Leo Trotzki

 

Der Kampf für eine Labor Party in den USA

(Eine Diskussion)

(21. März 1938)


Aus Leo Trotzki, Der Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag. [1*]
Transkription u. überarbeitete Anmerkungen: Heinz Hackelberg.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Cannon: Unser Thema heute ist die Labor Party in drei Aspekten:

  1. Unsere allgemeine, prinzipielle Position.
  2. Die Entwicklung der Labor’s Non-Partisan League [1], d.h. der politischen CIO-Bewegung in den Gewerkschaften, die gewisse Ansätze zu unabhängigem politischen Handeln, zur Gründung einer Partei aufweist. Anderswo, wie etwa in New York, zeigt sie solche Tendenzen zur Hälfte: lokale Labor-Kandidaten, Unterstützung für Republican-Fusion [2] und Unterstützung für Roosevelt auf nationaler Ebene. Andernorts unterstützt sie alle kapitalistischen Kandidaten, vor allem vermittels der Demokratischen Partei.
  3. Es stellt sich die Frage, ob unsere Genossen in den Gewerkschaften, die wir kontrollieren, der LNPL beitreten. Wie sollten wir uns in den Gewerkschaften verhalten, wo wir eine kleine Minderheit sind? Sollten wir uns für die LNPL stark machen, oder sollten wir eine kritische Haltung einnehmen und uns abseits halten? Wir haben noch keine endgültige Politik. In New Jersey beispielsweise experimentieren wir – wir ließen die Gewerkschaften der LNPL beitreten und darin einen Antrag für die Gründung einer Partei unterstützen. In anderen Teilen des Landes sind wir nicht so verfahren. Wie sollten wir uns bei einer mehr oder weniger entwickelten Labor Party wie in Minneapolis verhalten? [3]

Im Prinzip scheint es, als sollten wir die ganze Bewegung verurteilen und uns abseits halten, aber das ist keine sehr fruchtbare Politik. In Minneapolis besteht eine fertig gegründete unabhängige Organisation, die Farmer-Labor Party. Sie hat in diesem Bundesstaat eigene Kandidaten aufgestellt und unterstützt auf nationaler Ebene Roosevelt.

Die Stalinisten, die aus den Gewerkschaften vertrieben wurden, sind tief in die Farmer-Labor Association eingedrungen – diese bildet eine Waffe gegen uns in den Gewerkschaften. Die Politik [der SWP] dort besteht jetzt in einem Block der trotzkistischen Gewerkschaften mit denen, die sie als „wirkliche Farmer-Labor-Leute“ bezeichnen, d.h. mit Reformisten, die an die FLP glauben und nicht wollen, daß die Stalinisten sie kontrollieren. Wieweit können wir einen solchen Block treiben – wie weit können wir für rein organisatorische Kontrolle kämpfen? Aber wenn sich unsere Leute heraushalten, übernehmen die Stalinisten die Kontrolle.

Wenn wir andererseits einen wirklich energischen Kampf führen, so wie in den Gewerkschaften, dann werden wir zu Vorkämpfern der FLP. Es ist keine einfache Frage – Leute verlieren sich leicht in reformistischer Politik.
 

Dunne: Als erstes meine ich, daß die Stalinisten mit ihrer Kontrolle über den Apparat der FLP mehr kontrollieren als einfach nur den Apparat – sie machen es uns in den Gewerkschaften schwer. Wenn wir uns nicht durch unsere gewerkschaftlichen Stützpunkte an dieser Partei beteiligen, können die Stalinisten und die reaktionäreren Elemente in der FLP sie als Waffe gegen uns in der Arbeiterbewegung einsetzen. Was unsere Arbeit in den Gewerkschaften betrifft, so haben wir eine ganz bestimmte Politik. Unsere Genossen, die sich zugunsten der FLP aussprachen, haben das sehr kritisch getan. Sie sagten den Gewerkschaften, daß sie sie nur bis zu einem bestimmten Grad benutzen können. Es gelang uns, unsere Politik klar von den Reformisten abzugrenzen, aber, wie Genosse Cannon sagt, läßt sich schwer sagen, wie weit wir in diese Richtung gehen sollten: Wir können nicht die Verantwortung für die Labor Party übernehmen, und doch würden uns die Arbeiter, die glauben, daß wir dort ebenso effektiv für ihre Mitglieder kämpfen können, wie in den Gewerkschaften, diese Verantwortung zuschreiben. Bisher hat selbst das Vorgehen der Stalinisten gegen uns sie nicht erschüttern können. Die Stalinisten verwandeln im Einklang mit einer breiten Schicht von Progressiven [4] und Intellektuellen die Labor Party mehr und mehr in einen Block mit den Kandidaten der Demokraten und der Liberalen. Innerhalb der FLP versuchen die Stalinisten, die Kontrolle zu behalten, indem sie der FLP eine formale Disziplin verordnen, die sich vor allem gegen uns richtet. Wir haben mit der Forderung nach Demokratie in der Labor Party erfolgreich dagegen gekämpft. Dennoch gelang es uns überhaupt nicht, einen engeren Block mit der Demokratischen Partei zu verhindern. Wir können die Gewerkschaften noch nicht auffordern, die SWP anstelle der FLP zu unterstützen.
 

Cannon: In St. Paul, wo die FLP sich bereit erklärt hat, einen kapitalistischen Bürgermeisterkandidaten zu unterstützen, haben wir unseren eigenen Kandidaten aufgestellt.
 

Trotzki: Könnt Ihr mir erklären, wie es möglich war, daß diese Partei eine Resolution gegen Faschisten und Kommunisten verabschiedet hat, obwohl die Stalinisten einen wichtigen Teil davon kontrollieren?
 

Dunne: Das war in einer Region. In bestimmten Gebieten arbeiten die Farmer-Labor-Leute mit uns zusammen. Den betreffenden Distrikt kontrollieren sie, gegen die Stalinisten. Wir haben einige Genossen dort; wir versuchten, den Antrag anders zu fassen, aber wir waren nicht im Antragsausschuß vertreten. Spät in der Nacht wurde die Resolution durchgedrückt.
 

Trotzki: Die Resolution kann auch gegen uns benutzt werden. Wie ist die Partei aufgebaut? Sie stützt sich nicht nur auf Gewerkschaften, sondern auch auf andere Organisationen – weil sie aus Progressiven, Intellektuellen etc. bestehen? Wird man als Individuum aufgenommen oder nur kollektiv?
 

Dunne: Die FLP stützt sich auf die ökonomischen Organisationen der Arbeiter – Gewerkschaften, Kooperativen etc.; genossenschaftliche Farmerorganisationen; auch auf territoriale Verbände – Stadtteilclubs usw.. Sie läßt auch den Anschluß von Kulturorganisationen, Hilfsorganisationen bei Krankheit und Sterbefällen usw. zu; auch durch örtliche Clubs kann man Mitglied werden. Die Stalinisten und Intellektuellen schließen sich vermittels dieser Clubs an; sie üben mehr Kontrolle aus als der Ortsverband 544 der Lastwagenfahrer mit 4000 Mitgliedern. Wir kämpfen gegen diesen Zustand – wir fordern, daß die Gewerkschaften die ihnen wirklich zustehende Vertretung erhalten. In dieser Frage haben wir die Unterstützung der Gewerkschaften.
 

Trotzki: Könnt Ihr mir sagen, welche Meinungsnuancen es unter Euren führenden Genossen über diese Frage gibt – annähernd?
 

Cannon: Nicht nur innerhalb der Führung, sondern auch in der Mitgliedschaft gibt es Meinungsnuancen. Besonders in den Gewerkschaften tun sich Probleme auf. In den Gewerkschaften wird ein Antrag vorgeschlagen, sich der LNPL anzuschließen. Die Stimmung ist, besonders in den CIO-Gewerkschaften, in überwältigendem Maße dafür. Ich denke, daß wir unsere Politik in New Jersey – daß wir uns zumindest in dieser Gewerkschaft dem Anschluß an die LNPL nicht widersetzen – offiziell verabschieden müssen. Es gibt auch eine Tendenz in der Partei, daß wir in der LNPL auf die Gründung einer Labor Party drängen sollten. Ich wage zu behaupten, daß die Genossen in den Gewerkschaften sehr zufrieden wären, wenn sie einen entsprechenden Beschluß bekommen könnten. Aber sie sind noch nicht auf die damit verbundenen Schwierigkeiten gestoßen. Das Dilemma ist, daß man mit einer solchen aggressiven Politik zum Vorkämpfer der FLP wird. Wir haben im Bundesstaat New Jersey sogar einen Genossen im Exekutivkomitee der FLP. [5] Die Bürokraten schieben das Gründungsdatum der FLP hinaus. Lewis und Hillman verfolgen die Politik, diese Angelegenheit bis 1940 ruhen zu lassen. [6] Wenn unser Genosse einen energischen Kampf aufnähme, wenn er aufrichtig für die FLP einträte, könnte er eine beachtliche Opposition gegen die Bürokraten mobilisieren. Aber dann haben wir das Dilemma, daß wir die Gründung eben jener FLP vorantreiben, gegen die wir uns selbst aussprechen.

Auf unserem Plenum wird es Meinungsverschiedenheiten geben – es wird eine Tendenz geben, daß wir energische Kämpfer für die Gründung einer Labor Party werden müßten. Meiner Meinung nach ist dies die vorherrschende Stimmung der Partei – sich der LNPL anzuschließen und aggressive Kämpfer für die Gründung einer Labor Party zu werden, gegen die Politik der Unterstützung für kapitalistische Kandidaten. Wenn wir das tun können, ohne unsere prinzipielle Position zu kompromittieren, dann wäre es der beste Weg, Einfluß zu gewinnen. Wir sagen bisher den Arbeitern, die bereit sind, einen Schritt vorwärts zu machen, nichts Praktisches. Die KP macht sich nicht für die Labor Party stark; sie ist eine Roosevelt-Partei. Auch die Bürokraten in den Gewerkschaften blockieren die starke Bewegung für eine Labor Party unter den Arbeitern.
 

Shachtman: Ich halte die Stimmung für eine Labor Party unter Arbeitern heute nicht für derart stark. Der größte Teil der Labor-Party-Stimmung, die es gegeben haben mag, ist in Roosevelts Kanäle gelenkt worden. Wir hatten eine beachtliche Krise, und doch ist nichts weiter dabei herausgekommen als die verwässerte Form einer Labour Party in New York. [7] Wenn man jedenfalls 1930 mit 1924/25 [8] vergleicht, dann kann man sagen, daß es heute kaum eine Bewegung für eine Labor Party gibt; damals war mehr wirkliche Stimmung in den Gewerkschaften. Wenn wir keine klaren Vorstellungen über die Aussichten auf eine Labor Party haben, dann werden wir meiner Meinung nach einige große politische Fehler machen. Ich glaube, daß eine große Veränderung stattfindet – ein Aufbrechen der alten Parteien. Die größte politische Partei, die Demokratische Partei, die von 90 Prozent der Arbeiter und Farmer unterstützt wird macht buchstäblich unter unseren Augen eine Spaltung durch. Im Kongreß bekämpfen sich nicht Demokraten und Republikaner, sondern zwei Teile der Demokraten untereinander. Es gibt sehr guten Grund anzunehmen, daß wir nach den Wahlen von 1940 eine politische Neugruppierung haben werden, bei der sich die Republikaner der alten Linie mit den Demokraten im Süden zusammenschließen und die anderen, die New-Deal-Demokraten [9] Roosevelt-Anhänger plus CIO und Lewis stark genug sein werden, um noch den Großteil der AFL mitzuziehen. Gerade diese Aussicht hält Lewis und Hillman davon ab, eine Labor Party zu befürworten – sie zählen auf eine Spaltung der Demokratischen Partei, bei der sie eine beträchtliche Rolle spielen können. Deshalb glaube ich nicht, daß es in der LNPL-Bewegung zu einem wirklichen, ernsthaften, greifbaren Fortschritt in Richtung einer unabhängigen Labor Party kommen wird.

Es stimmt, daß unsere Lage recht schwierig ist, aber wir haben bereits eine ganze Menge Erfahrung mit Bewegungen für eine Labor Partry.

Ein Hinweis auf unsere Lage in Minneapolis erleichtert eine Verallgemeinerung – ich denke, daß wir unser Wachstum nicht der Teilnahme an der FLP-Bewegung, sondern unseren eigenen Aktivitäten in den Gewerkschaften verdanken. In dem Maße, wie wir wachsen, müssen wir uns dennoch notwendigerweise an der FLP-Politik beteiligen, und ich kann nicht sagen, daß ich mit der Lage der Dinge dort ganz zufrieden bin. Ich kann nicht behaupten, daß wir irgendeine andere Verhaltensweise vorgeschlagen hätten. In Minneapolis befinden wir uns praktisch in einem Block mit sogenannten ehrlichen Reformisten – Schurken für sich -, die ihrerseits einen Block mit den Demokraten bilden. Dieser Block richtet sich beinahe ausschließlich gegen die Stalinisten und gegen die mechanische Kontrolle der Stalinisten über die FLP. In der Praxis kann man uns nicht von den sogenannten ehrlichen Reformisten unterscheiden. Man unterscheidet uns von den Stalinisten, aber nur insoweit, wie wir einen Block mit den wirklichen Reformisten bilden, die im Bundesstaat für die FLP Liste und auf nationaler Ebene für die Demokraten stimmen.

Wenn wir es ernsthaft zu unserer Politik machen, gegen die Unterstützung kapitalistischer Kandidaten und zugunsten von FLP-Kandidaten einzutreten, und das systematisch und effektiv, dann sehe ich nicht, wie wir vermeiden können, zu Vorkämpfern einer Labor Party zu werden oder überall, wo es keine Labor Party gibt, die Initiative zu ihrer Gründung zu ergreifen. Wenn nicht alle Anzeichen täuschen, dann werden diese Labor Parties arbeitende Anhängsel Roosevelts sein, genau wie die American Labor Party in New York auf nationaler Ebene Roosevelt unterstützte und auf lokaler Ebene die Republican-Fusion. Wenn das einmal in Gang ist, kann ich mir nicht klar vorstellen, wie wir die Folgen der Politik von 1924 vermeiden wollen, als wir in der KP waren [10] – mit der zusätzlichen Schwierigkeit, daß die stalinistische Partei in den Gewerkschaften ist. Es stimmt zwar, daß sie eine Roosevelt-Partei ist, aber in den Gewerkschaften tritt sie trotzdem für die Bildung einer Labor Party ein.
 

Cannon: Nicht sehr. In der ersten Periode der Volksfront [11] hatten die Stalinisten, würde ich sagen, noch die Parole „Organisiert die Labor Party als die amerikanische Volksfront“, aber jetzt ist das nur noch eine Zeremonie. Gegenwärtig sind sie sogar gegen eine vorzeitige Spaltung der Demokratischen Partei. Es stimmt nicht, daß die Stimmung für eine Labor Party heute weniger stark ist als 1924. Damals hatte sie keine Basis in den Gewerkschaften, es war vorwiegend eine Farmerbewegung. Heute wird die Bewegung von den CIO-Gewerkschaften dominiert. Es ist nicht mehr die alte Gompers-Politik. [12] Die Gewerkschaften werden politisch gegängelt, aber unter ihrer Mitgliedschaft ist die Stimmung für eine eigene Partei recht stark. Die LNPL wird der Stimmung der Arbeiter nicht entsprechen. Die Politik von Lewis und den Bürokraten besteht aus Experimenten: wenn die Arbeiter unruhiger werden, dann werden sie dieser Stimmung Zugeständnisse machen. Das Ganze bewegt sich eine Stufe höher als die Gompers-Politik.
 

Anmerkung der Stenographin: Weitere Auseinandersetzungen über die relative Stärke, der Stimmung für eine Labor Party in den Jahren 1922-24 zwischen den Genossen Cannon und Dunne auf der einen und Shachtman auf der anderen Seite hier nicht dokumentiert.
 

Trotzki: Diese Frage ist sehr wichtig und sehr kompliziert. Als die Communist League vor etwa sieben oder acht Jahren (1930) zum ersten Mal über die Frage nachdachte, ob wir für eine Labor Party eintreten sollten oder nicht, ob wir Initiativen in diese Richtung ergreifen sollten, da herrschte die Meinung vor, es nicht zu tun, und das war völlig richtig. Es war nicht klar, welche Entwicklung bevorstand. Ich glaube, die Mehrheit von uns hoffte auf eine schnellere Entwicklung unserer eigenen Organisation. Andererseits glaube ich, daß keiner von uns während jener Periode die rasche und starke Entwicklung des CIO vorhersah. Auf der einen Seite überschätzten wir in unserer Perspektive die Entwicklungsmöglichkeiten unserer eigenen Partei auf Kosten der Stalinisten, auf der anderen Seite sahen wir die machtvolle Gewerkschaftsbewegung und den raschen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus nicht. Das sind zwei Tatsachen, die wir berücksichtigen müssen. Ich kann nicht aus eigener Anschauung, sondern nur theoretisch sprechen. Die Periode von 1924 kenne ich nur durch die Erfahrung unseres gemeinsamen Freundes Pepper. [13] Er kam zu mir und sagte, das amerikanische Proletariat sei keine revolutionäre Klasse, die revolutionäre Klasse seien die Farmer, und wir müßten uns den Farmern, nicht den Arbeitern zuwenden. Das war die damalige Vorstellung. Es war eine Bewegung der Farmer, die aufgrund ihres sozialen Charakters dazu neigen, in jeder Krise nach Wundermitteln – Populismus, FLP-ismus – zu suchen. Jetzt haben wir eine Bewegung von ungeheurer Bedeutung: den CIO. Rund drei Millionen oder mehr haben sich in einer neuen, militanteren Organisation zusammengeschlossen.

Diese Organisation, die mit Streiks – großen Streiks – begann und auch die AFL teilweise in diese Streiks für Lohnerhöhungen einbezog, stößt schon beim ersten Schritt ihrer Aktivitäten auf die größte Krise in den USA. Die Perspektive ökonomischer Streiks ist für die nächste Periode angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit etc. ausgeschlossen. Wir können mit der Möglichkeit rechnen, daß sie ihr ganzes Gewicht in die politische Waagschale werfen wird.

Die ganze objektive Situation drängte sie den Arbeitern und ihren Führern auf – den Führern im doppelten Sinne. Auf der einen Seite nutzen sie diese Tendenz für ihre eigene Autorität aus, auf der anderen Seite versuchen sie, sie zu brechen und nicht zuzulassen, daß sie über die Führer hinausgeht. Die LNPL hat diese doppelte Funktion. Unsere Politik muß meiner Ansicht nach nicht theoretisch revidiert, sondern konkretisiert werden. In welchem Sinne? Sind wir für die Schaffung einer reformistischen Labor Party? Nein. Sind wir für eine Politik, die den Gewerkschaften die Möglichkeit verschafft, ihr Gewicht in das Kräfteverhältnis einzubringen? Ja.

Es kann eine reformistische Partei werden – das hängt von der Entwicklung ab. Hier kommt die Frage des Programms ins Spiel.

Ich erwähnte gestern und möchte heute unterstreichen, daß wir ein Programm von Übergangsforderungen brauchen, deren weitgehendste eine Arbeiter- und Farmerregierung ist. Wir sind für eine Partei, für eine unabhängige Partei der arbeitenden Massen, die die Macht im Staat übernehmen werden. Wir müssen es konkretisieren: Wir sind für die Schaffung von Fabrikkomitees, für Arbeiterkontrolle über die Industrie durch Fabrikkomitees. All diese Fragen hängen jetzt in der Luft. Sie sprechen von Technokratie [14] und geben die Parole der „nützlichen Produktion“ aus. Wir treten dieser marktschreierischen Formel entgegen und verlangen Arbeiterkontrolle über die Produktion durch Fabrikkomitees.

Lundberg schreibt ein Buch: Amerikas sechzig Familien. Der „Annalist“ behauptet, daß seine Zahlen falsch seien. Wir sagen: Die Fabrikkomitees sollten die Geschäftsbücher einsehen. Dieses Programm müssen wir parallel zur Idee einer Labor Party in den Gewerkschaften und dem einer Arbeitermiliz entwickeln. Andernfalls ist es eine Abstraktion, und eine Abstraktion ist eine Waffe in den Händen der gegnerischen Klasse. An den Genossen in Minneapolis ist zu kritisieren, daß sie das Programm nicht konkretisiert haben. In diesem Kampf müssen wir unterstreichen, daß wir für den Block der Arbeiter und Farmer sind, aber nicht von Farmern wie Roosevelt. (Ich weiß nicht, ob Ihr bemerkt habt, daß er auf der amtlichen Kandidatenliste „Farmer“ als Beruf angab.) Wir sind für einen Block nur mit den ausgebeuteten Farmern, nicht mit den ausbeutenden – mit den ausgebeuteten Farmern und Landarbeitern. Wir können die Vorkämpfer dieser Bewegung werden, aber nur auf der Grundlage eines konkreten Programms von Forderungen. In Minneapolis sollten wir als erstes statistisch nachweisen, daß 10 000 Arbeiter nicht mehr Stimmen haben als zehn Intellektuelle oder fünfzig bei den Stalinisten organisierte Leute. Dann müssen wir fünf oder sechs sehr konkrete Forderungen aufstellen, die dem Bewußtsein der Arbeiter und Farmer angepaßt sind und jedem Genossen eingeschärfen: Fabrikkomitees der Arbeiter und dann eine Arbeiter- und Farmerregierung. Das ist der wahre Sinn der Bewegung.
 

Cannon: Würden wir den Gewerkschaften jetzt vorschlagen, der LNPL beizutreten?
 

Trotzki: Ich denke schon. Natürlich müssen wir unseren ersten Schritt so machen, daß wir Erfahrungen für die praktische Arbeit sammeln und uns nicht mit abstrakten Formeln abgeben, sondern ein konkretes Aktionsprogramm und Forderungen in dem Sinne entwickeln, daß dieses Übergangsprogramm von den Bedingungen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ausgeht, aber sofort über die Grenzen des Kapitalismus hinausführt. Es ist nicht das reformistische Minimalprogramm, das niemals die Arbeitermiliz oder die Arbeiterkontrolle über die Produktion einschloß. Diese Forderungen haben Übergangscharakter, weil sie von der kapitalistischen Gesellschaft zur proletarischen Revolution führen, was sich in dem Maße ergibt, wie sie, etwa die proletarische Regierung, zu Forderungen der Massen werden. Wir können nicht bei den Tagesforderungen des Proletariats stehenbleiben. Wir müssen den rückständigsten Arbeitern eine konkrete Losung geben, die ihren Bedürfnissen entspricht und dialektisch zur Machteroberung führt.
 

Shachtman: Wie würdest Du die Losung der Arbeitermiliz begründen?
 

Trotzki: Mit der faschistischen Bewegung in Europa – die ganze Situation zeigt, daß der Block aus Mitgliedern der Liberalen, der Radikalen und der Arbeiterbürokratie im Vergleich zu der militarisierten faschistischen Bande nichts darstellt; nur Arbeiter mit militärischer Erfahrung können der faschistischen Gefahr entgegentreten. Es dürfte in Amerika genügend Streikbrecher, bewaffnete Verbrecher geben, so daß man die Losung mit der Erfahrung vor Ort verbinden kann, zum Beispiel, indem man die Haltung der Polizei oder die Lage der Dinge in Jersey [15] aufzeigt. In dieser Situation muß man unmittelbar sagen, daß dieser Gangster-Bürgermeister mit seinen Gangster-Polizisten von der Arbeitermiliz vertrieben werden sollte. „Wir wollen hier den CIO organisieren, aber in Verletzung der Verfassung wird uns dieses Organisationsrecht vorenthalten. Wenn die Bundesmacht den Bürgermeister nicht kontrollieren kann, dann müssen wir, die Arbeiter, zu unserem Schutz die Arbeitermiliz organisieren und für unsere Rechte kämpfen. “ Oder bei Zusammenstößen zwischen der AFL und dem CIO können wir die Losung einer Arbeitermiliz als Notwendigkeit zum Schutz unserer Arbeiterversammlungen aufstellen. Besonders im Gegensatz zur stalinistischen Idee einer Volksfront – und wir können auf das Ergebnis der Volksfront hinweisen: das Schicksal Spaniens und die Lage in Frankreich. Dann kann man auf die Bewegung in Deutschland, auf die Lager der Nazis verweisen. Wir müssen sagen: Ihr Arbeiter in dieser Stadt werdet die ersten Opfer dieser faschistischen Bande sein. Ihr müßt Euch organisieren, Ihr müßt vorbereitet sein.
 

Cannon: Wie würdest Du solche Gruppen nennen?
 

Trotzki: Man kann ihnen einen bescheidenen Namen geben: Arbeitermiliz.
 

Cannon: Verteidigungskomitees.
 

Trotzki: Ja. Das muß mit den Arbeitern besprochen werden.
 

Cannon: Der Name ist sehr wichtig. Arbeiter-Verteidigungskomitees kann man populär machen. Arbeitermiliz klingt zu fremd.
 

Shachtman: Es gibt in den USA noch keine Gefahr des Faschismus, die die Stimmung für eine Organisation wie die Arbeitermiliz erzeugen würde. Die Organisierung einer Arbeitermiliz setzt Vorbereitungen auf die Machteroberung voraus. Das steht in den USA noch nicht auf der Tagesordnung.
 

Trotzki: Natürlich können wir die Macht nur erobern, wenn wir die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter uns haben, aber selbst in diesem Fall wäre die Arbeitermiliz eine kleine Minderheit. Selbst in der Oktoberrevolution war die Miliz eine kleine Minderheit. Aber die Frage ist, wie wir diese kleine Minderheit bekommen, die organisiert und mit der Sympathie der Massen bewaffnet werden muß. Wie können wir das tun? Indem wir das Denken der Massen durch Propaganda vorbereiten. Die Krise, die Zuspitzung der Klassenbeziehungen, die Schaffung einer Arbeiterpartei bedeutet ganz unmittelbar eine furchtbare Anspannung der Kräfte. Die Reaktion wird auf der Stelle eine faschistische Bewegung sein. Deshalb müssen wir jetzt die Idee der Labour Party mit ihren Konsequenzen verbinden – sonst werden wir nur als Pazifisten mit demokratischen Illusionen erscheinen. Dann haben wir noch die Möglichkeit, die Losungen unseres Übergangsprogramms zu verbreiten und die Reaktion der Massen darauf zu beurteilen. Wir werden sehen, welche Losungen ausgewählt, welche aufgegeben werden sollten; aber wenn wir unsere Losungen schon vor der Erfahrung aufgeben, bevor wir die Reaktion der Massen sehen, können wir nie vorankommen.
 

Dunne: Ich habe eine Frage zu der Losung, daß Arbeiter Einblick in die Geheimnisse der Industrie brauchen. Mir scheint, daß sie gut durchdacht und mit Sorgfalt angewendet werden muß, andernfalls kann sie zu Schwierigkeiten führen, die wir bereits erfahren haben. Fest steht, daß die Unternehmer die Militanz der Arbeiter mit dem Angebot abwiegeln – wir hatten einen solchen Fall -, uns die Bücher zu zeigen und zu beweisen, daß sie Verlust machen (ob aufrichtig oder nicht, ist hier nicht die Frage). Wir haben das bekämpft, indem wir sagten: Es ist Eure Sache, Euer Unternehmen zu organisieren, wir fordern anständige Arbeitsbedingungen. Ich frage mich also, welche Auswirkungen unsere Forderung nach Einblick der Arbeiter in die Geheimnisse der Industrie hätte.
 

Trotzki: Ja, die Kapitalisten öffnen ihre Bücher in zwei Fällen: wenn die Lage der Fabrik wirklich schlecht ist oder wenn sie die Arbeiter täuschen können. Aber die Frage muß von einem allgemeineren Blickwinkel aus gestellt werden. Zunächst einmal haben wir Millionen Arbeitslose; die Regierung behauptet, sie könne nicht mehr zahlen, und die Kapitalisten sagen, sie könnten nicht mehr Leistungen beisteuern. Wir wollen also Zugang zur Buchhaltung dieser Gesellschaft. Fabrikkomitees sollten die Einkommen kontrollieren. Die Arbeiter werden sagen: Wir wollen unsere eigenen Statistiker, die der Arbeiterklasse ergeben sind. Wenn eine Industriebranche nachweist, daß sie wirklich ruiniert ist, dann antworten wir: Wir schlagen vor, Euch zu enteignen. Wir werden besser leiten als Ihr. Weshalb macht Ihr keinen Profit? Wegen des chaotischen Zustands der kapitalistischen Gesellschaft. Wir sagen: Geschäftsgeheimnisse sind eine Verschwörung der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten, der Unternehmer gegen die Werktätigen. In der freien Ära, der Ära des Wettbewerbs, behaupteten sie, sie bräuchten Geheimhaltung zu ihrem Schutz. Aber heute haben sie keine Geheimnisse untereinander, sondern nur vor der Gesellschaft. Diese Übergangsforderung ist auch ein Schritt zur Arbeiterkontrolle über die Produktion, als Vorbereitungsplan für die Leitung der Industrie. Alles muß kontrolliert werden von den Arbeitern, den Herren der morgigen Gesellschaft. Die Machteroberung zu fordern das erscheint den amerikanischen Arbeitern illegal, fantastisch. Aber wenn man sagt: Die Kapitalisten weigern sich, für die Arbeitslosen zu zahlen, und verstecken mittels unaufrichtiger Buchführung ihre wirklichen Profite vor dem Staat und den Arbeitern, dann werden Arbeiter diese Formel verstehen. [16]

Wenn wir dem Farmer sagen: Die Bank betrügt Dich. Sie macht sehr große Profite. Und wir schlagen Euch vor, Farmerkomitees zu bilden, um die Buchhaltung der Bank einzusehen – dann wird das jeder Farmer verstehen. Wir werden sagen: Der Farmer kann nur sich selbst trauen; soll er Komitees zur Kontrolle der Agrarkredite gründen. Das werden sie verstehen. Es setzt eine aufrührerische Stimmung unter den Farmern voraus; man kann es nicht jeden Tag erreichen. Unmittelbar notwendig ist aber durchaus, diesen Gedanken unter die Massen und unter unsere eigenen Genossen zu bringen.
 

Shachtman: Ich halte es nicht für richtig, wie Du sagst, die Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion oder die andere Übergangsforderung der Arbeitermiliz aufzustellen – die Forderung nach der Offenlegung der Bücher der Kapitalistenklasse ist der gegenwärtigen Periode eher angemessen und kann populär gemacht werden. Was die anderen beiden Losungen angeht, so ist es zwar richtig, daß es Übergangslosungen sind, aber für das Ende der Periode, die an die Machteroberung grenzt. Der Übergang kann eine lange oder eine kurze Wegstrecke sein. Jeder Abschnitt erfordert seine eigenen Losungen. Für heute könnten wir jene des Einblicks in die Bücher der Kapitalistenklasse verwenden, morgen würden wir die der Arbeiterkontrolle über die Produktion und der Arbeitermiliz benutzen.
 

Trotzki: Wie können wir in einer so kritischen Lage, wie sie jetzt auf der ganzen Welt herrscht, den Entwicklungsstand der Arbeiterbewegung in den USA messen? Du sagst, sie steht am Anfang und nicht am Ende. Wie lang ist die Entfernung – 100, 10, 4, wie kannst Du es abschätzen? In den guten alten Zeiten sagten die Sozialdemokraten:

Jetzt haben wir nur 10 000 Arbeiter, später werden wir 100 000 haben, dann eine Million, und dann werden wir an die Macht kommen. Die Entwicklung der Welt war für sie nur eine Ansammlung von Quantitäten: 10 000, 100 000 usw. usf. Nun haben wir eine völlig andere Situation. Wir befinden uns in der Periode des niedergehenden Kapitalismus, von Krisen, die immer ungestümer und schlimmer werden, und des herannahenden Krieges. Während eines Krieges lernen die Arbeiter sehr schnell. Wenn wir, wie Du sagst, erst abwarten und dann Propaganda machen, werden wir nicht die Vorhut, sondern die Nachhut sein. Wenn Du mich fragst: Ist es möglich, daß die amerikanischen Arbeiter in zehn Jahren die Macht erobern? Dann werde ich sagen: Ja, absolut. Das explosionsartige Wachstum des CIO zeigt, daß die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft unterhöhlt ist. Arbeitermiliz und Arbeiterkontrolle über die Produktion sind nur zwei Seiten derselben Frage. Der Arbeiter ist kein Buchhalter. Wenn er nach den Büchern fragt, will er die Lage ändern, erst durch Kontrolle und dann durch Leitung. Welche Losungen wir aufstellen, hängt natürlich davon ab, auf welche Reaktion wir bei den Massen treffen. Wenn wir die Reaktion der Massen sehen, wissen wir, welche Seite der Frage wir betonen müssen. Wir werden sagen: Roosevelt wird den Arbeitslosen mit der Kriegsindustrie helfen, aber wenn die Arbeiter die Produktion leiten würden, dann würden wir dafür eine andere Industrie finden – keine für die Toten, sondern eine für die Lebenden. Diese Frage kann selbst einem durchschnittlichen Arbeiter, der nie an einer politischen Bewegung teilgenommen hat, verständlich werden. Wir unterschätzen die revolutionäre Bewegung in den arbeitenden Massen. Wir sind eine kleine, propagandistische Organisation, und in solchen Situationen skeptischer als die Massen, die sich sehr schnell entwickeln. Anfang 1917 sagte Lenin, daß die Partei zehnmal revolutionärer sei als ihr Zentralkomitee und die Massen hundertmal revolutionärer als die Parteimitgliedschaft. In den USA besteht gegenwärtig keine revolutionäre Situation. Aber Genossen, die in ruhigen Zeiten sehr revolutionäre Ideen haben, können in revolutionären Situationen zu einer wirklichen Bremse für die Bewegung werden – das passiert häufig. Eine revolutionäre Partei wartet so oft und so lange auf die Revolution, daß sie sich daran gewöhnt, sie zu verschieben.
 

Cannon: Bei Streiks kann man dieses Phänomen beobachten – sie fegen über das Land hinweg und überraschen die revolutionäre Partei. Vertreten wir dieses Übergangsprogramm in den Gewerkschaften?
 

Trotzki: Ja, wir propagieren dieses Programm in den Gewerkschaften, wir schlagen es als Grundlage für die Arbeiterpartei vor. Für uns ist es ein Übergangsprogramm, aber für sie ist es das eigentliche Programm. Heute ist es eine Frage der Arbeiterkontrolle über die Produktion, aber verwirklichen kann man dieses Programm nur durch eine Arbeiter- und Farmerregierung. Wir müssen diese Losung populär machen.
 

Cannon: Sollen wir sie auch als Übergangsprogramm aufstellen, oder ist sie ein Pseudonym für die Diktatur des Proletariats?
 

Trotzki: Unserer Vorstellung nach führt sie zur Diktatur des Proletariats. Wir sagen den Arbeitern und Farmern: Ihr wollt Lewis zum Präsidenten – gut, das hängt von seinem Programm ab. Lewis plus Green plus La Follette als Vertreter der Farmer? Auch das hängt vom Programm ab. Wir versuchen das Programm zu konkretisieren, zu präzisieren. Dann bedeutet die Arbeiter- und Farmerregierung eine Regierung des Proletariats, das die Farmer anführt.
 

Shachtman: Wie bringst Du das mit der ursprünglichen Aussage in Einklang, daß wir nicht für die Organisierung einer reformistischen Labor Party eintreten können? Ich möchte mir darüber klar werden, was unser Genosse konkret tut, wenn seine Gewerkschaft der LNPL angeschlossen ist, und er als Delegierter in die Labor Party entsandt wird. Dann kommt die Frage auf, wie man sich in den Wahlen verhalten soll, und man schlägt vor: „Laßt uns La Guardia unterstützen.“ Wie stellt sich die Sache unseren Genossen konkret dar?
 

Trotzki: Wir befinden uns also auf einem Gewerkschaftstreffen, um den Anschluß an die LNPL zu diskutieren. Ich werde in der Gewerkschaft sagen: Zunächst einmal ist die Vereinigung der Gewerkschaften auf einer politischen Ebene ein Fortschritt. Es besteht die Gefahr, daß sie unseren Feinden in die Hände fällt. Ich schlage daher zwei Maßnahmen vor: 1) daß wir nur Arbeiter und Farmer zu Vertretern haben, daß wir nicht von sogenannten parlamentarischen Freunden abhängig sind; 2) daß unsere Vertreter sich an unser Programm halten, und zwar an dieses Programm hier. Dann skizzieren wir konkrete Pläne zur Arbeitslosigkeit, zum Militärhaushalt etc. Dann sage ich: Wenn Ihr mich als Kandidaten vorschlagt, kennt Ihr also mein Programm. Wenn Ihr mich als Euren Vertreter entsendet, werde ich in der LNPL, der, Labor Party, für dieses Programm kämpfen. Wenn die LNPL beschließt, für La Guardia zu stimmen, werde ich entweder unter Protest zurücktreten oder bleiben und protestieren: „Ich kann nicht für La Guardia stimmen. Ich habe mein Mandat.“ Wir erhalten reiche neue Möglichkeiten für Propaganda.

Die Auflösung unserer Organisation ist völlig ausgeschlossen. Wir machen absolut klar, daß wir unsere Organisation haben, unsere Presse usw. usf. Es ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Genosse Dunne sagt, wir können in den Gewerkschaften noch nicht für die Unterstützung der SWP eintreten. Warum? Weil wir zu schwach sind. Und wir können den Arbeitern nicht sagen: Wartet, bis wir mehr Autorität bekommen haben und mächtiger geworden sind. Wir müssen in die Bewegung eingreifen, so, wie sie ist ...
 

Shachtman: Wenn es keine Bewegung für eine Labor Party gäbe und wir dagegen wären, eine solche zu schaffen, wie würde dies das Programm selbst berühren? Es wäre immer noch unser Übergangsprogramm. Ich verstehe es nicht, wenn Du sagst, wir können nicht für eine reformistische Partei eintreten, aber wir sind Befürworter und Vorkämpfer von Bewegungen für eine Labor Party, um den Willen der Arbeiter politisch durchzusetzen.
 

Trotzki: Es wäre absurd zu sagen, daß wir für eine reformistische Partei eintreten. Wir sagen den Führern der LNPL: „Ihr macht aus dieser Bewegung ein rein opportunistisches Anhängsel der Demokraten. “ Es geht um die pädagogische Herangehensweise. Wie können wir sagen, daß wir für die Schaffung einer reformistischen Partei eintreten? Wir sagen, Ihr könnt Euren Willen nicht durch eine reformistische, sondern nur durch eine revolutionäre Partei durchsetzen. Die Stalinisten und die Liberalen wollen aus dieser Bewegung eine reformistische Partei machen, aber wir haben unser Programm, wir machen daraus eine revolutionäre ...
 

Cannon: Wie kann man eine revolutionäre Labor Party erklären? Wir sagen: Die SWP ist die einzige revolutionäre Partei, sie hat das einzige revolutionäre Programm. Wie kann man dann den Arbeitern erklären, daß die Labor Party auch eine revolutionäre Partei ist?
 

Trotzki: Ich würde nicht sagen, daß die Labor Party eine revolutionäre Partei ist, sondern daß wir alles tun werden, um dies zu ermöglichen. Auf jeder Versammlung würde ich sagen: Ich bin ein Vertreter der SWP. Ich halte sie für die einzige revolutionäre Partei. Aber ich bin kein Sektierer. Ihr versucht gerade, eine große Arbeiterpartei zu schaffen. Ich werde Euch helfen, schlage aber vor, daß Ihr über ein Programm für diese Partei nachdenkt. Ich habe dazu die und die Vorschläge. Das würde ich herausstellen. Unter diesen Bedingungen wäre es ein großer Schritt nach vorn. Weshalb nicht offen sagen, was ist? Ohne jegliche Tarnung, ohne jegliche Diplomatie.
 

Cannon: Bisher ist die Frage immer abstrakt gestellt worden. Die Frage des Programms wurde nie so dargestellt, wie Du es jetzt getan hast. Die Anhänger Lovestones waren immer für eine Labor Party, aber sie haben kein Programm. Bei ihnen geht es um Manöver der Organisationsspitzen. Mir scheint, wenn wir ein Programm haben und immer darauf verweisen ...
 

Trotzki: An erster Stelle steht das Programm, und dann kommen die Statuten, die das Übergewicht der Gewerkschaften gegenüber den individuellen Liberalen, Kleinbürgern usw. gewährleisten. Andernfalls kann es der sozialen Zusammensetzung nach eine Labor Party, in der Politik aber eine kapitalistische Partei werden.
 

Cannon: Mir scheint, daß es sich in Minneapolis zu stark um einen organisatorischen Kampf handelt, einen Kampf zwischen den Stalinisten und uns um die Kontrolle über die Organisation. Wir müssen in Minneapolis einen programmatischen Kampf gegen die Stalinisten in der FLP aufnehmen, so wie wir uns gestern die Abstimmung über den Ludlow-Antrag [17] zunutze machten.
 

Shachtman: Nun, unter der drohenden Gefahr des Kriegsausbruchs kann die Labor Party zu einer Falle werden. Und ich verstehe immer noch nicht, wie sich die Labor Party von einer reformistischen, rein parlamentarischen Partei unterscheiden kann.
 

Trotzki: Du stellst die Frage zu abstrakt; natürlich kann sich eine reformistische Partei herausschälen, die uns am Ende sogar ausschließt. Aber wir müssen Teil der Bewegung sein. Wir müssen zu den Stalinisten, den Lovestone-Anhängern etc. sagen: „Wir sind für eine revolutionäre Partei. Ihr tut alles, um sie reformistisch zu machen.“

Aber wir stellen immer unser Programm heraus. Und wir treten für unser Programm von Übergangsforderungen ein. Was die Frage des Krieges und des Ludlow-Antrages betrifft, so werden wir morgen darüber diskutieren, und ich werde noch einmal den Nutzen unseres Übergangsprogramms in dieser Situation aufzeigen.

 

 

Anmerkungen

1. LNPL, überparteilicher Arbeiterbund, gegründet im April 1936 von den CIO-Führern Lewis und Hillman. Vorsitzender war der Präsident der Druckergewerkschaft, George Berry. Anfänglich als unabhängige Arbeiterpartei ausgegeben, unterstützte diese Organisation bald Roosevelt und die Demokraten.

2. Ein Bündnis von „progressiven“ Republikanern, Reformisten und Gewerkschaftsführern, das sich in New York Mitte der dreißiger Jahre gegen die korrupte demokratische Stadtverwaltung bildete. Geführt vom republikanischen Abgeordneten La Guardia unterstützte Republican-Fusion auf nationaler Ebene den Demokraten Roosevelt.

3. Im Bundesstaat Minnesota, in dem die Stadt Minneapolis liegt, war 1923 eine FarmerLabour Party (FLP) entstanden, die von den AFL-Gewerkschaften unterstützt wurde und sich deshalb als wesentlich langlebiger erwies als ähnliche Parteien in anderen Bundesstaaten. Die Gewerkschaften waren innerhalb der FLP durch die Farmer-Labour Associatlon (FLA) vertreten, die direkt aus ihren Beiträgen finanziert wurde. Die Trotzkisten, die 1934 einen epochemachenden Massenstreik der Transportarbeiter (Teamster) in Minneapolis zum Erfolg geführt hatten, verfügten in den Gewerkschaften über starke Unterstützung. Sie standen an der Spitze des Ortsverbands 544 der Teamster-Gewerkschaft. Die Stalinisten hatten sich im Transportarbeiterstreik völlig diskreditiert. Seit 1934 unterwanderten sie systematisch die formal unabhängigen Ortsverbände der Farmer-Labour Association, um ihre Position gegenüber den Trotzkisten wieder zu stärken.

4. Strömung innerhalb der Demokratischen Partei.

5. Gemeint ist ein Komitee zur Schaffung einer Farmer-Labor Party in New Jersey, das die Unterstützung der LNPL und des CIO hatte. Die Partei selbst erblickte jedoch nie das Licht der Welt.

6. D.h. bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen, um eine mögliche dritte Kandidatur Roosevelts nicht zu gefährden.

7. Shachtman meint die American Labor Party, die 1936 im Staat New York von Gewerkschaftsführern und rechten Vertretern der Sozialistischen Partei gegründet wurde. Sie stellte auf örtlicher Ebene eigene Kandidaten auf, unterstützte in der Stadt New York den Republikaner La Guardia und national den Demokraten Roosevelt.

8. Anfang der zwanziger Jahre entstanden in vielen amerikanischen Bundesstaaten Farmer-Labour Parties oder ähnliche Organisationen. Der „progressive“ Republikaner Robert La Follette, der bei der Präsidentenwahl als dritter bürgerlicher Kandidat antrat und von vielen Arbeitern unterstützt wurde, erhielt 1924 fast 5 Millionen Stimmen, einen Anteil von 17 Prozent.

9. Der Roosevelt-Flügel der Demokratischen Partei. Der „New Deal“, ein Programm mit sozialreformerischen Ansätzen, sollte einer revolutionären Entwicklung zuvorkommen und wurde deshalb von den bewußtesten Teilen der Bourgeoisie unterstützt. Auch die amerikanische Kommunistische Partei unterstützte Roosevelt und den „New Deal“ enthusiastisch.

10. Die Kommunistische Partei führte seit 1923 die vier Jahre zuvor gegründete Federated Farmer-Labor Party (FFLP). 1924 kam es zu einer Zerreißprobe, weil die KP-Führer Pepper und Ruthenberg dafür eintraten, daß die FFLP La Follette unterstützt, der als dritter bürgerlicher Kandidat zur Präsidentenwahl angetreten war. Die Unterstützung eines bürgerlichen Kandidaten wurde von der Mehrheit der KP-Mitglieder und der Komintern (besonders von Trotzki) abgelehnt, worauf sich die FFLP hinter den KP- Kandidaten Foster stellte. Kurz danach brach die FFLP auseinander.

11. Im August 1935 hatte die Komintern die ultralinke Politik der „dritten Periode“ aufgegeben und war stattdessen für eine Politik der „Volksfront“ eingetreten – ein Bündnis zwischen Arbeiterparteien und bürgerlichen Parteien im Namen des Kampfes gegen Faschismus und Krieg. In Frankreich war diese Politik bereits 1934 vorbereitet worden: Im Juli hatten die großen Arbeiterparteien ein Bündnis geschlossen, in das auf Drängen der KP auch die bürgerliche „Radikale Partei“ einbezogen wurde. Im Mai 1936 gewann die Volksfront die Wahlen und der Sozialdemokrat/Sozialist Léon Blum übernahm, getragen von einer Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen, die Regierung. Nach anfänglichen Zugeständnissen erstickte die Volksfront die Streikwelle und ebnete den Rechten den Weg zur Macht.

12. Gompers, Samuel (1850-1924). Zigarrenmacher und konservativer Gewerkschaftsführer. Von 1886 bis zu seinem Tod Präsident der American Federation of Labor (AFL). Gompers stützte sich auf das Prinzip der Berufsverbände der Facharbeiter und lehnte Gewerkschaften ab, die alle Industriearbeiter zusammenschließen. Er war Gegner der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei, lehnte jede unabhängige politische Aktivität strikt ab.

Green, (1873-1952). Amerikanischer Gewerkschaftsführer, Prototyp des konservativen Arbeiterbürokraten, der sich rühmte, niemals zu einem Streik aufgerufen zu haben. Green war Sekretär der US-Bergarbeitergewerkschaft in Ohio und Mitglied der Demokratischen Partei. 1924 wurde er Nachfolger von Samuel Gompers als AFL-Führer, was er bis zu seinem Tod blieb. 1937 schloß er die neu entstandenen Industriegewerkschaften aus, die daraufhin den CIO als selbständige Organisation gründeten. Erst 1955 entstand durch Zusammenschluß der Dachverband AFL-CIO.

13. „Gemeinsamer Freund“ ist ironisch gemeint; Pepper hatte die amerikanische KP durch eine abenteuerliche Politik beinahe zerstört und war ein erbitterter Gegner der Linken Opposition.

14. in den ersten Jahren der Depression waren in den USA Vorstellungen in Umlauf, dass die Krise ohne Klassenkampf auf technokratischem Wege – durch Rationalisierung der Wirtschaft unter der Aufsicht von Ingenieuren und technischen Experten – überwunden werden könne.

15. Der demokratische Bürgermeister von Jersey City, Frank Hague, setzte gegen die neu gegründete CIO Polizisten, Soldaten und bewaffnete Streikbrecher ein, untersagte Streikposten und ließ jeden verhaften, der Handzettel verteilte. Als man ihm vorwarf, er verweigere den Gewerkschaftern die Ausübung ihrer gesetzmäßigen Rechte, erwiderte er: „Das Gesetz bin ich.“ Trotzki betrachtete Hague als Prototyp eines amerikanischen Faschisten.

16. Vgl. Weiss/Schmiederer: Asoziale Marktwirtschaft. Wie die Konzerne den Staat völlig legal ausplündern, Köln, 2004, und nur noch 6,7% zum Steueraufkommen beitragen, statt 50% im Jahre 1960 (Mandel: Die deutsche Wirtschaftskrise 1966/67h.h.)

17. Der demokratische Abgeordnete Louis Ludlow und der Senator Robert La Follette hatten einen Zusatz („Amendment“) zur amerikanischen Verfassung in die jeweilige Kammer des Kongresses eingebracht, der vor jeder Kriegsentscheidung zwingend einen Volksentscheid vorsah. Der Antrag war bei der amerikanischen Bevölkerung äußerst populär und wurde im Repräsentantenhaus in Januar 1938 nur mit knapper Mehrheit abgelehnt. Die meisten CIO-Gewerkschaften unterstützten ihn, während ihn die Stalinisten und Präsident Roosevelt entschieden ablehnten. Das Politische Komitee der SWP hatte sich im Januar 1938 gegen das Ludlow-Amendment ausgesprochen, da es befürchtete, es werde pazifistische Illusionen hervorrufen. Die einzige abweichende Stimme kam von James Burnham. In einem persönlichen Brief an Cannon teilte Trotzki diesem am 1. Februar mit, daß er in dieser Frage auf Burnhams Seite stehe. Er bezeichnete den Volksentscheid als „Bremse des kleinen Mannes gegen die üblen Absichten des Großkapitals“ und schrieb: „Wir wissen, daß diese Bremse nicht ausreicht und noch nicht einmal wirkungsvoll ist, und sprechen dies offen aus. Aber gleichzeitig helfen wir dem kleinen Mann, gegen die diktatorischen Ansprüche des Großkapitals durch diese Erfahrung zu gehen. Der Volksentscheid ist eine Illusion? Nicht mehr und nicht weniger eine Illusion als das allgemeine Wahlrecht und andere demokratische Mittel. Weshalb können wir den Volksentscheid nicht ebenso benutzen, wie wir die Präsidentenwahlen benutzen?“ (Writings of Leon Trotsky 1937-38, New York 1976, S.158)

 

 

Redaktionelle Bemerkung

1*. Zur Vorbereitung der Gründungskonferenz der IV. Internationale fand im März/April 1938 in Trotzkis Exil in Mexiko (einziges Land der Welt, das ihm Asyl gewährte), eine ausführliche Diskussion über die Aufgaben der Gründungskonferenz der IV. Internationale statt. Eine der behandelten Fragen war die Stellung der amerikanischen Trotzkisten zur Frage einer unabhängigen Labor-Party. eine ausführliche Diskussion über die Aufgaben der IV. Internationale statt. Eine der behandelten Fragen war die Stellung der amerikanischen Trotzkisten zur Frage einer unabhängigen Labor-Party.

Cannon, James P. (1890-1974). Führer der SWP. Seit 1911 Mitglied der International Workers of the World (IWW) und der Sozialistischen Partei. 1919 Gründungsmitglied der amerikanischen Kommunistischen Partei. Delegierter auf dem vierten (1922) und sechsten (1928) Kongreß der Kommunistischen Internationale. Er schmuggelte Trotzkis Kritik am Programmentwurf des sechsten Kongresses aus der Sowjetunion und wurde als Unterstützer Trotzkis aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Mitbegründer der Communist League of America (1929), der Socialist Workers Party (1938) und der Vierten Internationale (1938 in Frankreich). 1943 mußte Cannon wegen seiner Opposition gegen den Zweiten Weltkrieg für ein Jahr ins Gefängnis. 1953 veröffentlichte er den Offenen Brief gegen den Revisionismus von Pablo und Mandel, der zur Vereinigung der orthodoxen Trotzkisten im Internationalen Komitee führte. 1963 schloß er sich mit den Pablisten zum „ Vereinigten Sekretariat“ zusammen.

Dunne, Vincent R. (1890-1970). Führendes Mitglied der SWP. Gründungsmitglied der amerikanischen Linken Opposition und Führer der Transportarbeiterstreiks von 1934 in Minneapolis.

Shachtman, Max (1903-1972). Gründungsmitglied der SWP. Kam als Kleinkind aus Warschau in die Vereinigten Staaten. Führungsmitglied der KP, aus der er 1928 zusammen mit James P. Cannon und Martin Abern ausgeschlossen wurde. Herausgeber des Socialist Appealund der New International sowie mehrerer Bücher und Broschüren von Trotzki; Verfasser von Behind the Moscow Trials. 1938 Delegierter auf der Gründungskonferenz der Vierten Internationale. 1939-40 gemeinsam mit James Burnham Führer einer kleinbürgerlichen Fraktion innerhalb der SWP. 1940 Gründung der Workers Party, später umbenannt in Independent Socialist League (Unabhängiger Sozialistischer Bund). Sie entwickelte sich nach dem Weltkrieg ständig weiter nach rechts. 1958 löste sie sich in der Sozialistischen Partei auf.

Der gesamte Text ist auf den Seiten 3–207 des Buches, Leo Trotzki : Das Übergangsprogramm in der Trotzki-Bibliothek des Arbeiterpresse Verlag erschienen.

 


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008