwiegende Mehrheit verurteilt das System. Was hilft aber das Verurteilen einer Sache gegenübe, die fortschreitend immer mehr Boden erobert? Sie will vor allem erkannt und begriffen sein, was in diesem Falle nur möglich ist, wenn man auf Grund wissenschaftlicher Analyse einen festen Standpunct in Bezug auf die Bedeutung der Lohnformen gewonnen hat – ihrer Bedeutung sowohl unter dem Gesichtspunct des zeitweiligen praktischen Interesses der Arbeiter, als auch ihrer Bedeutung unter dem Gesichtspunci der Entwickelung der Technik und der Wirtschaftsordnung.
 

b) Die Natur und Bedeutung der Prämienlöhne

Das System der Prämienlöhne ist im Prinzip nicht neu, die Bezahlung von Zuschlägen an Arbeiter für Extraleistungen kommt schon ziemlich zeitig in der modernen Industrie vor. Man findet sie in verschiedenen Formen in allen Industrieländern. In England war das System, wie Mr. Schloss schreibt, in der Baumwollenindustrie Lancashires ehedem sehr verbreitet und ist dort erst durch die Gewerkvereine der Arbeiter beseitigt worden. Es ist ursprünglich in den meisten Fällen nur ein Mittel, auszukundschaften, wie viel Arbeit sich überhaupt aus den Arbeitern durch Antreiben herausholen lässt. Die Prämie zeigt dem Fabrikanten an, um wie viel er die Stück- oder Zeitlöhne herabsetzen kann, ohne Verminderung der Leistung des einzelnen Arbeiters gewärtigen zu müssen. Etwas anderes aber ist oder soll sein das spezifische System von Prämienlöhnen, das in England und den Ver. Staaten als System der Progressivlöhne bekannt und von Mr. Schloss in seinem Bericht an das Britische Arbeitsamt über Sparanteil- und andere Prämienlohn-Systeme im Jahre 1895 genauer beschrieben worden ist. [12]

Das System der Progressivlöhne, wie wir dieses System im Unterschied zu den ahen Methoden der Prämienlöhnung fortan lediglich nennen wollen, ist ein modifiziertes – man könnte auch sagen, raffiniertes Werkzeitlohnsystem. Sein classischer Typus ist das Prämienlohnsystem, das ein Mr. Halsey im Jahre 1891 in der von ihm geleiteten Fabrik von Felsbohrmaschinen in Sherbrooke, Kanada, eingeführt und vor einer Versammlung der amerikanischen Gesellschaft von Maschineningenieuren auseinandergesetzt hat. Darnach beruht es auf folgenden Grundregeln:

  1. Dem Arbeiter wird der landläufige Zeitlohn als Mindestsatz zuerkannt.
     
  2. Für jede Arbeit wird auf Grund vorliegender Erfahrungen festgestellt, wieviel Zeit sie bisher erforderte und diese Zeit als Normalzeit in Rechnung gestellt.
     
  3. Braucht der Arbeiter weniger Zeit für die Arbeit, so wird ihm für die gesparte Zeit eine bestimmte Prämienrate als Extravergütung zuerkannt, deren Satz pro Stunde aber geringer ist als der normale Stundenlohn.
     
  4. Die Prämienrate soll möglichst dauernden Bestand haben, eine Herabsetzung der Rate nur dann erfolgen, wenn eine Änderung des Produktionsprozesses selbst die alte Zeitrate hinfällig gemacht hat. Der Arbeiter, erklärte Mr. Halsey, dürfe nicht in den Glauben versetzt werden, dass seine Löhne nicht über eine gewisse Grenze sollen steigen dürfen.

Mr. Halsey empfiehlt dabei, die Normalzeit nicht zu niedrig anzusetzen. Er habe es für zweckmässiger gefunden, in Bezug auf die für die Arbeiten vorgeschriebene Zeit weitherzig zu sein und lieber die Prämiensätze etwas niedriger zu halten. Dadurch werde bewirkt, dass selbst der weniger gute Arbeiter noch die Möglichkeit vor sich sehe, seinen Lohn zu verbessern, und werde der Notwendigkeit vorgebeugt, die Prämienrate herabsetzen zu müssen. Aus praktischen Gründen hat Mr. Halsey ferner in solchen Fällen, wo sich eine Erhöhung der Prämien empfahl, nicht die Prämienrate erhöht, sondern die Grenze des Zeitaufwands für die auszuführenden Arbeiten – die Normalzeitheraufgesetzt. Es empfahl sich dies wegen des Vorteils, den die Stetigkeit der Prämienrate für die Berechnungen zur Folge hat.

Mit Bezug auf die Aufnahme des Systems von Seiten der Arbeiter schrieb Mr. Halsey 1894 an das britische Arbeitsamt, dass das System von den Arbeitern zuerst mit grossem Misstrauen aufgenommen worden sei. Aber ein wenig Geduld von Seiten des Unternehmers und einige Erfahrung auf Seiten der Arbeiter hätten genügt, das Misstrauen zu beseitigen. Schliesslich seien die Arbeiter samt und sondert begierig gewesen, Prämienarbeit zu übernehmen. Es sei im Ganzen ohne Reibungen abgegangen, was Mr. Halsey dem Umstande zuschreibt, dass er durch Ansetzung niedriger Prämienraten dafür gesorgt habe, eher Erhöhungen als Herabsetzungen einführen zu müssen. Auch sei der Umstand, dass das System keinen Zwang einschliesse, seiner Annahme günstig.

Ähnliche Erfahrungen wurden mit diesem System in einer anderen amerikanischen Bohrmaschinenfabrik, der Bickford Drill and Tool Company erzielt. Nur erklärt deren Leiter, das Princip des Mr. Halsey, die Normalzeit hoc und die Prämien massig anzusetzen, passe wohl da, wo bishe etwas bummlig gearbeitet worden sei, aber nicht dort, wo schon ziemlich stramm gearbeitet wurde. Dort werde es sich vielmehr oft empfehlen, niedrige Zeitbestimmungen mit hohen Prämiensätzen zu verbinden. Sei die Zeitgrenze hoch und die Prämienrate niedrig, so nehme, nachdem der Arbeiter die erste Zeitersparnis erzielt habe, der Antrieb zu weiterer Zeitersparnis stark ab. „Die erste Zeitersparnis,“ schreibt er im New Yorker Engineering Magazine vom Januar 1901, „wird gewöhnlich mit sehr wenig Mehranstrengung von Seiten des Arbeiters erzielt. Aber von da ab ist jede weitere Productionssteigerung geeignet, mehr Muskelarbeit und höhere geistige [bezw. Nerven-]Anspannung zu erheischen und sollte, meine ich, mit höherer Prämienrate belohnt werden.“

Fast genau um dieselbe Zeit, wo in Amerika der erste Versuch mit diesem System gemacht wurde, führte in England eine Firma der Maschinenbranche, die Herren Willans & Robinson in Rugby and Thames Ditton, ein Prämienlohnsystem ein, das sie Referenztarifsystem („Reference rate system“) nannten, und das mit dem Halseyschen System alle Haupptzüge gemein hat. Bei seiner Einführung erklärte die Geschäftsleitung den Arbeitern, es soll der allgemein in der Industrie geltende Zeitlohn der Mindestlohn bleiben, auch wenn der Arbeiter mehr Zeit für die ihm zugewiesene Arbeit verbrauche, als der von ihr angesetzte Normal-Zeittarif dafür vorschreibe. Ausserdem ward auch von ihr als leitendes Princip verkündet, dass der Zeittarif für die verschiedenen Arbeiten so lange unverändert bleiben solle, als die Proctionstechnik keine Änderung erleide. Solange nicht die Geschäftsleitung durch neue Maschinen etc. Productionsprocess ändere, werde der Zeittarif unverändert bleiben. Verbesserungen der Arbeitsmethode, die der Initiative bezw. dem Erfindungsgeist der betreffenden Arbeiter selbst geschuldet sind, würden den Zeittarif unberührt lassen. Gleichfalls hierher gehört das Differential-Stücklohnsystem (Differential Piecewage system), das Mr. Fr.W. Taylor von der Midvale Steel Company in Philadelphia seit Jahren auf den Werken dieses Unternehmens praktiziert. Seine Besonderheit ist, dass die Arbeit für die Berechnung bis in ihre kleinsten messbaren Elemente zerlegt ist und für jedes solche Arbeitselement eine gewisse Normalzeit und ein solcher Stücklohn angesetzt sind, dass der Arbeiter bei Einhaltung dieser Zeit auf den Normallohn kommt, der im Gewerbe für die betreffende Art Arbeitern gezahlt wird. Braucht der Arbeiter weniger Zeit, so wird der Einheitslohn nicht herabgesetzt, sondern noch erhöht. Der Arbeiter soll nicht befürchten müssen, dass grössere Ergiebigkeit seiner Arbeit zu Herabsetzung der Tarifsätze führe. „Der ganze Vorteil des Systems ist zerstört,“ heisst es in einem es beschreibenden Artikel des Engineering Magazine, „wenn die Arbeiter den Eindruck empfangen, dass Steigerung ihrer Produktion Herabsetzung der Lohnsätze zur Folge hat.“ Von der Praxis des Differentialsystem (L. Bernhard nennt es in dem zitierten Buch „Elementenberechnung“) giebt folgendes Beispiel ein Bild:

„Angenommen, es handle sich um das Glätten der Oberfläche eines Stückes Gusseisen. Bei dem gewöhnlichen Stücklohnsystem würde der Beamte, der den Arbeitspreis berechnet, eine Liste der an der Hobelmaychine ausgeführten Arbeiten durchsehen, bis er auf ein Stück Arbeit stösst, das dem auszuführenden Stück möglichst nahe kommt, und dann den für das letztere erforderten Zeitaufwand vermutungsweise abschätzen. Unter dem Elementarsystem dagegen würde etwa folgende Analyse gemacht werden:

Arbeit des Arbeiters selbst:

 

Minuten

Zeit erheischt um

das Stück vom Boden auf den Hobeltisch zu heben

 

 

das Stück nach dem Lot zu stellen

Riegeln und Klammem anzuschrauben

Riegeln und Klammem abzuschrauben

das Stück auf den Boden zu setzen

die Maschine zu reinigen

Arbeit mit der Maschine:

Zeit erheischt um

einen Schnitt ¼ Zoll dick, 4 Fuss lang und 2½ Zoll breit
                                mit dem Rauhstahl abzuhobeln

 

 

einen Schnitt 1/8 Zoll dick, 3 Fuss lang und 12 Zoll breit abzuhobeln

einen Schnitt von 4 Fuss Lange und 2½ Zoll Breite zu glätten

einen Schnitt von 8 Fuss Länge und 12 Zoll Breite zu glätten

 
                           

Insgesamt

 

Hierzu ........ Prozent für unvermeidbare Verzögerungen ...................

Auf diese Weise liessen sich alle Arbeiten in eine Reihe einfacher Verrichtungen auflösen, wie sie sich in jeder Werkstatt täglich in den verschiedenartigsten Combinationen wiederholen und deren Zeitaufwand sich leicht bestinunen lasse. Der Tarifaufsteller werde bald so vertraut mit den Zeiterfordernissen für jedes der Arbeitselemente, dass er sie aus dem Gedächtnis niederschreiben könne. Für denjenigen Teil der Arbeit, der mit Hülfe der Maschine gemacht wird, schlägt er Tabellen nach, welche für jede Maschine ausgearbeitet sind und die Zeit für jede Combination in Bezug auf Länge, Breite und Dicke des Schnitts angeben.

Mehr in das Gebiet der eigentlichen Werklöhnung entfällt das Lohnberechnungssystem, welches dem System „Gute Kameradschaft“ (good Fellowship System) zu Grunde liegt, das der Leiter der Thames Iron Works (Südost London), Mr. F. Hills, seit Anfang der neunziger Jahre praktiziert. Auch hier bildet ein Normalzeitlohn die Grundlage der Lohnbemessung. „Jeder Arbeiter,“ heisst es im § 1 des Statuts, „wird von der Gesellschaft auf Grundlage der Normal-[Lohn-]rate des Gewerbes angestellt,“ d.h. auf Grundlage des von der in Frage kommenden Gewerkschaft anerkannten Lohnsatzes. Unter Zugrundelegung dieser Normallöhne und des normalen Zeitaufwands werden nun die verschiedenen auszuführenden Arbeiten gewertet, ihre „normale Arbeitskost“ oder ihr „Arbeitswert“ festgestellt, wobei Ãœe beteiligten Gewetbsgruppen durch Vertreter Sitz und Stimme haben. Für eine ganze Reihe von Arbeiten, die sich regelmässig wiederholen, giebt es „festnormierte Stückpreise“, und wo es angeht, werden selbst für die kleinsten Teilarbeiten „Stückpreise“ oder „Arbeitswerte“ festgestellt. Auf Grund dieser Arbeitswerte und der Gutachten der Ingenieure, Werkführer, Vorarbeiter etc. über die Arbeitslust von Artikeln, für die es keine festgesetzten Stückpreise giebt, macht die Firma bei Lieferungsausschreiben ihre Angebote, wobei sie sich indes vorbehält, je nach der Marktlage die Gesamtforderung zu modifizieren und alsdann bei erfolgtem Zuschlag auch die Teilpreise entsprechend abzuändern. Es steht aber jeder Arbeitsgruppe frei, ihr zugewiesene Arbeiten abzulehnen, wenn ihr der vorgeschlagene Areitswert ungenügend erscheint.

In all den hier genannten Fabriken oder Werken hat sich die geschilderte Lohnart für die Unternehmer bewährt und nach Angaben von ihrer Seite auch mehr oder weniger bald den Beifall der betreffenden Arbeiter errungen. Es ist aber in letzterer Hinsicht zunächst folgendes zu bemerken:

Erstens ist die Prämienlöhnung, ebenso wie das einache Werklohnsystem, nicht für alle Arbeiten anwendbar. Aus einer in der Labour Gazette vom Juni 1896 veröffentlichten Aufstellung der Firma Willans & Robinson geht hervor, dass 161 Arbeiter dieser Firma, die überhaupt auf Prämienlohn arbeiteten, im Durchschnitt mit nur etwas über die Hälfte ihres Lohnes (6.438 von 11.023 Pfd. Strlg.) an diesem System interessiert waren. Den stärksten Prozentanteil nahm die Prämienarbeit bei den Giessern, den Modellbauern und Drehern, den geringsten bei den Schmieden und Hämmerern, den Handlangern und den Monteuren ein. Wo aber die Letztbezeichneten Prämienarbeit verrichteten, da erzielten gerade sie die höchsten Überschüsse, während umgekehrt die geringsten Überschüsse in der Arbeitsgruppe gemacht wurden, die lediglich auf Prämienarbeit beschäftigt war, nämlich bei den Giessern.

Dies führt zu einem zweiten Punct, der Beachtung verdient. Mr. Schloss, dessen Buch wir die hier gegebenen Zahlen entnehmen, erklärt sowohl dort wie im Bericht an das Britische Arbeitsamt, dass nach Aussage des Betriebsleiters der Firma der geringe Prämienertrag in der Giesserei vornehmlich dem Umstände zuzuschreiben sei, dass „die einige vierzig dort beschäftigten Arbeiter als eine einzige Collektivgruppe arbeiten, der die Prämie auf das von ihr geleistete Gesamtproduct berechnet wird“ (Methods of Remuneration, S.139). Das sei aber eine Abmachung, die wenig dazu tauge, jener besonderen Leistungskraft Vorschub zu leisten, die zu Tage zu fördern grade der Zweck dieser Lohnform sei. Ganz dieselbe Erfahrung wurde auf den Thames Ironworks mit dem System „Gute Kameradschaft“ gemacht, dort brachten es die in grösserer Gemeinschaft arbeitenden Giesser ebenfalls nie zu mehr als einer blos nominellen Prämie, und die Vernieter und Plattenleger erzielten erst nennenswerte Prämien, als sie von der Abrechnung nach ganzen Berufskameradschaften zur Formierung kleinerer Gruppen zurückkehrten, wie sie vordem schon im Gewerbe die Arbeits- und Rechnungseinheiten gebildet hatten. Und diese kleinen Gruppen sind nicht Gruppen gleichartiger Arbeiter, sondern Gruppen von ein oder zwei qualifizierten Arbeitern mit ihren Gehilfen.

„Soviel ist sicher,“ heisst es in der zusammenfassenden Betrachtung des Mr. Schloss für das britische Arbeitsamt, „dass die gewonnene Erfahrung im vorliegenden Fall die Unternehmer bewogen hat, die unter dem System Gute Kameradschaft beschäftigten Gruppen kleiner zu machen, wie am Anfang, während zur selben Zeit, wo die Kameradschaften kleineren Umfang erhielten, auch die Gruppeneinheit für die Berechnung der Arbeit immer kleiner gemacht wurde. Durchgängig ist, so wird behauptet, die beste Arbeit und sind die grössten ‚Profite‘ von den kleinsten Gruppen erzielt worden. Grosse Gruppen, war die Erfahrung der Firma, arbeiten nicht gut – je kleiner, je besser ist die sehr entschiedene Bemerkung des Hauptzeitcontroleurs, Mr. Francis Payne, der mit Praxis des Good Fellowship-Systems ganz besonders vertraut ist.“ (S.112)

Diese Erfahrung ist für die Wertung des Systems der sogenannten Gruppenaccorde von Bedeutung. Diese Lohnform, die in verschiedenen Gewerben mindestens zeitweilig als ein Fortschritt bezeichnet werden muss, insofern sie dort mit Ausmerzung des Zwischenunternehmers verbunden ist, wird sich je nach der Art der Arbeit und der Lohnberechnung verschieden gestalten und sehr verschiedenartig wirken. Je mehr die Accordlohngruppe sich von der, auf dem Nebeneinander gleicher Arbeiten beruhenden Rotte, die als ihre niedrigste Form bezeichnet werden muss, in der Richtung zur Gruppe einander in die Hand arbeitender Arbeiter entwickelt, wohnt ihr augenscheinlich die Tendenz inne, sich quantitativ auf das kleinste Mass von Arbeitern zu beschränken, das zur Herstellung einer organischen Einheit erfordert ist. Der Werklohn hat ganz ersichtlich die Tendenz zur Individualisierung, und zwar um so mehr, je ausgebildeter er ist.

Das ist nicht schlechthin ein Übel – im Gegenteil, es muss unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Entwicklung als ein Vorzug bezeichnet werden, als ein Moment des Fortschritts der Technik sowohl wie der Hebung des Arbeiters als Persönlichkeit. Aber dies Moment des Fortschritts hat unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen seine grossen Gefahren für den Arbeiter als Berufs- und Klassenangehörigen.

Mit einer fast tragikomisch berührenden Deutlichkeit hat sich das in der Praxis desjenigen Prämienlohnsystems gezeigt, dem sein Urheber den schönen Namen Gute Kameradschaft beilegte. Unzweifelhaft handelte Mr. Hills dabei im besten Glauben. Auch sonst ein Philanthrop, wollte er in dem System ein Stück Socialismus verwirklichen, nachdem er vordem wiederholt verunglückte Versuche mit dem Gewinnbeteiligungssystem gemacht hatte. Es solle die Arbeiter, wenn nicht des ganzen Unternehmens – was sich eben im Angesicht von dessen Grösse als unmöglich herausgestellt hatte – so doch womöglich ganzer Betriebsabteilungen kameradschaftlich am Ergebnis ihrer Arbeit interessieren. Eine Kameradschaft sollte in der Regel aus allen in ein und derselben Abteilung des Unternehmens (Schiffbau, Maschinenbau, Reparatur etc.) beschäftigten Arbeitern des gleichen Berufs bestehen.

„Der Zweck des Systems“, hiess es in der Einleitung zu den Satzungen der Guten Kameradschaft, „besteht darin, den möglichen Verdienst jedes Arbeiters auf dem Werk zu erhöhen, das Princip seiner Anwendung ist aber durchaus dem der ‚Stückarbeit‘ entgegengesetzt, wie sie gewöhnlich verstanden wird, die jedermann von seinem Nächsten unabhängig macht und vielen der Zerwürfnisse den Weg ebnet, die solange die besten Interessen von Capital und Arbeit gespalten haben. Die Stückarbeit ist zu oft der Ausdruck einsiedlerartiger Selbstsucht, das Todesurteil socialer Wohlfahrt.“

Und:

„Das vierte Princip der ‚guten Kameradschaft‘ ist Gleichheil der Gewinnanteile im Verhältnis zu den gezahlten Normallöhnen. Alle Zahlung von individuellen [Arbeits-]Prämien ist dem Vorwurf der Parteilichkeit und Günstlingswirtschaft ausgesetzt und steht in der Regel in keinem genauen Verhältnis zu den Kosten des Stückes Arbeit, worauf sich die Prämien beziehen.“

Mit anderen Worten, Mr. Hills wollte die Werk-Solidarität möglichst grosser Gruppen von Arbeitern. Die Praxis hat ihn, wie wir gesehen haben – vgl. oben 100/101 – genötigt, die Kameradschaftsgruppen inuner kleiner zu machen. Gerade die Arbeitsprämie wirkte hier als Sprengstoff der Kameradschaft in der Arbeit. Es mussten gewisse Kunstmittel angewandt werden, um grosse Kameradschaften zusammenzuhalten. Technisch ward es unumgänglich, Untergruppen in Form von Lieferungskameradschaften und Sektionskameradschaften zu bilden; die ersteren je nachdem die zu verrichtenden Arbeiten der Zeit nach sich ablösten und dem Umfang nach verschieden waren, die letzteren als dauernde, aber stets nur aus wenigen Personen bestehende Einheiten für bestimmte Arbeitsarten (Plattenlegen, Nieten, u.s.w.). In manchen Kameradschaften geht die Differenzierung bei der Arbeit wie bei der Prämienberechnung bis zur Verselbstständigung einzelner Arbeiter herunter. Als Gegenmittel gegen die Rückwirkung dieser Zerbröckelung der Kameradschaften wurde 1895 die Einrichtung getroffen, dass bei der Schlussabrechnung für jeden Auftrag den Mitgliedern der einzelnen Untergruppen nur die Hälfte des Gewinns ihrer Gruppe gutgeschrieben, die andere Hälfte aber der ganzen Kameradschaft zur gleichmässigen Verteilung an alle ihre Mitglieder gutgeschrieben werden solle, gleichviel ob die Rechnung der Einzelnen mit Gewinn oder Verlust abschliesse. Es sollen auf diese Weise etwaige Vorteile oder Nachteile, die bei der Verteilung der Arbeiten unterlaufen oder Folge von unkontrollierbaren Umständen sind, ausgeglichen und das GemeinschaftsInteresse gestärkt, ein „Gleichgewicht zwischen den individualistischen und den socialistischen Kräften“ hergestellt werden. Ob sich das dauernd hat aufrecht erhalten lassen, ist uns nicht bekannt. Dass es für nötig befunden wurde, zeigt indess, wie stark in der Arbeit das Sonderinteresse wirkt, sobald nicht in erster Linie das Werk und nicht die Zeit den Lohn bestimmt.

Noch drastischer zeugt davon der Umstand, dass in den ersten Monaten nach Einführung des Systems in den Thames Ironworks „zwischen 300 bis 400 Arbeiter der verschiedenen Berufsgruppen auf Verlangen der Kameradschaften selbst aus der Arbeit entlassen wurden“, weil sie sich als nicht leistungsfähig genug erwiesen. So der Bericht des Arbeitsamts auf Seite 111. Auf Seite 70 wird in einer Note mitgeteilt, dass in der Schiffbauabteilung der Thames Ironworks während der ersten Zeit bei Berechnung der von den verschiedenen Mitgliedern der Kameradschaft der Bohrer verdienten Prämie für eine Anzahl der leistungsfähigsten Bohrer ein höherer Lohnsatz als ihr wirklicher unterstellt wurde, um sie für die Zusammenkuppelung mit sehr viel weniger leistungsfähigen Arbeitern schadlos zu halten.

„Es fand sich aber,“ heisst es weiter, „dass die Bohrer nach und nach die wenigst leistungsfähigen Mitglieder des Berufs selbst ausmerzten, indem sie vom Werkführer ihre Entlassung verlangten, so dass schliesslich nur wenig Unterschied zwischen Bohrer und Bohrer in Bezug auf Leistungsfähigkeit bestand.“

Die fingierten Rechnungen wurden damit überflüssig. Und auf Seite 100 heisst es noch einmal:

„Thatsächlich wird jetzt kein Bohrer mehr behalten, der nicht erheblich mehr verdienen kann als seinen Zeitlohn. Kann er dies nicht, so verlangen die Kollegen seine Entlassung und diesem Verlangen wird kein Widerstand entgegengesetzt.“

Von ähnlicher Wirkung erzählen die Berichte über die andern Prämiensysteme. In dem Aufsatz des Engineering Magazine über das Differential-Stücklohnsystem heisst es:

„Der grosse Vorteil des Differential-Stücklohnsystems ist, dass es sehr schnell alle weniger guten Arbeiter abstösst und diejenigen Leute anzieht, die für die betreffende Arbeit am besten geeignet sind“ (S.626).

Und S.628 erfahren wir:

„Das Differential-Tarifsystem hat nicht den Zweck, den Arbeiter zur Überanspannung seiner Kräfte zu zwingen, sondern den, eine ‚natürliche Auslese‘ zu ermöglichen, wodurch sich Leute nach und nach selbst zu Arbeiten ausscheiden, für die sie durch Natur und Ausbildung am besten geeignet sind.“

Das Gleiche schreibt ebendaselbst Mr. Norris vom Halseyschen Referenz-Lohnsystem, indem er bemerkt:

„Ich glaube, dass für das Durchschnittsgeschäft, das mit niedriger Profitrate arbeitet, der beste Plan der ist, der am schnellsten den langsamen Arbeiter ausmerzt“ (Engin. Magaz., S.638).

Man wird zugeben, dass ein System, das so wirkt, eine eigenartige „Kameradschaft“ bedeutet. Indess ist diese Wirkung keine Specialität der Prämiensysteme. Sie findet sich auch sonst fast überall, wo Arbeiter im organischen Gruppenaccord (Kolonnensystem etc.) arbeiten. Und mit wie viel Grausamkeit sie oft im Einzelfall verbunden ist, kann derjenige leicht erfahren, der diese Frage in der Praxis kennen zu lernen sucht.

Es wäre jedoch übereilt, um dieser Wirkung willen eine Lohnform schlechtweg zu verdammen. Genau dieselbe Grausamkeit ist beim Zeitlohn möglich und findet denn auch da statt, wo das gleiche Ergebniss, das hier durch das Mittel von directen Accorden oder Prämienlöhnen erzielt werden soll, durch Einstellung von Zwischenmeistern etc. zu erwirken gesucht wird. So oder so drängt heute die Concurrenz zur Auslese unter den Arbeitern. Und wir werden uns sagen müssen, dass auch auf einer höheren Wirtschaftsstufe irgend welche Auslese nicht wird umgangen werden können. Sie braucht auch dort nicht tungangen zu werden, wo die Verbürgung eines gesellschaftlichen Existenzminimums ihr den Charakter der Grausamkeit nimmt. Und dann wird man sicher dem System den Vorzug geben, dass, statt des Antreibers zu bedürfen, die Auslese möglichst selbsttätig sich vollziehen lässt. Auch diese Rücksicht zeigt auf die qualifizierten Werklöhne als die Lohnform der zunächst absehbaren Zukunft.

Ein anderes Bedenken gegen sie ist, dass sie zur Unsolidität, zur Schleuderei in der Arbeit führe, dass der Arbeiter, um das Quantum seiner Arbeitsleistung zu steigern, überall da, wo er es kann, die Qualität leiden lässt. Diese Furcht ist nicht unbegründet, unzweifelhaft liegt eine solche Verführung im System; die Praxis hat zahlreiche Beispiele hierfür geliefert. Aber zu umgehen ist auch diese Gefahr. Von den Firmen, die Progressiv-Lohnsysteme einführten, sind verschiedene grade wegen der Qualität ihrer Producte berühmt und haben den guten Ruf auch unter ihm beibehalten. (Vgl. darüber Schloss S.110), sowie die Thatsache, dass die Thames Ironworks, seit sie das System eingeführt haben, ihre Jahresproduction schrittweise bis auf mehr als das dreifache erhöhen konnte. Es ermöglichte ihnen die Durchführung des Achtstundentages bei Zahlung der höchsten Lohnsätze. Für Aufrechterhaltung der Qualität kann ein gutes System der Inspection bei Abnahme der Arbeiten sorgen.

Dies ist beiläufig einer der Gründe, die dagegen sprechen, den Werkführer oder sonstige Betriebsbeamte an der Lohnprämie oder dem Gruppenaccord zu beteiligen. Die Beteiligung solcher Beamten am Lohngewinn der Arbeiter ist ebenso irrationell wie die Geschäftsgewinn-Beteiligung der Arbeiter, während nichts principiell dagegen spricht, sie materiell am Geschäftsertrag zu interessieren.

Schliesslich, aber nicht zum wenigsten ist es von Bedeutung, sich über die Rückwirkung der Lohnprämien auf die gewerkschaftliche Solidarität der Arbeiter klar zu werden. Wenn die weitverbreitete Anschauung richtig ist, dass der Stücklohn die gewerkschaftliche Solidarität der Arbeiter schwächt oder garnicht erst aufkommen lässt, muss nicht der qualifizierte Stücklohn die Wirkung nicht auch oder womöglich noch in stärkerem Mass haben?

Man wird geneigt sein, darauf bejahend zu antworten, wenn man im Bericht über die Erfolge des Differential-Stücklohnsystems der Midvale-Steel Company liest, dass diese Gesellschaft niemals nötig hatte, ihren Arbeitern den Anschluss an eine Arbeiterorganisation zu verwehren, denn –

„All die besten Arbeiter der Gesellschaft sahen deutlich ein, dass der Erfolg einer Arbeiterorganisation die Verringerung ihrer Löhne im Interesse der Erhöhung der schlechteren Löhne bedeuten würde, und waren daher selbstverständlich nicht zum Anschluss an ihre Organisation zu bewegen“ (Eng. Magazine, S.29).

Eine Gefahr für die Gewerkschaften liegt danach unbedingt im Prämienlohnsystem. Wäre sie unüberwindlich, so wäre das System unseres Erachtens socialpolitisch damit gerichtet. Denn die Gewerkschaft ist für jeden, der socialpolitisch denken gelernt hat, eine Notwendigkeit ersten Ranges für die Arbeiterclasse im speciellen und den wirtschaftlichen Fortschritt der Gesellschaft im allgemeinen. Indess ist die Gefahr ebenso wenig unüberwindlich, wie sich das Vorhandensein einfacher Werklöhne als unübersteigliches Hindernis der Gewerkschaftsorganisation erwiesen hat. Es kommt vielmehr ganz auf die besondere Art der Werk- oder Prämienlöhne an, wie sie in dieser Hinsicht wirken. Wenn z.B. der rohe Accord die Gewerkschaftsbildung erschwert, so kann ein ausgebildetes Stücklohnsystem gerade zur Gewerkschaftsbildung nötigen, indem es die Ausarbeitung eines allgemein, giltigen Tarifs mit Mindestsätzen als immer weniger entbehrlich erkennen lässt. Wäre das nicht der Fall, so wäre es imerklärlich, warum wir gerade in Industrien, in denen der Werklohn ganz überwiegend vorherrscht, die stärksten Gewerkschaften haben. Es gilt also zu unterscheiden. Das Prämienlohnsystem ist ein verwerfliches Trugspiel, weim ihm nicht als Schutzwehr gegen abhetzende Schweisstreiberei ein Mindestzeitlohn als Normallohn, als Norm gebender Massstab für die Werklohneinheiten zu Grunde liegt. Wie soll er aber festgestellt, wie gesichert werden, ohne gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter?

Wenn die besseren Arbeiter der Midvale Steel Company nicht zum Anschluss an die Gewerkschaft ihrer Berufsgenossen zu bewegen waren, so mag das seine Ursache darin gehabt haben, dass sie sich als privilegiert fühlten. Ein Gefühl, das in dem Augenblick ein Ende nehmen muss, wo das dort herrschende Lohnsystem sich verallgemeinert. Es muss schon eine gewisse Erschütterung dadurch erfahren haben, dass gegen Ende der neunziger Jahre die Midvale Steel Company eingestandenermassen die Grundtaxe für ihre Lohnsätze herabsetzte, „als der Lohntarif im ganzen Lande herabging“ (Eng. Mag., S.629). Der Widerstand kann aber darin gewurzelt haben, dass die in Frage kommende Gewerkschaft eine Lohnpolitik betrieb, die factisch auf die angedeutete Gleichmacherei nach unten hinauslief.

Anderwärts hat das System zu keinem Zusammenstoss mit der Gewerkschaftsbewegung geführt. Die Arbeiter der Thames Ironworks sind stramme Gewerkschaftler, zwischen der Leitung jenes Unternehmens und dem grossen englischen Maschinenbauerverband besteht ein durchaus freundschaftliches Verhältnis. Neuerdings – im Sommer 1902 – hat der Verband – früher ein heftiger Gegner aller Stücklöhnung – len Vertrag mit vier der grössten Firmen der Maschinenlustrie Englands abgeschlossen, kraft dessen er sich imter nz bestimmten Bedingungen damit einverstanden erklärt, dass das Prämienlohnsystem auf den betreffenden Werken probeweise eingeführt wird, und bis jetzt ist gegen diesen Vertrag keine Opposition laut geworden. Das für die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Entwicklung der Lohnformen sehr bemerkenswerte Schriftstück lautet:

Bund der Maschinenbauuntermehmer – Verband der Vereinigten Maschinenbauer

Actenstück über den Entscheid, der von dem Vorstand des Bundes der Maschinenbauunternehmer und dem Vorstand des Verbandes der Vereinigten Maschinenbauer auf der am 19. und 20. August 1902 in Carlisle abgehaltenen Centralkonferenz gemeinsam getroffen worden ist.

Behandelter Gegenstand

Die Arbeit nach dem Bonussystem auf den Werken der Herren:

  1. M.G. Armstrong, Whitworth & Company, Limited, Newcastle on Tyne,
  2. Central Marine Engine Works, West Hartlepool,
  3. Richardsons, Westgarth & Company, Limited, Hartlepool,
  4. Browett, Lindley & Company, Limited, Petricroft, Manchester.

Da die Vertreter beider Parteien der Ansicht sind, dass es vorzuziehen, statt jeden der erwähnten Fälle einzeln abzuhandeln, zu einer generellen Verständigung über das Bonussystem zu gelangen, so ward gegenseitig vereinbart:

  1. dass die Vertreter der Unternehmer die Bedingungen des nachfolgcn1 Memorandums den Mitgliedern des Bundes mitteilen sollen, und
     
  2. dass die Vertreter des Verbandes der Vereinigten Maschinenbauer; Beschränkungsvorschriften gegen das Arbeiten nach dem Bonussystem Verbandswerkstätten aufheben sollen.

Das vorerwähnte Memorandum

Die Vertreter der Unternehmer sind nicht in der Lage, endgiltig über die Bedingungen zu beschliessen, die in Bezug auf die Arbeit nach dem Bonussystem beobachtet werden sollen, bevor sie nicht vom Bund in regelrechter Form Vollmacht dazu empfangen haben. Sie sind jedoch bereit, allen Unternehmern, welche ein derartiges System einzuführen wünschen, inzwischen die Annahme folgender Vorschläge zu empfehlen:

  1. Der Zeitlohnsatz soll (für jeden einzelnen Arbeitsauftrag) in allen Fällen bezahlt werden.
     
  2. Überzeitarbeit und Nachtschichten sollen nach denselben Grundsätzen bezahlt werden, wie sie bereits in den verschiedenen Werkstätten obwalten.
     
  3. Eine einmal festgelegte Zeitbestimmung (für irgendwelche Arbeiten) soll nur abgeändert werden, wenn die Arbeitsmethode oder die Arbeitsmittel geändert werden.
     
  4. Keine Firma soll das Bonussystem einführen, die nicht die Absicht hat, an ihm festzuhalten.

Der Vorstand der Gewerkschaften hat seinen Mitgliedschaften den Vertrag etwas später zur Kenntnissnahme mit einem erläuternden Begleitschreiben unterbreitet, dessen wichtigstes Stück hier ebenfalls folgen möge. Es lautet:

  1. Der Zeitlohn wird für alle Fälle und jeden Auftrag in der Weise verbürgt, dass bei auch noch so kurzer Dauer eines bestimmten Arbeitsauftrages, für den eine Zeitnorm festgesetzt ist, die Arbeit wenigstens so lange, als der Arbeiter bei ihm beschäftigt ist, nach dem Satz des Tagelohns bezahlt und so verhindert wird, dass die bei einem Auftrag erzielte Prämie dadurch verloren geht, dass in der gleichen Woche an einem weiteren Auftrage keine Prämie erzielt werden konnte; [13]
     
  2. Die derzeitige Praxis wird fortdauern, wonach für Überzeitarbeit und Nachtarbeit erhöhte Lohnsätze gezahlt werden, und dies ganz ohne Rücksicht auf die Zeitnormierungen für Prämienzwecke, d.h. wo Überzeitarbeit geleistet wird, wird sie auch vom Geschäftskomtor als etwas ganz für sich Stehendes bezahlt.

Die dritte Clausel sorgt dafür, dass Preis-(Lohn-)Tarif oder Zeitnorm, wenn einmal eingeführt, auch dauernde Geltung behalten, und schafft so Bürgschaften gegen jene ewig wiederkehrende Ursache von Conflicten: das Beschneiden der Preise. Es ist jedoch mit Bezug hierauf zu bemerken, dass eine gewisse „Revision“ nötig werden kann, wenn die „Feststellung“ der Grundlage in Frage ist; wie z. B. bei Einrichtung eines neuen Arbeitssystems Irrtümer gemacht werden können, und es daher als nötig befunden werden kann, die zuerst ermittelte (Normal-) Zeit entweder höher oder niedriger anzusetzen.

Die vierte Clausel soll Vorbeuge dagegen treffen, dass bloss für den Zweck der Ermittelung der Leistungsfähigkeit experimentiert und dann zum Tagelohn zurückgekehrt wird.

Der Vorstand rät an, mit dem Bonussystem nach den Bedingungen, wie sie im beiliegenden Schriftstück niedergelegt sind, eine rechtschaffene und ehrliche Probe zu machen. Natürlich müssen wir das Recht haben, jede Frage aufzuwerfen, die sich aus der Einführung und Fortführung des Systems ergiebt. sobald sich herausstellt, dass irgend eine Firma es einführt und nicht an den hier festgesetzten Bedingungen festhält.

Die älteste und stärkste der grossen Organisationen der Maschinenbauarbeiter hat sich somit grundsätzlich der neuen Lohnform freundlich gegenüber gestellt. Sie hat es sicher nicht ohne reifliche ÜberlegUng getan. Noch würden ihre Mitglieder den Schritt gutgeheissen haben, wenn sie ihn nicht für unvermeidlich erkannt hätten. Es ist in der That auffällig, dass dieses eigenartige Prämienlohnsystem fast gleichzeitig in ganz verschiedenen Orten auftaucht, und zwar überall in MaSchinenbaufabriken. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir die Erklärung dieses Umstands in der Thatsache suchen, dass

  1. die gesteigerte Concurrenz der Gegenwart immer stärker zur Verklöhnung drängt;
  2. die Arbeiter dem alten Accordwesen tiit seiner lohndrückenden Tendenz allerorts Widerstand ent;ggensetzen, der, wo er nicht in offenem Kampf zum Ausdruck kommt, sich in Form von versteckter Obstruction geltend macht, und
  3. dass sich der Maschinenbau im Grossen und Ganzen einer genauen Tarifierung noch widersetzt, die wir in der Schriftsetzerei, der Schuhwarenfabrikation, der Spinnerei etc. als Grundlage ausgebildeter Stücklohntarife vorfinden.

Mit anderen Worten, dass das Prämienlohnsystem in seiner neuen Form als System von Progressivlöhnen lediglich ein Auskunftsmittel ist, auf anderem Wege das zu erreichen, was in den bezeichneten Industrieen der zwischen Gewerkschaft und Unternehmerschaft vereinbarte Stücklohntarif bewirkt. Soweit dies der Fall, wo er also vor allen Dingen einen gewerkschaftlich normierten Mindestzeitlohn zur Grundlage hat, gewerkschaftlich vereinbart ist und gewerkschaftlich überwacht wird, liegt der Prämienlohn auch offenbar auf der Linie des gesellschaftlichen Fortschritts. Unter diesen Bedingungen ist es auch von keinem Belang, dass er in der Werkstatt selbst differenzierend wirkt. Denn diese Differenzierung verweist die Arbeiter nur um so mehr auf die Solidarität mit ihren Berufskollegen ausserhalb der Werkstatt, während eine stramme Kameradschaft aller Arbeiter innerhalb der Werkstatt immer in Gefahr ist, in eine anschliessende Kameraderie gegen die Kollegen draussen auszuarten.


Fussnoten

1. Vergl. darüber auch L. Bernhard: Die Accordarbeit in Deutschland (Leipzig 1903), pag.54.

2. Vergl. Karl Marx: Das Capital, I. Bd. 4. Aufl., (Hamburg 1890), pag.514.

3. Vergl. ibid., pag. 518.

4. Vergl. ibid., pag.520.

5. Vergl. die auf Seite 79 angegebene Schrift von Bernhard, pag.77ff.

6. Sidney und Beatrice Webb: Industrial Democracy (London 1898), deutsch erschienen unter dem Titel Theorie und Praxis der englischen Gewerkvereine (Sttittgart, Dietz, 1808).

7. Vergl. Statistische Erhebungen in den Buchbindereien und verwandten Berufen Deutschlands im Jahre 1900 (Stuttgart 1902), pag.7.

8. Vergl. Ergebnis der statistischen Erhebungen über Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Metallindustrie in Berlin (Berlin 1903), pag.23.

9. David F. Schloss: Methods of industrial remuneration, 3. Aufl. London 1898.

10. Ein Anspruch der Arbeiter auf Beteiligung am Geschäftsgewinn lässt sich wirtschaftstheoretisch unter keinem Gesichtspunkt begründen. Sie ist, ob sie sich auch in der Praxis gelegentlich als vorteilhaft für den Unternehmer und angenehm für die betreffenden Arbeiter bewähren mag, ein Trinkgeld und nichts weiter. Lohnprinzip könnte sie folgerichtigerweise nur dann sein, wenn sie zur Ergänzung die Beteiligung der Arbeiter im Geschäftsverlust hätte. Auf diese wird sich aber kein Arbeiter einlassen wollen, und mit Recht. Denn der Arbeiter ist eben nicht der Unterlehmer. Er hat nicht eine Beteiligung am Ertrag des Einzelunterlehmens, sondern eine steigende Quote am Ertrag der gesellschaftlichen Gesamtarbeit zu erstreben, seine Gewinnbeteiligung ist, wie wir dies an andrer Stelle einmal ausgedrückt haben, der gewerkschaflich normierte Lohntarif.

11. Der Brief, der im Octoberheft 1902 der Monatsschrift dieses Verbandes erschien, ist deutsch abgedruckt in meinem Artikel Das Prämienlohnsystem und die Arbeiter in den Socialistischen Monatsheften, 1902, II. Bd. pag.921ff.

12. Report on Gainsharing and other Systems of Bonus on Production.

13. Folgendes Beispiel mag dies veranschaulichen. Ein Arbeiter bekommt im Laufe einer Arbeitswoche einen Auftrag zugewiesen, der auf Zeitnorm gesetzt und zwar mit 30 Stunden taxiert ist, von ihm aber in 24 Stunden ausgeführt wird. Die übrigen 30 Stunden arbeitet er an einem ebenfalls auf 30 Stunden eingeschätzten Auftrag, braucht aber für ihn die volle Zeit. So erhält er den normalen Wochenlohn zuzüglich der sechs Arbeitsstunden.


Zuletzt aktualisiert am 16.1.2009