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Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?Brief an einen deutschen Arbeiter-Kommunisten, Mitglied der KPD(8. Dezember 1931) |
Erschienen als Broschüre der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) zur Jahreswende 1931/1932.
Auszüge erschienen in Permanente Revolution, Nr.1, 1. Januar 1932.
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Eine andere Version ist bei Stimmen der proletarischen Revolution zu finden.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Deutschland durchlebt gegenwärtig eine jener großen historischen Stunden, von denen das Schicksal des deutschen Volkes, das Schicksal Europas und in bedeutendem Maße das Schicksal der ganzen Menschheit auf Jahrzehnte hinaus abhängt. Setzt man eine Kugel auf die Spitze einer Pyramide, so kann ein geringer Anstoß sie nach links oder rechts hinabrollen lassen. Das ist die Lage, der sich Deutschland mit jeder Stunde nähert. Es gibt Kräfte, die wünschen, die Kugel möge nach rechts hinabrollen und der Arbeiterklasse den Rücken zerschmettern. Es gibt Kräfte, die wünschen, die Kugel möge sich auf der Spitze halten. Das ist eine Utopie. Die Kugel kann sich auf der Pyramidenspitze nicht halten. Die Kommunisten wollen, die Kugel möge nach links hinabrollen und dem Kapitalismus den Rücken zerschlagen. Aber wollen ist wenig, man muß können. Versuchen wir nochmals ruhig zu überlegen: ist die Politik, die gegenwärtig vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands getrieben wird, richtig oder falsch?
Die Faschisten wachsen sehr schnell. Die Kommunisten wachsen gleichfalls, aber bedeutend langsamer. Das Wachstum der äußersten Pole beweist, daß sich die Kugel auf der Pyramidenspitze nicht halten kann. Das rasche Anwachsen der Faschisten bringt die Gefahr, daß die Kugel nach rechts hinabrollen kann. Das ist eine gewaltige Gefahr.
Hitler beteuert, er sei gegen den Staatsstreich. Um die Demokratie ein für alle Mal zu erdrosseln, will er sozusagen nicht anders als auf demokratischem Wege zur Macht gelangen. Kann man dem ernstlich Glauben schenken?
Gewiß könnten die Faschisten damit rechnen, bei den nächsten Wahlen auf friedlichem Wege die absolute Mehrheit zu erlangen, würden sie diesen Weg vielleicht sogar bevorzugen. In Wirklichkeit aber ist dieser Weg für sie undenkbar. Es ist albern, zu meinen, die Nazis würden unbegrenzt lange Zeit ununterbrochen so wachsen, wie sie jetzt wachsen. Früher oder später müssen sie ihr soziales Reservoir erschöpfen. Der Faschismus vereint in sich so furchtbare Widersprüche, daß der Moment kommen muß, wo die Ebbe die Flut ablöst. Dieser Moment kann eintreten, lange bevor die Faschisten mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigt haben. Halt machen werden sie nicht können, denn sie werden keine Wahl mehr haben. Sie werden gezwungen sein, auf den Umsturz zuzugehen.
Aber auch unabhängig davon ist den Faschisten der demokratische Weg abgeschnitten. Das ungeheure Anwachsen der politischen Widersprüche im Lande und die Räuberagitation der Faschisten werden unvermeidlich dazu führen, daß, je näher der Faschismus der Mehrheit kommt, um so mehr sich die Atmosphäre erhitzen wird und um so mehr sich die Zusammenstöße und Kämpfe ausbreiten werden. In dieser Perspektive ist der Bürgerkrieg absolut unvermeidlich. Die Frage der Machtergreifung durch die Faschisten werden folglich nicht Abstimmungen entscheiden, sondern der Bürgerkrieg, den die Faschisten vorbereiten und auslösen.
Kann man auch nur eine Minute annehmen, daß Hitler und seine Berater dies nicht begreifen und voraussehen? Das hieße, sie für Dummköpfe halten. Es gibt kein größeres Verbrechen in der Politik, als auf die Dummheit eines starken Feindes zu hoffen. Kann aber Hitler nicht übersehen, daß der Weg zur Macht durch grausamsten Bürgerkrieg hindurchführt, so heißt das, daß seine Reden vom friedlichen, demokratischen Weg eine bloße Tarnung sind, eine Kriegslist. Umso mehr heißt es, die Augen offen zu halten.
Sein Kalkül ist ganz einfach und leicht zu durchschauen: er will den Gegner durch die langfristige Perspektive des parlamentarischen Wachstums der Nazis einschläfern, um in einer günstigen Minute den Todesstoß gegen den eingeschläferten Widersacher zu führen. Durchaus möglich, daß Hitlers Verbeugungen vor dem demokratischen Parlamentarismus überdies helfen sollen, in der nächsten Zeit irgendeine Koalition herzustellen, in der die Faschisten die wichtigsten Posten erlangen und sie wiederum für den Staatsstreich ausnützen würden. Denn es ist vollkommen klar, daß die Koalition, sagen wir – zwischen Zentrum und Faschisten, nicht eine Etappe zur »demokratischen« Lösung der Frage wäre, sondern eine Stufe zum Staatsstreich unter den für die Faschisten günstigsten Bedingungen.
Das alles bedeutet, daß die Lösung – sogar unabhängig vom Willen des faschistischen Stabes – im Laufe der nächsten Monate, wenn nicht Wochen eintreten muß. Das ist von gewaltiger Bedeutung für die Ausarbeitung der richtigen Politik. Läßt man zu, daß die Faschisten in zwei, drei Monaten die Macht ergreifen, so wird im nächsten Jahr der Kampf mit ihnen zehnmal schwerer sein als in diesem. Alle auf zwei, drei, fünf Jahre im voraus berechneten revolutionären Pläne werden sich als klägliches und schmähliches Geschwätz erweisen, läßt die Arbeiterklasse im Laufe der nächsten zwei, drei, fünf Monate die Faschisten an die Macht kommen. Der zeitliche Kalkül ist bei Kriegsoperationen wie bei der Politik in revolutionären Krisen von entscheidender Bedeutung.
Nehmen wir zur Erläuterung unseres Gedankens eine entfernter liegende Möglichkeit. Hugo Urbahns, der sich für einen »Linkskommunisten« hält, erklärt die deutsche Partei für bankrott, für politisch erledigt und schlägt vor, eine neue Partei zu schaffen. Hätte Urbahns recht, so hieße das, daß der Sieg der Faschisten gesichert wäre, denn zur Schaffung einer neuen Partei bedürfte es Jahre (wobei durchaus nicht erwiesen ist, daß Urbahns Partei auch nur irgendwie besser wäre als die Partei Thälmanns; als Urbahns an der Spitze der Partei stand, gab es keineswegs weniger Fehler).
Ja, würden die Faschisten wirklich die Macht erobern, so bedeutete dies nicht nur die physische Zerschlagung der Kormmunistischen Partei, sondern ihren wahrhaften politischen Bankrott. Eine schmähliche Niederlage gegen Banden von menschlichem Staub – das würde das Vielmillionenproletariat Deutschlands der Kommunistischen Internationale und ihrer deutschen Sektion niemals verzeihen. Die Machtergreifung durch die Faschisten würde daher höchstwahrscheinlich die Notwendigkeit der Schaffung einer neuen revolutionären Partei bedeuten und aller Wahrscheinlichkeit nach auch einer neuen Internationale. Das wäre eine furchtbare historische Katastrophe. Aber heute annehmen, all das sei unvermeidlich, können nur wahrhafte Liquidatoren, die sich unter dem Deckmantel hohler Phrasen in Wirklichkeit daranmachen, feige noch vor dem Kampf und ohne Kampf zu kapitulieren. Mit dieser Auffassung haben wir Bolschewiki-Leninisten, die von den Stalinisten »Trotzkisten« genannt werden, nichts gemein.
Wir sind unerschütterlich davon überzeugt, daß der Sieg über die Faschisten möglich ist – nicht nach ihrer Machtergreifung, nicht nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren ihrer Herrschaft, sondern jetzt, unter den gegebenen Bedingungen, in den kommenden Wochen und Monaten.
Zum Sieg braucht man eine richtige Politik. Das heißt, man braucht vor allem eine Politik, die auf die gegenwärtige Lage berechnet ist, auf die heutige Kräftegruppierung, und nicht auf die Lage, die in ein, zwei oder drei Jahren eintreten soll, wenn die Machtfrage längst schon entschieden sein wird.
Das ganze Unglück besteht darin, daß die Politik des Zentralkomitees der deutschen Kommunistischen Partei teils bewußt, teils unbewußt von der Anerkennung der Unvermeidbarkeit des faschistischen Sieges ausgeht. In der Tat geht in dem am 29. November veröffentlichten Aufruf zur »Roten Einheitsfront« das Zentralkomitee der KPD von dem Gedanken aus, daß man den Faschismus nicht besiegen kann, ohne zuvor die Sozialdemokratie besiegt zu haben. Den gleichen Gedanken wiederholt Thälmann in seinen Artikeln in allen Tonarten. Ist dieser Gedanke richtig? Im historischen Maßstab ist er unbedingt richtig. Das bedeutet aber durchaus nicht, daß man mit seiner Hilfe, das heißt durch seine bloße Wiederholung, die Tagesfragen lösen kann. Ein vom Standpunkt der revolutionären Strategie im ganzen richtiger Gedanke schlägt in Lüge um, übersetzt man ihn nicht in die Sprache der Taktik, Ist es richtig, daß man zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit und Elend den Kapitalismus vernichten muß? Richtig. Aber nur der letzte Dummkopf kann daraus die Folgerung ziehen, daß wir nicht schon heute aus allen Kräften gegen jene Maßnahmen kämpfen müssen, mit deren Hilfe der Kapitalismus das Elend der Arbeiter vergrößert.
Läßt sich hoffen, daß die Kommunistische Partei in den nächsten Monaten sowohl die Sozialdemokratie als auch den Faschismus niederwirft? Kein normal denkender Mensch, der lesen und rechnen kann, würde eine solche Behauptung riskieren. Politisch steht die Frage so: kann man jetzt, im Lauf der kommenden Monate, d.h. bei Existenz einer zwar geschwächten, aber immer noch (zum Unglück) sehr starken Sozialdemokratie, dem Faschismus siegreichen Widerstand leisten? Darauf antwortet das Zentralkomitee verneinend. Mit anderen Worten: Thälmann hält den Sieg des Faschismus für unvermeidlich.
Um meinen Gedanken möglichst klar und konkret vorzuführen, komme ich nochmals auf die Erfahrung mit dem Aufstand von Kornilow zurück. Am 26. August (alten Stils) des Jahres 1917 führte General Kornilow ein Kosakenkorps und eine »wilde« Division gegen Petrograd. An der Macht stand Kerenski, Lakai der Bourgeoisie und zu drei Vierteln Kornilows Bundesgenosse. Lenin befand sich in Illegalität wegen der Anklage, im Dienste der Hohenzollern zu stehen. Der gleichen Anklage wegen saß ich während jener Tage in einer Einzelzelle des Kresty-Gefängnisses. Wie gingen die Bolschewiki in dieser Lage vor? Auch sie hatten ein Recht zu sagen: »Um die Kornilowiade zu besiegen, muß man die Kerenskiade besiegen.« Sie hatten dies mehr als einmal gesagt, denn das war richtig und notwendig für die gesamte weitere Propaganda. Aber das war vollkommen unzureichend, um am 26. August und in den darauffolgenden Tagen Kornilow Widerstand zu leisten und ihm zu wehren, das Petrograder Proletariat abzuschlachten. Daher begnügten sich die Bolschewiki nicht mit einem allgemeinen Aufruf an die Arbeiter und Soldaten, mit den Versöhnlern zu brechen und die Rote Einheitsfront der Bolschewiki zu unterstützen. Nein, die Bolschewiki schlugen den Menschewiki und Sozialrevolutionären eine einheitliche Kampffront vor und schufen mit ihnen gemeinsame Kampforganisationen. War das richtig oder falsch? Möge Thälmann mir das beantworten. Um noch klarer zu zeigen, wie die Sache mit der Einheitsfront stand, will ich folgende Episode anführen: ich begab mich sogleich nach meiner – gegen eine von den Gewerkschaften erlegte Kaution erfolgten – Haftentlassung direkt aus der Einzelzelle ins Komitee für Volksverteidigung, wo ich mit dem Menschewiken Dan und dem Sozialrevolutionär Goz, Bundesgenossen Kerenskis, die mich im Kerker festgehalten hatten, über die Fragen des Kampfes gegen Kornilow diskutierte und Beschlüsse faßte. War das richtig oder falsch? Möge Remmele mir dies beantworten.
Die Sozialdemokratie unterstützt Brüning, stimmt für ihn, übernimmt für ihn die Verantwortung vor den Massen – mit der Begründung, die Brüning-Regierung sei das »kleinere Übel«. Die gleiche Auffassung versucht Die Rote Fahne mir zuzuschreiben [1] – mit der Begründung, daß ich mich gegen die dumme und schändliche Teilnahme der Kommunisten am Hitler-Volksentscheid ausgesprochen habe. [2] Aber haben denn die deutsche Linksopposition und ich im besonderen verlangt, die Kommunisten sollten für Brüning stimmen und ihn unterstützen? Wir Marxisten betrachten Brüning und Hitler samt Braun als verschiedene Teilelemente ein und desselben Systems. Die Frage, wer von ihnen das »kleinere Übel« ist, hat keinen Sinn, denn das System, das wir bekämpfen, benötigt all diese Elemente. Aber diese Elemente befinden sich augenblicklich im Zustand des Konflikts, und die Partei des Proletariats muß diesen Konflikt im Interesse der Revolution ausnützen.
Eine Tonleiter umfaßt sieben Töne. Die Frage, welcher der Töne »besser« sei: Do, Re oder Mi ist eine unsinnige Frage. Der Musikant muß aber wissen, wann und auf welche Taste er zu schlagen hat. Ebenso unsinnig ist die abstrakte Frage, wer das kleinere Übel ist: Brüning oder Hitler. Man muß wissen, auf welche von diesen Tasten zu schlagen ist. Ist das verständlich? Für Verständnisschwache sei noch ein Beispiel angeführt. Wenn einer der Feinde mir täglich mit kleinen Giftportionen zusetzt, der zweite aber aus der Ecke hervorschießen will, so schlage ich vor allem diesem zweiten Feinde den Revolver aus der Hand, denn das gibt mir die Möglichkeit, mit dem ersten Feinde fertig zu werden. Das heißt aber nicht, daß Gift im Vergleich zum Revolver ein »kleineres Übel« ist.
Das Unglück besteht gerade darin, daß sich die Führer der deutschen Kommunistischen Partei auf den gleichen Boden gestellt haben wie die Sozialdemokratie, bloß mit umgekehrtem Vorzeichen: die Sozialdemokraten stimmen für Brüning, indem sie ihn als kleineres Übel anerkennen. Die Kommunisten aber, die Brüning und Braun in jeder Weise das Vertrauen verweigern (und das ist vollkommen richtig gehandelt), gingen auf die Straße, um Hitlers Volksentscheid zu unterstützen, das heißt den Versuch der Faschisten, Brüning zu stürzen. Damit aber haben sie selbst Hitler als das kleinere Übel anerkannt, denn der Sieg des Volksentscheids hätte nicht das Proletariat an die Macht gebracht, sondern Hitler. Fürwahr, es ist eine Pein, solche Abc-Fragen auseinandersetzen zu müssen! Schlecht ist es bestellt, wenn Musikanten wie Remmele, statt die Noten zu unterscheiden, die Klaviatur mit dem Stiefel bearbeiten.
Die Tausende von Noskes, Wels und Hilferdings ziehen letzten Endes den Faschismus dem Kommunismus vor. Aber dazu müssen sie sich endgültig von den Arbeitern loslösen. Heute ist das noch nicht so. Heute gerät die Sozialdemokratie als Ganzes, bei all ihren inneren Widersprüchen, in scharfen Konflikt mit den Faschisten. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen Konflikt auszunützen, und nicht darin, die Widersacher gegen uns zu vereinigen.
Die Front muß jetzt gegen den Faschismus gerichtet werden. Und diese für das ganze Proletariat gemeinsame Front des direkten Kampfes gegen den Faschismus muß man für den von der Flanke geführten, darum aber nicht minder wirksamen Kampf gegen die Sozialdemokratie ausnützen.
Man muß in der Tat die völlige Bereitschaft zeigen, mit den Sozialdemokraten einen Block gegen die Faschisten zu bilden, wo immer sie sich darauf einlassen. Sagt man den sozialdemokratischen Arbeitern: »Werft Eure Führer beiseite und schließt Euch unserer »parteilosen« Einheitsfront an«, so fügt man tausend anderen nur eine weitere hohle Phrase hinzu. Man muß verstehen, die Arbeiter in der Wirklichkeit von den Führern loszulösen. Die Wirklichkeit aber ist jetzt – der Kampf gegen den Faschimus.
Es gibt und wird zweifellos sozialdemokratische Arbeiter geben, die bereit sind, Hand in Hand mit den kommunistischen Arbeitern gegen die Faschisten zu kämpfen, unabhängig vom Willen und sogar gegen den Willen der sozialdemokratischen Organisationen. Mit solchen fortschrittlichen Elementen muß man selbstverständlich möglichst enge Bindungen herstellen. Aber sie sind vorderhand nicht von großer Zahl. Der deutsche Arbeiter ist erzogen im Geist von Organisation und Disziplin. Das hat seine starken und schwachen Seiten. Die überwiegende Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter will gegen die Faschisten kämpfen, aber – vorwiegend noch – nicht anders als gemeinsam mit ihrer Organisation. Diese Etappe läßt sich nicht überspringen. Wir müssen den sozialdemokratischen Arbeitern helfen, in der Praxis – in der neuen, außergewöhnlichen Situation – zu überprüfen, was ihre Organisationen und Führer wert sind, wenn es um Leben und Tod der Arbeiterklasse geht.
Das Unglück besteht darin, daß es im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei viele erschrockene Opportunisten gibt. Sie haben gehört, daß der Opportunismus sich in der Vorliebe für Bündnisse zeigt, darum sind sie gegen Blocks. Sie begreifen nicht den Unterschied zwischen, sagen wir, parlamentarischen Abkommen und einer – selbst noch so bescheidenen – Kampfvereinbarung für einen Streik oder Schutz von Arbeiterdruckereien vor faschistischen Banden.
Wahlabkommen, parlamentarische Vereinbarungen, die zwischen der revolutionären Partei und der Sozialdemokratie abgeschlossen werden, dienen in der Regel zum Vorteil der Sozialdemokratie. Praktische Vereinbarungen über Massenaktionen, über Kampfziele sind immer zum Nutzen der revolutionären Partei. Das Anglo-Russische Komitee [3] war eine unzulässige Art der Blockbildung zweier Spitzen, auf gemeinsamer politischer Plattform, unbestimmt, trügerisch, zu keinerlei Aktion verpflichtend. Die Aufrechterhaltung dieses Blocks in der Zeit des Generalstreiks, wo der Generalrat eine Streikbrecherrolle versah, bedeutete seitens der Stalinisten, eine Verräterpolitik zu führen.
Keine gemeinsame Plattform mit der Sozialdemokratie oder den Führern der deutschen Gewerkschaften, keine gemeinsamen Publikationen, Banner, Plakate! Getrennt marschieren, vereint schlagen! Sich nur darüber verständigen, wie zu schlagen, wen zu schlagen und wann zu schlagen! Darüber kann man mit dem Teufel selbst sich verständigen, mit seiner Großmutter und sogar mit Noske und Grzesinsky. Unter einer Bedingung: man darf sich nicht die eigenen Hände binden!
Ohne Verzug muß endlich ein praktisches System von Maßnahmen ausgearbeitet werden – nicht mit dem Ziel der bloßen »Entlarvung« der Sozialdemokratie (vor den Kommunisten), sondern mit dem Ziel des tatsächlichen Kampfes gegen den Faschismus. Die Frage des Betriebsschutzes, der freien Tätigkeit der Betriebsräte, der Unantastbarkeit der Arbeiterorganisationen und -einrichtungen, der Waffenlager, die von den Faschisten geplündert werden können, Maßnahmen für den Fall der Gefahr, die Koordinierung der Kampfhandlungen der kommunistischen und sozialdemokratischen Abteilungen usw. müssen in dieses Programm aufgenommen werden.
Im Kampf gegen den Faschismus kommt den Betriebsräten gewaltige Bedeutung zu. Hier ist ein besonders genaues Aktionsprogramm notwendig. Jeder Betrieb muß ein antifaschistisches Bollwerk werden, mit eigenen Kommandanten und eigenen Kampfmannschaften. Man muß eine Karte der faschistischen Kasernen und der übrigen faschistischen Herde in jeder Stadt, in jedem Bezirk haben. Die Faschisten versuchen, die revolutionären Zentren zu umzingeln. Die Umzingler müssen umzingelt werden. Auf diesem Boden ist ein Übereinkommen mit den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen nicht nur zulässig, sondern Pfllicht. Darauf aus »prinzipiellen« Erwägungen verzichten (in Wirklichkeit aus bürokratischer Dummheit oder noch ärger: aus Feigheit), heißt direkt und unmittelbar dem Faschismus zu helfen.
Ein praktisches Programm von Vereinbarungen mit den sozialdemokratischen Arbeitern haben wir schon im September 1930 (Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland), das heißt vor eineinviertel Jahren, vorgeschlagen. Was hat die Leitung in dieser Richtung unternommen? Fast nichts.
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei hat sich mit allem befaßt, außer mit dem, was seine direkte Aufgabe war. Wieviel wertvolle, unwiederbringliche Zeit ist versäumt! Wahrhaftig, es ist nicht mehr viel Zeit geblieben. Das Aktionsprogramm muß streng praktisch, streng sachlich sein, ohne alle künstlichen »Ansprüche«, ohne jegliche Hintergedanken, so daß jeder durchschnittliche sozialdemokratische Arbeiter sich sagt: was die Kommunisten vorschlagen, ist ganz unerläßlich für den Kampf gegen den Faschismus. Auf dieser Basis muß man die sozialdemokratischen Arbeiter durch das Beispiel mit sich vorwärts ziehen und ihre Führer kritisieren, die dem unvermeidlich entgegenwirken und bremsen werden. Nur auf diesem Weg ist der Sieg möglich.
Die jetzigen Epigonen, durch und durch schlechte Schüler Lenins, lieben es, bei jedem Anlaß ihre Lücken mit – nicht selten ganz unangebrachten – Zitaten zu stopfen. Für den Marxisten wird die Frage nicht durch ein Zitat gelöst, sondern durch die richtige Methode. Läßt man sich von einer richtigen Methode leiten, ist es nicht schwer, auch passende Zitate zu finden. Nachdem ich den oben angeführten Vergleich mit dem Kornilowschen Aufstand gezogen hatte, sagte ich mir: wahrscheinlich kann man bei Lenin eine theoretische Erläuterung unseres Blocks mit den Versöhnlern im Kampf gegen Kornilow finden. Und tatsächlich, im zweiten Teil des 14. Bandes der russischen Ausgabe fand ich die folgenden Zeilen in einem Brief an das Zentralkomitee, geschrieben Anfang September 1917:
»Die Kerenskiregierung dürfen wir selbst jetzt nicht unterstützen. Das wäre Prinzipienlosigkeit. Man wird fragen: Sollen wir etwa nicht gegen Kornilow kämpfen? Natürlich sollen wir das! Aber das ist nicht dasselbe; da gibt es eine Grenze, sie wird von manchen Bolschewiki überschritten, die in »Verständigungspolitik« verfallen, sich vom Strom der Ereignisse mitreißen lassen.
Wir werden kämpfen, wir kämpfen gegen Kornilow ebenso wie die Truppen Kerenskis, aber wir unterstützen Kerenski nicht, sondern entlarven seine Schwäche. Das ist ein Unterschied. Das ist ein recht feiner, aber überaus wesentlicher Unterschied, den man nicht vergessen darf.
Worin besteht nun die Änderung unserer Taktik nach dem Aufstand von Kornilow?
Darin, daß wir die Form unseres Kampfes gegen Kerenski ändern. Ohne unsere Feindschaft gegen ihn auch nur um einen Deut zu mildern, ohne ein Wort von dem, was wir gegen ihn gesagt haben, zurückzunehmen, ohne auf die Aufgabe zu verzichten, Kerenski zu stürzen, sagen wir: Man muß der Situation Rechnung tragen, jetzt werden wir Kerenski nicht stürzen, wir werden jetzt an die Aufgabe, den Kampf gegen ihn zu führen, anders herangehen, und zwar werden wir das Volk (das gegen Kornilow kämpft) über Kerenskis Schwäche und über seine Schwankungen aufklären.«
Nichts anderes schlagen wir vor. Vollkommene Unabhängigkeit der kommunistischen Organisation und Presse, vollkommene Freiheit der kommunistischen Kritik, auch der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften gegenüber. Nur verächtliche Opportunisten können eine Einschränkung der Freiheit der Kommunistischen Partei zulassen (z.B. im Wege des Eintritts in die Kuomintang [4]). Wir zählen nicht zu ihnen.
Nichts zurücknehmen von unserer Kritik an der Sozialdemokratie. Nichts vergessen von dem, was war. Die gesamte historische Rechnung, darunter auch die Rechnung für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wird eines Tages präsentiert werden, so wie auch die russischen Bolschewiki letzten Endes den Menschewiki und Sozialrevolutionären die Generalabrechnung für Hetze, Verleumdung, Verhaftungen, Mord an Arbeitern, Soldaten und Bauern präsentiert haben.
Aber wir haben unsere Generalabrechnung präsentiert, zwei Monate nachdem wir die Teilabrechnung zwischen Kerenski und Kornilow, zwischen »Demokraten« und Faschisten, dazu benutzt hatten, die Faschisten umso sicherer zurückzuschlagen. Nur darum haben wir gesiegt.
Wenn das Zentralkomitee der KPD sich die Haltung zu eigen macht, die im oben angeführten Lenin-Zitat zum Ausdruck kommt, wird sich das Herangehen an die sozialdemokratische Masse und die Gewerkschaftsorganisationen mit einem Schlag ändern: statt der Artikel und Reden, die überzeugend nur für die sind, die ohnehin schon überzeugt sind, werden die Agitatoren eine gemeinsame Sprache mit neuen Hunderttausenden und Millionen von Arbeitern finden. Die Differenzierung in der Sozialdemokratie wird mit verstärktem Tempo vor sich gehen. Die Faschisten werden bald spüren, daß die Aufgabe durchaus nicht darin besteht, Brüning, Braun und Wels zu betrügen, sondern darin, den offenen Kampf mit der ganzen Arbeiterklasse aufzunehmen. Im Faschismus wird dann auf dieser Ebene unvermeidlich eine tiefe Differenzierung vor sich gehen. Nur auf diesem Wege ist ein Sieg möglich.
Aber diesen Sieg muß man wollen. Es gibt unter den kommunistischen Funktionären nicht wenige feige Karrieristen und Bonzen, denen ihr Plätzchen, ihr Einkommen teuer ist und mehr noch – ihre Haut. Diese Leute sind sehr geneigt, mit ultraradikalen Phrasen zu prunken, hinter denen sich kläglicher und verächtlicher Fatalismus verbirgt. »Ohne Sieg über die Sozialdemokratie kann man sich mit dem Faschismus nicht schlagen!«, sagt so ein schrecklicher Revolutionär, und aus diesem Grund ... besorgt er sich einen Reisepaß.
Arbeiter-Kommunisten, Ihr seid Hunderttausende, Millionen; Ihr könnt nirgendwohin wegfahren, für Euch gibt es nicht Reisepässe genug. Wenn der Faschismus an die Macht kommt, wird er wie ein furchtbarer Tank über Eure Schädel und Wirbelsäulen hinwegrollen. Rettung liegt nur in unbarmherzigem Kampf. Und Sieg kann nur das Kampfbündnis mit den sozialdemokratischen Arbeitern bringen. Eilt, Arbeiter-Kommunisten, Ihr habt nicht mehr viel Zeit!
1. Siehe z.B. der Artikel von Thälmann Einige Fehler in unserer theoretischen und praktischen Arbeit und der Weg zu ihrer Überwindung vom Dezember 1931 in: E. Thälmann: Reden und Aufsätze 1930-1933, Bd.1, S.301. Man lese auch den Ausschnitt aus einer Rede, die Ernst Thälmann im Hamburger Wahlkampf gehalten hatte, und unter dem Titel Die SPD-Arbeiter und das »kleinere Übel« in der Hamburger Volkszeitung vom 18.9.1931 abgedruckt war, und worin die von Trotzki kritisierten Vorstellungen vom »kleineren Übel« konzentriert zutage treten.
2. Siehe den Artikel Gegen den Nationalkommunismus – Lehren des »Roten Volksentscheid«.
3. Mit dem »Anglo-Russischen Komitee«ist das »Vereinigte beratende Komitee der Gewerkschaftsbewegung Großbritanniens und der UdSSR« gemeint, das im April 1925 in London von den Spitzen der britischen (Generalrat – General Council) und sowjetischen Gewerkschaften gebildet wurde. Es wurde erst lange nach der Niederlage des englischen Generalstreiks vom 3. bis 12. Mai 1926 aufgelöst, am 8.9.1927.
4. Anfang 1924 trat die chinesische KP in die bürgerlich-nationalistische Partei Kuomintang (Guomindang) ein, wobei sie auf öffentliche Kritik an der Kuomintang verzichtete und sich zur Einhaltung der Parteidiszipolin der Kuomintang verpflichtete.
Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008