August Thalheimer

 

Über die sogenannte Wirtschafts-Demokratie

(1928)


Zuerst erschienen in Die Einheit – Zeitschrift für Fragen des Sozialismus und der Gewerkschaftseinheit. [1]
Transkription: Heinz Hackelberg.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


1. Ist Wirtschaftsdemokratie überhaupt möglich?

Der Hamburger Kongreß des allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB.) war beherrscht von dem Bestreben, die schon seit längerem von den Gewerkschaftsleitungen ausgegebene Losung der sogenannten Wirtschaftsdemokratie zu klären, ihr einen bestimmten Inhalt zu geben und sie zur Zentralachse der gewerkschaftlichen Propaganda zu machen. Dieses Bestreben der Gewerkschaften ist ein höchst wichtiges Symptom. Zeigt es doch, daß eine Lage entstanden ist, in der die Leitungen der wirtschaftlichen Massenorganisationen der Arbeiterklasse sich nicht mehr damit begnügen können, nur um die unmittelbarsten Forderungen, wie Lohn und Arbeitszeit, zu kämpfen oder sich ganz allgemein zum Sozialismus zu bekennen, sondern in der sie genötigt sind, den Millionen Gewerkschaftsmitgliedern einen konkreten Weg aus der gegenwärtigen kapitalistischen in die zukünftige sozialistische Wirtschaftsweise zu zeigen. Die Tatsache, daß die Gewerkschaftsführer, die sonst die Neigung haben, in den unmittelbaren kleinen und kleinsten Tagesaufgaben des Gewerkschaftskampfes sich zu verlieren, genötigt sind, jetzt ein weiteres und größeres Ziel ins Auge zu fassen, das des Weges zum Sozialismus, zeigt zum mindesten Eines: daß die Frage des Kampfes um den Sozialismus reifer und dringlicher geworden ist als je, daß sie bereits eine Frage geworden ist, die Millionen von Arbeitern aus ihrer Lage heraus stellen.

Um so notwendiger ist es, die Antwort, die darauf der Gewerkschaftskongreß gegeben hat, indem er die Losung der „Wirtschaftsdemokratie“ ausgab, auf das gründlichste daraufhin zu prüfen, ob sie wirklich ein gangbarer Weg zum Sozialismus ist – oder vielleicht nur eine Täuschung, eine Luftspiegelung.

Es muß jeden klassenbewußten Arbeiter schon stutzig machen, daß die Kapitalisten die Losung der Wirtschaftsdemokratie ohne Aufregung, ja mit Wohlwollen aufgenommen haben; ja, daß so ein ausgesprochener Vertreter und Beauftragter kapitalistischer Interessen wie der Reichswirtschaftsminister Curtius sich selbst als Anhänger der Wirtschaftsdemokratie dem Kongreß vorstellte und bestimmte gesetzgeberische Schritte in Aussicht stellte, die auf dem Wege der Wirtschaftsdemokratie liegen sollten. Es ist aber kaum anzunehmen, daß ein so klassenbewußter kapitalistischer Vertreter die Losung der Wirtschaftsdemokratie begrüßen würde, wenn er in ihr eine ernste Gefahr für den Bestand der kapitalistischen Ausbeutung und die Existenz seiner Klasse erblicken würde. Ja, es ist umgekehrt anzunehmen, daß er von dieser Losung gewisse Vorteile für seine Klasse erwartet. Welches diese Vorteile sind, das ist in einem Artikel von E. Nölting, des Direktors der Staatlichen Wirtschaftsschule Berlin über die Wirtschaftsdemokratie, der in der „Vossischen Zeitung“ vom 7. September erschien, deutlich ausgesprochen.

Er sagt hier, zwar sei „noch keine Wirtschaftsdemokratie als erreichter und abgeschlossener Zustand“ vorhanden, wohl aber sei „vorhanden und in Fluß ein Prozeß der Wirtschaftsdemokratisierung, eine Entwicklung zur Wirtschaftsdemokratie (Reichswirtschaftsrat, Reichskohlenrat, Reichskalirat, Zentralausschuß der Reichsbank, Reichswasserstraßenbeirat, Beirat für das Branntwein (S.9) monopol usw.)“. Gehe man auf diesem Wege weiter, „dann wird trotz Mechanisierung ein aufgestauter Strom von Arbeitslust einströmen in unsere versandende Wirtschaft, wenn man statt der widerwilligen Arbeitsleistung der Industrieheloten die freiwillige Arbeitsbereitschaft des Industriebürgers zu wecken vermöchte“.

Das also ist des Pudels Kern: die kapitalistischen Vertreter und Sprecher erwarten von dem, was die Gewerkschaftsführer unter „Wirtschaftsdemokratie“ verstehen, keine Bedrohung des Bestandes der kapitalistischen Gesellschaft, sondern eine willigere Mitarbeit der Arbeiter an „unserer“, d.h. der kapitalistischen Wirtschaft. Man muß aber annehmen, daß die Herren Kapitalisten sich sehr wohl auf ihr Klasseninteresse verstehen, und man muß umgekehrt schließen, daß für die Arbeiterklasse die Losung der „Wirtschaftsdemokratie“, statt ein Wegweiser auf die Höhen des Sozialismus zu sein, ein Irrlicht ist, das sie noch tiefer in den kapitalistischen Sumpf hineinführt.

Also ist eine strenge Untersuchung geboten:

Wir wollen untersuchen:

  1. Ist so etwas wie „Wirtschaftsdemokratie“ überhaupt möglich? Hat dieses Wort oder dieser Gedanke einen wirklichen vernünftigen Sinn?
     
  2. Führen die Schritte, Einrichtungen und Bestrebungen, die man unter dem Namen „Wirtschaftsdemokratie“ zusammenfaßt, wirklich zum Sozialismus?
     
  3. Kann auf dem Wege und mit den Mitteln der Wirtschaftsdemokratie auch nur die gegenwärtige Lage der Arbeiter verbessert werden? Und zuletzt wollen wir unsere Ansicht über den Weg zum Sozialismus kurz angeben, insbesondere soweit diese Frage mit der des Gewerkschaftskampfes verbunden ist.

Beginnen wir mit dem ersten, mit der Frage also, ob so etwas wie „Wirtschaftsdemokratie“ überhaupt möglich ist, ob das nur ein Wort oder ein inhaltsvoller, realer Gedanke ist.

Wir müssen zu diesem Zweck erst feststellen, was der Gewerkschaftskongreß unter dem Wort „Wirtschaftsdemokratie“ verstanden wissen will, welchen Inhalt es haben soll. Darüber gibt uns am zuverlässigsten Aufschluß die vom Kongreß gegen die wenigen Stimmen der kommunistischen Vertreter angenommene Resolution über die Wirtschaftsdemokratie.

Die Resolution beginnt mit dem Bekenntnis zum Sozialismus als der höheren Wirtschaftsweise im Vergleich zur kapitalistischen. Die Demokratisierung der Wirtschaft führte aber zum Sozialismus. Es sei in erster Linie Aufgabe der Gewerkschaften, diesen Weg zu zeigen und auf ihm zu führen. Der Umwandlungsprozeß der Wirtschaft sei aber kein „fernes Zukunftsbild“, sondern ein täglich fortschreitender Entwicklungsprozeß.

Was ist aber die „Demokratisierung der Wirtschaft“?

Die „Demokratisierung der Wirtschaft“, so antwortet die Resolution wörtlich, “bedeutet die schrittweise Beseitigung der Herrschaft, die sich auf dem Kapitalbesitz aufbaut und die Umwandlung der leitenden Organe der Wirtschaft aus Organen der kapitalistischen Interessen in solche der Allgemeinheit“. Diese Demokratisierung erfolge schrittweise, indem gleichzeitig mit dem Kapitalismus ein „Strukturwandel“, d.h. eine Verwandlung seines Wesens, vor sich gehe. Dann werden eine Reihe von Erscheinungen angegeben, die bereits auf dem Wege der Wirtschaftsdemokratie liegen sollen und weitere konkrete Schritte angezeigt, die den ersten folgen sollen, teils Forderungen an die Gesetzgebung und öffentliche Verwaltung, teils der Aufbau neuer „demokratischer Wirtschaftsformen“ durch die organisierte Arbeiterschaft selber.

Was jemand, der auf dem Boden der marxistischen Geschichtstheorie und Ökonomie steht, zunächst in Erstaunen setzen muß, das ist die Verquickung der Begriffe Demokratie und Wirtschaft, die auf ganz verschiedenen Ebenen liegen, ganz verschiedenen Gebieten angehören und durch deren Verquickung nur eine unglaubliche Gedankenverwirrung entstehen kann.

Die Demokratie oder sogenannte Volksherrschaft stammt aus dem politischen Oberbau, sie bezeichnet eine Form der politischen Herrschaft oder der politischen Organisation.

Was hat das mit der Wirtschaft zu tun? Absolut nichts! Die entscheidende Frage über das Wesen einer Wirtschaftsweise ist die: Welche Klasse verfügt über die Produktionsmittel und daher über den Mehrwert und seine Teile? Ob die Klasse, die über die Produktionsmittel verfügt, demokratisch, monarchisch oder oligarchisch politisch organisiert ist, das ist gänzlich unerheblich für die Beurteilung des Grundcharakters der Wirtschaft.

Wir wählen zur Erläuterung absichtlich einige Beispiele aus der vorkapitalistischen Wirtschaftsgeschichte, da wir hier auf unbefangenere Beurteilung rechnen können. Die Gesellschaft des sogenannten klassischen Altertums, der Griechen und Römer, beruht bekanntlich auf der Sklavenwirtschaft. Die Produktionsmittel, Grund und Boden, Werkzeuge, samt der menschlichen Arbeitskraft, den Sklaven, sind im Besitz der herrschenden Klasse der Freien, der Sklavenbesitzer. Die politische Organisation dieser Sklavenbesitzer umfaßte aber bekanntlich alle möglichen Formen, die demokratische (wie z.B. in Athen), die oligarchische (zeitweilig in Athen und in anderen Städten Griechenlands), die einer absoluten Monarchie (wie in der römischen Kaiserzeit). An dem Grundcharakter der antiken Wirtschaft hat das absolut nichts geändert. Ob die Sklavenbesitzer demokratisch, oligarchisch oder monarchisch politisch organisiert waren, ließ die grundlegende ökonomische Frage völlig unberührt: Welche Klasse verfügt über die Produktionsmittel und demnach über das Mehrprodukt? Welche Klasse herrscht also ökonomisch, und welche Klasse wird ökonomisch beherrscht?

Dasselbe trifft offenbar auch auf die kapitalistische Wirtschaftsweise zu. Auch hier ist die Grundfrage, die über den Charakter der Wirtschaft und die Rolle der Klassen in ihr entscheidet: Welche Klasse besitzt die Produktionsmittel, in unserem Falle das Kapital? Ob die politische Organsiation der kapitalistischen Gesellschaft demokratisch, aristokratisch oder monarchistisch ist, das ändert nicht das Geringste an ihrem ökonomischen Grundcharakter. In der Tat: die kapitalistische Gesellschaft hat in ihrem Werdegang in den einzelnen Ländern mindestens so mannigfache Arten der politischen Organisation gehabt wie die auf Sklavenwirtschaft beruhende antike Gesellschaft: ohne daß sich in ihrem Wesen in der grundlegenden Rolle der Klassen irgend etwas änderte.

Dies trifft selbst für die sozialistische Wirtschaft zu oder diejenige, die sich von kapitalistischen Formen zu sozialistischen entwickelt, wie dies heute in Sowjet-Rußland der Fall ist. Niemand fällt es etwa ein, den sozialistischen Abschnitt der Wirtschaft Sowjet-Rußlands, seine Industrie, sein Bankwesen usw. als Wirtschaftsdemokratie oder demokratische Wirtschaft zu bezeichnen. Und als in den Auseinandersetzungen über die Gewerkschaftsfragen mit Trotzki und Bucharin diese beiden den Ausdruck „Produktionsdemokratie“ in die Debatte warfen, wandte sich Lenin mit aller Stärke dagegen und lehnte diesen Begriff als theoretische Verwirrung, als falsch ab. „Die Produktion“, bemerkte er, „ist stets vonnöten. Die Demokratie ist eine der Kategorien auf politischem Gebiet.“ (N. Lenin, Ausgewählte Werke, S.595.)

Und an einer anderen Stelle:

„Dieser Ausdruck ,Produktionsdemokratie' ist theoretisch falsch. Jede Demokratie, wie der politische Überbau, der unvermeidlich ist, solange die Aufhebung der Klassen nicht abgeschlossen, solange eine klassenlose Gesellschaft nicht entstanden ist, dient letzten Endes der Produktion und wird letzten Endes durch die Produktionsverhältnisse der betreffenden Gesellschaft bestimmt. Deshalb besagt die Absonderung der ,Produktionsdemokratie' von jeder anderen Demokratie nichts: das ist ein Durcheinander und eine hohle Phrase“ (S.609).

Zehnfach gilt dies Urteil von der „Wirtschaftsdemokratie“. Der Ausdruck und der Gedanke ist ein „Durcheinander, eine hohle Phrase“, ja ein abgefeimter Betrug, denn es soll hier den Arbeitern suggeriert werden, daß durch den Beisatz der „Demokratie“ am Wesen der kapitalistischen Ausbeutung, am Verhältnis der Kapitalisten zur Arbeiterklasse irgend etwas geändert würde.

Die „Wirtschaftsdemokratie“ ist ein unmöglicher, unsinniger Begriff, ein Begriffsbastard, der den vollständigen Bruch mit den Grundbegriffen der marxistischen Ökonomie und Gesellschaftstheorie bedeutet, eine hohle bürgerliche Phrase zur Irreführung der Arbeiterklasse.

Entweder ist die Kapitalistenklasse Besitzerin der Produktionsmittel oder die Arbeiterklasse ist es. Nur so steht die Frage. Ihr könnt zu der kapitalistischen Wirtschaft hundertfach den Beisatz „Demokratie“ setzen, so ändert das nicht das Geringste am Wesen der Sache. Selbst für die sozialistische Wirtschaft hat der Beisatz „demokratisch“ nicht den geringsten Sinn, denn der Ausdruck „demokratisch“ oder „nicht demokratisch“ sagt in einem oder dem anderen Falle nicht das mindeste darüber, in welcher Weise die eine oder die andere Klasse wirtschaftet.

Der wirkliche Gedanke, der hinter der sinnlosen Kleinbürgerphrase von einer Wirtschaftsdemokratie steckt, ist der von der Möglichkeit, ja der Wirklichkeit eines schrittweisen Abbaus des kapitalistischen Eigentums und Verfügungsrechtes, letzten Endes der Verfügung der Kapitalistenklasse über die Produktionsmittel. Darüber im folgenden Artikel.
 

2. Das Eindringen in die Organe der kapitalistischen Monopole

a) Die Theorie

Wir wiesen in unserem einleitenden Artikel nach, daß der Begriff der „Wirtschaftsdemokratie“ eine hohle kleinbürgerliche Phrase ist, im Widerspruch mit den Grundlagen der marxistischen Ökonomie und Geschichtstheorie überhaupt. Wir bewiesen, daß die Verbindung des ökonomischen Begriffes der kapitalistischen Wirtschaft mit dem politischen Begriff der Demokratie ebensowenig einen Sinn hat, wie die Verbindung der Begriffe sozialistische Wirtschaft und Demokratie.

Will man schon aus dem Begriff der bürgerlichen Demokratie etwas herausziehen, was auf die Wirtschaft übertragen werden könnte, so könnte das höchstens der Gedanke der „Gleichheit“ der einzelnen Gesellschaftsmitglieder in wirtschaftlicher Hinsicht sein. Wie könnte diese wirtschaftliche „Gleichheit“ sich äußern? Entweder in der Gleichheit der Vermögen oder in der „gleichen Chance“ für jedermann, wie der amerikanische platte Philisterausdruck lautet. Man käme also zu einer kleinbürgerlich-reaktionären Utopie; sie bedeutete die Zurückschraubung der kapitalistischen Wirtschaft auf die Stufe der bäuerlichen oder handwerkerlichen Einzelwirtschaft, also gleich um einige Jahrhunderte zurück. Eine solche kleinbürgerlich-reaktionäre Wirtschaftsutopie konnte allenfalls ein unentwickeltes Proletariat ansprechen, das sich aus dem untergehenden Handwerk oder Bauerntum rekrutiert: so in Frankreich und Deutschland in den 40er bis 60er Jahren. Es genügt, an Proudhon und Schulze-Delitzsch zu erinnern.

Mit der endgültigen Entscheidung zwischen Kapital und Handwerkswirtschaft, mit der Entwicklung schließlich des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum monopolistischen Kapitalismus mußte eine solche Kleinbürgerutopie jede Wirkung auf die Arbeiterklasse verlieren.

Die demokratische Kleinbürgerutopie muß jetzt also neue Formen annehmen, die dem Monopolkapitalismus angepaßt sind.

Einen ersten Versuch in dieser Richtung hat bekanntlich in der deutschen Sozialdemokratie der Revisionismus unter Führung Eduard Bernsteins unternommen (Ende der 90er Jahre). Sieht man ab von der Rolle der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der Sozialreform für das geträumte „Hineinwachsen in den Sozialismus“, so blieb als einzige originelle Entdeckung des Revisionismus auf diesem Gebiete der Gedanke – daß die Aktiengesellschaften so etwas wie die Demokratisierung des Kapitals bedeuten. Insbesondere waren es die Kleinaktien, die dem Revisionismus einen „demokratischen“ Geruch an sich zu haben schienen. Indessen hat die wirkliche Entwicklung der AktiengeselIschaften diesen kindlichen Traum rasch zerstört. Die Aktiengesellschaften wurden das Mittel, um die Ersparnisse und Überschüsse der Kleinproduzenten, zum Teil auch von Arbeitern, den monopolistischen Kapitalriesen zur Verfügung zu stellen. Auch der gutmütigste Träumer kann sich heute nicht mehr einbilden, daß die kleinen Aktienbesitzer bei der Leitung der großen Truste, Konzerne, Kartelle usw. irgend etwas zu sagen haben. Die Praxis hat inzwischen schlagend bestätigt, was die marxistische Theorie sofort feststellte: daß die Aktiengesellschaften das Mittel sind, um einer immer mehr zusammenschrumpfenden Zahl von Kapitalmagnaten die unmittelbare oder mittelbare Verfügungsgewalt über absolut und relativ (im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtreichtum) immer mehr anschwellende Kapitalmassen zu geben.

Nachdem auch diese Seifenblase geplatzt war, mußte man etwas Neues auf die Bahn bringen, um eine Tendenz zur „Demokratisierung“ mitten im Monopolkapitalismus zu entdecken. Diese neue Form eines ehrwürdigen Irrtums ist der Gedanke des Eindringens der Gewerkschaften und dadurch der Arbeiterklasse in die leitenden Organe der Kapitalmonopole, ihre Eroberung „von innen her“.

„Wir Gewerkschaften müssen uns fragen“, so drückte das Mitglied des Vorstandes des ADGB, Eggert diesen „Gedanken“ auf dem Hamburger Gewerkschaftskongreß aus, „wie können wir besser kämpfen, von außen her oder durch Eindringung (!) in die Organe der kapitalistischen Wirtschaft, in die Monopole ... Was ist wichtiger“, ruft Eggert pathetisch aus, „Massenaktionen, Straßendemonstrationen oder Eindringung in die Organe der kapitalistischen Wirtschaft?“ Diese „Eindringung“, wie Eggert so schön sagt, wird also entgegengestellt dem Klassenkampf der Arbeitermassen. In der Tat, sie liegt auf ganz anderem Gebiet: nicht auf dem Gebiet des Klassenkampfes, sondern auf dem Gebiet des Klassenfriedens, der Klassenharmonie mit dem Kapital. Genau wie die „Eindringung“ sozialdemokratischer Minister usw. in bürgerliche Regierungen den gemeinsamen Boden des bürgerlichen Staates zur Grundlage hat und nur auf diesem Boden möglich ist, so hat die „Eindringung“ von Gewerkschaftsvertretern in die Aufsichtsräte usw. kapitalistischer Monopole zur Grundlage den gemeinsamen Boden der kapitalistischen Wirtschaft und ihre Wirksamkeit in diesen Monopolen kann der Natur der Sache nach keine andere sein.

Und zwar beruht das auf einem der grundlegendsten Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft, das äußerst „demokratisch“ ist, dem Gesetz der Durchschnittsprofitrate, wonach die Portionen des Mehrwerts (Profit, Grundrente, Zinsen) sich entsprechend den Kapitalgrößen verteilen. Ein Kapital von 1 Million Mark gilt da genau dasselbe, wie ein anderes Kapital von derselben Größe. Entsprechend ist der Einfluß auf Umfang und Art der Produktion, technische Leitung, Preisbestimmung letzten Endes bestimmt. Dieses so „demokratische“ Grundgesetz des Kapitalismus beschränkt aber die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat einer kapitalistischen Gesellschaft in allen entscheidenden Fragen der Produktion unfehlbar auf den Anteil, der ihrem Kapitalanteil, ihrer zahlenmäßigen Kapitalmacht entspricht, also praktisch auf Null. Die absolute oder relative Zahl der Gewerkschaftsvertreter hat hier nichts zu besagen, denn diese Demokratie zählt nicht ihre Stimmen, sondern sie wägt sie sehr exakt nach Mark und Pfennig, nach Franken, Pfund Sterling und Dollars. Dieses ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus ist nicht nur nicht durch irgendwelche juristischen Gesetze des bürgerlichen Staates aus den Angeln zu heben: umgekehrt, es ist die Grundlage bürgerlicher Gesetzgebung. Es kann nur aufgehoben werden, indem die kapitalistische Grundlage, das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben wird, durch die „Expropriation der Expropriateure“. Ein „stufenweiser“ Abbau des Kapitalismus auf diesem Wege setzte also voraus einen stufenweisen Aufbau der Kapitalmacht der Gewerkschaften: die alberne Idee, daß die Arbeiter mit ihren Spargroschen oder Gewerkschaftsbeiträgen allmählich das Kapital einholen, überflügeln und schließlich „auskaufen“ können. So grob und nackt diesen „Gedanken“ auszusprechen, hüten sich natürlich die Eggert, Tarnow, Naphtali usw., aber dieser alte Kohl ist die Grundlage, auf der der Gedanke einer allmählichen „Eroberung“ der Kapitalmonopole von “innen her“ überhaupt nur greifbar ist.
 

b) Die Praxis

Die Praxis aber liefert die schlagenden Belege für diese Elementarlehren der marxistischen Ökonomie. Sie zeigt nicht nur, daß die Gewerkschaften auf diesem Wege den Kapitalmonopolen auch kein Haar krümmen können, Sie zeigt weiter, daß die Gewerkschaftsvertreter in diesen Monopolen bestimmte rein kapitalistische Funktionen vollziehen, so daß ihre Anwesenheit in den „Organen“ der Kapitalmonopole, diese nicht hemmt oder einschränkt zugunsten der Arbeiterklasse, sondern sie fördert, ihnen bestimmte Aufgaben erleichtert oder abnimmt.

Den Beweis für diese Behauptungen entnehmen wir dem Material, das in der von F. Naphtali, dem Referenten des Hamburger Gewerkschaftskongresses, im Auftrage des ADGB herausgegebenen Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie enthalten ist. Man kann jedenfalls annehmen, daß in dieser Denkschrift alle einschlägigen Tatsachen herangezogen sein werden, die für die „Wirtschaftsdemokratie“ sprechen.

Die Paradestücke für das „Eindringen“ der „Gewerkschaften“ in die kapitalistischen Monopole sind der Reichskohlenrat und der Reichskalirat. Daneben gibt es noch eine entsprechende Körperschaft für die Eisen- und die Elektrizitätsindustrie. Der „Eisenwirtschaftsbund“ verzichtete aber bereits durch Beschluß der Vollversammlung im April 1921 auf die Preisfestsetzung und übertrug diese Befugnis zunächst dem Reichswirtschaftsminister. „Damit war der Eisenwirtschaftsbund jeder praktischen Funktion beraubt; er ist ganz bedeutungslos geworden und seit der Stabilisierung überhaupt nicht mehr zusammenberufen worden, wenngleich bis heute die Verordnung nicht offiziell aufgehoben worden ist.“ (Wirtschaftsdemokratie, S.42.)

Der Eisenwirtschaftsbund samt dem zugehörigen Eisenrat ist also eines seligen Todes verblichen, und wir brauchen uns nicht weiter um diesen verfaulten Embryo der Wirtschaftsdemokratie kümmern.

Ein ebensolcher verkümmerter Embryo ist der „Elektrizitätsbeirat“, ebenfalls ein Erzeugnis des famosen Jahres 1919, in dem die Sozialisierung „marschierte“ und die Sozialisierungskommission Ballen Papiers beklexte, während Noske und die Seinen die Proletarier mit Maschinengewehren über den wahren Sinn der Sozialisierung belehrten.

Die tragikomische Geschichte des Elektrizitätsbeirats erzählt die Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie wie folgt:

„Ein Elektrizitätsbeirat wurde zu besonderer Mitwirkung” bei allen Angelegenheiten der Reichselektrizitätswirtschaft eingesetzt. Da aber das Elektrizitätswirtschaftsgesetz, das den Rahmen dieses Sozialisierungsgesetzes des (Reichsgesetzes betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft vom 31. Dezember 1919) ausfüllen sollte, überhaupt nicht zustande kam – der Elektrizitätsbeirat selbst hat es im Jahre 1923 abgelehnt –, verlor auch dieser Beirat seine praktische Bedeutung. Er ist seit 1923 nur noch einmal im Jahre 1926 zusammengetreten; dabei wurden Fragen der einheitlichen Regelung des Wegerechts, des Genehmigungszwanges für neue Leitungen erörtert, aber infolge des Widerstandes der Länder keinen neuen Lösungen entgegengeführt. Es wurde lediglich die Ausarbeitung eines Generalplanes für die zukünftige Gestaltung der Elektrizitätswirtschaft “in Aussicht genommen” (Denkschrift, S.42, 43).

Mit dieser hoffnungsvollen „Aussicht“ können wir auch den selig verblichenen Elektrizitätsbeirat verlassen.

Bleiben als die Paradestücke oder sich im Schoße der Kapitalmonopole entwickelnde Wirtschaftsdemokratie der Reichskohlenverband mit dem Reichskohlenrat als höchstem Organ an der Spitze und der Reichskalirat.

Zunächst der Reichskohlenrat. Er zählt 60 Mitglieder, davon sind insgesamt 22 Arbeitnehmervertreter: also eine hoffnungslose Minderheit. Worin bestehen die Leistungen? Erstens wird hier genannt eine „Förderung der Rationalisierung“. Sie bedeutete für die Bergarbeiter bekanntlich die Stillsetzung von Zehntausenden von Arbeitern, Verlängerung der Schicht, und eine gewaltige Steigerung der Produktivität pro Arbeiter, und bei fast stationären Löhnen eine gewaltige Senkung des Anteils des Lohnes am Produktionswert. Dann die Preisgestaltung. „Während der Inflationszeit, d.h. bis Ende 1923 wurden alle anderen Einwirkungen auf die Preisgestaltung so weit von der Wirkung, die von der Inflation ausgingen, überdeckt, daß diese Periode von vornherein von der Urteilsbildung ausgeschaltet werden muß. Auf wichtigsten Gebieten der Kohlenwirtschaft schloß sich aber an die Inflationszeit eine weitere Periode von fast drei Jahren an, in denen den Kohlensyndikaten des besetzten Gebietes mit Rücksicht auf die ungewöhnlichen Verhältnisse, die damals herrschten, eine volle Bewegungsfreiheit in der Preisgestaltung eingeräumt wurde.“ (S.45.) Erst seit Herbst 1926 könne man im großen Maßstabe von einer Preispolitik im Reichskohlenrat sprechen. 1927 habe er hemmend auf die Aufwärtsbewegung der Kohlenpreise gewirkt und das sei einer Verlängerung der Konjunkturdauer zugute gekommen. Im Jahre 1928 wurde allerdings im Anschluß an eine Neuregelung der Löhne im Ruhrbergbau, die Preisgestaltung für Ruhrkohle vom Reichskohlenrat außerordentlich gelockert, indem dem Syndikat die Preisfestsetzung im einzelnen freigegeben wurde, und nur für die durchschnittlichen Gesamterlöse eine obere Grenze festgesetzt wurde. (S.45.)

Vom Gesamtresultat: steigenden Kohlenpreisen bei sinkenden Produktionskosten ist allerdings in der Denkschrift keine Rede.

Auf dem Gebiet des Kalibergbaues haben wir bekanntlich eine gewaltige Rationalisierung, mit entsprechendem Steigen der Produktivität und Sinken der Arbeiterzahl gesehen. Anfang 1924 erfolgte durch den Reichskalirat eine Festsetzung neuer Preise, die im Durchschnitt fast 20 Prozent niedriger lagen als die der Vorkriegszeit. Anfang 1925 Preiserhöhung von 8–10 Prozent, beschlossen gegen die Stimmen der Vertreter der Landwirtschaft. Mitte 1926 wird von den Produzenten eine Erhöhung von 18 Prozent beantragt, schließlich geht eine solche von 9,5 Prozent durch. Das Gesamtergebnis auch hier: steigende Preise bei rapid sinkenden Produktionskosten.

Die Denkschrift kann angesichts der Tatsachen „nicht verhehlen, daß das Ziel der gemeinschaftlichen Gestaltung der Produktion auf dem bisher eingeschlagenen Wege nicht erreicht worden ist“:(S.47.) Allerdings, das wäre schwer zu „verhehlen“.

Aber bei alledem habe stattgefunden „eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit der Unternehmer über ihre Produktionsmittel“. Das bedeute „grundsätzlich einen Wandel in der Funktion des Privateigentums an den Produktionsmitteln“ und trotz aller Mängel „eine Entwicklungsstufe zur Demokratisierung der Wirtschaftsführung“. Weiterer Erfolg: „Die Arbeiter- und Angestelltenvertreter, die in den Organen dieser Selbstverwaltungskörper tätig sind, haben auch dann, wenn sie ihre gemeinwirtschaftlichen Ziele noch nicht durchsetzen können, gelernt, die Aufgaben der praktischen Wirtschaftsführung verantwortlich zu betrachten“ (S.52). Dadurch sei die Möglichkeit einer „Führerauslese auf fachlich-wirtschaftlichen Gebieten auch für die Arbeiterschaft geschaffen“.

Ziehen wir die Summe. Am kapitalistischen Charakter des Bergbaues ist nichts geändert. Vielmehr ist die kapitalistische Konzentration fortgeschritten. Der Profitanteil der Unternehmer ist gestiegen, der Lohnanteil der Arbeiter gesunken. Die Arbeitszeit ist verlängert. Eine Arbeitslosenarmee bei steigender Konjunktur ist durch die Rationalisierung geschaffen. Der Monopolwucher gegenüber den Konsumenten ist absolut und relativ gesteigert. Auch nur von einer „Hemmung“ des Monopolwuchers durch den Reichskohlen- und Reichskalirat können nur ganz naive Leute reden, denen die gewöhnlichsten Handels-, Bilanz- und Kalkulationspraktiken unbekannt sind. Die Produzenten richten von vornherein ihre Forderungen und die Kalkulationen, mit denen sie begründet werden, so ein, daß sie auch beim „Abhandeln“ auf ihre Kosten kommen.

Welche Rolle spielen bei alledem die „Arbeitervertreter“, die in den „Organen“ dieser Kapitalmonopole sitzen?

Eine äußerst nützliche – für die Monopole.

Was sich so entwickelt hat, ist nicht ein „Eindringen“ der Arbeiterklasse in die kapitalistischen Monopole, sondern umgekehrt: das Eindringen der kapitalistischen Monopole in die Organisationen der Arbeiterklasse; nicht eine Beschränkung der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Monopolkapital, sondern ein Schutzwall um diese Ausbeutung, wie ihn die Bourgeoisie aus eigenem nicht bilden könnte; und daher nicht eine Stärkung, sondern eine Fesselung der Kräfte, die zum Sozialismus führen. Ein höchst sonderbarer Weg zum Sozialismus, der sich verwirklicht im rapiden Sinken der Löhne im Verhältnis zu den Profiten und allgemein steigenden Preisen bei fallenden Produktionskosten!
 

3. Was sind öffentliche Betriebe im bürgerlichen Staat?

Die Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie zählt „drei Formen“ auf, in denen der „Prozeß des Vordringens nichtkapitalistischer Unternehmungen in der deutschen Wirtschaft“ sich vollzieht. Dies sollen sein: 1. die öffentlichen Betriebe, 2. die Genossenschaften, 3. die gewerkschaftlichen Eigenbetriebe der Arbeiterbewegung.

Fassen wir zunächst Nr.1 ins Auge, die „öffentlichen Betriebe“, das heißt Staats- und Gemeindebetriebe.

Untersuchen wir, ob und inwiefern Staats- oder Gemeindebetriebe im bürgerlichen Staat nichtkapitalistische Betriebe sind. Bekanntlich sind Staatsbetriebe in bürgerlichen Staaten schon Jahrhunderte alt, ohne daß es irgendeinem Sozialisten eingefallen wäre, sie als nichtkapitalistische Betriebe zu bezeichnen. Die Denkschrift selbst erinnert an die Staatsbetriebe der merkantilistischen Epoche, in Preußen z.B. die Berg- und Hüttenwerke in Schlesien, die Munitionswerkstätten bei Berlin zur Zeit Friedrichs II., an die Porzellanmanufakturen zu Berlin, in Meißen usw., an die mehrere Jahrhunderte alten Staatsbanken in verschiedenen europäischen Staaten.

Der „Gedanke“, daß Staatsbetriebe im bürgerlichen Staate irgend etwas „Nichtkapitalistisches“ oder „Sozialistisches“ an sich hätten, tauchte, wenn wir nicht irren, in Deutschland zuerst auf bei den großen Eisenbahnverstaatlichungen der Bismarckschen Zeit. Nur waren es nicht die Sozialisten, sondern die Bismarckschen Soldschreiber und Professoren, die die glorreiche Entdeckung machten, daß die preußischen Staatseisenbahnen, die Post, die Telegraphen usw. „ein Stück Sozialismus” seien. Die Sozialisten der damaligen Zeit, Friedrich Engels, Bebei, Singer usw. gossen Schalen des Spotts und Hohns aus über diese Bismarcksche Geste von „Sozialismus“. (Bismarck und die Seinen hatten ihrerseits diesen Schwindel von Louis Bonaparte übernommen, der aber auch nicht sein origineller Entdecker war.)

Erst der Weltkrieg und der Übergang der Sozialdemokratie auf die Seite des deutschen Imperialismus brachten diesen bonapartistisch-bismarckschen Schwindel in der Sozialdemokratie zu Ehren. Damals führte die Kriegswirtschaft die begeisterten Sozialpatrioten mit Lensch an der Spitze zu der epochemachenden Entdeckung vom „Sozialismus, wohin wir blicken“, von der Brotkarte als einer im Wesen sozialistischen Einrichtung usw. Diese sozialdemokratischen Purzelbäume sind leider heute zum größten Teil von der Arbeiterschaft fast vergessen. Sonst wäre es den Gewerkschaftsführern nicht möglich, von neuem damit aufzuwarten.

Der „Sozialismus“ der Brotkarte und der vom Hilfsdienstgesetz beherrschten Munitionsbetriebe wird heute schnöde von denen preisgegeben, die diesen groben Schwindel zuerst auf die Bahn brachten. Auch die Tabak- und Porzellanmanufakturen Friedrichs II. von Preußen haben inzwischen ihren sozialistischen Glorienschein verloren. Warum eigentlich, was ist geschehen?

Nach der Novemberrevolution von 1918 entdeckte man plötzlich, daß man bisher im „Obrigkeitsstaat“ gelebt hatte, und der „Staatssozialismus“ Friedrichs II. und Wilhelms II. von Hohenzollern wurde anrüchig. Alle Zweifel über den nicht kapitalistischen Charakter von Staats- und Gemeindebetrieben verschwanden mit einem Schlage, als der bürgerliche Staat die monarchistisch-bürokratisch-junkerliche Form abstreifte, und die klassische bürgerliche Form der parlamentarischen Republik annahm. Ein wahres biblisches Wunder: Der Staat wird rein bürgerlich, die Kapitalistenklasse tritt unmittelbar die Herrschaft an, und durch eben diesen Akt werden die Staats- und Gemeindebetriebe – nichtkapitalistisch ...!

Trotz eifrigen Suchens haben wir weder in der Rede Naphtalis, noch in der Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie irgendeinen anderen Grund für das Umschlagen der Staatsbetriebe aus kapitalistischen zu nichtkapitalistischen Betrieben finden können als die Einführung der bürgerlichen Republik.

„Im demokratisch organisierten und regierten Staat“, sagt die Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie, „ist ein Staatsbetrieb, in einer demokratisch organisierten und verwalteten Gemeinde ein Kommunalbetrieb, eine Form des Werdens der Wirtschaftsdemokratie: wirtschaftliche Betriebe sollen hier der Herrschaft des Volkes unterworfen sein“ (S.54).

Demnach waren wohl die preußischen Staatsbergwerke von der Zeit Friedrichs II. bis zum Ende der Hohenzollerndynastie unter Wilhelm II. kapitalistische Betriebe (staatskapitalistische), aber heute sind sie nichtkapitalistisch geworden, weil das Kapital in der Form der demokratischen Republik herrscht.

Für jeden, der sich nicht durch Phrasendunst benebeln läßt, ergibt sich die gerade umgekehrte Mutmaßung: daß nämlich die Staatsbetriebe im bürgerlichen Staat, bei gleich bleibendem kapitalistischen Grundcharakter, um so gefügiger den Bedürfnissen des Gesamtkapitals sich anpassen müssen, je weitgehender das Wirtschaftsleben im Staate kapitalistische Formen annimmt, je fortgeschrittener die kapitalistische Zentralisation, und je reiner die Herrschaft der Kapitalistenklasse im Staate verwirklicht ist. Und dem ist auch so in der Tat. Ein Friedrich II. von Preußen, eine Zarin Katharina von Rußland konnten sich mehr oder weniger das Vergnügen leisten, in ihren Staatsbetrieben absolutistisch-feudalistischen Launen stattzugeben und bürgerlich-kapitalistische Interessen zu mißachten. Allerhand Privilegien begünstigten vielfach diese Betriebe gegenüber bürgerlichen Privatbetrieben, ja verhinderten vielfach das Aufkommen privater Konkurrenzbetriebe. Heute kann davon keine Rede mehr sein.

Das allgemeine kapitalistische Interesse hat sich vollständig die Staatsbetriebe unterworfen. Das gilt für alle Seiten der staatskapitalistischen Betriebe. In der Lohnhöhe, in den Arbeitsbedingungen, in den Preisen haben sie den allgemeinkapitalistischen Normen zu folgen. Sie können diese Schranken nicht durchbrechen: Dafür sorgen schon die Organe des „demokratisch organisierten und regierten Staates“ – und die Gesetze des kapitalistischen Marktes, des Waren-, Arbeits- und Geldmarktes. Ein Blick etwa auf die Löhne und Preise in den staatlichen Bergwerken Preußens im Vergleich zu den Privatbetrieben genügt zur Bestätigung.

Es ist nur eine scheinbare Ausnahme von diesem Gesetz, wenn Staatsbetriebe sich zu Anlagen bereit finden, die ihnen zunächst Verluste bringen, oder wenn sie Preise und Tarife unter dem Niveau festsetzen, das ein privater kapitalistischer Betrieb ansetzen könnte. Das Privatkapital überträgt mit Vergnügen dem Staat oder den Gemeinden solche Betriebe und Anlagen, die für gewisse Zeit oder auch dauernd nicht den kapitalistischen Durchschnittsprofit einbringen (das letztere ist z.B. der Fall in der staatlichen Waldwirtschaft), die aber für den kapitalistischen Gesamtbetrieb notwendig sind. Die Sache läuft dann letzten Endes darauf hinaus, daß die Verluste, die sonst einzelne Kapitalisten oder die Kapitalisten als Ganzes tragen müßten, abgewälzt werden auf die übrigen Klassen, vor allem die Arbeiterklasse und die Bauernschaft.

Ganz klar ist z.B. der Fall bei den staatlichen Eisenbahnen. Niedrige Frachttarife bedeuten eine entsprechende Herabsetzung der „Unkosten“ für die Gesamtheit der kapitalistischen Produzenten und eine entsprechende Steigerung des privatkapitalistischen Gesamtprofits. Dieselben Bahnen in der Hand einer Privatgesellschaft könnten zwar dieser Gesellschaft bei erhöhten Tarifen höhere Profite einbringen, würden aber den Gesamtprofit der übrigen Kapitalistengruppen entsprechend vermindern.

Nicht ein angebliches „Gemeinwohl“, sondern das Interesse des Gesamtkapitalisten diktiert den staatskapitalistischen oder gemeindekapitalistischen Betrieben durchgehends das Gesetz.

Der „nichtkapitalistische“ Schein entsteht hier einfach daraus, daß das einzelkapitalistische Interesse oder die Interessen kapitalistischer Gruppen sich keineswegs immer decken mit dem gesamtkapitalistischen Interesse. Der Gesamtkapitalist, mit dessen Interessen die des bürgerlichen Staates mehr und mehr zusammenfallen, ist aber der konzentrierte, gesteigerte Kapitalist.

Die Gedankenverwirrung, die „öffentliche“ Betriebe im bürgerlichen Staat für nichtkapitalistisch erklärt, läuft darauf hinaus, den gesamtkapitalistischen Gesichtspunkt für einen nichtkapitalistischen zu erklären. Es ist dies vom Standpunkt der ökonomischen Theorie die denkbar platteste Form der Vulgärökonomie, deren Wesen darin besteht, den kapitalistischen Gesamtprozeß vom Standpunkt und von den Vorstellungen des einzelnen kapitalistischen Unternehmers aus zu beurteilen. Klassenmäßig gesehen, sind öffentliche Betriebe im bürgerlichen Staat Knotenpunkte der Macht der Bourgeoisie.

Wie sind demgemäß staats- oder gemeindekapitalistische Betriebe vom Standpunkt des proletarischen Befreiungskampfes zu betrachten? Sind sie Stufen zum Sozialismus?

Sie sind das dem Wesen nach ebensosehr oder ebensowenig wie privatkapitalistische Monopole.

Die privatkapitalistischen Monopole sind technisch und organisatorisch Voraussetzungen des Sozialismus, insofern sie einen hohen Grad der Vergesellschaftung der Arbeit verwirklichen, aber sie verwirklichen ihn in der widerspruchsvollen Form, daß diese technische und ökonomische Vergesellschaftung auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln erfolgt, daß also ihre Vorteile nicht der Masse der Arbeitenden, sondern der Nichtarbeitenden, der Privateigentümer, zugute kommen.

Im selben Grade also wie das Privatmonopol technisch und organisatorisch den Übergang zu sozialistischer Produktion erleichtert, tritt es ökonomisch und sozial in immer schneidenderen Widerspruch zum Interesse der überwältigenden Mehrheit des Volkes, der Arbeiterklasse und der Werktätigen überhaupt. Seine Wirkung als Macht der wirtschaftlichen Ausbeutung und der sozialen Unterdrückung wird maßlos gesteigert.

Der Staatskapitalismus unterscheidet sich vom kapitalistischen Privatmonopol nicht dem Wesen, sondern nur dem Grade nach. Technisch und organisatorisch ist er die letzte denkbare Etappe vor der sozialistischen Wirtschaft; sozial und ökonomisch ist er gleichzeitig ihr äußerster Gegenpol: die denkbar höchste Entfaltung kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung. Er ist, klassenmäßig gesehen, nicht ein sozialistischer Sturmbock, der gegen die kapitalistische Festung angesetzt ist, sondern umgekehrt: der stärkste soziale Schutzwall, und die breiteste ökonomische Untermauerung für das Gesamtsystem der kapitalistischen Ausbeutung.

Der Staatskapitalismus ist daher nicht der Verbündete der Arbeiterklasse in ihrem Kampf um den Sozialismus, sondern umgekehrt, er ist das stärkste Bollwerk des Klassengegners.

Natürlich hat die Arbeiterklasse ebensowenig ein Interesse (noch auch die Möglichkeit), der Verstaatlichung privatkapitalistischer Betriebe entgegenzutreten: sowenig sie ein Interesse und die Möglichkeit hat, der kapitalistischen Zentralisation zugunsten der kapitalistischen Einzelbetriebe entgegenzutreten. Sie bekämpft den Staatskapitalismus nicht von rückwärts, vom Standpunkt des kapitalistischen Einzelbetriebs oder Privatmonopols aus, sondern von vorwärts: vom Standpunkt der sozialistischen Wirtschaft und des vom Proletariat beherrschten Staates.

Aber jedenfalls: nur gegen ihn kämpfend und sein Klassenwesen enthüllend, nicht ihn unterstützend und sein Wesen ins Gegenteil verfälschend, kann sie der sozialistischen Wirtschaft die Bahn bereiten.

Aus dem Gesagten folgt, daß der Übergang vom Staatskapitalismus zur sozialistischen Wirtschaftsweise unmöglich stufenweise geschehen kann. Denn sozial und ökonomisch verringert der sich entfaltende Staatskapitalismus nicht den Abstand vom Sozialismus, sondern er vergrößert ihn.

Der Übergang kann also nur durch einen Sprung geschehen, durch einen revolutionären Akt, der den kapitalistischen Charakter der Wirtschaft aufhebt, indem er das kapitalistische Eigentum aufhebt, und dies setzt seinerseits voraus den Sieg der proletarischen Revolution.
 

4. Die Grenzen der Arbeitergenossenschaften

Die Arbeitergenossenschaften (deren Hauptstützen die Konsumgenossenschaften) dürfen natürlich mit den staatskapitalistischen Betrieben nicht verglichen werden. Denn obwohl sie nicht imstande sind, die kapitalistische Ordnung grundlegend zu ändern, so zeigen sie in der Tat eine Reihe von nicht – kapitalistischen Zügen. Die wesentlichsten dieser Züge sind folgende: Erstens, daß die Eigentümer dieser genossenschaftlichen Betriebe nicht Kapitalbesitzer, sondern Arbeiter sind und daß das „Kapital“ der Genossenschaften zusammengefaßte Arbeiterlöhne sind. Daraus ergibt sich für die Konsumgenossenschaften, daß sie nicht kapitalistische Profite erzielen. Wenn auch die „Dividenden“ oder „Rückvergütungen“ der Konsumvereine der Form nach kapitalistischen Profiten zu gleichen scheinen, so ist doch ihr ökonomischer Inhalt ein prinzipiell anderer. Es sind, auf den ökonomischen Inhalt hin besehen, Abzüge am kapitalistischen Handelsprofit, die eine entsprechende Erhöhung der Reallöhne bewirken. Der ökonomische Sinn der Arbeiter-Konsumgenossenschaften ist also Ökonomie bei der Realisierung des Arbeitslohnes.

Ein zweiter charakteristischer und in die Richtung zum Sozialismus weisender Zug der Arbeitergenossenschaften ist die Verwaltung und Geschäftsführung durch Arbeiter und Angestellte und die Kontrolle dieser Funktionäre durch die Genossenschaftsmitglieder. Auch hierbei zeigt sich, daß den Arbeitergenossenschaften, solange sie erst noch Einsprengsel im kapitalistischen System sind, in der Entfaltung der „Selbstverwaltung“ durch die übermächtige kapitalistische Umgebung enge Grenzen gezogen sind. Dies zeigt sich praktisch in der Tendenz zur Selbstherrlichkeit und kapitalistischen Gepflogenheiten bei den Spitzen der konsumgenossenschaftlichen Bürokratie einerseits, in der Abschwächung der genossenschaftlichen Kontrolle andererseits.

Die Arbeitergenossenschaften sind also, solange die kapitalistische Wirtschaftsweise noch die herrschende ist, zwiespältige Gebilde, die ein Gemisch von kapitalistischen und sozialistischen Zügen aufweisen.

Sie können, auch rein qualitativ betrachtet, die grundlegenden Gesetze des Kapitalismus nicht durchbrechen, sie benutzen sie vielmehr, um in eng beschränkten Grenzen sie zugunsten der Arbeiterklasse wirken zu lassen. Die Konsumgenossenschaft (die herrschende Form der Arbeitergenossenschaft) , was tut sie anderes, als die Gesetze des Handelsprofits zugunsten eines Teiles der Arbeiterklasse spielen zu lassen? Die Gesetze des Handelsprofits aber, die die Voraussetzung für die Wirksamkeit der Konsumvereine sind, sind kapitalistisch bestimmt. Die Konsumgenossenschaften können diese Gesetze nicht aufheben, und sie können sich ihrer Wirksamkeit nicht entziehen.

Die Konsumgenossenschaften als Stücke der „Wirtschaftsdemokratie“ zu bezeichnen, besagt gar nichts über ihr eigentümliches ökonomisches und soziales Wesen. Es sagt nichts über die qualitativen Schranken, denen sie durch die beherrschende kapitalistische Umwelt unterworfen sind. Es ist nur eine Redensart.

Von den rein qualitativen Grenzen der Arbeitergenossenschaften gehen wir zu den quantitativen über, d.h. zur der Frage, ob die Arbeitergenossenschaften absolut und relativ, zum Umfang der kapitalistischen Betriebe unbegrenzt wachsen können, oder ob diesem Wachstum durch die Natur der Sache bestimmte unüberschreitbare Schranken gezogen sind.

Es war wieder der Revisionismus unter Bernsteins Führung, der in der deutschen Sozialdemokratie den Gedanken einzubürgern suchte, daß das Genossenschaftswesen unbegrenzt an Umfang wachsen und so schließlich ein Mittel sein könne, um die gesamte Produktion in ihren Rahmen einzubeziehen und so in sozialistische Produktion zu verwandeln. Die Voraussetzung dafür wäre natürlich die Möglichkeit, daß die ArbeiterproduktivgenosseSlschaften unbegrenzt wachsen könnten. Denn die „Konsumgenossenschaften vermögen ja nur in die Sphäre des Handelskapitals einzudringen.

Die quantitativen Grenzen der Arbeitergenossenschaften sind seinerzeit von Rosa Luxemburg Bernstein gegenüber mit aller Schärfe geltend gemacht worden.

Sie sagt darüber in ihrer Schrift gegen Bernstein Sozialreform oder Revolution folgendes:

„Was die Genossenschaften, und zwar vor allem die Produktivgenossenschaften betrifft, so stellen sie ihrem inneren Wesen nach inmitten der kapitalistischen Wirtschaft ein Zwitterding dar: eine im kleinen sozialisierte Produktion bei kapitalistischem Austausche. In der kapitalistischen Wirtschaft beherrscht aber der Austausch die Produktion und macht angesichts der Konkurrenz rücksichtslose Ausbeutung, d.h. völlige Beherrschung des Produktionsprozesses durch die Interessen des Kapitals, zur Existenzbedingung der Unternehmung. Praktisch äußert sich das in der Notwendigkeit, die Arbeit möglichst intensiv zu machen, sie zu verkürzen oder zu verlängern je nach der Marktlage, die Arbeitskraft je nach den Anforderungen des Absatzmarktes heranzuziehen oder sie abzustoßen und aufs Pflaster zu setzen, mit einem Worte, all die bekannten Methoden zu praktizieren, die eine kapitalistische Unternehmung konkurrenzfähig machen. In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruch geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst. Das sind die Tatsachen, die Bernstein selbst konstatiert, aber mißversteht, indem er nach Frau Potter Webb die Ursache des Unterganges der Produktivgenossenschaften in England in der mangelnden „Disziplin“ sieht. Was hier oberflächlich und seicht als Disziplin bezeichnet wird, ist nichts anders als das natürliche absolute Regime des Kapitals, das die Arbeiter allerdings sich selbst gegenüber unmöglich ausüben können.

Daraus folgt, daß die Produktivgenossenschaft sich ihre Existenz inmitten der kapitalistischen Wirtschaft nur dann sichern kann, wenn sie auf einem Umwege den in ihr verborgenen Widerspruch zwischen Produktionsweise und Austauschweise aufhebt, indem sie sich künstlich den Gesetzen der freien Konkurrenz entzieht. Dies kann sie nur, wenn sie sich von vornherein einen (S.24/) Absatzmarkt, einen festen Kreis von Konsumenten sichert. Als solches Hilfsmittel dient ihr eben der Konsumverein. Darin wiederum, und nicht in der Unterscheidung in Kauf- oder Verkaufs-Genossenschaften, oder wie der Oppenheimersche Einfall sonst lautet, liegt das von Bernstein behandelte Geheimnis, warum selbständige Produktivgenossenschaften zugrunde gehen und erst der Konsumverein ihnen eine Existenz zu sichern vermag.

Sind aber somit die Existenzbedingungen der Produktivgenossenschaften in der heutigen Gesellschaft an die Existenzbedingungen der Konsumvereine gebunden, so folgt daraus in weiterer Konsequenz, daß die Produktivgenossenschaften im günstigsten Falle auf kleinen lokalen Absatz und auf wenige Produkte des unmittelbaren Bedarfs, vorzugsweise auf Lebensmittel angewiesen sind. Alle wichtigsten Zweige der kapitalistischen Produktion: die Textil-, Kohlen-, Metall-, Petrolindustrie, sowie der Maschinen-, Lokomotiven und Schiffsbau sind vom Konsumverein, also auch von der Produktivgenossenschaft von vornherein ausgeschlossen. Abgesehen also von ihrem Zwittercharakter können die Produktivgenossenschaften als allgemeine soziale Reform schon aus dem Grunde nicht erscheinen, weil ihre allgemeine Durchführung vor allem die Abschaffung des Weltmarktes und die Auflösung der bestehenden Weltwirtschaft in kleine lokale Produktions- und Austauschgruppen, also dem Wesen nach einen Rückgang von großkapitalistischer auf mittelalterliche Warenwirtschaft voraussetzt.

Aber auch in den Grenzen ihrer möglichen Verwirklichung, auf dem Boden der gegenwärtigen Gesellschaft, reduzieren sich die Produktivgenossenschaften notwendigerweise in bloße Anhängsel der Konsumvereine, die somit als die Hauptträger der beabsichtigten sozialistischen Reform in den Vordergrund treten. Die ganze sozialistische Reform durch die Genossenschaften reduziert sich aber dadurch aus einem Kampf gegen das Produktivkapital, d.h. gegen den Hauptstamm der kapitalistischen Wirtschaft, in einen Kampf gegen das Handelskapital, und zwar gegen das Kleinhandels-, das Zwischenhandels-Kapital, d.h. bloß gegen kleine Abzweigungen des kapitalistischen Stammes.“

Das wurde vor rund 30 Jahren geschrieben. Die Entwicklung seit dieser Zeit hat die tiefgehende Analyse Rosa Luxemburgs so schlagend bestätigt, daß die Reformisten genötigt sind, heute viel behutsamer über die Möglichkeiten der Sozialisierung auf genossenschaftlichem Wege zu sprechen. Und zwar ist es vor allem das gewaltige Wachstum der kapitalistischen Monopolorganisationen auf dem Gebiete der Schwerindustrie, ihr Übergreifen auf die Fertigindustrien und auf den Groß- und Zwischenhandel (Warenhäuser), was selbst den hoffnungsfreudigsten Reformisten verwehrt, schlechtweg zu behaupten, daß die genossenschaftlichen Betriebe mit der Zeit die kapitalistischen verschlingen werden.

Die Denkschrift über Wirtschaftsdemokratie muß zugeben: „Die Produktionsgenossenschaft hat im allgemeinen versagt: Absatzmangel, Kapitalmangel, Disziplinmangel. Erfolgreich war allein das Vordringen der konsumgenossenschaftlichen Eigenproduktion.“ (S.77.) Wie man sieht, sind hier die Ursachen des Scheiterns der Produktivgenossenschaften in der von R. Luxemburg (S.25) gekennzeichneten oberflächlichen Weise gefaßt. Ebenso muß zugegeben werden, „daß die besonders konjunkturempfindliche Produktion von Produktionsmitteln außerhalb des Kreises der von den Genossenschaften erfaßten Aufgaben liegt“.

Allerdings fehlt es nicht daran, daß die Bedeutung der Eigenproduktion der Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumgenossenschaften in lächerlicher Weise übertrieben wird. Es werden hier aufgezählt: 1 Teigwarenfabrik, 1 Zuckerwarenfabrik, 1 Schokoladenfabrik, 2 Fleischwarenfabriken (darunter die größte in Deutschland), 1 Fischwarenfabrik, 1 Malzkaffeefabrik, 1 Konservenfabrik, 1 Nährmittelfabrik, 1 Mostrichfabrik, 3 Zigarrenfabriken, 1 Kautabakfabrik, 1 Zigarettenfabrik, 2 Rauchtabakfabriken, 1 Großmühle, 2 Seifenfabriken, 2 Zündholzfabriken, 1 chemische Fabrik, 1 Bürstenfabrik, 1 Möbelfabrik, 1 Kistenfabrik, 2 Webereien, 2 Konfektionsfabriken, 1 Kleiderfabrik, 1 Rittergut, die Beteiligung an einer Käsefabrik und an den Sächsischen Bekleidungswerken.

„Also eine Produktion, die sich sehen lassen kann“ – bemerkt die Denkschrift. Es ist nur eins dabei vergessen: der Vergleich mit dem Umfang der Produktion und den Kapitalgrößen der rein kapitalistischen Betriebe in den entsprechenden Industriezweigen. Die relative Zwerggröße der genossenschaftlichen Betriebe würde dann drastisch sichtbar. Dasselbe gilt für die absolut größere Eigenproduktion der englischen Großeinkaufsgesellschaft.

Der klare Blick für die prinzipiellen Grenzen der Arbeitergenossenschaften fehlt. Die Denkschrift drückt sich hier höchst unbestimmt, oberflächlich und zum Teil direkt falsch aus.

Die Denkschrift sagt hierzu u.a.:

„Die vertikale Tendenz des Trustes – von dem Bergwerk oder Hütte zum Stahlwerk, zur Maschinenfabrik – ist also auch bei den Genossenschaften zu beobachten, nur in umgekehrter Richtung – vom Verbraucher über den Handel zur Fertigwarenproduktion und schließlich zur Urproduktion. Diese Tendenz, in die Anfangsstadien der Produktion einzudringen, ist erst in den Anfängen bemerkbar, über Erfolge läßt sich noch nicht allzu viel sagen, aber vorhanden sind sie. Eine Grenze für die Eigenproduktion ist jedenfalls noch nicht zu erkennen.“ (S.81.)

Trotzdem sei die Entwicklung der Konsumgenossenschaft begrenzt. Diese Grenzen seien aber nicht starr, sondern elastisch. Es gehöre viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß die Schwerindustrie, daß die Landwirtschaft, daß das Verkehrswesen von Konsumgenossenschaften betrieben werden können. „Theoretisch“ sei das „gewiß möglich“, aber es würden Jahrhunderte bis dahin vergehen, und so lange warte die Arbeiterschaft. Die Gemeinwirtschaft könne durch die Arbeitergenossenschaften allein nicht herbeigeführt werden. Weite Teile der Industrie – in erster Linie die Schwerindustrie, die Produktionsmittelindustrie und die für den Export arbeitende Industrie –, die Landwirtschaft und das Verkehrsgewerbe seien vorläufig noch von der Eroberung durch die genossenschaftliche Eigenproduktion nicht bedroht. Ob sie je von ihr bedroht sein werden, sei „eine große Frage“.

Man sieht, wie hier alles im Nebel der Unbestimmtheiten verschwimmt. Die wirtschaftsdemokratische „Theorie“ läßt die Möglichkeit der Sozialisierung auf genossenschaftlichem Wege offen, nur die Praxis erweckt Zweifel über die Zeitdauer und den möglichen Umfang dieses Prozesses. Prinzipiell ist aber hier der Boden der Bernsteinschen Vorstellungen vom genossenschaftlichen Weg zum Kommunismus nicht verlassen. Die „Theorie“, die hier angerufen wird, reduziert sich im Grunde auf die bloße Redensart, von einer wirklichen theoretischen Bestimmung der absoluten und relativen Grenzen der Arbeitergenossenschaften ist nirgends die Rede.

Aber die Marxsche Theorie erlaubt, diese Grenzen mathematisch genau zu bestimmen. Sie ergeben sich aus folgenden einfachen Überlegungen.

Die absolute Grenze für die Kapitalgröße und damit für den Produktionsumfang wie für den Handelsumsatz der Arbeitergenossenschaften ergibt sich aus der Tatsache, daß der Fonds, der dafür zur Verfügung steht, die Gesamtsumme der Arbeitslöhne (in einem bestimmten Lande, oder im Gesamtkapitalismus) ist, oder in der Marxschen Bezeichnung das variable Kapital. Dies ist die absolute oder theoretische obere Grenze. Sie wird praktisch nie erreicht.

Das variable Kapital hat aber die Tendenz, im Verhältnis zum konstanten Kapital und daher auch im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtkapital zu fallen. Es ist dies unter den Verhältnissen der kapitalistischen Produktion der ökonomische Ausdruck des technischen Fortschritts, des relativ schnelleren Wachstums des Wertes der Produktionsmittel im Verhältnis zum Wert der lebendigen Arbeitskraft. Bezeichnet c das konstante Kapital, v das variable Kapital, so hat v die Tendenz im Verhältnis zu c zu fallen. Oder um dies durch arithmetische Zahlen zu illustrieren: wenn in einem gegebenen Moment die prozentige Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals etwa ausgedrückt wird durch die Formel 60  + 40 v, so stellt sich die Entwicklungsreihe für die Folgezeit etwa dar durch die Formeln:

70 c + 30 v

80 c + 20 v

90 c + 10 v usw.

Dies schließt natürlich ein absolutes Wachstum des variablen Kapitals nicht aus, und daher auch nicht ein absolutes Wachstum des Genossenschaftskapitals. Ja dieses kann sogar bei absolut fallendem Umfang des variablen Kapitals noch absolut steigen, wenn der relative Anteil der in die Arbeitergenossenschaften einbezogenen Lohnsummen im Verhältnis zur Gesamtsumme der Löhne in einem bestimmten Tempo wächst.

Wir wollen auch dies durch einige Zahlenbeispiele erläutern. Wir nehmen etwa folgende Reihe, wobei g das Genossenschaftskapital bezeichne.

  60 c + 30 v ...   5 g

120 c + 20 v ...   8 g

240 c + 15 v ... 10 g

Hier fällt das variable Kapital absolut und relativ zum konstanten Kapital – ein Ausdruck für rapiden technischen Fortschritt bei gleichzeitiger schneller Kapitalakkumulation. Gleichzeitig sehen wir das Genossenschaftskapital absolut wachsen: weil es relativ zum variablen Kapital schneller wächst.

Allgemein ergibt sich:

  1. Die absolute obere Grenze des Genossenschaftskapitals ist gegeben durch die Gesamtsumme der Löhne, oder das variable Kapital.
     
  2. Das Genossenschaftskapital hat unter kapitalistischen Verhältnissen die Tendenz, relativ zum Gesamtkapital zu fallen. Diese Tendenz setzt sich um so reiner durch, je mehr das Genossenschaftskapital sich seiner absoluten Grenze nähert, mit anderen Worten, je größere Teile der Arbeiterklasse genossenschaftlich erfaßt werden.

Die Gesetze der kapitalistischen Entwicklung machen also eine schrittweise Sozialisierung auf dem Wege der Genossenschaften unmöglich; in der Tendenz steigt das Übergewicht der rein kapitalistischen über die genossenschaftlichen Betriebe. Dieses Gesetz hindert natürlich keineswegs für bestimmte Zeiten ein absolutes Wachstum der Arbeitergenossenschaften an Kapital- und Produktionsumfang, aber es schließt prinzipiell die schrittweise Eroberung der kapitalistischen Gesamtproduktion durch die Arbeitergenossenschaften im Rahmen des kapitalistischen Systems aus. Dieses Ziel rückt nicht näher, sondern ferner, selbst bei absolutem Wachstum der genossenschaftlichen Produktion.
 

5. Arbeiterschutz und Arbeiterrecht als „Keimzellen“ der Wirtschaftsdemokratie

Die Arbeiterschutzgesetzgebung ist überall und immer ein Ergebnis des Klassenkampfes der Arbeiter gewesen. Sie mußte der Kapitalistenklasse immer in langanhaltenden und schweren Kämpfen abgetrotzt werden. Der Kampf um die Arbeiterschutzgesetzgebung war und ist daher eines der Mittel, um die Kampforganisationen der Arbeiterklasse zu fördern. Aus den Kämpfen um Fragen des Arbeiterschutzes können sich, wie aus jedem anderen Kampf um Teilforderungen in zugespitzter Situation des Klassenkampfes selbst, revolutionäre Kämpfe, Kämpfe um die Macht ergeben, die ihre Ziele dann aber weiter stecken müssen. So gab 1905 in Rußland der Kampf um den Achtstundentag den Anstoß zu den revolutionären Kämpfen im Herbst, die im Massenstreik und in Barrikadenkämpfen ausmündeten.

Das ändert aber nichts daran, daß die Arbeiterschutzgesetzgebung selbst ebensowenig Sozialistisches an sich hat wie eine bestimmte Lohnforderung, sondern daß sie eine legitime und notwendige Begleiterscheinung der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist, daß sie sich in ihrem Rahmen bewegt, daß sie keine sozialistische Regelung der Produktion, sondern eine kapitalistische Regelung der Ausbeutung ist. Die Arbeiterschutzgesetzgebung setzt der kapitalistischen Ausbeutung bestimmte Schranken. Aber diese Schranken lassen sich nicht beliebig und allmählich verengen, so daß schließlich auf diesem Wege die kapitalistische Ausbeutung selber aufgehoben würde. Die feste Grenze der Arbeiterschutzgesetzgebung ist die kapitalistische Ausbeutung, die „normale“ Verwaltung des Kapitals. Über diese Grenze weg führt nur ein Sprung: der Kampf der Arbeiterklasse um die Macht. Der Kampf um Arbeiterschutzgesetze ist an sich, dem Inhalte nach, kein revolutionärer. Die Arbeiterklasse kämpft hierbei nicht um die Aufhebung der Lohnarbeit, sondern um ihre Regulierung, sie kämpft hier als Trägerin der Ware Arbeitskraft darum, daß sie beim Konsum dieser Arbeitskraft durch den Kapitalisten nicht übers Ohr gehauen wird, daß der Kapitalist, dem sie nur die Nutzung der Arbeitskraft periodisch vermietet, nicht ihre Quelle selbst verwüstet. Der Kampf bewegt sich also durchaus auf dem Boden der kapitalistischen Ökonomie und ihrer Gesetze, er dreht sich um die Verwirklichung des Wertgesetzes für den Verkäufer der Arbeitskraft, nicht um seine Aufhebung.

Der Kapitalismus beginnt hier in seiner Frühzeit überall mit zügellosen Übergriffen, mit einer Raubwirtschaft, die die Arbeitskraft zu verwüsten droht. Die Schranken, die ihm die Arbeiterklasse hierin in ihrem Kampf setzt, stellen vom Standpunkt der kapitalistischen Ausbeutung nichts anderes dar als die Sicherung der Bedingungen einer normalen, dauernden Ausbeutung gegenüber Tendenzen, die augenblicklichen oder gruppenmäßigen Ausbeutungsinteressen das allgemeine und dauernde Interesse der kapitalistischen Ausbeutung opfern wollen. Solche Tendenzen der Raubwirtschaft treten in den Anfängen des Kapitalismus als allgemeine und vorwiegende auf, aber sie wiederholen sich immer wieder im Laufe der kapitalistischen Entwicklung. Sie treten immer aufs Neue auf in den Kolonial- oder Halbkolonialländern, in denen der Kapitalismus zuerst Fuß faßt. Die fortwährenden technischen und betriebsorganisatorischen Umwälzungen des Kapitalismus in seinen alten Domänen schaffen immer aufs neue Antriebe in dieser Richtung, die die Arbeiterklasse abzuwehren hat. Der Kampf um die Arbeiterschutzgesetzgebung ist also im Kapitalismus ein dauernder, in immer neuen Formen und unter neuen Umständen sich abspielender.

Der „Gedanke“, daß die Arbeiterschutzgesetzgebung „ein Stück gesellschaftlicher Kontrolle“, daß das bereits „ein Stück Sozialismus“ sei, wurde in Deutschland wiederum zuerst vom Revisionismus, von Eduard Bernstein, und weiter entwickelt von Konrad Schmidt aufgebracht. Rosa Luxemburg erledigte diesen reformistischen „Gedanken“ sofort durch die einfache aber durchschlagende Bemerkung, daß diese Kontrolle der Ausbeutung nicht durchgeführt werde auf dem Boden und durch die Organe der sozialistischen Gesellschaft, sondern durch den Vertreter der kapitalistischen Gesellschaft, den kapitalistischen Klassenstaat, und daß es sich also nicht um „gesellschaftliche Kontrolle“ handle, sondern um „Kontrolle der Klassenorganisation des Kapitals über den Produktionsprozeß des Kapitals“.

Dieser alte revisionistische Kohl wird nun von den Vertretern der „Wirtschaftsdemokratie“ neu aufgewärmt, wenn auch in etwas vorsichtigerer Form. Es wird davon geredet, daß der Arbeiterschutz der „erste Gedanke“ sei, in dem sich die rein arbeitsrechtliche Auffassung durchsetzt“ (Denkschrift).

„Die Wirtschaftsdemokratie ist erst erreicht, wenn jener freiheitlichen Entwicklung der Arbeit auch eine gemeinschaftliche Entwicklung des Eigentums entspricht ... Davon sind wir noch weit entfernt ... das Lohnsystem ist noch das herrschende System ... Alles, was sich in seiner (des Arbeiters) Stellung geändert hat, berührt das Maß seiner privaten Abhängigkeit, nicht die Art dieser Abhängigkeit ... (S.142). Und damit ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeit, wie es heute angesichts des noch vorhandenen Privateigentums an den Produktionsmitteln besteht, höchstens eine Keimzelle zu einer weiteren gemeinschaftsrechtlichen Entwicklung der Wirtschaftsdemokratie, aber nicht ein Institut der Wirtschaftsdemokratie, von der erst dann gesprochen werden kann, wenn über dem Betriebe ein Gemeinwesen besteht, das diese Betriebe als abhängige Sozialgebilde in sich begreift“ (S.143,144).

Mit dem letzten Kauderwelsch ist offenbar gemeint der sozialistische Staat, der die Produktion leitet.

Unter dem „Mitbestimmungsrecht“ der Arbeit wird mit inbegriffen der kollektive Arbeitsvertrag, die Sozialversicherung usw. Inwiefern sollen Arbeiterschutzgesetzgebung, Tarifverträge, Sozialversicherung „Keime“ der „Wirtschaftsdemokratie“ sein? Das wird näher dahin erläutert, daß durch dies „die Macht des Eigentums der Arbeit gegenüber zurücktritt“. „Wir sehen das Wirken eines Gesetzes, das man als Gesetz von der abnehmenden Herrschaft des Eigentums über den Menschen bezeichnen kann“ (S.140).

Der Kern der Geschichte ist also die alte revisionistische Theorie von der stufenweisen Aushöhlung und Aufhebung des kapitalistischen Eigentums im Laufe der kapitalistischen Entwicklung selbst, durch das Spiel seiner eigenen Gesetze. Auch das ist bereits von Konrad Schmidt entwickelt worden, der davon sprach, daß der gewerkschaftliche und soziale Kampf durch die Gesetzgebung (S.31): „den Kapitaleigentümer durch Beschränkung seiner Rechte mehr und mehr in die Rolle eines Verwalters herabdrücken“ werde. Rosa Luxemburg hatte dieser Theorie gegenüber, die die Dinge geradezu auf den Kopf stellt, festgestellt:

„Je mehr der Produktionsprozeß vergesellschaftet wird, um so mehr beruht der Verteilungsprozeß auf seinem Austausch und um so unantastbarer und geschlossener wird das kapitalistische Eigentum, um so mehr schlägt das Kapitaleigentum aus einem Recht auf das Produkt der eigenen Arbeit in ein reines Aneignungsrecht gegenüber fremder Arbeit um. In dem Maße wie die persönliche Leitung des Fabrikanten überflüssig wird, und vollends in den Aktiengesellschaften, sondert sich das Eigentum an Kapital als Anspruchstitel bei der Verteilung (des Mehrwerts) gänzlich von persönlichen Beziehungen zur Produktion und ungehemmt in seiner reinen geschlossenen Form. In dem Aktienkapital und dem industriellen Kreditkapital (Finanzkapital) gelangt das kapitalistische Eigentumsrecht erst zu seiner vollen Ausbildung“ (Rosa Luxemburg, Werke, III, S.55).

Dies wurde geschrieben vor rund 30 Jahren: am Beginn der gewaltigen Entwicklung der Kapitalmonopole, die die ökonomische Grundlage des Imperialismus bilden. Seitdem hat sich die kapitalistische Zentralisation, die Entwicklung des Finanzkapitals, die Trennung der kapitalistischen Mehrwertaneignung von der Beteiligung an der unmittelbaren Leitung der Produktion und damit die Ausarbeitung des kapitalistischen Eigentums als eines reinen Aneignungstitels fremder Arbeit in gewaltigem Umfang weiter entwickelt und zugespitzt. Die großen Kapitalmonopole eignen sich nicht nur den Mehrwert an, den der Lohnarbeiter schafft, sie ziehen in steigendem Maße auch den Mehrwert „fremder“ Kapitalisten und das Mehrprodukt der Masse der einfachen Warenproduzenten, der Kleinbauern, Handwerker, Kleinkaufleute usw. an sich. Die soziale Macht des kapitalistischen Eigentums hat sich ungeheuer erweitert. Die kapitalistischen Monopole beherrschen den bürgerlichen Staat immer direkter und umfassender. Der klassische Typus des bürgerlichen Staates ist heute die „Trustrepublik“, in dem die Trusts den Staatsapparat, wie die bürgerlichen Parteiapparate beherrschen.

Die Entwicklung des kapitalistischen Eigentums geht daher gerade den umgekehrten Weg, den die Propheten der Wirtschaftsdemokratie sich einbilden, nicht den zur Beschränkung, sondern den zur schrankenlosen Herrschaft über den bürgerlichen Staat und über alle sozialen Verhältnisse. Der kollektive Arbeitsvertrag hat mit einer Einschränkung des kapitalistischen Eigentums so viel oder wenig zu tun, wie etwa der Getreidegroßhandel. Der kollektive Arbeitsvertrag liefert dem Kapital die Ware Arbeitskraft in großen Massen zusammengefaßt und sozusagen standardisiert. Der kollektive Arbeitsvertrag ist vom Gesichtspunkt der unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse gewiß ein Fortschritt gegenüber dem füheren Zustand, aber prinzipiell ändert er nicht das geringste am Lohnverhältnis als solchem und an den Ausbeutungsfunktionen des kapitalistischen Eigentums. Er faßt die früher ungeheuer zersplitterten Austauschakte zwischen Kapital und Arbeit in eine kleine Anzahl von Großumsätzen zusammen, normalisiert und konzentriert sie. Dieser Umsatz wird im großen aber nicht weniger durch das kapitalistische Lohngesetz beherrscht, als früher im kleinen.

Die Bestimmungen des Tarifvertrages sind prinzipiell derselben Art wie die des Einzellohnvertrags – kapitalistische Bestimmungen. Wenn der Getreidegroßhändler 1.000 Tonnen skandinavischen Weizens kauft, so verzichtet der damit auf das Recht, für jeden einzelnen Sack Weizen, je nach der individuellen Beschaffenheit, einen besonderen Preis festzusetzen. Niemand fällt es ein, hier von einer Einschränkung seiner Rechte als kapitalistischer Käufer zu reden; denn Säcken Weizen oder ihren Besitzern braucht man keine Flausen von Wirtschaftsdemokratie vorzumachen.
 

6. Die allgemeinen Voraussetzungen, Zwecke und Aussichten der wirtschattsdemokratischen Ideologie

Wir haben im vorstehenden im einzelnen bewiesen, daß die wirtschaftsdemokratische Ideologie nur eine den veränderten Zeitumständen angepaßte Erneuerung der alten revisionistischen Illusionen ist und daß sie ebenso unhaltbar ist wie diese. Es bleibt uns noch übrig, die allgemeinen Voraussetzungen, Zwecke und Aussichten dieser falschen Ideologie aufzuzeigen.

Die wirtschaftsdemokratische Ideologie hat, wie jede andere Ideologie, ihre bestimmten objektiven, materiellen Voraussetzungen. Diese sind in erster Linie das gewaltige Wachstum der kapitalistischen Monopole in Deutschland, die beherrschende Stellung, die sie sich sowohl in der Wirtschaft wie in der Politik erobert haben.

Die zweite wirkliche Voraussetzung ist die relative Stabilisierung, die Überwindung der Nachkriegszeit, der wirtschaftliche Neuaufstieg, den der Kapitalismus nach Überwindung der Inflations- und Deflationskrise genommen hat. Insbesondere kommen die objektiven Ansichten zu dieser Ideologie aus den Wirkungen der Kapitalmonopole auf die Arbeiterklasse als Produzenten wie auf die breite Masse der Konsumenten überhaupt: den übermächtigen Druck der Monopole auf die Löhne, den wachsenden durchschnittlichen Umfang der industriellen Reservearmee, den Preiswucher, die soziale und staatliche Herrschaft der Trusts.

Die subjektiven Voraussetzungen der wirtschaftsdemokratischen Ideologie bestehen ganz allgemein in der Preisgabe des proletarisch-revolutionären zugunsten des kleinbürgerlich-reformistischen Standpunktes gegenüber dem Kapitalismus im allgemeinen und dem monopolistischen Kapitalismus im besonderen. Die Kapitalmonopole und ihre Erscheinungen werden vom Horizont des demokratischen Kleinbürgers aus betrachtet. Dessen allgemeiner Standpunkt ist bekanntlich nicht die revolutionäre Dialektik, sondern der des Einerseits Andererseits. Einerseits respektiert der demokratische Kleinbürger die monopolistischen Kapitalriesen als überlegene und von seinem Standpunkt aus unüberwindliche und ewige Mächte. Er respektiert sie als die ins Riesige erweiterte Gestalt des kleinbürgerlichen Privateigentums. Wie alles in der Welt, so haben auch die Kapitalmonopole für den demokratischen Kleinbürger eine „gute Seite“ und eine „schlechte Seite“. Man muß die gute Seite erhalten und die schlechte Seite ausmerzen. In der Wirklichkeit hängen die „guten“ und die „schlechten“ Seiten des Kapitalmonopols aber unzertrennlich zusammen. Die „schlechten“ Seiten des Kapitalmonopols sind in der Wirklichkeit nur aufzuheben durch einen revolutionären Akt, der das Kapitalmonopol als Ganzes und damit das kapitalistische Eigentum überhaupt aufhebt. Aber der Kleinbürger schreckt vor dieser revolutionären Konsequenz zurück. Mit der Aufhebung des großkapitalistischen Eigentums sieht er sein kleinbürgerliches Eigentum bedroht. Er muß also die „schlechten“ Seiten der Kapitalmonopole in der Illusion, in der Phantasie aufheben, auf dem Wege einer erdichteten, friedlichen erschütterungsfreien Entwicklung, durch die sich die reißende Partei des Kapitalmonopols in das sanfte Lämmlein des Sozialismus umwandelt. Da aber aus Nichts Nichts wird, so muß der reformistische Kleinbürger im Kapitalmonopol schon heute überall „Keime“ des Sozialismus entdecken. Dabei wird der Standpunkt des Klassenkampfes vertauscht mit dem der Klassenharmonie, der der marxistischen Ökonomie mit dem der bürgerlichen Vulgärökonomie. Praktisch tritt eine Solidarisierung mit dem Kampf der deutschen Bourgeoisie um den ökonomischen Wiederaufstieg ein – was den festen und definitiven Übergang auf den Boden des neudeutschen Imperialismus einschließt.

Die allgemeinen Zwecke der wirtschaftsdemokratischen Ideologie sind dreifacher Art.

Erstens. Die Sozialdemokratie und die reformistischen Gewerkschaften können als auf bürgerlichem Boden stehende Arbeiterorganisationen das sozialistische Endziel in der Wirklichkeit und Wahrheit nicht mehr festhalten. Sie haben es in der Tat längst preisgegeben durch ihre praktische Solidarisierung mit der deutschen Bourgeoisie im Weltkriege und danach durch ihre Solidarisierung mit dem Wiederaufbau des Kapitalismus in Deutschland während seiner schweren Nachkriegskrise. Gegenwärtig durch ihre Stellungnahme in den laufenden Wirtschaftskämpfen, die durchaus vom Boden der Klassenharmonie, vom kapitalistischen Boden aus erfolgt. Aber um Arbeitermassen in einem Lande selbst für bürgerliche Zwecke organisieren zu können, wo die Sozialdemokratie eine jahrzehntelange klassenkämpferische und revolutionäre Tradition hinter sich hat, wo die Gewerkschaften aus dem Schoße der Sozialdemokratischen Partei und Ideologie entstanden sind und wo gegenwärtig die Klassengegensätze objektiv scharf zugespitzt sind: – dazu bedarf es des Sozialismus wenigstens als illusionäres Ziel, als Phrase, es bedarf der traditionellen sozialistischen Sprache. Aber das allein genügt nicht mehr. In dem Maße wie die Übergriffe der Kapitalmonopole wachsen, wie der Widerstand der Arbeiterklasse und der Werktätigen überhaupt dagegen sich tatsächlich verschärft, wie in der Arbeiterklasse mehr und mehr das Gefühl wächst, daß der bloße gewerkschaftliche Tageskampf nicht nur nicht an die Wurzeln der Macht der Kapitalmonopole rührt, sondern daß er auch als Kampf um die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse mehr und mehr versagt: so wächst in der Arbeiterklasse das Bedürfnis, einen Weg gezeigt zu bekommen, der vom gewerkschaftlichen Alltagskampf zum sozialistischen Endziel führt. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften fügen daher dem illusionären, scheinbaren sozialistischen Endziel einen ebenso illusionären und scheinbaren Weg zum Endziel hinzu. Sie konstruieren daher eine umfassende reformistische Übergangslosung zu dem nur scheinbar festgehaltenen sozialistischen Endziel. Dies ist der allgemeine Charakter der wirt schaftsdemokratischen Ideologie. Der allgemeine Zweck dieser Ideologie ist das Einfangen, Abstumpfen und Unschädlichmachen der wachsenden oppositionellen Stimmung in der Arbeiterklasse und in Teilen des Kleinbürgertums gegen die Truste und ihre Herrschaft. Die wirtschaftsdemokratische Ideologie oder Illusion setzt an die Stelle der revolutionären Ausrichtung des gewerkschaftlichen und politischen Tageskampfes gegen die Truste Scheinreformen und eine Scheinkontrolle der Truste durch „das Volk“: die „Demokratisierung“ der Truste, ihre Geheimkontrolle durch Organe des bürgerlichen Staates, der Fleisch vom Fleische und Bein vom Bein der Truste geworden ist.

Die wirtschaftsdemokratische Ideologie bezweckt also, der wachsenden Opposition der Massen gegen die Truste die revolutionäre Spitze abzubrechen. Er befriedigt diese Opposition durch Scheinmaßregeln und Scheinperspektiven, um sie nicht durch wirkliche und wirksame Maßregeln befriedigen zu müssen, die nur revolutionärer Art sein könnten.

Zweitens dient die wirtschaftsdemokratische Illusion dazu, um den gewerkschaftlichen und politischen Alltagskampf selbst soweit einzudämmen, daß der Kapitalismus mit einem Mindestmaß von Erschütterungen „arbeiten“ kann. Die wirtschaftsdemokratische Illusion ist die Scheinvergoldung, die die nüchterne und die Arbeiterklasse instinktiv abstoßende Tendenz zum Burgfrieden, zum Wirtschaftsfrieden, zur Koalitionspolitik in ihren Augen mit einer höheren „idealen“ Weihe umgeben soll. Das prosaische Geschäft der Organe des bürgerlichen Staates bei der Schlichtung von Streiks wird geweiht dadurch, daß dieser bürgerlich-demokratische Staat umphantasiert wird in den Wegbereiter des Sozialismus. Würde die Sozialdemokratie der Arbeiterklasse zumuten, den Klassenkampf gegen das Trustkapital zu dämpfen oder einzustellen, so wie es wirklich ist: im Interesse des Trustkapitals und auf offene und direkte Weisung des Trustkapitals, so würde dieses Spiel sehr schnell zu Ende sein. Deshalb sagt sie der Arbeiterklasse: dämpft den Klassenkampf oder stellt ihn ein – im Interesse des Sozialismus und des Weges zum Sozialismus. Beugt euch, nicht dem Trustkapital, sondern dem höheren Wesen, genannt bürgerliche Republik, das als gerechter Schiedsrichter über den Klassen und über dem Klassenkampf thront und das ihr, mit dem Stimmzettel bewaffnet, am Ende in ein proletarisches Staatswesen verwandeln könnt.

Drittens. Für die kleine obere Schicht, die, aus den Reihen der Arbeiterschaft hervorgegangen, in den unmittelbaren Dienst der bürgerlichen Republik und des Trustkapitals tritt, ist die wirtschaftsdemokratische Ideologie das Mittel, um diesen Übergang in das bürgerliche Lager vor sich selbst wie vor den Augen ihrer Gefolgschaft zu markieren und danach einen „höheren“ „sozialistischen“ Endzweck zu rechtfertigen. Sie ist so nicht nur ein Mittel zur Täuschung der Massen, sondern auch zur Selbsttäuschung derer, die diesen Massenbetrug führen und ausführen.

Welches sind schließlich die allgemeinen Aussichten der wirtschaftsdemokratischen Ideologie? Sie sind aus objektiven Gründen bedeutend kurzlebiger als die tradeunionistische bürgerliche Ideologie der sechziger, siebziger und achtziger Jahre. Jene beruhte auf dem englischen Welthandels- und Industriemonopo! dieser Jahrzehnte, die einer ziemlich breiten Oberschicht der englischen Arbeiterklasse eine relativ stabile Vorzugsstellung sicherte. Die wirtschaftsdemokratische Ideologie dagegen beruht auf einem relativ kurzatmigen Neuaufschwung des Kapitalismus in Deutschland nach der Inflations- und Deflationskrise, auf einem neugewonnen, aber nicht stabilen ökonomischen Gleichgewicht, auf einer Konjunktur, die eng begrenzt ist und bereits abzubröckeln beginnt. Und vor allem: sie beruht auf niedrigen Löhnen, auf die stets neue Angriffe von der Unternehmerseite her gemacht werden, auf hohen Preisen im Inland und auf einer sich verschärfenden kapitalistischen Konkurrenz um die äußeren Märkte.

Ein deutliches Zeichen der Zeit ist, daß der Widerstand gegen die Schlichtungsordnung, also gegen den Wirtschaftsfrieden, von beiden gesellschaftlichen Polen her gleichzeitig erfolgt: von der Arbeiterklasse und von den Unternehmern. Die Arbeiterklasse beginnt diesen Kampf unter kommunistischer Führung, wenn auch noch sehr schwach; aber sie beginnt ihn. Die Unternehmer ihrerseits haben ihn jetzt mit großer Wucht begonnen mit der Aussperrung der Eisenindustriellen im Ruhrgebiet. Die Schlichtungsordnung ist unter diesem doppelten Ansturm zum baldigsten Untergang verurteilt. Das bedeutet aber eine allgemeine Verschärfung des Klassenkampfes im allgemeinen und des wirtschaftlichen Kampfes im besonderen. Die scheinbare Mittlerrolle des bürgerlichen Staates im Klassenkampf erhält dadurch einen schweren Stoß und damit gleichzeitig die wirtschaftsdemokratische Illusion. Geht die abbröckelnde Wirtschaftskonjunktur in die aktue Krise über, so muß die mit der Wirtschaftsdemokratie verbundene Illusion vom stufenweisen Aufstieg der Arbeiterlöhne vollends in die Brüche gehen. Gleichzeitig wächst der Druck des Trustkapitals auf die städtischen und ländlichen Kleinproduzenten, die Bauern und Handwerker. Der Klassenkampf im ganzen geht daher in kurzer Frist einer allgemeinen Verschärfung entgegen. Die wirtschaftsdemokratischen Illusionen werden unter ihrer Einwirkung zerbröckeln und zerbrechen.

Dazu kommt noch ein besonderer Umstand. Die eigentliche soziale Basis der wirtschaftsdemokratischen Illusionen ist die neue Arbeiteraristokratie und der neue Mittelstand, die Techniker usw. Die Rationalisierung hat in ihrer ersten Etappe eine Erweiterung des Angestelltenapparates in den Betrieben gebracht und zugleich eine Erweiterung des Abstandes zwischen der Schicht der industriellen „Unteroffiziere“ und der breiten Masse der Arbeiter. Die zweite Etappe der Rationalisierung hat die Tendenz, auf den Apparat der Rationalisierung im Betrieb selber überzugreifen, seinen Umfang zu vermindern, ihn zu verbilligen. Es ist dies gewissermaßen Rationalisierung in zweiter Potenz.

Dies sind nur einige der wichtigsten objektiven Faktoren, die dahin wirken, den wirtschaftsdemokratischen Schwindel zu unterhöhlen und ihn schließlich zu liquidieren. Diese Liquidierung wird um so schneller geschehen, je besser die kommunistische Partei es verstehen wird, sich eine führende Stellung in den Wirtschaftskämpfen und im Klassenkampf der Arbeiter zu erobern und der wirtschaftsdemokratischen Propaganda der Sozialdemokratie eine revolutionäre Gegenpropaganda gegenüberzustellen, die, von dem gegebenen Stand des Klassenkampfes ausgehend, der Arbeiterklasse den Weg zu den revolutionären Massen- und Machtkämpfen aufzuzeigen versteht, die der sich verschärfende Kampf gegen das Trustkapital heranreifen läßt.

Der Schlüssel dazu ist aber der einfache Gedanke, daß der Kampf gegen die kapitalistischen Monopole nur von der Arbeiterklasse und nur im Gegensatz zur Bourgeoisie und dem bürgerlichen Staat geführt, und daß er nur als revolutionärer Machtkampf siegen kann.




Note

1. Die Einheit – Zeitschrift für Fragen des Sozialismus und der Gewerkschaftseinheit, in der die Artikel Thalheimers erschienen, druckte sowohl Beiträge von Kommunisten als auch Sozialdemokraten. Schriftleiter war Hans Beck, der über gute Kontakte zu Brandler und Thalheimer wegen seiner Tätigkeit bei den ,,Arbeiterreisen in die SU“ verfügte. Bis zuletzt hat er diese Zeitschrift für die sich in der KPD bildende Opposition offengehalten.


Zuletzt aktualisiert am 23.12.2008