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Das Problem der Labor Party(April 1938) |
Aus Leo Trotzki, Der Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag. [1]
Transkription u. überarbeitete Anmerkungen: Heinz Hackelberg.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Die Frage der Labor Party war für revolutionäre Marxisten niemals eine Prinzipienfrage. [2] Unser Ausgangspunkt war immer die konkrete politische Lage und deren Entwicklungstendenzen. Vor mehreren Jahren, vor der Krise von 1929 und noch danach, bis zum Erscheinen des CIO [3], konnten wir hoffen, daß die revolutionäre, d.h. bolschewistische Partei sich in den Vereinigten Staaten parallel zur Radikalisierung der Arbeiterklasse entwickeln und schließlich mit Erfolg an ihre Spitze stellen werde. Unter diesen Bedingungen wäre es absurd gewesen, sich mit abstrakter Propaganda für eine nicht anstehende „Labor Party“ abzugeben.
Seither hat sich die Lage jedoch von Grund auf geändert, und es wäre unverzeihlich, die Augen davor zu verschließen. Die sich mit Macht entwickelnden Gewerkschaften werden unter den Bedingungen einer immer tieferen Krise des Kapitalismus unwiderstehlich auf den Weg des politischen Kampfes, und damit auf den Weg der Herausbildung einer Labor Party getrieben.
Wenn die offiziellen Führer der Gewerkschaften trotz der gebieterischen Stimme der Lage und trotz des wachsenden Drucks der Massen in der Frage einer Labor Party bremsen, so gerade deshalb, weil die tiefe soziale Krise der bürgerlichen Gesellschaft der Frage der Labor Party eine weitaus größere Schärfe verleiht als in allen vorangehenden Perioden.
Dennoch können wir mit hinreichender Sicherheit vorhersagen, daß der Widerstand der Bürokratie gebrochen werden wird. Die Bewegung für eine Labor Party wird weiter anwachsen. Jede revolutionäre Organisation, die dieser progressiven Bewegung gegenüber eine negative oder neutral-abwartende Haltung einnimmt, wird sich zu Isolation und sektiererischer Degeneration verurteilen.
Die Socialist Workers Party, Sektion der Vierten Internationale, ist sich der Tatsache klar bewußt, daß aufgrund ungünstiger historischer Gegebenheiten ihre eigene Entwicklung hinter der Radikalisierung breiter Schichten des amerikanischen Proletariats zurückblieb; und gerade deshalb wird das Problem, eine Labor Party zu schaffen, von dem gesamten Lauf der Entwicklung auf die Tagesordnung gesetzt.
Die Socialist Workers Party beschränkt sich aber nicht, wie es die Stalinisten, Lovestone-Anhänger etc. tun, auf die abstrakte Losung einer Labor oder einer Farmer- Labor- Party, und noch weniger kann sie zulassen, daß unter dem Deckmantel dieser Parole prinzipienlose Abmachungen von Organisationsspitzen stattfinden – sie stellt ein Programm von Übergangsforderungen auf, um die Massenbewegung für eine Labor Party zu befruchten.
Während sie ihre eigene organisatorische und politische Unabhängigkeit in vollem Umfang aufrechterhält, führt die Socialist Workers Party einen systematischen und unversöhnlichen Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie, die sich der Schaffung einer Labor Party widersetzt oder versucht, sie in ein Hilfswerkzeug einer der bürgerlichen Parteien zu verwandeln. Indem sie ihr Programm von Übergangsforderungen in den Gewerkschaften, auf Versammlungen usw. erklärt und propagiert, entlarvt die Socialist Workers Party auf der Grundlage der lebendigen Erfahrung der Massen unermüdlich die reformistischen und pazifistischen Illusionen der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer sozialdemokratischen und stalinistischen Verbündeten.
Wann und wie die Labor Party gegründet werden wird, welche Stadien und Spaltungen sie durchmachen wird, das wird die Zukunft zeigen. Während die Socialist Workers Party die Labor Party gegen den Angriff der Bourgeoisie verteidigt, wird sie jedoch keine Verantwortung für diese Partei übernehmen. Gegenüber der Labor Party bezieht die Socialist Workers Party in all deren Entwicklungsstadien eine kritische Position – sie unterstützt die progressiven Tendenzen gegen die reaktionären und kritisiert gleichzeitig unnachgiebig die Halbheit dieser progressiven Tendenzen.
Der Socialist Workers Party sollte die Labor Party zum einen als Rekrutierungsfeld für revolutionäre Elemente, zum anderen als Übertragungsmechanismus dienen, um immer breitere Kreise von Arbeitern zu beeinflussen. Ihrem ganzen Wesen nach kann die Labor Party nur während einer vergleichsweise kurzen Übergangsperiode eine progressive Bedeutung wahren. Die weitere Zuspitzung der revolutionären Situation wird unweigerlich die Schale der Labor Party sprengen und der Socialist Workers Party erlauben, die revolutionäre Avantgarde des amerikanischen Proletariats für das Banner der Vierten Internationale zu gewinnen.
1. 1936 traten die amerikanischen Trotzkisten auf Empfehlung Trotzkis in die Sozialistische Partei von Norman Thomas ein, um eine Krise in deren Reihen politisch auszunutzen. Es gelang ihnen dort, die überwältigende Mehrheit der Parteijugend und wichtige Teile aus der Gewerkschaftsbewegung zu gewinnen, ehe sie 1937 von der rechten Führung ausgeschlossen wurden. In dieser Notiz faßte Trotzki die Diskussion über die Labor Party zusammen und sandte sie als Grundlage für einen Resolutionsentwurf an die SWP.
2. Die Forderung nach einer Labor Party (Arbeiterpartei) diente den Trotzkisten in den USA, wo die Arbeiter im Gegensatz zu den europäischen Ländern nie über eine eigene Massenpartei verfügten, über viele Jahrzehnte hinweg als Taktik, um für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse zu kämpfen. 1930-31, zu Beginn der Großen Depression, hatte sich die Communist League of America in Übereinstimmung mit Trotzki noch gegen diese Forderung ausgesprochen. Sie ging davon aus, daß sie noch vor einer revolutionären Massenbewegung die Möglichkeit haben würde, die Führung der fortgeschrittenen Arbeiter zu gewinnen. Sie fürchtete, die Labor-Party-Forderung, die damals vom rechten Flügel der Stalinisten aufgestellt wurde, werde die Arbeiter in eine reformistische Richtung lenken. 1938 sah sich die Socialist Workers Party gezwungen, diese Haltung zu überdenken. Die abrupte Verschärfung der Wirtschaftskrise hatte Millionen von Arbeitern in die Industriegewerkschaften getrieben und mit der dringenden Notwendigkeit konfrontiert, den Weg unabhängiger Klassenpolitik einzuschlagen. Trotzki befürwortete nun die Labor-Party-Forderung und begründete dies ausführlich in seinen Diskussionen mit den SWP – Führern, die in dieser Frage gespalten waren. Später faßte Trotzki die Schlußfolgerungen aus der Diskussion in diesem Resolutionsentwurf zusammen.
3. CIO: in den außerordentlich heftigen Klassenkämpfen 1936/37 entstandene neue Industriegewerkschaft, die später mit der vorbestehenden AFL zur AFL/CIO fusionierte. In diese Fabrikbesetzungen, u.a. z.B. auch in den Stammwerken von General Motors in Flint/Michigan nahmen 100.000’de Industriearbeiter teil und entwickelten neue Kampfformen wie den Besetzungsstreik der Fabriken.
Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008