William Morris

Zeichen der Zeit

Sieben Vorträge bei verschiedenen Gelegenheiten gehalten

1888


Übersetzung: von Paul Seliger, Leipzig, Hermann Seemann Nachfolger, 1902. Nach der Originalausgabe von William Morries: Signs of Change, Seven Lectures Delivered on Various Occasions, London, Reeves and Turner, 1888.
Transkription: Thomas Schmidt für das Marxists' Internet Archive
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Inhalt:


 

Vorrede

Von den sieben in diesem Buche enthaltenen Aufsätzen sind zwei „Die Ziele der Kunst“ und „Nützliche Arbeit gegenüber unnützer Mühe“ als Flugschriften erschienen; drei andere „Wie wir leben und wie wir leben könnten“, „Whigs, Demokraten und Sozialisten“ und „Das feudale England“ sind aus der sozialistischen Wochenschrift The Commonwealth abgedruckt, die beiden übrigen werden hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Die Aufsätze gehören sämtlich zu den schlichten sozialistischen Vorlesungen, die zum mündlichen Vortrage bestimmt sind; wenn es einer Entschuldigung für ihre Veröffentlichung bedarf, was wohl der Fall sein mag, so besteht die einzige, die ich vorzubringen habe, darin, dass ich oft von einigen meiner Zuhörer gebeten worden bin, sie zu veröffentlichen, und dass ich die Hoffnung hege, die Darlegungen, die jene interessiert haben, möchten auch andere interessieren, die ihnen zum ersten Mal in einem Buche anstatt in einem Vortragsraum begegnen.

Ich muss den Leser um Nachsicht in Betreff der Wiederholungen bitten, die in diesen Aufsätzen vorkommen. Sozialistische Redner sprechen beinahe immer vor einem gemischten Publikum und hoffen jedes Mal, dass unter ihren Zuhörern sich auch manche befinden, für die der Sozialismus nur ein Wort ist und die bisweilen eine verschwommene Vorstellung, bisweilen aber auch gar keine davon haben, was dieses Wort bedeutet; ich sage „hoffen“, da es hauptsächlich Leute wie die genannten sind, die sie besonders gern über ihre Anschauungen aufklären möchten. Deshalb dürfen sie fast in keinem Vortrage die Erläuterung gewisser grundlegender Sätze übergehen, wie z. B. der Notwendigkeit der Abschaffung des Alleinbesitzes der Produktionsmittel. In der Tat erwarten oft manche ihrer Zuhörer, dass sie dies in viel eingehenderer Weise tun, als es geschieht, und sind unzufrieden, wenn ihnen über diese Punkte nicht genügende Belehrung zuteil wird, die aber keine Geschicklichkeit in den Raum eines einstündigen Vortrags zusammendrängen könnte, der sich noch mit einem besonderen Thema zu beschäftigen hat.

Im übrigen habe ich nur zu sagen, dass diese Vorträge dem Leser verschiedene Seiten des Sozialismus von dem Standpunkte eines Mannes vorführen, der weder berufsmäßiger Nationalökonom noch berufsmäßiger Politiker ist. Meine tägliche Beschäftigung hat mir den Gegensatz zwischen Vergangenheit und Gegenwart klargemacht und mich mit Kummer und Schmerz über Dinge erfüllt, die viele nur wenig oder gar nicht beachten. Die Abneigung gegen den Pessimismus, die, wie ich glaube, bei jemandem, der sich berufsmäßig mit Kunst beschäftigt, erklärlich ist, ließ mich einst hoffen, dass die hässlichen Widerwärtigkeiten der Zivilisation durch den bewussten Willen denkender Menschen beseitigt werden könnten; als ich jedoch versuchte, andere zu dieser Reform zu bewegen, fand ich, dass die Ursachen für die Schändlichkeiten der Zivilisation tiefer lagen, als ich geglaubt hatte, und Schritt für Schritt wurde ich zu der Schlussfolgerung gedrängt, dass alle jene Hässlichkeiten nur der Ausdruck der inneren sittlichen Gemeinheit sind, die uns unsere gegenwärtige Gesellschaftsform ausgezwungen hat, und dass es sinnlos ist, ihnen von außen beikommen zu wollen. Was ich auch über diese sozialen Fragen geschrieben oder auf der Rednerbühne gesprochen habe, ist das Ergebnis davon, dass die Wahrheiten des Sozialismus den früheren Anstoß verstärkten und ihm ein bestimmtes und bedeutenderes Ziel steckten; ich kann zum Schluss nur hoffen, dass meinen Lesern, die sich durch die Ungerechtigkeiten der Zivilisation schwer bedrängt fühlen und nicht wissen, woher sie neuen Mut schöpfen sollen, dieselbe Erleuchtung zuteil wird wie mir und dass selbst die weniger durchgearbeiteten Abschnitte dieses Buches ihnen dazu verhelfen.

Hammersmith, im März 1888
William Morris

 


Wie wir leben und wie wir leben könnten

Das Wort Revolution, das wir Sozialisten so oft gebrauchen müssen, hat in den Ohren der meisten Menschen einen schrecklichen Klang, selbst wenn wir ihnen erklärt haben, dass es nicht notwendig eine von Aufruhr und Gewalttätigkeit aller Arten begleitete Umwälzung bedeutet und unmöglich eine von einer Anzahl Menschen, die sich auf irgend eine Weise für kurze Zeit der Staatsgewalt bemächtigt haben, mechanisch und der öffentlichen Meinung zum Trotz bewirkte Veränderung bezeichnen kann. Selbst wenn wir erklären, dass wir das Wort Revolution in seinem etymologischen Sinne gebrauchen und darunter eine Veränderung der Grundlage der Gesellschaft verstehen, scheuen die Menschen vor dem Gedanken an eine so umfassende Umgestaltung zurück und verlangen, dass man von Reform und nicht von Revolution sprechen soll. Da wir Sozialisten jedoch keineswegs unter unserem Wort Revolution das Verstehen, was diese würdigen Leute mit Reform bezeichnen, so müsste ich es unbedingt für einen Fehler halten, wenn wir letzteren Ausdruck gebrauchten, was auch immer für Pläne unter jener harmlosen Hülle verborgen sein mögen. So wollen wir denn an unserem Worte festhalten, das eine Veränderung in der Grundlage der Gesellschaft bedeutet; es kann die Menschen erschrecken, aber wird sie zum wenigsten daran erinnern, dass man etwas zu befürchten hat, was dadurch, dass man die Augen davor verschließt, nicht gefahrloser wird; manche wird es auch ermutigen und für sie mindestens keine Befürchtung, sondern eine Hoffnung bedeuten.

Furcht und Hoffnung – das sind die Namen der zwei großen Leidenschaften, die das Menschengeschlecht beherrschen und mit denen die Revolutionäre zu tun haben; unsere Aufgabe ist es, den vielen Unterdrückten Hoffnung und den wenigen Unterdrückern Furcht einzuflößen; wenn wir das erstere tun und den vielen Hoffnung einflößen, so müssen die wenigen durch deren Hoffnung in Schrecken gesetzt werden; auf andere Weise wollen wir sie gar nicht in Furcht versetzen, denn nicht Rache wünschen wir für die Armen, sondern Befriedigung; welche Rache könnte man in der Tat für all die tausendjährigen Leiden der Armen nehmen?

Viele von den Unterdrückern der Armen, ja die meisten können wir sagen, sind sich indessen gar nicht bewusst, dass sie Unterdrücker sind (wir werden gleich sehen, weshalb); sie führen ein geordnetes, ruhiges Leben und sind von der Stimmung eines römischen Sklavenbesitzers sehr weit entfernt; sie wissen, dass die Armen da sind, stellen sich ihre Leiden aber nicht lebhaft und eindringlich vor; sie haben selbst Sorgen zu tragen und glauben ohne Zweifel, dass Sorgenhaben das Los der Menschheit ist; auch haben sie kein Mittel, die Sorgen ihres Lebens mit denen der Leute in niedrigerer sozialer Stellung zu vergleichen, und selbst wenn der Gedanke sich ihnen aufdrängt, dass diese Sorgen schwerer sein könnten, so trösten sie sich mit dem Grundsatz, dass die Menschen an die Sorgen, die sie zu tragen haben, gewöhnt sind, welcher Art diese auch sein mögen.

Allerdings ist das, soweit wenigstens die Einzelnen in Betracht kommen, nur allzu wahr, so dass wir als Stützen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge, so schlecht er auch sein mag, zunächst jene bequemen unbewussten Unterdrücker haben, die von einer Veränderung, die mehr als die leichtesten und allmählichsten Reformen bringen würde, alles befürchten zu müssen glauben, und zweitens jene armen Leute, die in der schweren Not und Sorge ihres Lebens kaum den Gedanken an eine Wendung zum Besseren zu fassen Vermögen und deswegen auch nicht den kleinsten Teil ihres ärmlichen Besitzes aufs Spiel zu setzen wagen, um irgend etwas zur Besserung ihrer Lage zu unternehmen. Während wir somit bei dem Reichen wenig mehr tun können als ihm Furcht einzuflößen, ist es allerdings schwer, den Armen mit Hoffnung zu erfüllen. Es ist daher nicht mehr als billig, dass diejenigen, die wir in den großen Kampf um eine bessere Lebenshaltung, als die wir jetzt führen, hineinreißen wollen, uns auffordern, ihnen wenigstens einen ungefähren Begriff von dem zu geben, was dieses neue Leben ihnen bringen wird.

Eine billige, aber schwer zu erfüllende Forderung, da wir unter einem System leben, das bewusste Anstrengungen macht, einen beinahe unmöglichen Wiederaufbau zu unternehmen; wir haben daher allen Grund, unsererseits zu sagen: „Gewiß gibt es bestimmte Hindernisse, die sich dem wirklichen Fortschritt des Menschengeschlechts in den Weg stellen; wir können euch sagen, welcher Art diese sind; räumt sie weg, dann werdet ihr sehen.“

Trotzdem will ich mich jetzt selbst als Opfer anbieten, um denen genugzutun, die der Hinsicht sind, dass wir, wie die Dinge jetzt liegen, doch wenigstens etwas erreicht haben, und bei dem Gedanken erschrecken, ihren Anteil daran einzubüßen, um vielleicht zu finden, dass sie schlimmer daran sind als zuvor und überhaupt nichts mehr besitzen. Um jedoch im Verlaufe meines Vortrags zu zeigen, wie wir leben könnten, muss ich mich mehr oder weniger mit Negativem befassen. Ich meine damit, ich muss nachweisen, in welcher Beziehung wir bei unseren gegenwärtigen Bemühungen für ein menschenwürdiges Dasein unser Ziel zu kurz stecken. Ich muss die Reichen und Wohlhabenden fragen, welcher Art denn ihre Stellung ist, die sie so ängstlich bestrebt sind, um jeden Preis aufrecht zu erhalten, und ob, alles in allem genommen, es denn ein so furchtbarer Verlust für sie sein würde, sie aufzugeben, und ich muss die Armen darauf hinweisen, dass sie, ausgerüstet mit allen Fähigkeiten zu einem würdigen Leben, sich in einer Lage befinden, die sie ohne beständige Erniedrigung nicht ertragen können.

Wie leben wir nun unter unserem jetzigen System? Werfen wir einen kurzen Blick darauf.

An erster Stelle bitte ich Sie zu beachten, dass unser gegenwärtiges Gesellschaftssystem auf einem fortwährenden Kriegszustand begründet ist. Glaubt jemand von Ihnen, dass dies ist, wie es sein sollte? Ich weiß, man hat Ihnen oft gesagt, dass die Konkurrenz, die gegenwärtig die gesamte Produktion beherrscht, ein Vorteil ist und den Fortschritt des Menschengeschlechts befördert; aber die Leute, die Ihnen dies sagen, müssten für „Konkurrenz“ den kürzeren Ausdruck „Krieg“ gebrauchen, wenn sie ehrlich sein wollten, und es würde Ihnen dann freistehen, zu entscheiden, ob der Krieg den Fortschritt in anderer Weise begünstigt oder nicht, als dies ein wildgewordener Stier tun würde, der Sie in Ihrem eigenen Garten herumjagt. Krieg oder Konkurrenz, wie Sie es nennen wollen, bedeutet im besten Falle Verfolgung Ihres eigenen Vorteils auf Kosten des Verlustes eines anderen, und dabei dürfen Sie nicht zaudern, Ihren eigenen Besitz aufs Spiel zu setzen, sonst werden Sie unzweifelhaft in dem Kampfe unterliegen. Sie verstehen dies vollkommen wie bei der Art von Krieg, in den die Menschen ziehen, um zu töten und getötet zu werden, in dem Schiffe z. B. den Auftrag erhalten, „zu versenken, zu verbrennen und zu vernichten“; wahrscheinlich aber sind Sie sich der Verwüstung nicht so klar bewusst wenn Sie nur jenen anderen Krieg, „Handel“ genannt, weiter fortführen; es ist jedoch zu bemerken, dass die Verwüstung hier ganz dieselbe ist.

Lassen Sie uns jetzt diese Art von Krieg etwas näher betrachten, einige seiner Formen uns vor Augen führen, damit wir sehen, wie das „Verbrennen, Versenken und Vernichten“ in ihm vonstatten geht.

Zunächst haben Sie jene Form von so genannter nationaler Gegnerschaft, die heute in voller Wahrheit die Ursache aller von zivilisierten Völkern mit Pulver und Bajonett geführten Kriege ist. Früher scheuten wir Engländer davor zurück, ausgenommen bei jenen günstigen Gelegenheiten, wo wir sie ohne jede Gefahr für uns selbst führen konnten, wo das Töten ganz auf einer Seite war oder wenn wir dies unter allen Umständen erwarten konnten. Wir sind lange Zeit vor einem wirklichen Kriege mit einem ebenbürtigen Gegner zurückgescheut, und ich will Ihnen sagen, warum: es ist geschehen, weil wir den Löwenanteil am Weltmarkte gehabt hatten; wir brauchten nicht als Nation um ihn zu kämpfen, denn wir hatten ihn erlangt; gegenwärtig jedoch hat sich dies in höchst bezeichnender und für einen Sozialisten höchst erfreulicherweise geändert; wir verlieren diesen Löwenanteil oder haben ihn verloren; es herrscht jetzt zwischen den großen Kulturnationen eine verzweifelte „Konkurrenz“ um den Weltmarkt, und morgen kann ein verzweifelter Krieg darum entbrennen. Daraus ergibt sich, dass die Begünstigung des Krieges (wenn er nicht einen zu großen Umfang annimmt) nicht länger auf den Wahlspruch der alten Torys: „Ehre und Ruhm“ beschränkt ist, die, wenn sie sich überhaupt etwas dabei dachten, von der Voraussetzung ausgingen, dass ein Torykrieg eine gute Gelegenheit sei, die Demokratie im Zaume zu halten; darin ist ein völliger Umschwung eingetreten, und gegenwärtig ist es eine ganz andere Klasse von Politikern, die uns zum „Patriotismus“, wie man es nennt, zu entflammen pflegen. Die Führer der fortschrittlichen Liberalen, wie sie sich selbst nennen, kluge Männer, die es wohl wissen, dass sich soziale Bewegungen vollziehen, denen es nicht entgeht, dass die Welt mit oder ohne ihr Zutun weiterschreitet, diese sind die Kriegsschreier der jüngsten Vergangenheit gewesen. Ich will damit nicht sagen, dass sie wissen, was sie tun: Politiker Verschließen, wie sie sehr gut wissen, sorgfältig ihre Augen vor allem, was sich sechs Monate später ereignen kann; was aber geschieht, ist dies, dass das gegenwärtige System, das stets nationale Gegnerschaft mitumfassen muss, in ein verzweifeltes Ringen um die Märkte unter mehr oder weniger gleichen Bedingungen mit anderen Nationen hineintreibt, weil wir, ich wiederhole es noch einmal, jenes Übergewicht über sie, das wir einst besaßen, verloren haben. „Verzweifelt“ ist kein zu starker Ausdruck. Wir müssen uns von dieser Notwendigkeit, uns Märkte zu sichern, leiten lassen, wir mögen wollen oder nicht. Heute ist es ein erfolgreicher Einbruch und Schande, morgen kann es eine offene Niederlage und Schande sein.

Dies ist keine Abschweifung, obgleich ich zugestehe, dass ich mich näher aus das eingelassen habe, was man gewöhnlich Politik nennt, als ich es je wieder tun werde. Ich wollte Ihnen nur zeigen, wozu sich der Handelskrieg entwickelt, wenn er es mit fremden Nationen zu tun hat, und dass selbst der Unerfahrenste sehen kann, wie er nur Verwüstung im Gefolge hat. In diesem Verhältnis stehen wir jetzt zu fremden Völkern, bereit, sie zugrunde zu richten, wenn möglich, ohne Krieg, wenn es nötig werden sollte, mit ihm, für den Augenblick ganz abgesehen von der schmachvollen Ausbeutung wilder Stämme und unzivilisierter Völker, denen wir durch die Mündungen unserer Kanonen zugleich unsere Schundwaren und unsere Heuchelei aufzwingen.

Nun, unzweifelhaft kann der Sozialismus Ihnen einen Ersatz für dies alles verschaffen. Er kann es; er kann Ihnen Frieden und Freundschaft anstatt des Krieges bieten. Wir können vollständig ohne nationale Gegnerschaft leben, wenn wir erkennen, dass, während für diejenigen, die das Bewusstsein haben, eine natürliche Gemeinschaft unter einem einzigen Namen zu bilden, Selbstregierung das beste ist, doch kein Gemeinwesen unter Kulturvölkern das Empfinden haben sollte, dass seine Interessen denen eines anderen entgegengesetzt seien, vorausgesetzt, ihre ökonomische Lage sei annähernd die gleiche, so dass jeder Bürger des einen Gemeinwesens sich seiner Arbeit widmen sowie seine Lebensweise ruhig beibehalten könnte, wenn er sich in einem fremden Lande aufhielte, und dass er ganz von selbst für seinen neuen Wohnsitz passte. Auf diese Weise würden alle Kulturnationen eine große Gemeinschaft bilden, deren einzelne Glieder sich soviel Zugeständnisse machen, wie in Bezug auf die Art und den Betrag der Produktion und Verteilung notwendig sind, sich der und jener Produktion zuwenden, wo sie gerade am besten getrieben werden kann, und mit allen Mitteln Arbeitsvergeudung verhindern. Aus dem Betrage der Vergeudung, die sie verhindern würden, können Sie entnehmen, in welchem Maße eine solche Umwälzung den Reichtum der Welt vermehren würde. Welches Wesen auf Erden könnte durch eine solche Umwälzung benachteiligt werden? Im Gegenteil, würde sich nicht jedermann wohler dabei fühlen? Und was steht dem im Wege? Ich will es Ihnen gleich sagen.

Inzwischen wollen wir uns von dieser „Konkurrenz“ zwischen den Nationen zu der zwischen den „Organisatoren der Arbeit“, den großen Firmen, den Kapitalsvereinigungen, kurz, den Geldleuten, wenden und zusehen, wie die Konkurrenz bei ihnen „die Produktion anspornt“; allerdings tut sie dies; aber welche Art von Produktion? Nun, die Produktion solcher Waren, die sich mit Gewinn verkaufen lassen, sozusagen die Produktion von Gewinn; jetzt beachten Sie, wie der Handelskrieg diese anspornt: ein bestimmter Markt braucht Waren; es gibt, sagen wir, hundert Fabrikanten, die diese Art Waren herstellen; jeder einzelne von diesen würde den Markt, wenn er es könnte, für sich allein ausnützen und kämpft verzweifelt, möglichst viel davon zu erhalten, mit dem unzweifelhaften Endergebnis, dass sofort die Sache übertrieben, der Markt überfüllt wird und dass diese ganze Raserei der Industrie in sich selbst zusammenfallen muß. Kommt Ihnen dies nicht ähnlich wie im Kriege vor? Bemerken Sie nicht die Vergeudung dabei – die Vergeudung von Arbeit, Geschicklichkeit, Können, mit einem Worte, Vergeudung des Lebens? Gut, können Sie sagen, aber die Konkurrenz macht die Waren billiger. In gewisser Hinsicht tut sie dies, jedoch nur scheinbar, da der Lohn des gewöhnlichen Arbeiters in der Regel in demselben Verhältnis sinkt, wie die Preise sinken, und mit welchen Kosten erkaufen wir diese anscheinende Billigkeit! Um deutlich zu sprechen, um die Kosten des Betrugs gegen den Konsumenten und des Verhungerns des wirklichen Herstellers zum Vorteil des Spielers, der sowohl Konsumenten als Produzenten als seine Milchkühe benutzt. Ich brauche nicht ausführlich auf das Thema der Verfälschungen einzugehen, denn jedermann weiß, was sie für eine Rolle bei dieser Art Handel spielen, wohl aber will ich daran erinnern, dass sie eine durchaus unumgängliche Begleiterscheinung des Gewinnziehens aus der Warenproduktion, das doch der Zweck der so genannten Fabrikanten ist, darstellen. Und auch das müssen Sie im Auge behalten, dass, als Ganzes genommen, die Konsumenten gegenüber dem Spieler völlig hilflos sind; die Waren werden ihnen durch ihre Billigkeit aufgezwungen und mit ihnen eine bestimmte Art von Lebensführung, die diese wirkungsvolle, diese angriffslustige Billigkeit für ihn festsetzt; denn dieser Einfluss des Handelskrieges reicht so weit, dass kein Land vor seinen Raubzügen sicher ist; tausendjährige Überlieferungen verschwinden vor ihm im Lauf eines Monats; er überwältigt ein schwaches oder halbzivilisiertes Land, und was auch immer von Poesie, Lebensfreude oder Kunst vorhanden war, wird zu einem schmutzigen Brei voll Gemeinheit und Hässlichkeit zerstampft; der indische oder japanische Handwerker kann seinen Beruf nicht länger in Muße ausüben, wobei er nur wenige Stunden am Tage arbeitete und eine Fülle fremdartiger Schönheit auf einem Stück Tuch hervorbrachte: eine Dampfmaschine ist in Manchester in Gang gesetzt worden, und dieser Sieg über die Natur und ein tausend entgegenstehender Schwierigkeiten wird als Grundlage für die Herstellung einer Art Gips aus chinesischem Ton und von Lumpenzeug benutzt; der asiatische Arbeiter wird, wenn er nicht buchstäblich verhungert, wie dies häufig vorkommt, selbst in eine Fabrik getrieben, um den Lohn seines Mitarbeiters in Manchester herabzudrücken, und nichts bleibt in ihm an Charakter bestehen, als, wie höchst wahrscheinlich, eine Anhäufung von Furcht und Hass gegen das ihm vollständig unerklärbare Übel, seinen englischen Herrn. Der Südseeinsulaner muss sein Kanuschnitzen, seine behagliche Ruhe, seine anmutigen Tänze aufgeben und der Sklave eines Sklaven werden: Pumphosen, Lumpenzeug, Rum, Missionare, unheilbare Krankheit – er muss diese ganze Kultur im Ganzen hinunterwürgen, und weder er selbst, noch wir, können ihm helfen, bis die soziale Ordnung die grässliche Tyrannei des Spiels, die ihn zugrunde gerichtet hat, verdrängt hat.

Das ist das Bild des Konsumenten; jetzt zum Produzenten; ich meine den wirklichen Produzenten, den Arbeiter; wie wirkt dieses Ringen um die Marktbeute auf ihn ein? Der Fabrikant musste in der Hitze des Kampfes ein gewaltiges Heer von Arbeitern auf einem Punkte vereinigen, er richtete sie ab, bis sie möglichst geschickt für seinen speziellen Produktionszweig, d. h. für die Erzielung eines Gewinnes daraus waren, und mit dem Ergebnis, dass sie sich zu nichts anderem eigneten. Wenn nun der Markt, den er zu versorgen hat, überfüllt ist, was geschieht dann mit diesem Heere, in dem jeder Einzelne von der ununterbrochenen Nachfrage auf diesem Markte abhängt und arbeitet, da er arbeiten muß, als würde es stets so weitergehen? Sie wissen sehr gut, was mit diesen Leuten geschieht: die Fabriktore sind ihnen verschlossen, einem sehr großen Teile von ihnen oft, und im besten Falle jener Reservearmee von Arbeitern, die in Zeiten des Aufschwungs so eifrig beschäftigt werden. Was wird aus ihnen? Gewiss, wir wissen dies gerade jetzt gut genug. Was wir aber nicht wissen oder nicht wissen wollen, ist der Umstand, dass diese Reservearmee von Arbeitern eine unerlässliche Notwendigkeit für den Handelskrieg ist; wenn unsere Fabrikanten diese armen Teufel nicht hätten, die sie an ihre Maschinen ziehen könnten, wenn der Bedarf wächst, so würden andere Fabrikanten in Frankreich, Deutschland oder Amerika einspringen und ihnen den Markt entreißen.

So sehen Sie, dass, wie wir jetzt leben, ein gewaltiger Teil der industriellen Bevölkerung notwendig von Zeit zu Zeit der Gefahr halber Verhungerung ausgesetzt ist, und zwar nicht zum Nutzen der Menschen in einem anderen Weltteile, sondern zu deren Erniedrigung und Knechtung.

Nun werfen Sie einen kurzen Blick auf den Umfang der Verwüstung, die diese Eröffnung von neuen Märkten unter wilden und unzivilisierten Völkerschaften bedeutet; sie ist das ausgeprägteste Beispiel von dem Einfluss, den der Gewinnmarkt auf die Welt ausübt, und Sie werden sicherlich erkennen, was für ein grässlicher Alp dieser Gewinnmarkt ist; er lässt uns in der Mühe und Sorge für das tägliche Brot nicht zu Atem kommen, wir können kein Buch lesen, kein Gemälde beschauen, keinen Spaziergang durch die grünenden Felder machen, nicht in der Sonne liegen oder an dem Wissen unserer Zeit teilnehmen, kurz uns weder einen physischen noch geistigen Genuss gönnen und wofür? Damit wir dieses Sklavenleben bis zu unserem Tode weiterführen, um einem reichen Manne ein Leben voller Genuss und Luxus zu verschaffen, d. h. ein Leben, so leer, so ungesund und erbärmlich, dass er vielleicht, im ganzen genommen, schlimmer daran ist als seine Arbeiter, und was das Ergebnis all dieser Leiden ist, so ist es noch das günstigste, wenn es überhaupt gleich Null ist, wenn man sagen kann, dass die Waren niemand einen Vorteil gebracht haben, denn oft haben sie viele Menschen geschädigt, und wir haben uns geplagt, haben gestöhnt und uns aufgerieben, um Gift und Vernichtungsmittel für unsere Mitmenschen zu schaffen.

Ich behaupte, all dies ist Krieg und die Folge des Krieges, des Krieges unserer Zeit, nicht zwischen konkurrierenden Nationen, sondern zwischen konkurrierenden Firmen oder Kapitalsvereinigungen, und dieser Krieg zwischen den Firmen ist es, der den Frieden zwischen den Nationen verhindert, den Sie sicher mit mir für so unerlässlich halten; denn Sie müssen wissen, dass Krieg der wahre Lebensodem dieser kämpfenden Firmen ist, dass sie jetzt zu unserer Zeit nahezu alle politische Macht in die Hände bekommen haben und dass sie sich in jedem Lande vereinigen, um ihre Regierungen hauptsächlich zur Erfüllung zweier Aufgaben zu veranlassen: die erste besteht darin, im Innern als starke Polizeimacht aufzutreten und den Kreis zu schließen, in dem die Starken die Schwachen niederschlagen; die zweite besteht darin, als eine piratenähnliche Leibwache nach außen zu wirken, als eine Petarde, um die Türen zu sprengen, die zu den Märkten der Welt führen; um jeden Preis Märkte nach außen, ein unbeschränktes Privileg, fälschlich laissez-faire genannt[1], zu Hause, um jeden Preis dies beides zu beschaffen ist die einzige Aufgabe einer Regierung, wie unsere Großindustriellen sie aufzufassen imstande sind. Ich muss mich nun bemühen, Ihnen die Gründe von alledem und worauf es beruht, darzulegen, indem ich die Frage zu beantworten suche: Wodurch haben die Gewinnmacher alle diese Macht erlangt oder wenigstens, wodurch vermögen sie sie aufrecht zu erhalten?

Dies führt uns auf die dritte Form des Handelskrieges: die letzte und zugleich diejenige, auf der alle übrigen beruhen. Wir haben zuerst von dem Kriege zwischen eifersüchtigen Nationen, dann von dem zwischen eifersüchtigen Firmen gesprochen: wir müssen jetzt von eifersüchtigen Menschen sprechen. Da die Nationen unter dem gegenwärtigen System genötigt sind, miteinander um die Märkte der Welt zu konkurrieren, und da die Firmen oder die Großindustriellen für ihren Gewinnanteil an den Märkten zu ringen haben, so haben auch die Arbeiter miteinander zu konkurrieren – um ihren Lebensunterhalt, und dieser beständige Wettbewerb oder Krieg zwischen ihnen ist es, der die Gewinnschlucker in den Stand setzt, ihre Gewinne einzuheimsen und mittels des so erworbenen Reichtums die ganze Staatsgewalt des Landes in ihre Hände zu bekommen. Hier liegt jedoch der Unterschied zwischen der Stellung der Arbeiter und der der Gewinnmacher: für die letzteren, die Gewinnschlucker, ist der Krieg unerlässlich; man kann ohne Konkurrenz zwischen Individuen, Körperschaften und Nationen keinen Gewinn erzielen: aber man kann für seinen Lebensunterhalt ohne Konkurrenz arbeiten; man kann sich vereinigen, anstatt zu konkurrieren.

Ich habe gesagt, dass Krieg der Lebensodem der Profitschinder sei, in demselben Sinne ist die Vereinigung das Lebenselement der Arbeiter. Die arbeitenden Klassen (das Proletariat) können als Klasse ohne eine Vereinigung irgend welcher Art gar nicht bestehen. Die Notwendigkeit, welche die Gewinnschlucker zwang, ihre Leute zuerst in Werkstätten, die nach dem Prinzip der Arbeitsteilung arbeiteten, zu vereinigen, dann in großen Fabriken, die mit Maschinen arbeiteten, zusammenzupferchen und sie so nach und nach in die großen Städte und die Mittelpunkte der Zivilisation zu ziehen, erzeugte eine besondere Arbeiterklasse oder ein Proletariat, und dies ist es, was ihr sozusagen ihre mechanische Existenz verschaffte. Es ist jedoch zu beachten, dass die Arbeiter sich in der Tat für die Warenproduktion zu sozialen Gruppen verbinden, bis jetzt allerdings nur äußerlich; sie wissen nicht, woran sie arbeiten, auch nicht, für wen sie tätig sind, weil sie sich zu der Herstellung von Waren vereinigen, bei denen der Gewinn des Fabrikbesitzers von wesentlicher Bedeutung ist, nicht zur Erzeugung von Gütern für ihren eigenen Gebrauch. Solange sie dies tun und miteinander um die Erlaubnis, es zu tun, konkurrieren, so lange werden sie lediglich ein Bestandteil der konkurrierenden Firmen bleiben, von denen ich soeben gesprochen habe, und auch selbst das Bewusstsein davon nicht los werden, sie werden in der Tat nichts anderes sein als ein Teil der Maschinen zur Erzielung eines Gewinnes, und solange dieser Zustand andauert, wird es das Bestreben der Besitzer oder Gewinnmacher sein, den Marktwert dieses menschlichen Teiles der Maschinen herabzudrücken; das heißt, da sie bereits die Arbeit Gestorbener in der Form von Kapital und Maschinen besitzen, so erfordert es ihr Interesse oder sagen wir die Zwangslage, in der sie sich befinden, so wenig wie möglich für die Arbeit Lebender zu bezahlen, die sie sich von Tag zu Tag verschaffen können, und da die Arbeiter, die sie beschäftigen, nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, so sind sie genötigt, einander für Beschäftigung und Lohn zu unterbieten und so den Kapitalisten in den Stand zu setzen, sein Spiel zu unternehmen.

Ich habe gesagt, dass, wie die Dinge jetzt liegen, die Arbeiter ein Bestandteil der konkurrierenden Firmen, ein Anhang zu dem Kapital sind. Jedoch sind sie dies nur aus Zwang und kämpfen, selbst ohne sich dessen bewusst zu sein, gegen diesen Zwang und seine unmittelbaren Folgen, die Herabsetzung ihrer Löhne und ihrer Lebenshaltung, an. Dies tun sie und müssen es tun sowohl als Klasse wie als Individuen, – genau wie der Sklave des römischen Großgrundbesitzers, obgleich er sich deutlich als zum Haushalt gehörig fühlte, doch als Mitglied der Sklavenschaft eine Kraft war, die im Stillen an der Vernichtung dieses Haushaltes arbeitete, und für seine Person seinen Herrn bestahl, wo er es ungestraft tun konnte. So haben Sie hier, wie Sie sehen, eine andere Form des Krieges, die den Verhältnissen entspricht, unter denen wir jetzt leben, den Krieg einer Klasse gegen die andere, der, wenn er seinen Höhepunkt erreicht, was gegenwärtig der Fall zu sein scheint, jene anderen Formen des Krieges, von denen wir gesprochen haben, beseitigen, die Stellung der Gewinnmacher, des beständigen Handelskrieges unhaltbar machen und das gegenwärtige System des Konkurrenzprivilegs oder Handelskrieges vernichten wird.

Nun beachten Sie, dass ich sagte, für die Existenz der Arbeiter sei der Zusammenschluss unerlässlich, nicht die Konkurrenz, während für die der Gewinnmacher der Zusammenschluss unmöglich, dagegen der Krieg unerlässlich ist. Die gegenwärtige Stellung der Arbeiter ist die einer Maschine zum Zwecke des Handels oder, deutlicher ausgedrückt, die seiner Sklaven; verändern sie diese ihre Stellung und werden frei, so muss die Klasse der Gewinnmacher aufhören zu existieren, und welches wird dann die Stellung der Arbeiter sein? In Wirklichkeit sind sie der einzige notwendige Bestandteil der Gesellschaft, der lebenspendende Teil, die anderen Klassen sind nur Anhängsel, die von ihnen leben. Was würden sie aber bedeuten, was werden sie bedeuten, wenn sie mit einem Male zur Erkenntnis ihrer tatsächlichen Macht gelangen und aufhören, miteinander um den Lebensunterhalt zu konkurrieren? Ich will es Ihnen sagen: sie werden die Gesellschaft, die Gemeinschaft sein. Und wenn sie die Gesellschaft sind – d. h. wenn keine andere Masse außer ihnen existiert, die sie bekämpfen müssten –, dann können sie ihre Arbeit in Übereinstimmung mit ihren eigenen Lebensbedürfnissen regeln.

Man spricht viel von Angebot und Nachfrage; Angebot und Nachfrage sind aber, im landläufigen Sinne genommen, künstlich erzeugt; sie befinden sich unter der Geißel des Spielermarktes; die Nachfrage wird, wie oben erwähnt, erzwungen, ehe noch das Angebot da ist; da ferner jeder Produzent gegen alle übrigen ankämpft, so können die Produzenten die Arbeit nicht einstellen, bis der Markt überfüllt ist und die brotlos gewordenen Arbeiter hören, dass Überproduktion vorhanden ist, ein Überschuss an unverkäuflichen Gütern, bei dem sie selbst an dem notwendigsten Mangel leiden, weil der Reichtum, den sie selbst geschaffen haben „schlecht verteilt“ ist, wie wir es nennen – das heißt, ihnen widerrechtlich weggenommen worden ist.

Wenn die Arbeiter die Gesellschaft sind, so werden sie ihre Arbeit regeln, so dass Angebot und Nachfrage von den wirklichen Bedürfnissen, nicht vom Glücksspiele abhängen; beide werden dann im richtigen Verhältnisse zu einander stehen, denn dieselbe Gesellschaft, die nachfragt, bietet auch an, es wird keine künstliche Hungersnot mehr geben, keine Armut inmitten von Überproduktion, inmitten eines zu großen Vorrates gerade an den Dingen, die die Armut beseitigen und in Wohlstand verwandeln würden. Kurz, es wird keine Vergeudung mehr geben und deswegen auch keine Tyrannei.

Nun wohl, was der Sozialismus Ihnen an Stelle dieser künstlichen Hungersnöte mit ihrer so genannten Überproduktion bietet, ist, ich wiederhole es, die Regelung der Märkte; Angebot und Nachfrage im richtigen Verhältnis zu einander, kein Glücksspiel und infolgedessen (ich wiederhole es) keine Vergeudung; keine Überanstrengung und Beschwerde für den Arbeiter in dem einen Monat und im nächsten keine Arbeit und die Gefahr des Verhungerns, sondern jeden Monat beständige Arbeit und reichliche Muße, keine billigen Marktwaren, das heißt verfälschte Waren, mit kaum einem inneren Werte, bloße Gerüstpfähle, um das Gebäude des Gewinns darauf zu errichten; keine Arbeit würde auf derlei Dinge verwandt werden, die die Menschen nicht mehr begehren würden, wenn sie aushörten, Sklaven zu sein. Nicht der Erzeugung jener Güter, sondern solcher, die die wahren Bedürfnisse der Konsumenten auf das vollkommenste befriedigen, würde sich die Arbeit zuwenden, denn wenn der Gewinn beseitigt ist, können die Leute bekommen, was sie wünschen, anstatt dessen, was die Gewinnjäger im In- und Auslande sie zu nehmen zwingen.

Denn was ich Ihnen klarzumachen wünsche, ist folgendes: dass in jedem zivilisierten Lande wenigstens für alle übergenug vorhanden ist oder in gewissem Grade doch sein könnte. Selbst bei der so missleiteten Arbeit, wie sie gegenwärtig ist, würde eine gleichmäßige Verteilung der Güter, die wir besitzen, allen Menschen ein verhältnismäßig behagliches Leben sichern; dies ist aber nichts gegen die Fülle der Güter, die wir besitzen würden, wenn die Arbeit richtig geleitet würde.

Es ist wohl zu beachten, dass in den frühesten Zeiten der Geschichte der Mensch der Sklave seiner unmittelbaren Bedürfnisse war. Die Natur war mächtig und er schwach, er hatte mit ihr einen beständigen Krieg um seine tägliche Nahrung und ein Obdach, wie er es gerade erhalten konnte, zu führen. Sein Leben war durch diesen beständigen Kampf niedergedrückt und auf das nächstliegende beschränkt, seine ganze Sittlichkeit, seine Gesetze, seine Religion richten sich in der Tat nur auf sein Auskommen und das Nachdenken über diese unaufhörliche Mühe, seinen Unterhalt zu erwerben. Die Zeit verging, und nach und nach, Schritt um Schritt wurde er stärker, bis er jetzt nach Ablauf all dieser undenklichen Zeit die Natur beinahe vollständig unterjocht hat, um, man könnte glauben, jetzt Muße zu haben, seine Gedanken auf etwas Höheres zu richten, als die Beschaffung des Mittagessens für morgen. Aber ach, sein Fortschritt ist gehemmt und unterbrochen worden, und obgleich er in der Tat die Natur bezwungen hat und ihre Kräfte meistern kann, um mit ihnen nach Belieben zu schalten, hat er sich noch selbst zu bezwingen, noch darüber nachzudenken, wie er die Kräfte, die er sich unterworfen hat, am besten verwenden kann. Gegenwärtig benutzt er sie blindlings, töricht, wie getrieben von der bloßen Schicksalsgewalt. Es scheint beinahe, als ob das Gespenst der unablässigen Sorge um die tägliche Nahrung, das einst den Wilden beherrschte, noch jetzt den zivilisierten Menschen verfolgte; er müht sich gleichsam in einem Traum ab, beunruhigt von unklaren, täuschenden Hoffnungen, die verschwommenen Erinnerungen an vergangene Tage ihre Entstehung verdanken. Aus diesem Traum muss er erwachen und die Dinge ins Auge fassen, wie sie tatsächlich sind. Die Unterwerfung der Natur ist vollendet, dürfen wir wohl sagen, und nun ist unsere Aufgabe und ist es schon längst gewesen, den Menschen zu organisieren, der die Naturkräfte lenkt. Auch werden wir uns, ehe dies wenigstens versucht worden ist, nicht einmal von jenem furchtbaren Gespenst des Hungertodes befreien können, das in Verbindung mit seinem schlimmen Bruder nach der Herrschaft strebt, uns zur Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Feigheit in all ihren Spielarten antreibt: die Furcht vor unseren Genossen abzulegen und uns ihnen unterzuordnen, die Konkurrenz zu beseitigen und das Zusammenwirken zu begründen, das ist das einzige, was wir tun müssen.

Wir wollen jetzt etwas näher auf Einzelheiten eingehen; Sie wissen wahrscheinlich, dass jedermann in einem Kulturstaate sozusagen mehr wert ist als seine Haut; gesellig arbeitend, wie er arbeiten muß, kann er mehr produzieren, als er braucht, sich selbst am Leben und bei Kräften zu erhalten; dies hat viele Jahrhunderte lang gedauert, tatsächlich von der Zeit an, wo kriegführende Stämme ihre gefangenen Feinde zu Sklaven machten, anstatt sie zu töten; und natürlich ist seine Fähigkeit, diesen Überschuss herzustellen, immer größer geworden, bis heutzutage ein Mann z. B. soviel Tuch in einer Woche weben kann, um ein ganzes Dorf jahrelang zu kleiden, und die wahre Kulturfrage ist immer die gewesen: was haben wir mit dieser überschießenden Arbeitsleistung anzufangen – eine Frage, die das Gespenst, die Furcht vor dem Hungertode, und seine Genossin, die Herrschsucht, die Menschen stets angetrieben hat, sehr schlecht zu beantworten, am allerschlechtesten vielleicht in unseren Tagen, in denen die überschießende Leistung mit so wunderbarer Schnelligkeit angewachsen ist. Die praktische Antwort ist immer für den Menschen der Kampf mit seinem Genossen um den Privatbesitz ihm nicht zukommender Anteile an diesen überschießenden Leistungen gewesen; List und Betrug aller Arten wurde von denen, die sich im Besitze der Macht wussten, diesen Tribut von anderen einzuziehen, angewandt, um die Beraubten in dauernder Unterwerfung zu halten, und diese letzteren hatten, wie ich schon angedeutet habe, keine Aussicht auf Widerstand gegen diese Ausbeutung, solange sie gering an Zahl und ohne Zusammenhang waren, und ihre gemeinsame Unterdrückung kam ihnen daher wenig zum Bewusstsein. Jetzt aber, wo die Menschen gerade infolge der Gier nach diesen ungerechtfertigten Anteilen oder dem überschießenden Erwerbe in Bezug auf die Produktion mehr voneinander abhängig geworden und gezwungen sind, wie ich vorher erwähnte, sich zu diesem Zwecke enger zu vereinigen, hat sich die Macht der Arbeiter, das heißt der geplünderten und ausgeraubten Klasse, ungemein gesteigert und nur das bleibt noch für sie zu wünschen übrig, dass sie wissen, sie haben diese Macht. Tun sie dies, so werden sie imstande sein, die richtige Antwort auf die Frage zu geben, was mit den Mehrerzeugnissen der Arbeit über das hinaus, was den Arbeiter zur Arbeit tauglich erhält, geschehen soll; diese Antwort lautet dahin, dass der Arbeiter all das bekommen soll, was er fertigstellt, und überhaupt nicht ausgebeutet wird. Erinnern Sie sich ferner, dass er in Gemeinschaft mit anderen schafft und deswegen die Arbeit wirklich leisten wird, die nach dem Maß seiner Fähigkeit von ihm verlangt wird. Von dem Ergebnis seiner Arbeit wird er das erhalten, was er nötig hat, denn, wie Sie sehen, kann er gar nicht mehr verwenden, als was er nötig hat – er kann es höchstens vergeuden.

Wenn Ihnen diese Ordnung der Dinge übertrieben ideal vorkommt, wie es wohl der Fall sein mag, wenn Sie auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse blicken, so muss ich in Ergänzung des Gesagten darauf verweisen, dass, wenn die Menschen organisiert sind, so dass ihre Arbeit nicht vergeudet wird, sie von der Furcht vor dem Verhungern und der Gier nach Herrschaft erlöst werden und freie Muße haben, sich umzublicken und zuzusehen, was sie in Wahrheit bedürfen.

Ich will jetzt etwas von dem, was ich persönlich für richtig halte, darlegen, und Ihnen meine Gedanken darüber mitteilen, so dass Sie sie mit den Ihrigen vergleichen können, indem ich Sie stets ersuche, sich zu erinnern, dass die Verschiedenheiten in den Fähigkeiten und Wünschen der Menschen, wenn das allen gemeinsame Bedürfnis nach Nahrung und Obdach befriedigt ist, es leichter machen werden, ihre Wünsche in einem kommunistischen Gemeinwesen zu erfüllen.

Welches sind nun meine Bedürfnisse, die mir die Verhältnisse um mich her – meine Beziehungen zu meinen Mitmenschen – gewähren können – abgesehen von den unvermeidlichen Zufällen, die auch durch Zusammenwirken und Voraussicht nicht geregelt werden können, wenn es solche gibt?

Nun, zuerst von allem wünsche ich mir gute Gesundheit, und ich behaupte, dass ein großer Teil der Bewohner eines zivilisierten Landes kaum weiß, was das heißt. Das bloße Leben als Genuss zu empfinden, mich an der Bewegung meiner Glieder und der Betätigung meiner körperlichen Kräfte zu erfreuen, mit Sonne, Wind und Regen gleichsam spielen, an der Befriedigung der natürlichen sinnlichen Triebe eines menschlichen Wesens ohne Furcht vor Erniedrigung oder ein Gefühl des Unrechttuns Gefallen zu finden: ja, und außerdem einen kräftigen schlanken Wuchs, gerade Glieder, einen starken Körper, ein ausdrucksvolles Gesicht zu besitzen – mit einem Worte schön zu sein – das ist es, was ich ebenfalls verlange. Wenn uns dieser Wunsch nicht befriedigt wird, so sind wir in jeder Hinsicht nur armselige Geschöpfe; und ich behaupte dies in offenem Widerspruch zu jenen schrecklichen asketischen Lehren, die, erzeugt von der Verzweiflung der Unterdrückten und Erniedrigten, so lange Zeit hindurch als Werkzeuge zur Aufrechterhaltung dieser Unterdrückung und Erniedrigung gedient haben.

Und ich glaube, dass dieses Verlangen nach einem gesunden Körper für uns alle zwei weitere Forderungen in sich schließt: denn wer weiß, wo die Keime der Krankheiten, an denen selbst die Reichen leiden, zuerst ausgestreut worden sind: vielleicht infolge des Wohllebens eines Vorfahren, aber oft, vermute ich, infolge seiner Armut. Und in Betreff des Armen hat ein berühmter Arzt gesagt, der Arme leide stets an einer Krankheit – dem Hunger, und wenigstens weiß ich, dass, wenn jemand bis zu einem gewissen Grade überarbeitet ist, er sich jener Art Gesundheit nicht erfreuen kann, von der ich spreche; ebensowenig kann er es, wenn er beständig an einen dumpfen Kreislauf mechanischer Arbeit gefesselt ist, ohne Hoffnung, dass dieser jemals ein Ende nehme, auch nicht, wenn er in beständiger drückender Sorge für seinen Unterhalt dahinlebt, wenn er eine schlechte Wohnung hat, wenn er aller Freude an der natürlichen Schönheit der Welt beraubt ist, oder wenn er das Vergnügen entbehren muß, um von Zeit zu Zeit seine Lebensgeister aufzufrischen: all dieses, das mehr oder weniger unmittelbar sein körperliches Befinden berührt, ist eine Folge der Forderung nach vollkommener Gesundheit, die ich erhebe; allerdings glaube ich, dass diese günstigen Verhältnisse mehrere Generationen hindurch in Kraft gewesen sein müssen, bevor die Bevölkerung im allgemeinen wahrhaft gesund ist, so wie ich es eben angedeutet habe; aber ebenso zweifle ich nicht daran, dass sie im Laufe der Zeiten im Verein mit anderen Bedingungen, von denen ich später sprechen werde, nach und nach eine solche Bevölkerung erzeugen werden, die sich wenigstens ihres physischen Daseins freut, infolgedessen glücklich und entsprechend der Schönheit ihrer Kasse schön ist. Hierbei möchte ich erwähnen, dass die tatsächlichen Verschiedenheiten der Menschenrassen eine Folge der Bedingungen sind, unter denen sie leben, und obgleich wir in diesen raueren Himmelsstrichen einige der klimatischen und landschaftlichen Vorteile entbehren müssen, so können wir doch, wenn wir für unseren Lebensbedarf und nicht für den Gewinn arbeiten, leicht viele dieser Nachteile unseres Klimas ausgleichen, wenigstens in einem Grade, der hinreicht, die volle Entwicklung unserer Rasse zu ermöglichen.

Das nächste, was ich fordere, ist Erziehung. Und Sie dürfen nicht sagen, dass jetzt jedes englische Kind erzogen wird; diese Art Erziehung würde nicht meiner Forderung entsprechen, trotzdem ich gern zugebe, dass es etwas ist: etwas und doch nach allem nur eine Klassenerziehung. Was ich verlange, ist eine freie Erziehung, das heißt die Gelegenheit, meinen Anteil an dem gesamten geschichtlichen oder positiven Wissen der Welt nach Maßgabe meiner Fähigkeit oder Geistesrichtung, zu erhalten, und ebenso meinen Anteil an der Handfertigkeit, die in der Welt verbreitet ist, sei es in gewerblicher Tätigkeit oder in den schönen Künsten, Malerei, Plastik, Musik, Schauspielkunst, zu erhalten: ich verlange, mehr als ein Handwerk zu erlernen, wenn ich es erlernen kann, um es zum Nutzen der Gesamtheit auszuüben. Sie werden dies für eine weitgehende Forderung halten, ich bin jedoch überzeugt, dass sie nicht zu weitgehend ist, wenn die Gesamtheit einen Vorteil von meinen besonderen Fähigkeiten haben soll, wenn wir nicht alle auf das niedrige Niveau der Mittelmäßigkeit herabgedrückt werden wollen, wir alle, mit Ausnahme der Allerstärksten und Allerbegabtesten.

Ich weiß aber auch, dass dieses Verlangen nach Erziehung ein anderes nach öffentlichen Erleichterungen in Gestalt von öffentlichen Bibliotheken, Schulen und dergleichen nach sich zieht, wie sie keinem Einzelnen, selbst nicht dem Reichsten, zur Verfügung stehen; ich erhebe diese Forderungen jedoch mit völligem Vertrauen, da ich überzeugt bin, dass kein vernünftig geordnetes Gemeinwesen solche Hilfsmittel für ein menschenwürdiges Leben entbehren kann.

Ferner enthält das Verlangen nach Erziehung die Forderung einer reichlichen Muße, die ich wiederum in vollem Vertrauen erhebe; denn wenn wir einmal die Sklaverei des Gewinnes abgeschüttelt haben, wird die Arbeit unter so völligem Ausschluss jeder Vergeudung Organisiert werden, dass keinem einzelnen Bürger eine schwere Last auferlegt werden würde; jeder einzelne von ihnen würde natürlich seinen Zoll in Gestalt einer anerkannt nützlichen Arbeit zu entrichten haben. Gegenwärtig, müssen Sie bedenken, dienen all die bewunderungswürdigen Maschinen, die wir erfunden haben, nur zur Vermehrung des Vorrats an gewinnbringenden Waren, mit anderen Worten zur Vermehrung des Gewinnbetrages, den Einzelne zu ihrer eigenen Bereicherung einstecken; teils benutzen sie diesen wiederum als Kapital zur Erzielung weiteren Gewinnes, der ebenfalls mit derselben Vergeudung verknüpft ist, teils als Privatreichtümer oder Mittel zu einem luxuriösen Leben, das wiederum bloße Vergeudung ist, und in der Tat als eine Art Feuerwerk betrachtet werden muß, mittels dessen die Reichen den Arbeitsertrag verbrauchen, den sie den Arbeitern über das hinaus, was sie zu ihrem eigenen Bedarfe verwenden, aus der Tasche gezogen haben. So sage ich, dass trotz unserer Erfindungen kein Arbeiter unter dem gegenwärtigen System dank den so genannten arbeitssparenden Maschinen auch nur eine Stunde weniger arbeitet. Unter glücklicheren Verhältnissen würden sie dagegen lediglich zur Arbeitsersparnis benutzt werden, woraus sich ein riesiger Gewinn an Muße ergeben würde, der der Gesamtheit zugute käme im Verein mit dem Betrage, der durch den Wegfall der Vergeudung, durch nutzlosen Luxus und die Abschaffung der Dienstbarkeit des Handelskrieges erzielt würde.

Und ich kann sagen, dass ich durch diese Muße in keinem Falle jemand damit zu schädigen vermag, sondern im Gegenteil der Gesamtheit oft manchen unmittelbaren Vorteil verschaffen kann, indem ich mich Künsten oder Beschäftigungen für Hand und Geist zuwende, die vielen meiner Mitbürger Freude bereiten; mit anderen Worten, ein großer Teil der vorzüglichsten Leistungen würde in der Zeit der Muße von Menschen hervorgebracht werden, die von jeder Sorge um ihren Lebensunterhalt befreit und bestrebt sind, ihre besondere Begabung auszubilden, wie es bei allen Menschen, ja bei allen Lebewesen der Fall ist.

Nun würde mich ferner diese Muße in den Stand setzen, mir selbst einen Genuss zu verschaffen und durch Reisen meine Kenntnisse zu erweitern, wenn ich Lust dazu habe. Sagen wir z. B. ich bin Schuhmacher; bestände eine richtige soziale Ordnung, so folgte daraus keineswegs, dass ich verpflichtet sei, immer an ein und demselben Orte Schuhe zu machen; eine leicht denkbare Einrichtung von gehöriger Ausdehnung würde es mir ermöglichen, sagen wir drei Monate lang in Rom Schuhe zu machen und mit neuen Ideen über die Herstellung, die ich aus der Besichtigung der Arbeiten früherer Zeiten geschöpft hätte, heim nach London zu kommen, wo diese Erfahrungen nebst anderen Dingen vielleicht von Nutzen sein könnten.

Damit jedoch meine Muße nicht in Trägheit und Ziellosigkeit ausarte, muss ich den Anspruch auf gehörige Arbeit erheben. Nichts ist meiner Einsicht nach wichtiger als diese Forderung, und ich muss Sie bitten, mir einige Worte darüber zu gestatten. Ich habe erwähnt, dass ich wahrscheinlich meine Muße darauf verwenden würde, ein Gutteil von dem zu verrichten, was man jetzt Arbeit nennt; es ist jedoch klar, dass, wenn ich ein Mitglied eines sozialistischen Gemeinwesens bin, ich den auf mich entfallenden Teil von härterer Arbeit als diese verrichten muß, das heißt den auf mich entfallenden Teil der Arbeit, zu der mich meine Anlagen befähigen; ich brauche mich zwar nicht auf ein Prokrustesbett strecken zu lassen; aber selbst jener Anteil an der für die Existenz des einfachsten sozialen Lebens notwendigen Arbeit muss in erster Linie, worin er auch bestehe, vernunftgemäße Arbeit sein, das heißt, eine Arbeit, deren Notwendigkeit ein guter Bürger einsehen kann; als ein Mitglied des Gemeinwesens muss ich meine Zustimmung dazu gegeben haben.

Um zwei in die Augen springende Beispiele vom Gegenteil anzuführen, erwähne ich, dass ich mich nie dazu verstehen würde, mich in die rote Uniform stecken zu lassen und gegen meinen französischen, deutschen oder arabischen Freund zu marschieren, um auf ihn in einem Kampfe zu schießen, dessen Veranlassung ich nicht kenne; ich würde mich eher empören als dies tun.

Auch würde ich mich nicht dazu hergeben, meine Zeit und Kraft auf die Herstellung einer kindischen Spielerei zu verwenden, von der ich weiß, dass nur ein Narr sie verlangen kann. Ich würde mich eher empören als dies tun.

Indessen können Sie überzeugt sein, dass ich bei dem Bestehen einer sozialen Ordnung nicht nötig haben werde, mich gegen solche unvernünftige Forderungen zu empören; ich musste nur die Art, wie wir leben, mit der vergleichen, wie wir leben könnten.

Ist ferner die notwendige vernunftgemäße Arbeit von mechanischer Art, so muss ich mir dabei von einer Maschine helfen lassen, nicht um meine Arbeit zu verbilligen, sondern damit möglichst wenig Zeit darauf zu verwenden ist und damit ich an andere Dinge zu denken vermag, während ich die Maschine leite. Und ist die Arbeit ganz ausnahmsweise schwer oder erschöpfend, so werden Sie sicher mit mir darin übereinstimmen, dass ich mit anderen Arbeitern darin abwechsele; ich glaube, es darf z. B. von mir nicht erwartet i werden, dass ich stets meine Arbeitsstunden in der Tiefe eines Kohlenbergwerks zubringe. Ich glaube, solche Arbeit wie diese müsste in vollem Maße freiwillige Arbeit sein und, wie gesagt, abwechselnd getan werden. Und was ich von sehr schwerer Arbeit sage, gilt auch von schmutziger Arbeit. Andererseits würde ich sehr klein von der Entschlossenheit eines starken und gesunden Mannes denken, dem die Verrichtung schwerer Arbeit nicht Vergnügen machte, wobei ich immer annehme, dass er unter den genannten Bedingungen arbeitet, nämlich, dass er das Bewusstsein hat, seine Arbeit sei nützlich (und folglich ehrenvoll), sie sei nicht von hoffnungsloser Dauer und er verrichte sie in der Tat aus freiem Antriebe.

Die letzte Forderung, die ich für meine Arbeit erhebe, ist die, dass die Räume, in denen ich arbeite, Fabriken oder Werkstätten, angenehm sind, genau wie die Felder, auf denen unsere notwendigste Arbeit verrichtet wird, angenehm sind. Glauben Sie mir, es gibt nichts in der Welt, was dieser Forderung entgegensteht, außer der Notwendigkeit, aus allen Waren Gewinn zu ziehen; mit anderen Worten, die Waren werden auf Kosten der Leute verbilligt, die gezwungen sind, in engen, ungesunden, schmutzigen, von Lärm erfüllten Höhlen zu arbeiten, das heißt, sie werden auf Kosten des Lebens der Arbeiter verbilligt.

Nun, so viel über meine Forderungen in Betreff meiner notwendigen Arbeit, meines Tributs an das Gemeinwesen. Ich glaube, die Menschen werden in demselben Maße, wie sie in ihrer Fähigkeit fortschreiten, nach den Grundsätzen der sozialen Ordnung zu leben, einsehen, dass ein solches Leben viel weniger Aufwand erfordert, als wir es uns jetzt vorstellen können, und dass nach kurzer Zeit die Menschen sich eher bemühen werden, Arbeit aufzusuchen als sie zu umgehen, dass unsere Arbeitsstunden eher fröhliche Zusammenkünfte von Männern und Mädchen sein würden, bei denen sich junge und alte Männer an ihrer Arbeit ergötzen, als die dumpfe Plage, die sie jetzt meistens sind. Dann würde die Zeit für die Wiedergeburt der Kunst kommen, von der so viel gesprochen worden ist und die so lange hat auf sich warten lassen; die Menschen müssen unausbleiblich ihre Lust und Freude an ihrer Arbeit zeigen und würden sie stets in einer greifbaren und mehr oder weniger dauerhaften Form auszudrücken wünschen; dann würde die Werkstatt nochmals eine Schule der Kunst sein, deren Einfluss sich niemand entziehen könnte.

Und dieses Wort „Kunst“ führt mich weiter auf meine letzte Forderung, die darin besteht, dass die Umgebungen, in denen sich mein Leben abspielt, anmutig, edel und schön sein sollen; zwar weiß ich, dass dies eine weitgehende Forderung ist, aber das will ich sagen, dass, wenn sie nicht befriedigt werden, wenn nicht jedes zivilisierte Gemeinwesen solche Umgebungen für jedes seiner Mitglieder schaffen kann, ich nicht wünsche, dass die Welt fortbesteht; es ist ein wahres Elend, in dem der Mensch stets gelebt hat. Ich halte dies unter den obwaltenden Umständen nicht für möglich, um deutlich in dieser Hinsicht zu sprechen. Ich bin überzeugt, die Zeit wird kommen, wo man es für schwer glaublich halten wird, dass ein reicher Staat wie der unsere, der eine solche Herrschaft über die äußere Natur ausübt, sich dazu herabgelassen hat, ein so erbärmliches, armseliges, schmutziges Leben zu führen, wie wir es tun.

Und ein für allemal, es liegt nichts in unseren Verhältnissen, das uns hineintreibt, als die Jagd nach dem Gewinne. Es ist der Gewinn, welcher die Menschen z. B. in riesige, ungefüge Ansammlungen, Städte genannt, zwingt, der Gewinn, welcher sie in Quartieren ohne Gärten und offene Plätze zusammenpfercht; der Gewinn, der nicht die geringsten Vorkehrungen gegen die Einhüllung einer ganzen Gegend in eine Wolke von Schwefeldampf trifft, der anmutige Flüsse in schmutzige Kloaken verwandelt, der alle mit Ausnahme der Reichen verurteilt, im besten Falle in Häusern zu wohnen, die zum Erschrecken eng und beschränkt sind, und im schlimmsten Falle in Häusern, für deren Erbärmlichkeit die Worte fehlen.

Ich sage, es ist beinahe unglaublich, dass wir einen so offenkundigen Wahnsinn dulden; auch würden wir es nicht tun, wenn wir Abhilfe schaffen könnten. Wir würden ihn nicht dulden, wenn man es den Arbeitern ausreden könnte, dass sie nur ein Anhängsel des Gewinnmachens sind, dass, je höher der Gewinn steigt, sie um so mehr Beschäftigung gegen hohen Lohn erhalten, und dass deswegen all die unglaubliche Schmutzigkeit, Unordnung und Herabwürdigung, die die moderne Kultur mit sich bringt, Anzeichen ihres Wohlstandes sind. Weit entfernt davon, sind sie vielmehr Anzeichen ihrer Sklaverei. Wenn sie nicht mehr Sklaven sind, werden sie es als etwas selbstverständliches beanspruchen, dass jeder Einzelne und jede Familie eine behaglich eingerichtete Wohnung besitze, dass jedes Kind in einem Garten an dem von seinen Eltern bewohnten Hause spielen könne, dass die Gebäude vermöge ihrer in die Augen fallenden Schmuckheit und Sauberkeit eine Zierde, keine Verunstaltung der Natur sein sollen, denn die erwähnte Schmuckheit und Sauberkeit würden, wenn sie ihren Höhepunkt erreichten, ganz sicher zur architektonischen Schönheit führen. All dies würde natürlich voraussetzen, dass das Volk – das heißt die ganze Gesellschaft – gehörig organisiert ist, dass es in seinen Händen alle Produktionsmittel habe, die nicht das Eigentum eines Einzelnen wären, sondern von allen benutzt würden, je nachdem es sich träfe, und dass nur unter diesen Bedingungen gearbeitet werden könnte; unter jeder anderen Voraussetzung würden die Menschen veranlasst werden, persönliches Privateigentum anzusammeln und dadurch, wie wir gesehen haben, die Güter der Gesamtheit zu vergeuden und die Klasseneinteilung zu verewigen, die gleichbedeutend ist mit beständigem Krieg und beständiger Verwüstung.

Bis zu welchem Grade es für die Menschen bei sozialer Ordnung erforderlich oder wünschenswert sein könnte, in Gemeinschaft zu leben, können wir ganz gut nach unserer Hinneigung zum geselligen Leben entscheiden. Ich für mein Teil kann nicht absehen, warum wir es für eine Härte halten sollten, wenn wir mit den Leuten zusammen speisten, mit denen zusammen wir arbeiten; ich bin überzeugt, dass wir es in Bezug auf so viele Dinge, wie wertvolle Bücher, Gemälde und prächtige Ausstattung der Räume für angebrachter halten werden, unsere Mittel zusammenzuwerfen, und ich muss sagen, dass oft, wenn ich mich über die Lächerlichkeit der rein blödsinnigen Kaninchenställe, die die reichen Leute sich in Bayswater und sonst wo gebaut haben, krank geärgert habe, ich mich mit Visionen über die vornehme Versammlungshalle der Zukunft tröste, die das reichste Material aufweist, durch würdiges Ornament weihevoll wirkt und mit den edelsten, in der vorzüglichsten Kunstweise, über die ein freies und kräftiges Volk verfügt, verkörperten Gedanken der Gegenwart und Vergangenheit belebt ist. Ein solcher Aufenthaltsort für Menschen, dem kein Privatunternehmen an Schönheit und Brauchbarkeit nahekommen würde, da nur gemeinsames Denken und Leben die Bestrebungen nähren können, die seine Schönheit hervorzubringen vermögen, oder über die Kunstfertigkeit und Muße verfügen, die zu ihrer Ausführung erforderlich sind. Ich für mein Teil würde es für das Gegenteil einer Unbequemlichkeit halten, wenn ich an einem solchen Orte meine Bücher zu lesen und meine Freunde zu treffen hätte; auch glaube ich nicht, dass es sich besser in einem geschmacklosen, stuckverzierten Hause lebt, das mit Möbeln, die ich verabscheue, vollgestopft ist und in jeder Hinsicht den Geist schwächt und den Körper verweichlicht, nur weil ich es mein Eigentum oder mein Haus nenne.

Es ist ein bekannter Ausspruch, den ich aber hier anführe, dass mein Heim dort ist, wo ich mit den Leuten zusammentreffe, in deren Gesellschaft ich mich wohl fühle, die ich liebe.

Dies ist meine Ansicht, die eines Mannes aus dem Mittelstande. Ob ein Mann aus der arbeitenden Klasse seinen Familienbesitz jenes elenden kleinen Zimmers für erstrebenswerter hält als seinen Anteil an dem Palaste, von dem ich gesprochen habe, muss ich seiner Entscheidung und den Einbildungen des Mittelstandes überlassen, die vielleicht manchmal die Tatsache begreifen, dass der genannte Arbeiter in Bezug auf Platz und Wohnungseinrichtung beschränkt ist – z. B. an Waschtagen.

Bevor ich dieses Thema von den Umgebungen des Lebens verlasse, möchte ich einen möglichen Einwurf beantworten. Ich habe von Maschinen gesprochen, die nach Belieben zur Befreiung der Bevölkerung von dem mehr mechanischen und widerwärtigen Teile der erforderlichen Arbeit dienen; ich weiß nun, dass manchen gebildeten Leuten, Leuten von künstlerischer Geistesrichtung, die Maschinen in hohem Grade zuwider sind, und sie werden geneigt sein, Ihnen zu sagen, dass es Ihnen niemals gelingen wird, Ihre Umgebung anmutig zu gestalten, solange Sie von Maschinen umgeben sind. Ich gebe dies nicht völlig zu; es ist der Umstand, dass man den Maschinen gestattet, unsere Herren anstatt unsere Diener zu sein, der heutzutage der Schönheit des Lebens so ins Gesicht schlägt. Mit anderen Worten, es ist das Anzeichen des furchtbaren Verbrechens, das wir unbewusst begehen, des Missbrauchs unserer Herrschaft über die Naturkräfte zum Zwecke der Versklavung von Menschen, dass wir uns meistenteils nicht darum kümmern, wieviel Glück wir ihrem Leben rauben.

Doch zum Troste für die Künstler will ich erklären, dass ich in der Tat glaube, ein Zustand der sozialen Ordnung würde wahrscheinlich zunächst zu einer großen Entwicklung des Maschinenwesens für wahrhaft nützliche Zwecke führen, weil die Menschen noch in Sorge sein werden, wie sie die zum Zusammenhalten der Gesellschaft erforderliche Arbeit bewältigen sollten; nach einiger Zeit aber werden sie finden, dass nicht soviel Arbeit zu tun ist, wie sie erwartet hatten, und dass sie daher Muße haben, die ganze Frage nochmals zu erwägen; und wenn es ihnen scheint, dass eine bestimmte Industrie mit mehr Vergnügen für den Arbeiter und mit mehr Leistungsfähigkeit in Betreff der Erzeugnisse besser durch Hand- als durch Maschinenarbeit betrieben werde, so werden sie sicher ihre Maschinen aufgeben, weil dies für sie möglich sein wird. Jetzt ist es unmöglich, es steht nicht in unserem Belieben, so zu handeln, wir sind Sklaven der Ungeheuer, die wir geschaffen haben. Und ich hege gewissermaßen die Hoffnung, dass gerade die Vollkommenheit der Maschinen in einer Gesellschaft, deren Zweck nicht die Vermehrung der Arbeit ist, wie jetzt, sondern die Führung eines genussreichen Lebens, wie dies unter der sozialen Ordnung der Fall sein wird, dass die Vollkommenheit der Maschinen, sage ich, zur Vereinfachung des Lebens und so wiederum zur Beschränkung der Maschinen führen wird.

Nun, ich will jetzt meine Forderungen, wie ich sie für ein menschenwürdiges Dasein aufgestellt habe, auf sich beruhen lassen. Kurz zusammengefasst lauten sie: erstens ein gesunder Körper, zweitens ein reger Geist mit Interesse an der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drittens Beschäftigung, die für einen gesunden Körper und lebhaften Geist passt, und viertens eine schöne Welt als Aufenthalt.

Dies sind die Lebensbedingungen, die der gebildete Mensch aller Zeiten als das erstrebenswerteste Ziel von allen betrachtet hat. Oft ist er in ihrer Verfolgung so ermattet, dass er seine Blicke sehnsuchtsvoll auf die Tage vor der Zivilisation gerichtet hat, als die einzige Beschäftigung des Menschen darin bestand, seine Nahrung von Tag zu Tag zu suchen, die Hoffnung in ihm schlummerte oder wenigstens kein Ausdrucksmittel fand.

Wenn in der Tat die Zivilisation (wie viele glauben) die Verwirklichung der Hoffnung auf Erreichung eines solchen Zustandes der Dinge verhindert, dann verhindert die Zivilisation den Menschen, glücklich zu sein, und wenn das der Fall ist, dann lasst uns alle Fortschrittsbestrebungen aufgeben – ja alle Empfindungen gegenseitigen Wohlwollens und gegenseitiger Liebe unter den Menschen – und lasst jeden Einzelnen von uns erschnappen, was er von den angehäuften Gütern, die Narren für davon sich mästende Spitzbuben herstellen, erschnappen kann, oder noch besser, lasst uns sobald wie möglich als Männer sterben, da es uns verwehrt ist, als Menschen zu leben.

Fassen Sie aber trotzdem Mut und glauben Sie, dass wir, die wir in der Gegenwart leben, trotz all ihrer Qual und Unordnung, zu einer wunderbar reichen Erbschaft, die aus der Erbschaft vergangener Geschlechter stammt, geboren sind und dass der Tag der Organisation des Menschen heraufdämmert. Nicht wir sind es, die die neue soziale Ordnung ausrichten können, die Vergangenheit hat das meiste davon für uns geleistet; aber wir können unseren Blick für die Zeichen der Zeit schärfen, und wir werden dann sehen, dass die Erreichung einer befriedigenden Lebenslage für uns möglich ist und dass wir jetzt nur noch die Hand auszustrecken brauchen, um sie zu erringen.

Und wie können wir dazu gelangen? Hauptsächlich, denke ich, durch Erziehung des Volkes zum Bewusstsein seiner wahren Menschenwürde, so dass es imstande ist, die politische Macht, die ihm reißend rasch zuwächst, zu seinem eigenen Besten zu verwenden, damit es zu erkennen vermag, dass das alte System der Organisation der Arbeit zugunsten Einzelner unhaltbar wird und dass das gesamte Volk nun zu wählen hat zwischen der Verwirrung, die aus dem Zusammenbruch dieses Systems erwächst, und dem Entschlusse, die jetzt zur Gewinnerzielung organisierte Arbeit in die Hand zu nehmen und ihre Organisation für den Unterhalt der Gesamtheit zu verwerten, dem Volke klarzumachen, dass die auf ihren persönlichen Gewinn bedachten Unternehmer nicht eine notwendige Voraussetzung für die Arbeit, sondern ein Hemmnis sind, und zwar nicht nur oder hauptsächlich, weil sie die beständigen Kostgänger der Arbeit sind, wie es in der Tat der Fall ist, sondern vielmehr wegen der Vergeudung, die ihre Klassenexistenz notwendig mit sich bringt. All dies haben wir dem Volke klarzumachen, nachdem wir es uns selbst klargemacht haben, und ich gebe zu, dass die Arbeit viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen wird; als ich mit der Aufklärung begann, war die Bevölkerung durch die Furcht vor dem Verhungern mit solcher Abneigung gegen eine Änderung erfüllt worden, dass selbst die Unglücklichsten gleichgültig und schwer zu überreden waren. So schwer aber auch die Arbeit ist, der Erfolg ist nicht zweifelhaft. Die bloße Tatsache, dass eine Schar von Männern, mag sie auch noch so klein sein, sich als sozialistische Apostel zusammengetan haben, beweist, dass der Umschwung naht. Wenn die arbeitenden Klassen, dieser wahrhaft organische Teil der Gesellschaft, diese Ideen in sich aufnehmen, wird die Hoffnung in ihnen erwachen, und sie werden Umgestaltungen in der Gesellschaft verlangen, von denen viele zweifellos nicht unmittelbar auf ihre Befreiung hinauslaufen, weil sie ohne gehörige Erkenntnis der einzigen notwendigen Forderung, der Gleichheit der Lage, gefordert werden, die aber mittelbar zum Sturze unserer verrotteten falschen Gesellschaft beitragen werden, weil jener Anspruch auf Gleichheit der Lage beständig und mit immer lauterer Stimme erhoben werden wird, bis man auf ihn hören muß, und dann wird es zuletzt nur noch eines Schrittes darüber hinaus bedürfen, und die zivilisierte Welt wird sozialisiert sein; wenn wir dann auf die Vergangenheit zurückblicken, werden wir erstaunt sein, wie lange wir das Leben, welches wir jetzt führen, ertragen haben.

 

Whigs, Demokraten und Sozialisten[2]

Welches ist heutzutage der Stand der Parteien in England? Wie sollen wir sie aufzählen? Die Whigs, die in der Überschrift zuerst genannt werden, gelten in der Regel als die Überreste einer alten historischen Partei, von der man einst annahm, sie habe demokratische Neigungen, sind aber jetzt die Hoffnung aller derer, die ruhig auf den ausgetretenen Wegen weitergehen wollen. Neben ihnen gibt es auch noch Tories, die Nachkommen der trotzigen Verteidiger von Kirche und Staat und des göttlichen Rechts der Könige.

Ich will damit vor der Hand nur sagen, dass der alten Bezeichnung Tory ein großer Bestand von ursprünglichem konservativen Gefühl zugrunde liegt, das von Leuten gehegt wird, die, wenn ihnen völlig freie Bewegung gestattet würde, einige ziemlich phantastische Versuche unternehmen würden, wie ich glaube; ja sie konnten im Verlaufe der Zeit sogar etwas rau gegen Leute sein, wie sie hier in dieser Halle zugegen sind.[3] Aber dieses Gefühl ist nach allem heut nur noch eine schwächliche Empfindsamkeit, alle Hoffnung auf praktische Betätigung ihrer Grundsätze ist aus der Partei verschwunden, und diese würdigen Leute können sich nicht frei bewegen. Es ist wahr, sie wählen Abgeordnete ins Parlament, die große Worte machen, um ihre Zufriedenheit zu erringen, und bisweilen setzen sie sogar eine Regierung ein, die dem Namen nach ihre Anschauungen vertritt; ereignet sich dies aber, so ist die genannte Regierung gezwungen, selbst wenn ihre Partei die Mehrheit im Unterhause hat, einen im Vergleich zu dem hohen toryistischen Ideal recht niedrigen Standpunkt einzunehmen; das äußerste, was die wahre Torypartei tun kann, selbst wenn sie von dem Primrosebund und seiner vorgeblichen Leitung unterstützt werden, die Wähler durch falsche Vorspiegelungen zu veranlassen, Tories ins Parlament zu schicken, um Maßregeln durchzubringen, die sich zu nahe mit dem Radikalismus berühren, als dass die Whigs sich damit befassen könnten, so dass, obgleich es Tories gibt, in England doch keine Torypartei mehr existiert.

Anderseits gibt es eine Partei, die ich gegenwärtig nicht anders als Whigs nennen könnte, die zahlreich und sehr mächtig ist und die in der Tat England regiert und dies nach meinem Dafürhalten so lange tun wird, wie das gegenwärtige konstitutionelle Parlament dauert. Natürlich umschließt sie wie alle Parteien Männer der verschiedensten politischen Schattierungen, von dem toryistisch aufgeputzten Whiggismus Lord Salisburys bis zu dem radikal angehauchten Whiggismus Herrn Chamberlains und seines Anhanges. Ferner meine ich nicht, dass sie sich bewusst sind, eine einheitliche Partei zu bilden; im Gegenteil, die einzelnen Gruppen bekämpfen sich oft wütend bei den Wahlen, und vielleicht glauben die harmloseren unter ihnen wirklich, dass es für das Volk von Wichtigkeit ist, welche Abteilung von ihnen das Staatsruder in die Hände bekommt; aber man kann stets daraus rechnen, dass sie zur Stelle sind und gegen jede Maßregel stimmen, die einen ernstlichen Angriff auf unser konstitutionelles System mit sich bringt; dies ist auch ganz natürlich, da sie zu keinem anderen Zwecke gewählt sind. Sie sind bewusste Verteidiger des gegenwärtigen politischen und ökonomischen Systems und müssen es stets bleiben, solange sie einen Zusammenhang als Tories, Whigs, Liberale oder sogar Radikale besitzen. Nicht einer von ihnen würde sich zu einem so kleinen revolutionären Schritte entschließen wie der Abschaffung des Oberhauses. Ein Parlament, das nur aus einer Kammer bestände, würde ihnen als ein pietätloser Gräuel erscheinen, und die Abschaffung der Monarchie würden sie als eine schwere Schädigung des Londoner Kaufmannsstandes betrachten.

Jetzt ist dies die eigentliche parlamentarische Partei, die gegenwärtig unter dem Einfluss der Nachklänge des Parteihaders der letzten paar Generationen in feindliche Abteilungen gespalten ist, aber bereits an verschiedenen Anzeichen ein Nachlassen der Spannung erkennen lässt, so dass sie dem wachsenden Instinkt, der, ohne sich lange bei einer Parteiforderung aufzuhalten, die volle ökonomische wie politische Freiheit für das ganze Volk verlangt, in geschlossener Verteidigungsstellung gegenübersteht.

Aber gibt es nichts im Parlament oder verlangt wenigstens Zutritt zu ihm als dieser buntscheckige Whiggismus, dieser Hanswurst der Reaktion? Nun, innerhalb des Parlaments gibt es nicht viel, wenn wir von der irischen Partei absehen, die, wie wir jetzt wohl hoffen dürfen, nur zeitweilig darin sitzt. Nicht unter den Leuten von „Besitz und lokalem Einfluss“, die, wie ich sehe, als die einzig in Betracht kommenden Parlamentskandidaten einer anerkannten Partei betrachtet werden, findet man die Elemente der Revolution. Wir wollen zugeben, dass ein paar echte Demokraten im Parlament sitzen, und lassen sie als solche gelten. Aber draußen gibt es zweifellos viele, die wahre Demokraten sind und die Einsicht vertreten, es sei sowohl möglich als auch wünschenswert, das konstitutionelle Parlament zu erobern und es in eine wirklich volkstümliche Versammlung zu verwandeln, die mit dem Volke als Rückhalt uns in friedlicher und Verfassungsmäßiger Weise in die große Revolution, welche alle denkenden Menschen herbeiwünschen, hineinführen könnten; alle denkenden Menschen, das sind diejenigen, die nicht zu den bewusst zynischen Tories gehören, das heißt zu Menschen, die entschlossen sind, mag es recht oder unrecht, ein Segen oder ein Fluch für die Menschheit sein, das Volk so lange wie möglich niederzuhalten, was, wie sie sehr naturgemäß hoffen, so lange dauern soll, wie sie leben.

Das Parlament zu erobern und es in eine volkstümliche, aber verfassungsmäßige Versammlung zu verwandeln, ist, wie ich folgern muß, das Bestreben der wahren Demokraten, wo sie sich auch befinden mögen; dies ist ihre Vorstellung von dem ersten Schritt der demokratischen Politik. Die Fragen, die sich dabei wie bei jeder anderen Politik erheben, sind erstens: Was ist der Endzweck davon? und zweitens: Sind sie imstande, ihren Plan durchzuführen? Was den Endzweck betrifft, so herrscht darüber, denke ich, große Meinungsverschiedenheit. Einige Demokraten werden die Frage vom rein politischen Standpunkte aus beantworten und sagen: Allgemeines Stimmrecht, Besoldung der Mitglieder, jährliche Parlamente, Abschaffung des Oberhauses, Abschaffung der Monarchie usw. Ich würde darauf folgendermaßen antworten: Nach allem sind dies keine Zwecke, sondern Mittel zu einem Zwecke, und sehen wir auch davon ab, dass die beiden letzten Forderungen keine konstitutionellen Maßnahmen sind und daher ohne offene Empörung gar nicht durchgeführt werden können, so behaupte ich doch, selbst wenn Sie all diese Dinge und mehr erreicht haben, würde alles, was Sie getan hätten, nur darauf hinauslaufen, die Herrschaft der demokratischen Partei zu begründen; haben sie diese hierdurch begründet, so würden Sie bald infolge der üblichen Parteimaßnahmen finden, was diese demokratische Partei bedeute, und Sie würden finden, dass ihr rein politischer Triumph Sie genau auf die Stelle zurückbringen würde, von der Sie ausgegangen sind. Sie würden Whigs unter einem anderen Namen sein. Monarchie, Oberhaus, Ruhegehälter, stehendes Heer und was damit zusammenhängt, sind lediglich Stützen für das gegenwärtige soziale System – das auf das Produktionssystem von Lohn und Kapital gegründete Privileg – und haben sonst weiter gar keine Bedeutung. Wenn Sie daher entschlossen sind, dieses System zu stützen, so täten Sie besser, diese Dinge beiseite zu lassen. Die wahren Herren der Gesellschaft, die wahren Tyrannen des Volkes sind die Großgrundbesitzer und Kapitalisten, denen Ihr politischer Triumph nichts anhaben würde.

Dann würde es genau wie jetzt ein Proletariat und eine besitzende Klasse geben. Dann würde es wie jetzt manchmal einem rührigen, energischen Mann, der seine ganze Kraft einsetzt, möglich sein, aus dem Proletariat in die besitzende Klasse aufzusteigen und jetzt andere schwitzen zu lassen, wie er selber geschwitzt hatte; dies, meine Freunde, ist, wenn Sie den Ausdruck entschuldigen wollen, Ihre lächerliche Vorstellung von der Vertragsfreiheit.

Der einzige und größte Erfolg Ihrer Politik würde der sein, dass sie eine starke Opposition gegen den Zustand der Dinge entfesseln würde, dessen Aufrechterhaltung Ihre Aufgabe wäre; höchst wahrscheinlich aber würde diese Opposition außerhalb des Parlaments stattfinden und nicht innerhalb; Sie würden eine Revolution, wahrscheinlich nicht ohne Blutvergießen, gemacht haben, einzig um dem Volke den Tag darauf die Notwendigkeit einer anderen Revolution zu beweisen.

Halten Sie das Beispiel von Amerika für zu abgedroschen? Betrachten Sie es immerhin! Ein Land mit allgemeinem Stimmrecht, ohne König, ohne Oberhaus, ohne Privileg, wie Sie mit Vorliebe meinen; nur ein kleines stehendes Heer, das hauptsächlich zum Hinschlachten von Rothäuten verwandt wird, eine Demokratie nach Ihrem Muster und bei alledem eine bis auf die Knochen korrumpierte Gesellschaft, die in diesem Augenblick dabei ist, die Freiheit genau mit derselben gedankenlosen Brutalität und blinden Unwissenheit zu unterdrücken, wie sie beim Kaiser aller Reußen zu finden ist.[4] Man wird dagegen einwenden, und gewiss mit vollem Recht, dass nicht alle Demokraten für eine rein politische Reform sind. Ich gestehe dies zu und auch, dass diese Wahrheit von hoher Bedeutung ist. Ich will weitergehen und erklären, dass alle die Demokraten, die sich von den Whigs unterscheiden lassen, soziale Reformen erstreben, von denen sie eine Veränderung der Beziehungen der einzelnen Klassen zu einander hoffen, und, im Allgemeinen gesprochen, macht sich bei den Demokraten eine Anlehnung an eine Art gemäßigten Staatssozialismus bemerkbar; dadurch hoffen sie eine friedliche Revolution zustande zu bringen, die, wenn sie auch nicht einen Zustand der Gleichheit herbeiführt, doch wenigstens die Arbeiter besser stellen und mit ihrem Los zufrieden machen würde.

Sie hoffen, eine Anzahl von Abgeordneten ins Parlament zu entsenden und durch sie Maßnahme nach Maßnahme zur Einnahme bringen zu lassen, die alle denselben Zweck verfolgen; auch würden einige von ihnen, vielleicht die meisten, nicht unzufrieden sein, wenn wir auf diese Weise in den vollen Staatssozialismus hinüberglitten. Ich glaube, dass die jetzigen Demokraten zum großen Teil von diesen Anschauungen durchdrungen sind und dass ich darauf meine Hoffnung für die Zukunft gründe; was auch für Irrtümer dabei mit unterlaufen mögen, es ist ein hinausgehen über die vollkommene Unfruchtbarkeit des rein politischen Programms.

Doch muss ich diese Halbsozialdemokraten darauf aufmerksam machen, dass sie in erster Linie die Geschäfte der schlaueren der Whigs besorgen würden. Es gibt unter diesen Maßnahmen verschiedene, die einigen sozialistisch vorkommen, wie z. B. der Landlosentwurf und andere auf die ländlichen Eigentumsverhältnisse, genossenschaftliche Arbeit und dergleichen bezügliche Entwürfe, die aber, alles in allem genommen, trotz ihres anscheinenden Wohlwollens doch nur Waffen in den Händen von Reaktionären sind, da sie als eigentliches Ziel die Schaffung eines neuen Mittelstandes aus der arbeitenden Klasse und auf ihre Kosten – kurz die Aufstellung eines neuen Heeres gegen die Eingriffe der Enterbten verfolgen.

Winkelzüge dieser Art sind unerschöpflich, und sie werden vermutlich nicht eher aufhören, bis die Klasse, die sie anwendet, verschwunden ist; ein großer Teil der Demokraten wird sich von Zeit zu Zeit durch sie täuschen und ablenken lassen. Sie nennen diese Art Unsinn „praktisch“; sie erwecken den Anschein des Handelns, während das beständige Verfolgen eines Prinzips, das doch am Ende durchdringen muss, nach ihrer Ansicht Nichtstun und unpraktisch ist. Im übrigen ist es nicht wahrscheinlich, dass eine weitere Gefahr daraus erwächst, als dass die Räder der wirklichen Bewegung dadurch etwas gehemmt werden, weil manchmal ein Stück unverfälschter Reaktion zutage tritt, wie wenn z. B. eine Reform des ländlichen Eigentums in Angriff genommen wird, wodurch dieses direkt in den Rachen der heutigen Handelsentwicklung getrieben wird, die immer mehr und mehr auf die Kapitalsanhäufung hinarbeitet und dadurch der organisierten Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Arbeiter den Weg ebnet, wenn die wahre Revolution kommt; anderseits ist es auch nicht gefährlich, wenn dieser Versuch, einen neuen Mittelstand zu schaffen, die Form der genossenschaftlichen Vereinigung und dergleichen annimmt, weil er wenig mehr bedeutet als eine wenig veränderte Form des Aktienwesens und fast jedermann dies zu erkennen beginnt. Die Gier der Menschen, die durch den Anblick der Gewinnerzielung ringsherum und ebenso durch die Last der Zinsen für das Geld, das sie haben borgen müssen, angestachelt werden, wird nicht einmal eine Annäherung an das wahre System der genossenschaftlichen Vereinigung zulassen. Die durch die Maßnahme Begünstigten werden eifrige Aktionäre bei einem Handelsunternehmen, und wenn es Arbeiter sind, wie es oft der Fall ist, so sind sie ebenfalls Kapitalisten. Der riesige finanzielle Erfolg der großen Gesellschaften auf Gegenseitigkeit und die absolute Einflusslosigkeit dieses Erfolges auf die soziale Lage der Arbeiter, sind genügend deutliche Anzeichen dafür, was diese nichtpolitische Genossenschaftsbildung am Ende erreichen wird: „Nichts – der Erfolg kann überhaupt nicht geringer sein.“

Aber wiederum, kann man sagen, gehen einige Demokraten noch weiter; sie nehmen tatsächliche Forderungen des Sozialismus auf und sind mehr als geneigt, sie zu unterstützen. Die Verstaatlichung des Grund und Bodens oder der Eisenbahnen, progressive Einkommensteuer, Beschränkung des Erbrechts, neue Fabrikgesetze, gesetzliche Verminderung der täglichen Arbeitszeit – einen von diesen Punkten, manchmal auch mehr als einen, wollen die Demokraten unterstützen und erblicken das unbedingte Heil in diesen ein oder zwei Planken des Gerüsts. All dies gebe ich zu und wiederhole, es ist ein hoffnungsvolles Anzeichen, und doch wiederhole ich, es liegt ein Fallstrick darin verborgen – eine Schlange liegt lauernd im Grase.

Wer da glaubt, auf diese bruchstückweise Art an unserem System mitarbeiten zu können, der unterschätzt ganz gewaltig die Stärke der furchtbaren Organisation, unter der wir leben, die jedem von uns seinen Platz anweist, und wenn wir ihn nicht gehörig ausfüllen, so lange an uns herumfeilt, bis wir es tun. Nur eine andere furchtbare Kraft kann sich mit dieser Kraft einlassen; sie lässt sich nicht zerteilen und gibt auch nichts von dem auf, was zu ihrem innersten Wesen gehört, ohne alle ihre Widerstandsfähigkeit aufzubieten, ehe sie etwas von dem aufgibt, was sie für wichtig hält, stürzt sie die Decke des Himmelsgewölbes über ihrem Haupte in Trümmer. Denn ich gebe allerdings zu, dass das teilweise Eintreten dieser Halbsozialdemokraten für unser System eine Hoffnung in sich birgt; wenn sie Erfolg haben, können sie das Volk tatsächlich, wenn auch blindlings, aufrütteln dadurch, dass sie die eine oder andere dieser genannten Forderungen erheben, und gelingt es ihnen im Parlament, sie durchzubringen, so werden sie sicherlich einen großen Bürgerkrieg heraufbeschwören, und ist ein solcher Krieg einmal ausgebrochen, so würde er entweder mit dem vollen Siege des Sozialismus oder mit seiner Vernichtung für die Gegenwart enden; es würde unmöglich sein, das Ziel des Kampfes zu begrenzen; auch kann man über seinen Verlauf nichts vorhersagen, ausgenommen, dass er mit keinem Kompromiss schließen wird. Aber nehmen wir an, der demokratischen Partei gelingt es auf friedlichem Wege, diese neue Grundlage des halben Staatssozialismus zu gewinnen, was würde dies überhaupt für eine Bedeutung haben? Versuche, die beiden Klassen, deren Interessen einander entgegengesetzt sind, zu versöhnen, vollständige Außerachtlassung dieses Widerstreits, der uns durch so viele Jahrhunderte dahin gebracht hat, wo wir jetzt stehen, und dann, nach einer Periode der Enttäuschung und des Unheils, noch einmal der offene Zusammenstoß; eine Revolution gemacht und unmittelbar darauf eine neue notwendig!

Doch wird es auf keinen Fall dazu kommen; denn was auch immer die Ziele der Demokraten sein mögen, es wird ihnen nicht gelingen, aus eigenen Kräften eine Stellung einzunehmen, von der aus sie den Versuch machen könnten, sie zu verwirklichen. Ich habe gesagt, es gibt Tories und keine wirkliche Torypartei; ebenso scheint es mir, dass es Demokraten gibt, aber keine demokratische Partei; gegenwärtig werden sie von den Führern der parlamentarischen Gruppen benutzt, aber auch von jeder tatsächlichen Macht ferngehalten. Gelänge es ihnen, mit Ach und Krach eine Anzahl von Abgeordneten ins Parlament zu bringen, so würden sie sich unter dem Einfluss des Parteigeistes sehr bald ihrer Gegensätze bewusst werden. In Wahrheit sind die Demokraten keine Partei, weil sie keine anderen Prinzipien haben als die alten radikal whiggistischen, und sie nur in einigen Punkten so weit ausgedehnt haben, dass sie ein wenig Halbsozialismus umfassen, den der Gang der Ereignisse ihnen ausgezwungen hat – das heißt, sie neigen auf der einen Seite nach den Whigs und auf der anderen Seite nach den Sozialisten hin. Sollten sie je anfangen, eine Macht bei den Wahlen zu werden und Abgeordnete in das Haus zu entsenden, so würde die Versuchung, Mitglieder einer wirklich lebendigen Partei zu sein, die die Regierung des Landes in ihre Hand bekommen könnte – eine Versuchung, welche (scherzweise, wie ich annehme) praktische Politik heißt –, für viele zu stark sein, selbst für diejenigen, die dem Sozialismus zuneigen; eine scheinbar demokratische parlamentarische Partei würde daher wahrscheinlich nur ein Rekrutierungsbezirk, eine Pflanzstätte für den linken Flügel der Whigs sein, trotzdem würde sicher eine kleine Oppositionsschar übrig bleiben, deren Grundsätze jedoch unbestimmt und schwankend wären, so dass sie, alles in allem genommen, eine ohnmächtige Gruppe bilden würde.

Das zukünftige konstitutionelle Parlament ist meines Erachtens daher ein beständiges Rumpfparlament von Whigs, das dem Drucke nachgeben wird, wenn man versucht, ihm rein politische Reformen abzuringen, das sich aber gegen jede wirkliche Veränderung auf sozialem und ökonomischem Gebiete vollständig ablehnend verhalten wird, das heißt, soweit es sich des Eingriffs bewusst ist; denn ich gebe zu, dass es zur Inangriffnahme halb staatssozialistischer Maßregeln verleitet werden kann, die einen solchen Umfang annehmen kann, dass sie dazu beitragen, den Handel in Schwierigkeiten zu verwickeln und so die Unzufriedenheit durch Herbeiführung von Verlusten steigern – von Verlusten, deren Ursachen das Volk nicht vollkommen verstehen wird, an denen aber sein Instinkt mit Recht der Regierung schuldgeben wird, und zwar, der einzigen Regierungsform, die es haben kann, solange das konstitutionelle Parlament besteht.

Wenn Sie nun glauben, dass ich die Macht der Whigs, das heißt des geschlossenen, starren, unbelehrbaren Widerstandes gegen jeden Fortschritt, übertrieben habe, muss ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Ereignisse der letzten Wochen lenken. Es war eine Beruhigungsmaßregel vorgeschlagen worden; wenigstens und im schlimmsten Falle ein Versuch, einen viele Jahrhunderte alten lästigen und elenden Streit durch einen Friedensschluss zu beenden. Das britische Volk war trotz seines ererbten Vorurteils gegen die Iren der Maßregel nicht abgeneigt; die Tories konnten wie gewöhnlich nichts gegen sie ausrichten, aber so groß war die vis inertiae des Whiggismus, dass er einen vollständigen Sieg über den gesunden Menschenverstand sowie das gesunde Gefühl davontrug, eine Gruppe der bis dahin als Radikale bekannten Abgeordneten zu sich herüberzog und wahrscheinlich alle Radikalen mit Ausnahme des persönlichen Anhangs Gladstones auf seine Seite gebracht hätte. Da die Whigs, wenn auch undeutlich, erkannten, dass diese irische Unabhängigkeit einen Angriff auf das Eigentum bedeutete, gelang es ihnen, den zugesagten Frieden dem Volke aus der Hand zu winden und in ihrem andauernden Widerstande selbst gegen die Anfänge der Revolution uns lange Zeit in allerlei Schwierigkeiten und Verwirrung zu stürzen.

Das Parlament erscheint mir daher als eine fest geschlossene Mittelpartei mit ganz verschwommener Opposition rechts und links. Das Volk regiert, das heißt, die besitzenden Klassen haben freien Spielraum, aus ihrem Besitz den größtmöglichen Gewinn zu ziehen und einander darum erbittert zu bekämpfen. Die Regierung bleibt jedoch soviel und so lange wie möglich im Hintergrunde, das heißt, die Regierung beharrt auf einer angeblich unerlässlichen ewigen Fortdauer des Privilegs auf Monopolisierung der Mittel zur Nutzbarmachung der Arbeit.

Solange diese Behauptung von der Unwissenheit des Volkes ruhig hingenommen wird, wird das große Rumpfparlament der Whigs unbesiegbar bleiben, sowie aber dem Volke die Augen geöffnet werden, wenn auch nur teilweise, und es beginnt, die Bedeutung der Worte „Befreiung der Arbeit“ zu begreifen, dann können wir anfangen, die sichere Hoffnung auf Abschüttelung der gemeinsten und schmutzigsten Tyrannei, die die Welt je gesehen hat, zu hegen, der Tyrannei des so genannten Konstitutionalismus.

Wie sind aber dem Volke die Augen zu öffnen? Durch die Kraft, die aus dem Unwillen über den endgültigen Sieg und die daraus folgende Korruption des Handelswhiggismus entspringt – eine Kraft, die einerseits eine Anerkennung ihrer aufbauenden Tätigkeit von Seiten der gebildeten Kreise und anderseits einen halb unbewussten, instinktiven Kampf zur Geltendmachung ihrer zerstörenden Tätigkeit von Seiten derer, die leiden und nicht zum selbständigen Denken gelangen, umfasst, wozu glücklicherweise noch ein großer Teil derer kommt, die zwischen diesen beiden Extremen stehen.

An dieser Bewegung werden sich alle die beteiligen, die mit Recht Sozialisten heißen. Die moderne Entwicklung des großen Klassenkampfes hat uns zum Denken gezwungen, unsere Gedanken zwingen uns zum Sprechen, und unsere Hoffnungen zwingen uns zu dem Versuche, ob wir Gehör beim Volke finden. Auch kann niemand sagen, wie weit unsere Worte sozusagen reichen werden. Die gemäßigtste Darlegung unserer Prinzipien wird die Ansätze zum Bruch in sich enthalten, nur können wir nicht sagen, welche Form dieser Bruch annehmen wird.

Wir sind daher insgesamt für die Verbreitung der sozialistischen Grundsätze und für die Folgen, die sich aus ihrer allgemeinen Annahme ergeben, welchergestalt diese auch sein mögen, verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit kann kein Sozialist durch Erklärungen gegen die physische Gewalt und zugunsten der verfassungsmäßigen Agitationsmethoden ablehnen; wir greifen die Verfassung seit dem ersten Beginn, dem ersten Lispeln des Sozialismus an.

Der Whiggismus in seinen verschiedenen Formen ist nun der Vertreter des Konstitutionalismus – ist der äußere Ausdruck der Alleinverfügung über Arbeit und Leben und der sich daraus ergebenden Beschränkungen; es gibt auch nur eine Äußerung der Kraft, die den Whiggismus vernichten wird, und dies ist der Sozialismus; zur rechten und zur linken werden Toryismus und Radikalismus in den Whiggismus aufgehen – wie es jetzt geschieht – und dem Sozialismus bleibt es vorbehalten, alles, was nicht Whig ist, in sich aufzunehmen.

Nun kommt die Frage: welches ist die Politik des Sozialismus? Wenn der Toryismus und die Demokratie lediglich verschwommene Zusammenballungen der Opposition gegen das geschlossene Zentrum des Whiggismus bilden, was können wir Sozialismus nennen?

Nun ist gegenwärtig, in England wenigstens, der Sozialismus nicht eine Partei, sondern eine Sekte. Er ist deswegen mitunter verhöhnt worden; aber ich lasse mich dadurch nicht bange machen, denn ich kann begreifen, wie eine Sekte – nein ein Einzelner – eine wahrhaft furchtbare Macht wird und zwar durch die Spuren ihrer langen Existenz als Sekte. So halte ich es ganz gut für möglich, dass der Sozialismus eine Sekte bleiben wird, bis zum Vorabend des letzten Schlages, der die Revolution vollendet, wonach sie in die neue Gesellschaft aufgehen wird. Und sind es nicht Sekten, Vertretungen bestimmter, unversöhnlicher Prinzipien, die uns die Revolutionen gebracht haben? War es nicht so in den Zeiten Cromwells? Ja, hat nicht die Feniersekte in unseren Tagen Homerule möglich gemacht? Die Sekten können Parteien aus sich hervorgehen lassen, wenn sie auch nicht selbst Parteien sind. Und was sollte eine Sekte, wie wir sie bilden, in dem parlamentarischen Kampfe zu tun haben – wir, die stets ein Ideal vor sich und anderen aufrecht zu erhalten haben und die kein Kompromiss annehmen können, die nichts zu erblicken vermögen, was ihnen auch nur eine Minute Rast vergönnte, außer der Befreiung der Arbeit, die dadurch herbeigeführt wird, dass die Arbeiter von allen Mitteln zur Verwertung der Arbeit Besitz ergreifen, und die, selbst wenn dies erreicht ist, immer noch den reinen Kommunismus vor sich haben, für den sie kämpfen müssen?

Was haben wir also zu tun? Ruhig dasitzen und zuschauen? Durchaus nicht. Aber wir können zusehen, wie andere ihre Arbeit verrichten, während wir die unsrige tun. Sie beginnen schon, wie ich gesagt habe, sich mit staatssozialistischen Versuchen abzumühen. Lassen wir sie ihre Experimente und Fehler machen, sie ebnen uns dadurch nur den Weg. Und unsere eigene Aufgabe? Nun wohlan, wir – Sekte, Partei oder Vereinigung von Denkern, Narren und Dichtern, wie Sie wollen – sind wenigstens die einzigen, die zu erkennen vermochten, dass ein großer Klassenkampf herrscht und geherrscht hat. Ferner vermögen wir zu erkennen, dass dieser Klassenkampf nicht eher aufhören wird, ehe die Klassen selbst verschwinden: eine Klasse muss die anderen in sich aufnehmen. Welches ist nun diese? Unzweifelhaft die eine nützliche, die eine, durch die und von der die Welt lebt. Die Aufgabe des Volkes besteht jetzt darin, der unnützen, nicht produzierenden Klasse das Leben unmöglich zu machen, während es umgekehrt die Aufgabe des Konstitutionalismus ist, es ihnen zu ermöglichen. Und unsere Aufgabe besteht darin, dazu beizutragen, dass sich das Volk dieses großen Widerstreites zwischen Volk und Konstitutionalismus bewusst wird, und inzwischen den Konstitutionalismus mit der Regierung, die wenigstens von uns keine Unterstützung zu erwarten hat, ruhig seine Bahn fortziehen zu lassen, bis er sich zuletzt des auf ihm lastenden Volkshasses, der Erkenntnis des Volkes, dass es enterbt ist, bewusst wird; wir für unsere Person werden unser möglichstes tun, diesen Hass und diese Erkenntnis mit allen Mitteln, über die wir verfügen, zu schüren.

Es bleibt noch übrig, Betreffs der Sozialisten im Parlament ein paar Worte zu sagen. Beteiligen sie sich an der Fortführung des Konstitutionalismus, indem sie die Schäden des Systems beseitigen und so unseren Regierenden die Last der Regierung erleichtern, so kann ich sie deswegen, und soweit diese ihre Tätigkeit reicht, überhaupt nicht Sozialisten nennen. Gehen sie aber mit der Absicht um, alles, was in ihren Kräften steht, zu tun, um das Parlament zu sprengen, so ist dies eine Frage der zeitweiligen Taktik; aber selbst hierin erblicke ich unter allen Umständen die Gefahr, dass sie sich von ihrer wahren Aufgabe ablenken lassen, und ich fürchte, dass sie unter den erwähnten Verhältnissen geradezu Stützen für die von ihnen bekämpften Zustände werden.

Ich behaupte, unsere Arbeit liegt ganz außerhalb des Parlaments; sie besteht darin, die Erziehung des Volkes durch all und jedes Mittel, das Erfolg verspricht, zu fördern; die Erkenntnis, zu der wir ihm zu verhelfen haben, ist eine dreifache: zu wissen, was sein Eigentum ist, zu wissen, wie es sein Eigentum in Besitz nehmen, und zu wissen, wie es sein Eigentum gebrauchen kann.

 

Das feudale England

Es ist wahr, dass die normannische Eroberung eine gewisse Art Feudalität in England schon antraf – eine Feudalität, die sich aus dem Gewohnheitsrechte der teutonischen Stämme ohne jede Beimischung römischen Rechtes entwickelt hatte, und ebenso, dass schon vor der Eroberung das Land allmählich begonnen hatte, mit den Einrichtungen des Kontinents von Europa bekannt zu werden, und zwar nicht nur mit denen der stammverwandten skandinavischen Völker, sondern auch mit denen der romanisierten Länder. Aber die Eroberung des Herzogs Wilhelm brachte dem Lande das Feudalsystem in seiner vollen Entwicklung, verknüpfte es auch fest mit den romanisierten Ländern und legte trotzdem dadurch den ersten Grund zu einem nationalen Empfinden in England. Die Engländer waren sich ihrer Verwandtschaft mit den Normannen und Dänen bewusst und litten unter ihrer Eroberung nicht, als sie vollständig durchgeführt und infolgedessen die nackte, unmittelbare Gewaltherrschaft verschwunden war: ihr Gefühl war mehr ein Stammes- als ein Nationalbewusstsein, aber sie konnten keine Empfindung der Stammverwandtschaft mit den mannigfaltigen Bevölkerungen der Provinzen haben, die rein dynastische Ereignisse unter eine Herrschaft, die Grundherrlichkeit sozusagen der Fürsten der Normandie und von Anjou, zusammengebracht hatten, und da die Könige, die über sie herrschten, allmählich aus ihren französischen Besitzungen verdrängt wurden, begann sich England gegen die Herrschaft von Männern, die es als Fremde betrachtete, aufzulehnen und wurde sich so allmählich seiner besonderen Nationalität bewusst, obgleich vor der Hand nur in seiner Eigenschaft als Grundbesitztum eines englischen Lords.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, etwas wie eine zusammenhängende Erzählung, sei sie auch noch so flüchtig, von dem Gange der Ereignisse zu geben, von der Eroberung des Herzogs Wilhelm ab bis zur vollen Entwicklung der mittelalterlichen Periode des vierzehnten Jahrhunderts, die das England darstellt, das mir als mittelalterlich oder feudal vorschwebt. Diese Periode des vierzehnten Jahrhunderts vereinigte in sich die Entwicklung der mannigfachen Elemente, die sich in Europa seit dem endgültigen Fall des römischen Reiches geregt hatten, und England nahm an dem allgemeinen Zeitbewusstsein und Zeitgeist teil, obgleich seine Tage, der Gang seiner Geschichte und bis zu einem gewissen Grade die Lebensweise seiner Bevölkerung verschieden waren. Deswegen möchte ich durch eine eingehende Darstellung Ihre Aufmerksamkeit auf jene Periode lenken und will von der älteren Zeit nur soviel erwähnen, als zur Erklärung notwendig ist, wie das englische Volk in die Lage geriet, in der es sich befand, als Eduard III. das Statut der Arbeiter bestätigte, und der Bauernaufstand unter seinem Enkel und Nachfolger Richard II. ausbrach.

Ohne Zweifel bedeutete die normannische Eroberung ein vollständiges Zerreißen des natürlichen Zusammenhanges der englischen Geschichte. Als die Londoner nach der Schlacht bei Hastings den Herzog Wilhelm als ihren König anerkannten, so glaubten sie unzweifelhaft, dass er ungefähr dieselbe Stellung einnehmen werde wie der vor kurzem gefallene Harald, oder sie betrachteten ihn gewissermaßen als einen ähnlichen König von England, wie es der Däne Knut gewesen war, der ebenfalls das Land erobert hatte. Wahrscheinlich dachte auch Wilhelm selbst nicht anders, aber der Unterschied lag in der Natur der Ereignisse. Einerseits war er nicht nur ein Mann von unbeugsamem Charakter, begabt, herrschsüchtig, ein ausgezeichneter Feldherr in der modernen Bedeutung des Worts, sondern er hatte auch sein reiches Herzogtum der Normandie als Rückhalt, das er selbst zur Unterwerfung gebracht und organisiert hatte, anderseits lag England vor ihm, unorganisiert, aber im trotzigen Widerstande gegen ihn; gerade der Mangel an Organisation und das Fehlen einer Zentralgewalt machte es schwieriger, das Land durch bloßes Überziehen mit einem zu diesem Zwecke aufgebotenen und durch eine Schar von Haustruppen oder Wachen unterstützten Heere zu bewältigen, wie ein skandinavischer oder einheimischer König mit seinen aufrührerischen Untertanen verfahren wäre. Der Zwang der Verhältnisse Herzog Wilhelms im Verein mit seinem richtigen Gefühl leitete seine Tätigkeit in ganz andere Bahnen, die das künftige Geschick des Landes bestimmten. Was er tat, bestand darin, über ganz England ein Heer von Lehnsvasallen, die er aus seinem ihm ergebenen Herzogtum herangezogen hatte, zu verteilen und ihnen das Grundeigentum von England als Entgelt für ihre ihm, dem Suzerän über sie alle, geleisteten Kriegsdienste zu verleihen. Von da an musste sich das englische Volk unter der Herrschaft dieser fremden Landlords entwickeln.

Die Entwicklung des Volkes als eines teutonischen Stammes wurde durch dieses Ereignis gehemmt und in andere Bahnen gelenkt. Herzog William brachte in der Tat seine Normandie nach England hinüber, das dadurch aus einem teutonischen Lande (altnordisch theod), in dem das Gewohnheitsrecht des Stammes noch in Kraft war, in eine Provinz des romanisierten feudalen Europa, kurz in ein Stück Frankreichs verwandelt wurde, und obgleich es mit der Zeit wieder zu einem anderen England wurde, verlor es doch auf dem Gebiete des Rechts und noch mehr auf dem der Sprache und Literatur die Möglichkeit, sich zu einem großen, gleichartigen teutonischen Volke mit einer vorteilhaften Beimischung keltischen Blutes zu entwickeln.

Dieser Schritt, den Herzog Wilhelm zu unternehmen genötigt war, beeinflusste die Zukunft des Landes jedoch noch fernerhin durch die Einsetzung der großen Anzahl von Baronen, und die ältere Geschichte Englands ist beinahe ausschließlich mit den Kämpfen der Könige gegen die Baronie und die Kirche ausgefüllt. Denn Wilhelm verkörperte das Urbild des mächtigen englischen Königs aus dem Mittelalter, von dem Heinrich I. und Eduard I. später die berühmtesten Beispiele boten. Mit ihm begann in der Tat der Kampf gegen den monarchischen Beamtenstaat, der von den Baronen, die König Johann die Magna Charta erpressten, und später durch den von Simon de Montfort unter Heinrich III. geleiteten Aufstand bekämpft wurde; er wurde von Eduard I. kräftig weitergeführt und schließlich erfolgreich von Heinrich VII. beendet, nachdem der lange Parteikampf des Krieges der beiden Rosen die Lehnsträger so geschwächt hatte, dass sie sich nicht länger gegenüber der Monarchie behaupten konnten.

Was den anderen politischen Kampf des Mittelalters, den Streit zwischen dem Königtum und der Kirche, betrifft, so ist zweierlei zu bemerken; erstens, dass wenigstens in der älteren Zeit die Kirche auf Seiten des Volkes stand. Thomas Beckett wurde zwar unter Beobachtung aller Formen durch ein besonderes Dekret heilig gesprochen; aber sein Gedächtnis wurde von dem Volke so in Ehren gehalten, dass er wahrscheinlich von ihm ohne Beobachtung der Formen heilig gesprochen worden wäre, wenn der heilige Stuhl in Rom sich geweigert hätte, es zu tun. Der zweite erwähnenswerte Punkt bei dem Streite ist der, dass er kein Prinzipienstreit war. Nach der mittelalterlichen Lehre von Leben und Religion waren Kirche und Staat dem Wesen nach eins und nur besondere Offenbarungsweisen des Reiches Gottes auf Erden, das ein Teil des Reiches Gottes im Himmel war. Der König war ein Beamter dieses Reiches und ein Vasall Gottes. Der Rechtsgelehrte und der Arzt nahmen in gewissem Grade an dem priesterlichen Charakter teil. Anderseits war die Kirche dem alltäglichen Leben der Menschen nicht entfremdet; die Einteilung in ein weltliches und ein geistliches Leben, die miteinander wenig gemeinsam haben, war eine Schöpfung des Protestantismus der Reformation und fand wenigstens in der Praxis der mittelalterlichen Kirche keinen Platz, der, wie wir nicht eindringlich genug betonen können, der moderne Katholizismus wenig näher steht als der moderne Protestantismus. Der Streit zwischen Königtum und Kirche war ein bloßer Kampf zwischen zwei Körperschaften, ohne dass ein wesentlicher Gegensatz zwischen ihnen bestand, z. B. darum, wie weit sich die Verwaltungshoheit der einen erstrecke; niemand dachte an Unterordnung der einen unter die andere und noch viel weniger an die Vernichtung der einen durch die andere.

Die Geschichte der Kreuzzüge erläutert, beiläufig gesagt, vortrefflich die Stellung der Kirche im Mittelalter. Die Gründung jenes seltsamen feudalen Königtums von Jerusalem, dessen Wappenschild schon ein heraldischer Schnitzer war, dessen König vermöge seiner Stellung als Besitzer des Mittelpunkts der Christenheit den Vorrang vor allen anderen Königen und Fürsten hatte; die Ritterorden mit ihren Gelübden der Armut und Keuschheit, wie die Tempelherren und die Johanniter, und vor allem das unbestreitbare Pflichtgefühl, das Männer aller Klassen und Stände in den heiligen Krieg trieb, zeigen, wie starke Wurzeln die Vorstellung von dem Reiche Gottes in allen Gemütern während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters geschlagen hatte. Was das Ergebnis der Kreuzzüge betrifft, so übten sie sicherlich großen Einfluss auf die Festigung Europas und des großen Feudalsystems aus, an dessen Spitze, in der Theorie wenigstens, der Papst und der Kaiser standen. Im übrigen gab der Verkehr mit dem Osten Europa Gelegenheit, die industrielle Kultur der ursprünglich von den Arabern beherrschten, von der byzantinischen und persischen Kunst beeinflussten und ebenso von der Kultur der spätklassischen Zeit nicht unberührten Völker in sich aufzunehmen.

Auch die Unruhe und Bewegung der Kreuzzüge und die Zwangslage, in die sie die Fürsten und ihre Barone brachten, begünstigten das Emporkommen der Klassen, die tiefer als die Lehnsvasallen, große und kleine, standen; die Hauptgelegenheit für dieses Aufsteigen wurde in England jedoch durch den beständigen Kampf des Königtums mit der Kirche und den Baronen gegeben.

Die alten normannischen Könige fanden sich schon unmittelbar nach dem Tode des „Eroberers“ in diesen Kampf verwickelt und waren gezwungen, ihre Zuflucht zu denen zu nehmen, die jetzt eine untergeordnete Stellung einnahmen – nämlich den eingeborenen Engländern.

Heinrich I., ein tüchtiger und ehrgeiziger Mann, erkannte dies so deutlich, dass er durch die Heirat mit einer englischen Prinzessin offen um die Gunst des untergeordneten Stammes warb; mit der Hilfe seiner englischen Untertanen unterwarf er seine normannischen Untertanen und die Schlacht bei Tenchebray, die sein Kriegsglück vollendete, wurde von dem englischen Volke als ein englischer Sieg über das Unterdrückervolk, mit dem Herzog Wilhelm die Engländer überwältigt hatte, aufgefasst. Während der Regierung dieses Königs und unter diesen Einflüssen begannen die Handel und Industrie treibenden Klassen etwas emporzusteigen. Die Kaufmannsgilden standen jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Macht und hatten eben begannen, wenigstens in England, sich zu städtischen Korporationen zu entwickeln; die Städte selbst begannen, die Freiheit zu erringen und ein wichtiges Element in der Gesellschaft der Zeit zu werden, in dem Maße wie sie sich nach und nach gegen die Willkür der Lehnsherren, der Lords, weltlichen und geistlichen, sicherten. Was die letzteren betrifft, so muss ich daran erinnern, dass die Kirche in ihrer Mitte dieselben Stände oder Klassen besaß, in die die weltliche Gesellschaft zerfiel, und während sie durch den niederen Klerus der Parochien und die Mönche mit dem Volke in Berührung trat, bestand der höhere Klerus lediglich aus adligen Lehnsherren; und als der religiöse Eifer des höheren Klerus, der in den ersten Zeiten des Mittelalters scharf ausgeprägt war, verschwand, wurden sie mehr und mehr zu Grundherren, obgleich sie infolge der Verhältnisse ihrer Grundherrschaft, da sie auf ihren Gütern und inmitten ihrer Pächter lebten, weniger zu Unterdrückungen neigten als die weltlichen Grundherren.

Auf die Ordnung und den Fortschritt während der Regierung Heinrichs I., die den Übergang von dem reinen Kriegslager des „Eroberers“ zu dem mittelalterlichen England bildet, bei dem ich zu verweilen habe, folgte die Zeit völliger Verwirrung und Bedrängnis, die die Thronbesteigung der Fürsten von Anjou begleitete. In dieser Zeit wurden die Barone großenteils bloße gewalttätige und gesetzlose Räuber, und die Burgen, mit denen das Land übersät wurde und die unter der Herrschaft des „Eroberers“ als militärische Posten begonnen worden waren, wurden zu bloßen Höhlen von Wegelagerern.

Zweifellos machte diese Entwicklung die Aufgabe des nächsten tüchtigen Königs, Heinrichs II., um so leichter. Er war ein Mann, der sich eifrig den Staatsgeschäften widmete und wandte sich mit ganzer Seele der Herstellung von Ordnung und der Befestigung der Monarchie zu, die demgemäß unter ihm einen gewaltigen Schritt auf ihrer Bahn zum Beamtenstaat machte. Er würde wahrscheinlich seine Aufgabe noch weitergeführt haben, da er in seinem Kampfe gegen die Kirche trotz der Heiligsprechung Becketts und der formalen Buße des Königs an seinem Grabe einen Vorteil für das Königtum errungen hatte, den dieses niemals wieder verlor; aber zu seiner Zeit war England nur ein Teil der ausgedehnten Besitzungen seines Hauses, die mehr als halb Frankreich umfassten, und sein Kampf mit seinen Vasallen und dem König von Frankreich, der schließlich den Verlust dieser Besitzungen für die englische Krone herbeiführte, verkürzte sein Leben und nahm endlich einen ungünstigen Ausgang.

Seine zwei unmittelbaren Nachfolger Richard I. und Johann, waren gute Vertreter der Herrschereigenschaften ihrer Familie, in der fast alle sehr begabte Männer, sogar mit einem Anflug von Genie waren, aber dabei waren sie solche geilen Schufte und ausgemachte Schurken, dass man fast gezwungen ist, den theologischen Ausdruck „Verworfenheit“ auf sie anzuwenden. Solche Charaktere gehören ausschließlich ihrer Zeit an, ein solches Gemisch von großen Eigenschaften und Schurkerei zeigten sie, aber unser Hauptlaster, das der Heuchelei, fehlte ihnen völlig; Johann, die zweite dieser Pestbeulen, war der schändlichste von der ganzen Familie und verlor seine französischen Besitzungen bis auf den letzten Stein.

Unter solchen Schuften wie diesen kam die Reihe an die Barone; sie vereinigten sich unter der Führung des Erzbischofs Stephen Langton, der dem König gegen seinen Willen vom Papste aufgedrängt worden war und erzwangen von ihm die Zustimmung zur Magna Charta, eine große, durchaus wohlüberlegte Tat, die herkommlicherweise die Begründung der englischen Freiheit genannt wird, die aber einzig diesen Anspruch nur in dem Sinne erheben kann, als sie die Bekräftigung und Versiegelung des vollen Feudalsystems in England war und die Beziehungen zwischen den Vasallen, den großen Lehnsträgern und dem König auf eine feste Grundlage stellte, da sie die Ordnung unter diesen privilegierten Klassen herstellte oder wenigstens bestätigte, neben denen sie allerdings auch die Städte bis zu einem gewissen Maße als einen Teil der großen feudalen Hierarchie anerkannte, so dass sie zu derselben Zeit begannen, eine gesetzliche Stellung in dieser Hierarchie einzunehmen.

So ging Johann dahin und wurde bald darauf beinahe eine mythische Person, das Urbild eines schlechten Königs. Es existieren noch Balladen und aus diesen Balladen abgeleitete Prosaerzählungen, die die Geschichte dieses furchtbaren Ungeheuers erzählen, wie sie im Bewusstsein des englischen Volkes fortlebte.

Soweit sie der Literatur des vierzehnten Jahrhunderts angehören, der Periode, die ich mir vorgenommen habe, Ihnen eingehend zu schildern, will ich Ihnen eine von den letzteren mitteilen, die sich auf den Tod des Königs Johann bezieht, für den das Volk eine dramatischere Todesursache erdichtete als die bloße Verdauungsstörung, an der er aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich starb; Sie können sie als eine Probe aus der volkstümlichen Literatur des vierzehnten Jahrhunderts ansehen.

Ich kann hier wagen, sie aus dem Gedächtnis zu erzählen, ohne sehr weit von dem alten Texte abzuweichen, da die kunstvolle Wortfügung des Originals und der Geist eines kühnen und ungefügen Heldentums, den dieses atmet, sich für immer meinem Gedächtnis eingeprägt haben.

Der König hatte, müssen Sie wissen, auf seinem Rückzuge vor den feindlichen Baronen und ihren französischen Verbündeten in der Abtei zu Swinestead in Lincolnshire Halt gemacht, nachdem er sein ganzes Gepäck durch die plötzlich hereinbrechende Flut an der Washküste verloren hatte, so dass er wohl etwas niedergeschlagen sein konnte.

Die Erzählung berichtet nun: So ging der König in die Halle, um zu speisen; vor ihm stand ein Laib Brot, er sah grimmig darauf und fragte: „Wieviel kostet ein solcher Laib im Königreiche?“

„Herr, einen Penny“, sagten sie.

Dann warf der König den Tisch mit seiner Faust um und sagte: „Bei Gott, wenn ich noch ein Jahr lebe, so soll ein solcher Laib zwölf Pence kosten.“

Dies hörte einer der Mönche, der dabei stand, und er dachte und überlegte, dass die Zeit und Stunde seines Todes gekommen wäre und dass es eine gute Tat sei, einen so grausamen König und so schlechten Herrn zu töten.

So ging er in den Garten, pflückte Pflaumen, riss die Stiele heraus und tat Gift in jede einzelne; dann kam er zum König, ließ sich auf sein Knie nieder und sagte:

„Herr, bei St. Augustin, dies sind Früchte aus unserem Garten.“

Da blickte ihn der König böse an und sagte: „Versuche sie, Mönch.“

So nahm der Mönch und ass, ohne eine Miene zu verziehen, und der König ass hernach.

Aber gleich darauf schwoll der Mönch an und wurde blau; er fiel zur Erde und starb vor den Augen des Königs; dann wurde dem König übel ums Herz, er schwoll ebenfalls an und starb und endete so seine Tage. –

Einige Zeit nach dem Tode Johanns und der Thronbesteigung Heinrichs III. machten die Barone, begünstigt durch die Magna Charta und mit einem schwachen und launenhaften König auf dem Throne, weitere Fortschritte an Macht und Popularität, und das erste ernstliche Hindernis für die Entwicklung des monarchischen Beamtenstaates wurde in Gestalt einer Art elementaren aristokratischen Verfassung der Schwäche Heinrichs III. in den Weg gelegt. Während dieser Bewegung der Barone, die ihrerseits für den Unterhalt des Volkes zu sorgen hatten, machten die Städte einen neuen Schritt vorwärts, und Simon de Montfort, der Führer der Partei, die in Ermangelung einer besseren Bezeichnung Volks-Partei genannt werden muss, wurde durch die Verhältnisse gezwungen, Bürger aus den Städten in sein Parlament zu berufen. Graf Simon war einer von jenen Männern, die in stürmischen Zeiten an die Spitze gelangen, und er verband mit Willensstärke und Ausdauer eine wahrhaft adlige Gesinnung. Er wurde der Held des Volkes, das ihn nach seinem Tode beinahe heilig sprach. Aber die Monarchie war für ihn und seine in Wahrheit vorgeschrittenen Pläne, die sich keineswegs mit den Hoffnungen der Barone im Allgemeinen deckten, zu stark, und als Prinz Eduard, der spätere Eduard I., seine volle Geistesstärke erlangte, und dem Königtum mit seiner skrupellosen Findigkeit zu Hilfe kam, war der Kampf bald vorüber, und mit der Schlacht bei Evesham begann die Monarchie einen neuen Anlauf und zwar jetzt den mächtigsten, zur weiteren Ausbildung des Beamtenstaats.

Eduard I. lebt in unserer Erinnerung fort namentlich wegen des Kampfes, den er gegen die schottischen Barone um die Lehnsoberhoheit über dieses Königreich führte, und wegen der jahrhundertelangen Feindschaft zwischen den beiden Ländern, die jener Kampf veranlasste. Aber er hat außerdem nach andere Ansprüche auf unsere Beachtung.

Zunächst und in Erinnerung an die Grausamkeit vieler seiner Handlungen, besonders im schottischen Kriege, könnte man ihn als einen etwas unbehilflichen Tyrannen und einen guten Feldherrn betrachten, dem auch ein Zug von Heuchelei, die seiner Zeit sonst fremd war, anhaftete. Aber gleich den Königen aus dem Hause Anjou, von denen ich soeben gesprochen habe, war er ein durchaus charakteristisches Produkt seiner Zeit. Er war nach allem, was wir von ihm wissen, wahrscheinlich kein Heuchler, trotz der Tränen, die er vergoss, wenn er einen unersetzlichen Verlust erlitten oder durch grausame Härte einen Vorteil errungen hatte. Er besaß einen phantastischen Zug, der in seltsamem Gegensatz zu seinen gesetzgeberischen Eigenschaften stand. Er war vielleicht derjenige, der das Feudalsystem auf der Höhe seiner Entwicklung am reinsten verkörperte und der ganz darin aufging. Seine Gesetze, seine Neigung zur Phantastik, seine Religion, seine Selbstbeherrschung und seine furchtbare Wut bildeten alle einen Teil seines angeborenen Feudalismus und kamen innerhalb dessen Grenzen zur Geltung. Wir müssen annehmen, dass er von seiner Verantwortlichkeit als Führer seiner Vasallen vollständig durchdrungen war, während er zugleich keine Spur von dieser Verantwortlichkeit gegenüber dem niederen Teile seiner Untertanen empfand. Ein solcher Mann war vor allem geeignet, die Tendenz zu bürokratischer Zentralisation, die ihren Höhepunkt in der Monarchie der Tudors erreichte, weiter auszubilden. Er lag mit seinen Baronen in fortwährendem Streite; so hart dieser Kampf auch war, sicher hat er darin nie die vom Herkommen gezogenen Grenzen des Feudalismus überschritten, so dass er stets loyal blieb. Er hatte den Grafen Simon getötet, ehe er zur Regierung kam, als er nur der Heerführer seines Vaters war, aber Graf Simons Werk war nicht mit ihm gestorben, und seitdem war es, solange das Mittelalter und seine feudale Hierarchie bestand, sowohl für den König als die Barone unmöglich, etwas zu unternehmen, was ernstlich die Stellung des anderen hätte gefährden können; der Kampf endete unter seiner Regierung mit der Herstellung eines Gleichgewichts der Kräfte in England, das einerseits verhinderte, dass ein großer Vasall ein Rival des Königs wurde, wie es mehrmals in Frankreich der Fall war, anderseits aber auch, dass der König zu einem rein despotischen Herrscher wurde.

Ich habe erwähnt, dass die Entwicklung des Beamtentums unter Eduards Regierung bedeutende Fortschritte machte, aber unter dem Feudalismus machte es überall Halt, wo der Adel in Betracht kam. Ruhe und Ordnung wurden zwischen den verschiedenen Gewalten der herrschenden Klassen hergestellt; seitdem spielt sich der Kampf zwischen ihnen und den beherrschten ab; dieser Kampf trat jetzt offen zu Tage; die niedrigeren Stände gewannen an Bedeutung, sie wurden durch Ausbeutung reicher und begannen einigen Einfluss auszuüben; dies veranlasste zuerst den König und dann die Barone, sie energisch anzugreifen; sie waren reich genug, um für die Mühe, die es machte, sie zu berauben, auch noch zu bezahlen, und noch nicht stark genug, sich selbst mit sichtbarem Erfolg zu verteidigen, obgleich der langsamere und weniger erkennbare Erfolg des materiellen Gedeihens nicht ausblieb. Die Angriffswaffe in den Händen der Barone war das gesetzmäßige feudale Privileg, die logische Durch- und Weiterführung des Instituts der Leibeigenschaft; dieser Angriff fand jedoch zwei Regierungen später statt. Wir werden darauf zurückkommen. Der Angriff auf die unteren Stände, die jetzt an Bedeutung gewannen, wurde unter dieser Regierung vom König unternommen, und seine Waffe war – das Parlament.

Ich habe erwähnt, dass Simon de Montfort einen Versuch machte, den Städten den Zutritt zum Parlament zu eröffnen; es blieb jedoch Eduard I. vorbehalten, endgültig den Grund zur parlamentarischen Vertretung zu legen, die er zu dem Zwecke benutzte, die Macht der Krone zu steigern und die zunehmende Freiheit der Städte niederzuhalten, obgleich sein nächstes Ziel einfach war – Geld zu bekommen.

Der Große Rat des Königreiches war ausschließlich feudal; er bestand aus den Lehnsträgern des Königs, theoretisch aus allen, praktisch nur aus den großen. Es war in der Tat der Rat des erobernden Stammes mit seinem Häuptling an der Spitze; die schuldigen feudalen Abgaben, die außerordentlichen steuern, das Lehnsgeld, die Veräußerungsgebühr, die Dienstpflicht und dergleichen – kurz die Einnahmen des Königs wurden in diesem Rate zu gleicher Zeit und im ganzen festgesetzt. Aber der unterlegene Stamm existierte nach wie vor, obgleich er hier nicht vertreten war, wurde, wie erwähnt, reich, und der König musste ihm unmittelbar das Geld aus der Tasche ziehen, was er, da die Besteuerten im Rate nicht vertreten waren, mit Hilfe seiner Beamten (der Sheriffs) tun musste, die einen nach dem anderen aufsuchten. Dies war ein mühseliges Geschäft, denn die Leute waren steifnackig und durchaus nicht gewillt, ihr Geld herzugeben, und da die Räuberei sozusagen an Ort und Stelle stattfinden musste, begegnete sie allseitig dem heftigsten Widerstande. In der Tat waren es die Geldbedürfnisse des Barons, des Bischofs, des Königs, denen der Fortschritt der Städte hauptsächlich zu verdanken war. Da die Städte durch ihre Herren, den König, Baron oder Bischof, nach Möglichkeit bedrückt wurden, wollten sie ihren Vorteil wahrnehmen und ein Abkommen treffen. Denn Sie dürfen nicht glauben, dass, weil teilweise zu jener Zeit Gewalttätigkeit herrschte, keine Achtung vor dem Gesetz vorhanden gewesen wäre; im Gegenteil, es herrschte eine ganz übertriebene Achtung davor, wenn es sich innerhalb der Grenzen der feudalen Empfindung bewegte, und das Ergebnis dieses Gefühls der Achtung war der beständige Kampf um geschriebene Verträge von Seiten der Städte und anderer Körperschaften während des ganzen Mittelalters.

Die Bürger sagten nun: „Es ist hart, dieses Geld zu bezahlen, aber wir wollen uns verpflichten, es zu bezahlen, wenn ihr als Entgelt dafür etwas für uns tut; gewährt uns z. B. die Gerichtsbarkeit über unsere Mitbürger und lasst das Urteil auf Grund von Zeugenaussagen an die Stelle der Herausforderung zum Zweikampf treten“ usw. usw.

Diese ganze Masse von Einzelabkommen war in der Tat eine Bürgschaft für die örtlichen Freiheiten, soweit sie den Städten und Grafschaften zugute kamen und überhaupt nicht mit den Anschauungen des Königs über Gesetz und Ordnung übereinstimmten, und so entstand die Sitte, dass der Sheriff (der Beamte des Königs, der an die stelle des Grafen der angelsächsischen Zeit getreten war) die Abgeordneten der Städte zur Beratung lud. Diese Abgeordneten, müssen Sie wissen, waren nicht auf den Volksversammlungen der Stadt oder des Gaues, sondern ganz im Geheimen von einigen der angeseheneren Einwohner des Ortes gewählt worden. Was der König tatsächlich sagte, war folgendes: „Ich will euer Geld, und ich kann mich nicht fortwährend mit euch widerhaarigen Kerlen in eurem Hause herumstreiten und all eure Erzählungen anhören, wie arm ihr seid usw.; nein, ich will, dass ihr Vertreter entsendet. Schickt mir daher aus jeder Gemeinde einen oder zwei Männer, die ich anfahren oder beschwatzen oder bestechen kann, damit sie mir euer Vermögen verschreiben.“

Unter diesen Umständen war es kein Wunder, dass die Städte über die Vertretung gar nicht so entzückt waren. Es war nicht leicht, sie zu veranlassen, nach London zu kommen, einzig um über die Beschaffenheit der Sauce ihre Meinung abzugeben, mit der sie verspeist werden sollten. Trotzdem kamen sie in ziemlicher Anzahl, und im Jahre 1295 war etwas wie ein Schatten unseres jetzigen Parlaments vorhanden. Auch ist es nicht nötig, hier viel mehr über diese Einrichtung zu sagen; im Laufe der Zeit wurden ihre Aufgaben allmählich durch das Recht erweitert, Petitionen um Befreiung von Abgaben bei Geldschenkungen entgegenzunehmen; aber die Versammlung galt im Allgemeinen als abhängig vom Willen des Königs, der bis gegen das Ende der Tudorzeit mitunter recht sonderbare Melodien auf diesem konstitutionellen Instrumente spielte.

Auf Eduard I. folgte sein Sohn, der wieder zu den Königen gehörte, die bisher den Baronen Gelegenheit gegeben hatten, ihrerseits Vorteile in dem konstitutionellen Kampfe zu erringen, und in früheren Zeiten hätten sie ohne Zweifel die Gunst der Umstände voll ausgenützt; wie die Sachen damals standen, hatten sie wenig zu gewinnen. Der König tat sein Möglichstes, die Beschränkung durch die feudale Verfassung abzuschütteln und einfach als absoluter Herrscher zu regieren. Nach einer Zeit scheinbaren Erfolges verließ ihn natürlich sein Glück, und dadurch, dass er seine eigene Abdankung in die Hände des Adels als ein Herrscher niederlegte, der, weil er den Vertrag mit seinen Vasallen gebrochen hatte, aller Rechte verlustig gegangen war, befestigte er natürlich nur das gesetzliche Recht des Feudalismus. Vergleichen wir sein Schicksal mit dem Karls I., so werden wir, abgesehen davon, dass Eduard von seinen Vasallen und Karl von den oberen Kreisen des Mittelstandes, der im Parlament vertretenen Herrschaft des reichen Bürgertums, zur Verantwortung gezogen wurde, den Unterschied zwischen beiden finden, dass Karl auf Grund eines Gesetzes verurteilt wurde, das sozusagen eigens zu diesem Zwecke gegeben worden und aus dem Prinzip der Vertretung der besitzenden Klassen hervorgegangen war, während Eduards Absetzung die tatsächliche logische Folge der Befestigung des Feudalsystems und auch praktisch gesetz- und ordnungsmäßig war.

Der Nachfolger des abgesetzten Königs, der dritte Eduard, führt uns mitten in die eigentlich mittelalterliche Periode in England hinein. Das Feudalsystem ist vollendet, Volksleben und Volksgeist hatten sich nach einer Richtung hin entwickelt, die, wenn auch nicht ganz unabhängig einerseits von den Vorstellungen und Sitten der keltischen und teutonischen Stämme, anderseits von der Autorität des römischen Reiches, doch beides ganz außer acht ließ. Das Mittelalter war zur Mannheit erwachsen; diese Mannheit besaß eine selbständige Kunst, die, obgleich sie sich Schritt vor Schritt aus der alt- und neurömischen entwickelt und von dem seltsamen Mystizismus sowie der träumerischen Schönheit des Ostens berührt worden war, Vater und Mutter vergessen hat und siegreich für sich allein dasteht, die lieblichste, glänzendste und heiterste aller Schöpfungen des Menschengeistes und der Menschenhand.

Das Zeitalter besitzt auch eine selbständige Literatur, die etwas seiner Kunst verwandt ist, aber tiefer steht und deren Einheit vermissen lässt, da eine doppelte Strömung in ihr wahrzunehmen ist. Auf der einen Seite steht der Hofpoet, der Edelmann, Chaucer, mit seinen italienischen Versmaßen und seiner gelehrten Kenntnis der klassischen Erzählungen; auf ihnen errichtet er allerdings ein Gebäude der kunstvollsten und echtesten mittelalterlichen Art: so heiter und glänzend wie die Architektur, die seine Augen erblickten und seine Feder schilderte, so klar, bestimmt und geschmackvoll ist es, eine sonnige Welt inmitten aller Rohheit, die über ihre Nöte hinweggeht wie über die eines glücklichen Kindes, von denen auch die schlimmste mehr eine Unterhaltung als ein Gegenstand des Kummers für die Umstehenden ist, eine Welt, die in ihrem regen, von Abenteuern und Liebe erfüllten Leben inmitten ihrer sonnenbestrahlten blühenden Wiesen, grünen Wälder, hell angestrichenen Pachthäuser kaum der Hoffnung bedarf. So gütig und menschenfreundlich aber auch Chaucers Muse ist, wird sie nichtsdestoweniger von allen Erscheinungen des Lebens um sie her gefesselt und ergötzt sich an ihnen, ist aber ihrem ganzen Wesen nach frei von kräftigen Zukunftsbestrebungen, und zwar um so mehr, da man sich noch nicht von der Gewohnheit frei gemacht hatte, dieses Leben als Teil eines anderen zu betrachten, obgleich die starke Frömmigkeit und stolze Gottesfurcht der raueren Zeiten des Mittelalters damals geschwunden war und die Kirche häufiger offen verspottet als gefürchtet oder geliebt wurde. Die Welt ist schön und voller Abenteuer, es gibt in ihr gütige, aufrichtige und edle Menschen, die einander glücklich machen, auch Narren, über die man lachen kann, und Schurken, denen man entgegentreten muss, die man aber nicht völlig verurteilen darf, und wenn wir diese Welt verlassen, gehen wir in eine andere ein, die ein Teil von ihr ist, um darin unser Leben weiterzuführen. Betrachte dir all die Bilder, präge dir sie ein, lebe in ihnen und schöpfe daraus so viel Genuss, wie du kannst, und vergiss nie, dass du lebst und dass es ein Glück ist, zu leben.

Das ist der Geist von Chaucers Poesie; aber neben ihr blühte noch die Balladendichtung des Volkes, vollständig unberührt von höfischer Zierlichkeit und klassischem gelehrten Kram; ungelenk, aber nicht roh, wahrhaftig bis ins Mark, in ihrer Kunst von Erbitterung gegen das Schlechte erfüllt, die zugleich der Ausdruck ihrer Hoffnungen ist, eine Kundgebung der Armen gegen die Reichen, namentlich in jenen Liedern von den Waldbewohnern, die das mittelalterliche Revolutionsepos genannt worden sind, nicht düsterer als die Poesie des Adels, aber flammend von Mut und Unzufriedenheit. Ein halbes Dutzend Strophen von ihr würden eine Wagenladung der weinerlichen Selbstbetrachtungslyrik unserer Tage aufwiegen, und wer nach Überwindung der leichten Verschiedenheiten der Sprache von der jetzigen von ihr nicht ergriffen wird, versteht weder Wesen noch Ziel wahrer Poesie.

Es gibt noch ein drittes Element in der Literatur jener Zeit, das man Lollardenpoesie nennen kann, von der William Langlands „Bauer Peter“ das bezeichnendste Beispiel ist. Sie bildet eine gute Ergänzung zu Chaucer und gehört wenigstens in der Form gänzlich zur volkstümlichen Dichtung, scheint mir aber Anzeichen des Geistes des aufstrebenden Mittelstandes zu enthalten und wirft den Schatten des neuen Herrn voraus, der bald zur Unterdrückung des Arbeiters erscheinen sollte. Ich muss jedoch das weitere, was ich noch über dieses Thema der Kunst und Literatur des vierzehnten Jahrhunderts zu sagen habe, für eine andere Gelegenheit aufsparen. Ich wollte Ihnen mit meinen Ausführungen nur klarmachen, dass das Mittelalter in dieser Zeit zu seiner größten Blüte gelangt ist und dass es in allgemein verständlicher Form die Anschauungen und das Leben der Zeit zur Darstellung bringen konnte.

Jene Zeit war in gewissem Sinne glänzend und neigte zu Fortschritten, das Leben des Arbeiters war damals besser, als es je gewesen war, und kann zu seinem Vorteile mit dem verglichen werden, was es später wurde und was es jetzt ist, und in der Tat gibt es Leute, die bei einem Rückblick auf die damalige Zeit nicht umhin können, sie zurückzuwünschen, und sich nicht besonders durch die Vorstellung von ihrer Gewalttätigkeit und ihrem Mangel an genauen wissenschaftlichen Einzelkenntnissen abschrecken lassen.

Aber ein Punkt ist uns jetzt klar, der zu denen gehört, die der Mehrzahl der Zeitgenossen stets verborgen bleiben, nämlich, dass, welcher Art das Bestehende auch war, es nicht so bleiben konnte, sondern sich in etwas anderes verwandeln musste.

Der vollendete Feudalismus des vierzehnten Jahrhunderts fiel, wie Systeme stets fallen, durch seine eigene Verderbnis und durch die Entwicklung der in ihm liegenden Keime der Veränderung, von denen einige allerdings jahrhundertelang geschlummert hatten, um lange, nachdem die Ereignisse, die sie geschaffen hatten, vergessen worden waren, wieder zum Leben zu erwachen.

Der Feudalismus war natürlich ein System des offenen Krieges. Die Bündnisse, Ehen und andere vom König und den Mächtigen abgeschlossene Familienverträge gaben ihnen stets Veranlassung zum Kriege, indem sie ihnen gesetzliche Ansprüche oder wenigstens solche, die für gesetzlich ausgegeben werden konnten, auf die Besitzungen anderer Lords verschafften, die ihren tatsächlichen Besitz, ihre Truppen, ihren Reichtum, ihre Beliebtheit unter den Baronen dazu benutzten, ihren Ansprüchen unmittelbaren Nachdruck zu geben. Ein solcher Krieg war derjenige, durch den Eduard I. England die Feindschaft der Schotten zuzog, ein solcher war auch der große Krieg, den Eduard III. mit Frankreich anfing. Sie dürfen nicht glauben, dass diesem Kriege irgend ein nationaler oder Rassengegensatz zugrunde lag. Die letzten Kriege vor der Zeit, von der ich jetzt spreche, in denen Rassenempfindungen zur entscheidenden Geltung gelangten, waren die Kreuzzüge. Dieser französische Krieg war weder ein Krieg zwischen Nationen, noch zwischen Rassen, noch zwischen Stämmen; er war das private Unternehmen eines Grundbesitzers, der das, was er für sein gesetzliches Recht hält, von einem anderen Grundbesitzer zurückfordert, der es seiner Meinung nach widerrechtlich in Besitz genommen hat. Diese Forderung mussten seine getreuen Lehnsmannen ihm durchführen helfen; Treue gegen einen Lehnsherrn, nicht Liebe zu ihrem Vaterlande, war die Tugend, die man von Eduards III. Kriegern verlangte, wenn sie in dieser Hinsicht überhaupt Anspruch auf eine Tugend hatten.

Als dieser Krieg einmal begonnen hatte, war er schwer zu beendigen, teils wegen des Glückes, das Eduard in ihm hatte, da er Frankreich mit der ganzen Macht eines Landes überfiel, das so viel gleichartiger war als jenes; unzweifelhaft war es ein für beide Länder höchst verhängnisvoller Krieg und kann daher zu den Ursachen gezählt werden, die das Feudalsystem verfallen ließen.

Aber die wirklichen Ursachen dieses Verfalls liegen viel tiefer. Das System war keiner Ausdehnung der Produktion fähig; es war in der Tat, solange es in seiner unveränderten Eigenart fortbestand, ein Heer, das von Sklaven unterhalten wurde, die nicht angemessen und voll beschäftigt werden konnten; die Freien konnten in ihrer Muße sich mit etwas anderem befassen und in Kunst und Literatur tätig sein, aber als Angehörige eines erobernden Stammes hatten sie nach allgemeiner Übereinstimmung nur eine Lebensaufgabe, den Kampf. Es gab allerdings eine Klasse von Leuten, die zwischen dem Leibeigenen und dem freien Adligen in der Mitte standen und die die Handwerkserzeugnisse herstellten, welche der letztere gebrauchte, aber langsam, und wie wir jetzt urteilen würden, mit Verwendung zu großer Arbeitskraft; als nun diese Handwerker und Kaufleute anfingen, Bedeutung zu gewinnen und sich, wie es gar nicht anders möglich war, in die feudale Hierarchie eindrängten, als sie rechtliche Anerkennung erlangten, steigerte sich der Verfall des Feudalsystems, und der Schatten der kommenden Vorherrschaft des Handels verdunkelte ihn.

Dass eine Klasse von Menschen, die den Anspruch erheben konnten, etwas anderes zu sein als das Eigentum freier Männer, nicht bestimmte, von denen anderer Gruppen scharf gesonderte Rechte haben sollten, war eine Vorstellung, die das Mittelalter nicht fassen konnte; sobald daher Menschen auftraten, die keine Leibeigenen und keine Adligen waren, hatten sie um ihre rechtliche Anerkennung zu kämpfen; zu diesem Zwecke gliederten sie sich in Genossenschaften, die zu anerkannten Mitgliedern der großen feudalen Hierarchie werden sollten; denn unbegrenzte Freiheit ohne positiven Inhalt stand in jenen Tagen niemand zu; genoss man keine rechtliche Anerkennung, so existierte man nicht, es sei denn als außerhalb des Gesetzes Stehender.

Dies ist in kurzen Worten die bewegende Kraft der geschichtlichen Notwendigkeit, die dem Kampfe der städtischen Körperschaften und Handwerkszünfte zugrunde liegt, einem Kampfe, der, obgleich er mit der Vernichtung der mittelalterlichen Hierarchie enden sollte, sie zuerst anscheinend stärkte, dadurch, dass er die Zahl ihrer Mitglieder vermehrte, ihr Produktionsvermögen steigerte und so ihre Stellung für die Gegenwart befestigte.

Über diesen Kampf und die Gestaltung des Lebens, die ihn begleitete, möchte ich ein andermal schreiben und will deshalb nichts mehr darüber hinzufügen. Nur das möchte ich noch erwähnen, dass er durch die Veränderung stark befördert wurde, die nach und nach zwischen den Landlords und der Klasse, auf der die ganze Gesellschaft beruhte, den Leibeigenen, Platz griff. Dies waren zuerst Menschen, die keine größeren Rechte besaßen als gekaufte Sklaven, mit der Ausnahme, dass sie als Bestandteile des Inventars des Gutes nicht von ihm wegverkauft werden konnten. Als aber das Produktionsvermögen dank der besseren Arbeitsmethoden wuchs und das Land mehr bevölkert wurde, wurde es ihnen leichter, ihr Tagewerk zu verrichten, und ihr eigenes Land brachte mehr Ertrag. Außerdem kam ihnen eine Neigung zur Festsetzung und Abgrenzung von Rechten zugute; das grundherrliche Gewohnheitsrecht setzte ihre Pflichten fest, so dass sie auch anfingen, Rechte zu erhalten. Von dieser Zeit ab hörten sie auf, reine Leibeigene zu sein und begannen allmählich zu Pächtern aufzusteigen, die zuerst als Entgelt für ihre Ländereien lediglich und ausschließlich Dienste leisteten, aber nach und nach diese Dienstleistungen in Geldzahlungen – kurz in eine Rente umwandelten.

Als gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts das Land durch den schwarzen Tod entvölkert und durch den langen Krieg verarmt war, begannen die Lehnsherren dieser Zinsbauern und Pächter die Nachlässigkeit zu bedauern, mit der ihre Vorfahren ihr Eigentum, die Leibeigenen, ausgenützt hatten, und daran zu denken, dass sie in dem neuen kommerziellen Lichte, das über ihnen aufgegangen war, dies viel besser tun könnten, wenn sie nur ihr Eigentum ein bisschen mehr in der Hand gehabt hätten; es war jedoch zu spät, denn ihr Eigentum hatte Rechte erworben, und außerdem hatten sich die Leute sonderbare Träume von einer viel besseren Zeit, als in der sie lebten, in den Kopf gesetzt, wo selbst jene Rechte durch einen Zustand der Dinge ersetzt seien, in dem die Verteidigung von Rechten für keine Menschenklasse länger nötig sei, da es allen Menschen freistehen sollte, die Früchte ihrer eigenen Arbeit zu genießen.

Daraus entwickelte sich die große Episode des von Männern wie Wat Tyler, Jack Straw und John Ball geleiteten Bauernkrieges. Allerdings hatten die Führer samt ihren Anhängern dafür zu leiden, dass sie es wagten, ihrer Zeit voraus zu sein, denn die Erhebung wurde mit einer Grausamkeit niedergeschlagen, die ganz eines irischen Landlords oder eines kapitalistischen Menschenschinders von heute würdig war; nichtsdestoweniger nahm aber die Leibeigenschaft in England ein Ende, wenn auch nicht infolge der Empörung, so doch wegen der Ereignisse, die diese hervorgerufen hatten, und damit war dem Feudalismus eine tödliche Wunde beigebracht.

Von dieser Zeit an kümmerte sich das Land, das die mannigfachen Wirren eines neuen französischen Krieges zu Heinrichs V. Zeit und den Krieg der beiden Rosen durchzumachen hatte, wenig um diese Parteikämpfe.

Der Wohlstand der Handwerker wuchs; sie begannen aber auch in eine neue Klasse emporzusteigen, eine niedrigere Klasse von bloßen Arbeitern, die nicht Leibeigene waren, war im Entstehen und legte den ersten Grund zur kapitalistischen Produktionsweise.

England wurde in die beginnende Strömung des Kommerzialismus hineingezogen und die reichen Leute sowie die Großgrundbesitzer veranlasst, ihre Aufmerksamkeit auf die Erzielung von Gewinn anstatt auf die Erzielung des Lebensunterhalts zu richten; der keiner Zunft angehörige Tagelöhner und der Arbeiter ohne Grundbesitz kamen allmählich auf; der Landlord entledigte sich soviel wie möglich seiner Pächter, verwandelte Ackerland in Weide und erschöpfte in seiner Gier nach Wolle, die für ihn Geld und die Möglichkeit bedeutete, weiteres Geld zu gewinnen, das Weideland vollständig, bis zuletzt der Platz des Leibeigenen, der während einer gewissen Übergangszeit, in der die nichtkapitalistische Produktion bis zu ihren äußersten Grenzen ausgedehnt worden war, gleichsam leer gestanden hatte, durch den Proletarier ausgefüllt wurde, der im Dienste eines neugearteten Herrn arbeitete, eines Herrn, der ihn unvergleichlich mehr ausbeutete und leider noch ausbeutet, als der Grundbesitzer der Feudalzeit auf Grund seines Gewohnheitsrechtes es getan hatte.

Das Leben des Arbeiters und die Gütererzeugung in dieser Übergangszeit, in der die feudale Gesellschaft sich ihrem Ende zuneigte, ist ein schwieriges und weitläufiges Thema, das eine besondere Behandlung verlangt; hier will ich den mittelalterlichen Arbeiter zur Zeit der vollen Entwicklung jener Periode verlassen, die ihn als an die Scholle gebundenen Leibeigenen vorfand und im Allgemeinen als Freisassen oder Handwerker, der an dem Gesamtrechte seiner Zunft Anteil hatte, zurückließ.

Wenn der Arbeiter von heute sich die Lage seines Vorgängers vergegenwärtigt, hat er gewissermaßen Grund, ihn zu beneiden; der feudale Leibeigene arbeitete schwer, lebte in Dürftigkeit und verschaffte seinem Herrn einen kargen Lebensunterhalt, während der moderne Arbeiter, der noch härter arbeitet und, wenn überhaupt, nur wenig besser lebt als der Leibeigene, seinem Herrn die Möglichkeit gewährt, ein luxuriöses Leben zu führen, von dem sich der alte grundbesitzende Lord nie hatte träumen lassen. Das Produktionsvermögen des Arbeiters hat sich seitdem vertausendfacht; seine Lebensführung ist beinahe auf derselbe Stufe stehen geblieben. Die Waagschale neigt sich zugunsten seines Herrn und der Menge unnützer, schmutziger Knechte und Narren, die seinen blödsinnigen, verschrobenen Begierden dienen und unter der anspruchsvollen Bezeichnung des gebildeten Mittelstandes ihrerseits die Rolle des mittelalterlichen Spaßmachers übernommen haben.

Wahrlich, wenn der Wahlspruch der Positivisten: „Lebe für andere“ in voller Buchstäblichkeit genommen wird, dann müsste der moderne Arbeiter ein guter und weiser Mann sein, da er keine Möglichkeit hat, sich selbst zu leben.

Und doch wünschte ich, er wäre noch weiser, weise genug, um der Predigt: „Lebe für andere“ ein Ende zu machen, welche die von dem Kommerzialismus zugunsten seiner Lieblingskinder ausgegebene Parole ist.

Aber in einer Beziehung hat der moderne Proletarier einen Vorteil über den mittelalterlichen Leibeigenen, und dieser Vorteil birgt eine ganze Welt in sich. Viele Jahrhunderte liegen zwischen dem Leibeigenen und der erfolgreichen Revolution, und obgleich er sich lange Zeit abmühte und niemals den Mut verlor, sollte der nahende Umschwung, den sein Märtyrertum vorbereiten half, doch nicht ihm zugute kommen, sondern den neuen Herren seiner Nachfolger. Bei uns ist es anders. Ein paar Jahre mühevollen Kampfes gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit, ein oder zwei Jahre voll wachsender Hoffnung – und dann, wer weiß? Vielleicht ein paar Monate oder vielleicht ein paar Tage offenen Kampfes gegen die rohe Gewalt, um ihr die Maske vom Gesicht und das Schwert aus der Hand zu reißen, und dann sind wir im Hafen.

Wer weiß? sage ich. Doch das wissen wir, dass über uns, durch nichts von der Verwirklichung getrennt als durch solche Verhältnisse, die zu ihrer Entwicklung notwendig sind, die unvermeidliche soziale Revolution schwebt, die das Ende der Herrschaft und den Sieg der Genossenschaft mit sich bringen wird.

 

Die Hoffnungen der Zivilisation

Jedes Zeitalter hat seine Hoffnungen, Hoffnungen, die auf etwas über das Leben des Zeitalters selbst hinausreichendes Bezug nehmen, Hoffnungen, die in die Zukunft einzudringen suchen, und seltsam, ich glaube, dass diese Hoffnungen nicht in der Blütezeit der Epoche, in der sie entstanden sind, am stärksten gewesen sind, sondern eher in der Zeit des Verfalls und der Verderbnis. Bei nüchterner Betrachtung kommt man wohl zu der Überzeugung, dass diese Hoffnungen nur in den Köpfen der Glücklichen vorhanden sind, die sich nicht in vergeblichen Wünschen verzehren wie die Leidenden, die wenig die Fähigkeit besitzen, ihre Leiden zu Gehör zu bringen. Wenn alles gut geht, vergisst die glückliche Welt jene Leute und ihre Wünsche, überzeugt, dass deren Weh ihrem eigenen Wohl nicht gefährlich werden kann; erreichen dagegen das Weh und die Beschwerden der Armen einen unerträglichen Grad, so befällt die Reichen bewusste oder unbewusste Furcht, und sie beginnen sich umzusehen, ob sie nicht unter den Elementen ihrer Gesellschaft etwas erblicken, was als Vorbeugungsmittel gegen das Elend benutzt werden kann, das, wenn es unter den Sklaven jener Gesellschaft lange herrscht und täglich größer wird, zuletzt mit Gewalt die Aufmerksamkeit der Herren auf sich zieht. Zeiten des Umschwungs, der Auflösung und Revolution sind naturgemäß auch Zeiten der Hoffnung, und nicht selten sind die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft die ersten Anzeichen, die dem Volke verkünden, dass die Umwälzung naht, obgleich in der Regel solche Anzeichen nicht mehr Glauben finden als die Prophezeiungen Kassandras oder von denen, die etwas zu verlieren haben, sogar im entgegengesetzten Sinne aufgefasst werden; denn sie gelten ihnen als Anzeichen des Wohlstandes der Zeit und der Fortdauer jenes Zustandes der Dinge, der für sie so erfreulich ist. Wir wollen daher zusehen, worin die Hoffnungen der Zivilisation heutzutage beruhen; denn in der Tat will ich hauptsächlich von der Gegenwart sprechen und für jetzt jeden Rückblick auf jene ältere, von dem urwüchsigen Barbarentum, auf dem sich unsere jetzige Gesellschaft aufgebaut hat, zerstörte Zivilisation unterlassen.

Jedoch sind ein paar Worte über den Beginn unseres gegenwärtigen Zeitalters, die Hoffnungen, die es angeregt hat, und die Art und Weise ihrer Erfüllung unerlässlich; dies wird uns ziemlich weit in der Geschichte zurückführen, denn meines Erachtens beginnt unsere moderne Zivilisation mit den Wirren zur Zeit der Reformation in England, einer Zeit, die in den wichtigsten Kulturländern des Kontinents als das Zeitalter der Renaissance, der so genannten Wiedergeburt der Kunst und Wissenschaft, bezeichnet wird.

Zuerst müssen wir uns daran erinnern, dass diese Periode die letzten Zuckungen des Feudalismus mit allem Guten und Schlechten, was dieses System mit sich brachte, umfasst. In den vorhergehenden Jahrhunderten war sein Ende durch die allmähliche Lockerung der Bande der großen Hierarchie, die die Menschen zusammenhielt, vorbereitet worden; das Hauptmerkmal dieser Verbindung waren, wenigstens in der Theorie, persönliche Rechte und persönliche Pflichten zwischen Herren und Untergebenen die ganze Stufenleiter hinunter gewesen; jedermann war sozusagen schon bei seiner Geburt in diese Verhältnisse eingetreten, und die Ereignisse seines Lebens vermochten ihn nicht davon zu befreien; Handel, in unserem Sinne des Wortes, gab es nicht; kapitalistische Fabrikation, kapitalistischer Austausch waren unbekannt; Waren billig einzukaufen, um sie teuer zu verkaufen, war gesetzlich verboten (Aufkauf); Waren am Morgen auf dem Markte zu kaufen und sie am Nachmittage in demselben Orte zu verkaufen, galt nicht als nutzbringende Beschäftigung und war unter der Bezeichnung des Verhökerns verboten; Zinsennehmen galt, anstatt wie jetzt unmittelbar zu den höchsten Staatsämtern den Weg zu bahnen, als Unrecht, und der Nutzen daraus fiel hauptsächlich dem auserwählten Volke Gottes zu; die Beraubung der Arbeiter, die man damals wie jetzt als zu dem Dasein des Staates selbst unerlässlich betrachtete, wurde mit aller Härte ohne jede Vertuschung oder Entschuldigung durch willkürliche Besteuerung oder offene Gewalt ausgeführt; anderseits war das Leben billig, und die allgemeinen Bedürfnisse waren in Fülle vorhanden; die kirchlichen Feste waren Feste in dem modernen Sinne des Wortes, geradezu Feiertage, und es gab deren sechsundneunzig obligatorische; auch war das Volk nicht zahm und geduldig, sondern eine so widerhaarige und mutige Schar guter Gesellen, wie sich nur je unter der Sonne durchs Leben geschlagen hat.

Ich greife drei zufällig erhaltene Äußerungen aus der Geschichte oder dem alltäglichen Gesprächsstoffe jener Tage über das damalige Leben heraus, die interessanterweise die Veränderung bekunden, die in den Gewohnheiten der Engländer stattgefunden haben. Eine Dame aus Norfolk bittet vor vierhundert Jahren ihren Gatten in London brieflich, ihr Verschiedenes zu besorgen, wie Teppiche, Gewürze, Kleider, und fügt hinzu, er möge nicht vergessen, eine genügende Menge Armbrüste und Bolzen mitzubringen, da die Fenster des Schlosses zu tief lägen, als dass man daraus bequem mit Langbogen schießen könne. Ein deutscher Reisender, der ganz gegen Ende des Mittelalters schreibt, spricht von den Engländern als dem faulsten und stolzesten Volke, das die besten Köche in Europa besitze. Ein spanischer Gesandter sagt zu derselben Zeit: „Diese Engländer wohnen in Häusern, die aus Balken und Lehm gebaut sind,[5] leben aber darin so im Überflusse wie Lords.“

In der Tat gebe ich zu, dass mich ein eigenes Gefühl beschleicht, wenn ich jene Zeiten heraufbeschwöre und mir das Leben unserer Vorväter zu vergegenwärtigen suche, Menschen, die ebenso hießen wie wir, beinahe dieselbe Sprache redeten, auf demselben Fleck Erde wohnten und dabei in Sitten, Gewohnheiten, Lebens- und Denkungsweise von uns so verschieden waren, als lebten sie auf einem anderen Planeten. Selbst das Aussehen des Landes hat sich geändert; ich spreche nicht nur von London und den großen Industriezentren, sondern von dem Lande im Allgemeinen; es gibt kein Fleckchen englischen Bodens mit Ausnahme solcher Gegenden wie des Tals von Salisbury, das nicht die wunderbare Veränderung bezeugte, die vierhundert Jahre hierin bewirkt haben.

Nicht selten ergötze ich mich an dem Versuche, mir das Aussehen Englands im Mittelalter vorzustellen; die vielen Jagdgebiete und großen Wälder, die ausgedehnten gemeinsamen Äcker und gemeinsamen Weiden ohne jegliche Umzäunung, die einfache Bewirtschaftung der bebauten Strecken, die unveredelten Rassen von Rindern, Schafen und Schweinen, besonders die letzteren, die uns in ihre Schmächtigkeit, Länge, Magerkeit so sonderbar vorkommen, die Züge von Lastpferden auf den Landstraßen, die Seltenheit von Fahrwegen, von denen mit Ausnahme der noch von den Römern angelegten kaum einer vorhanden war, und die von Kloster zu Kloster gingen, die geringe Anzahl Brücken, an Stelle derer das Volk Fähren oder auch Furten benutzte, wo sich deren fanden; die kleineren Städte mit schönen Kirchen, oft mit Ringmauern, die Dörfer genau an der Stelle, wo sie jetzt liegen (ausgenommen diejenigen, von denen nichts als die Kirche übriggeblieben ist, um uns Kunde von ihnen zu geben), aber besser gebaut und bevölkerter; ihre Kirchen teils groß und hübsch, teils klein und seltsam, aber alle mit Altären und Geräten angefüllt, mit Gemälden und Schmuck heiter verziert; die vielen Klöster mit ihrer herrlichen Architektur; die schönen Landedelsitze, darunter einige, die einst Burgen waren und aus früheren Zeiten stammten, einige neu und geschmackvoll, einige außer allem Verhältnis klein im Vergleich zur Bedeutung ihrer Besitzer. Wie seltsam würde uns zumute sein, wenn wir im vierzehnten Jahrhundert Englands Boden betreten könnten; wenn wir nicht den Gipfel eines bekannten Hügels erblicken, gleich dem, der jetzt das Symbol eines englischen Stammes trägt und von dem ich, auf die Ebene, wo Alfred geboren wurde, hinabschauend, einst solche Erwägungen anstellte, würden wir nicht wissen, in welches Land der Erde wir gekommen wären: der Name ist geblieben, kaum sonst etwas.

Und wenn ich daran denke, belebt sich meine Hoffnung Betreffs der Zukunft: genau so wird es uns in den kommenden Zeiten ergehen; alles wird sich verändert haben, und ein anderes Volk wird hier in England wohnen, das, trotzdem es von unserem Blute sein und unseren Namen tragen kann, sich wundern wird, wie wir im neunzehnten Jahrhundert gelebt haben.

Nun, in dieser ganzen streng gehinderten Kastengesellschaft des vierzehnten Jahrhunderts mit ihrem unverfeinerten Überfluss, ihrem müßigen Leben, ihrer kühlen Beurteilung von Rohheit und Gewalttat, spielte sich ein heftiger Klassenkampf ab, der die Hoffnung jener Tage auf einen Fortschritt in sich barg: die Leibeigenen wurden allmählich frei, ein Teil von ihnen bildete die Stadtbevölkerung, die ersten Tagelöhner oder so genannten „freien Arbeiter“, ein Teil die Zinsbauern des flachen Landes; die städtischen Körperschaften gelangten zu Macht und Ansehen, die Zünfte der Handwerker erlebten ihre Blütezeit und verfielen dann, die Macht der Krone wuchs, von dem in ihrem Dienste stehenden Beamtentum unterstützt; kurz, der Mittelstand bildete sich, während dem äußeren Anscheine nach der Feudalismus noch unerschüttert feststand: alles bereitete sich für den Beginn der großen Handelsepoche vor, in deren letzten Tagen, wie ich hoffen will, wir jetzt leben. Diese Epoche begann mit dem verhängnisvollen Ersatz des Ackerbaues zum Zwecke des Lebensunterhalts durch den zum Zwecke des Gewinns, der das Volk des Landbesitzes beraubte, die Vernichtung des Freisassen und das Aufkommen des kapitalistischen Farmers bedeutete, das Wachstum der städtischen Bevölkerung begünstigte, die, noch vermehrt durch den Zuzug der besitzlosen Landstreicher und herrenlosen Leute, sich zu einem entschiedenen Proletariat oder einer Klasse von freien Arbeitern entwickelte; und deren Dasein macht wiederum das des angehenden kapitalistischen Industriellen möglich. Die Herrschaft des kaufmännischen Vertrages und der Geldwirtschaft begann an die Stelle der alten feudalen Hierarchie mit ihrer vielgliedrigen Kette persönlicher Verantwortlichkeit zu treten. In der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, der Regierungszeit Karls II., wurde der letzte Schlag gegen dieses Feudalsystem geführt, als der Kriegsdienst der Grundbesitzer abgeschafft wurde und sie einfache Gutsbesitzer wurden ohne weitere Verpflichtung als die Bezahlung einer Grundsteuer.

Über die Hoffnungen des ersten Abschnitts der Handelsperiode kann man sich aus fast jedem Buche der damaligen Zeit unterrichten, sie finden sich in verschiedenen Abstufungen langweiliger oder ergötzlicher Umständlichkeit dargestellt und verraten eine kindliche Anmaßung und Verachtung gegen die jüngste Vergangenheit, durch welche nur der Eindruck der äußersten Geisteseinfalt erreicht werden kann. Doch die Zeiten waren unruhig und ließen die mächtigsten Individualitäten in manchen Zweigen der Literatur entstehen; More und Campanella erfüllten die Welt, wenigstens seit der Höhezeit des überschäumenden Triumphs des jungen Kommerzialismus, mit prophetischen Hoffnungen auf eine Zeit, die dann kommen würde, wenn jener Kommerzialismus selbst der Gesellschaft Platz gemacht hätte, die, wie wir hoffen, die nächste Umgestaltung der Zivilisation in etwas anderes, ein neues soziales Leben, sein wird.

Diese Periode voll frischer, ausschweifender Hoffnungen ging in das auf sie folgende Zeitalter der nüchternen Verwirklichung vieler von ihnen über, denn der Handel wuchs und wuchs; der Arbeiter des sechzehnten Jahrhundert arbeitete noch für sich allein ohne wesentliche Beihilfe und fast ohne jegliche Arbeitsteilung; gegen das Ende des siebzehnten war er nur ein Teil einer Mehrheit geworden, die zu jener Zeit in den Handwerken die wahre Produktionseinheit geworden war; die Arbeitsteilung hatte schon damals seine Individualität völlig vernichtet, und der Arbeiter war nur ein Teil einer Maschine, das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch schritt dieses System unaufhaltsam bis zur Vollendung fort, bis für die meisten Menschen jener Zeit, für die meisten von denen, die irgendwie imstande waren, ihre Gedanken auszudrücken, die Zivilisation bereits einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hatte und unzweifelhaft von Tag zu Tag weitere Fortschritte machte.

Diese Hoffnungen hatten dem äußeren Anscheine nach wenig mit revolutionärer Gesinnung zu tun, aber nichtsdestoweniger ging der Klassenkampf weiter, und zwar ganz offen; denn die Reste des Feudalismus, unterstützt durch die leere Maske und bloße Form der Religion, die einst ein wesentlicher Teil des Feudalsystems gewesen war, bereiteten dem Fortschritte des Handels ernste Hindernisse und erschienen tausendmal mächtiger, als es in Wirklichkeit der Fall war. Trotz des Klassenkampfes bestand ein geheimes Bündnis zwischen dem zu Einfluss gelangten Mittelstande, der dem Aufblühen des Handels seine Entstehung verdankte, und seinem alten Herrn, dem Adel – mehr ein unbewusstes Einvernehmen zwischen ihnen mitten in ihrem Kampfe, dass gewisse Punkte auch von der vorgeschrittenen Partei zu achten seien: der Kampf und der Bürgerkrieg zwischen dem König und dem Unterhause in England im siebzehnten Jahrhundert zeigt dies zur Genüge, die Vorsicht, mit der die Privilegien im Beginn des Kampfes angegriffen wurden, das Widerstreben sämtlicher Führer mit Ausnahme weniger Schwärmer dagegen, die äußersten Konsequenzen aus ihrer Haltung zu ziehen, selbst als der Gang der Ereignisse den Gegensatz zwischen dem Adelsprivileg und der so genannten Vertragsfreiheit des Mittelstandes enthüllt hatte; endlich die Ausgestaltung der durch die Schlacht von Naseby, begründeten neuen Ordnung zu einem Zwitterdinge von Privileg und bürgerlicher Freiheit, die Niederlage und Unterdrückung der puritanischen Republikaner, die Furcht vor den Levellern, der damaligen Vorläufer des Sozialismus, und ihre schnelle Vernichtung – alles deutet darauf hin, dass die „Partei des Fortschritts“, wie wir sie jetzt nennen wollen, allem Anscheine nach entschlossen war, das Privileg nur so weit auszurotten, wie ihr eigener Vorteil ins Spiel kam.

Das siebzehnte Jahrhundert endete in England mit der großen whiggistischen Revolution; wie erwähnt nahm der Handel unermesslich zu, die Macht des Mittelstandes wuchs in gleichem Verhältnis, und alles schien gut mit ihm zu stehen, bis zuletzt in Frankreich die auf den Gipfel getriebene Verderbtheit einer Gesellschaft, die noch dem Namen nach, aber einzig zum Vorteil des privilegierten Adels bestand, die Weiterentwicklung hemmte; die alte Ordnung der Dinge, gestützt durch die Staatsgewalt, durch jenen Anschein von überwältigender physischer Kraft, die den wahren und einzigen Zusammenhalt der auf die Sklaverei der Mehrzahl gegründeten Gesellschaft darstellt – die Macht des Adels erschien stark und fast unüberwindlich, und da jeder Stock genügt, einen Hund zu schlagen, so mussten die mittleren Klassen in Frankreich den ersten besten Stock aufnehmen, der ihnen zur Hand lag, wenn sie den Adel nicht frei gewähren lassen wollten, was ihnen allerdings die ganze geschichtliche Entwicklung zu tun verbot. Wie sich deswegen in England im siebzehnten Jahrhundert die mittleren Klassen mit religiösen, republikanischen und selbst kommunistischen Schwärmern in der festen, wenn auch unausgesprochenen Absicht, sie niederzuhalten, wenn sie mit ihrer Hilfe die Macht erlangt hätten, verbanden, so mussten sie sich in Frankreich sogar mit dem Proletariat verbinden, das, schmachvoll unterdrückt und erniedrigt, wie es war, nun zum ersten Male in der Geschichte sich seiner Macht, der Macht der Masse, bewusst zu werden begann. Mit seiner Hilfe triumphierte der Mittelstand über das Adelsprivileg, aber obgleich das Proletariat bald wieder auf eine Stellung, die nicht viel besser war als die von ihm vor der Revolution eingenommene, herabgedrückt wurde, verlieh doch der Anteil, den dieses an ihr gehabt hatte, jener Revolution ein neues, furchtbares Gepräge, und seit jener Zeit trat der Klassenkampf in ein neues Stadium; die Mittelklassen hatten einen vollständigen Sieg errungen, der in Frankreich all die äußeren Anzeichen des Sieges mit sich brachte, während sich in England gewisse Kreise aus ihnen selbst als eine Art von Aristokratie anzusehen begannen, obgleich sie in der Tat im Guten wie im Bösen wenig Aristokratisches an sich hatten, da sie in den seltensten Fällen auf einen langen Stammbaum zurückblicken konnten und in ihren Gewohnheiten und Vorstellungen unverkennbare Bourgeois waren.

So war der zweite Akt des großen Klassenkampfes zu Ende, mit dessen erstem Akt das Zeitalter des Handels begonnen hatte; was die Hoffnungen dieser Revolutionszeit betrifft, so wissen wir alle, wie ausschweifend sie waren, was für eine vollständige Neugestaltung der Welt als Ergebnis der Abschaffung der gröbsten Form des Privilegs erwartet wurde. Jedoch muss ich sagen, dass, ehe wir über das Ausschweifende dieser Hoffnungen spotten, wir uns an die Stelle derer, die sie hegten, zu setzen und zu begreifen suchen sollten, wie das Privileg des alten Adels die achtbaren wohlhabenden Kreise jener Zeit erbittert haben musste. Nun, der vernünftige Teil dieser Hoffnungen wurde durch die Revolution verwirklicht; mit anderen Worten, sie erreichte das, was sie in Wahrheit erstrebt hatte, die Befreiung des Handels von den Fesseln einer falschen Feudalität oder mit anderen Worten die Vernichtung des Adelsprivilegs. Der ausschweifendere Teil der Hoffnungen, die ihren Ausdruck in der Revolution des achtzehnten Jahrhunderts fanden, war zu unbestimmt und bewegte sich in der Richtung der Erwartung, die arbeitenden Klassen würden aus dem, was im Interesse des Mittelstandes geschehen war, in ganz unaufgeklärter Weise – man könnte sagen, durch eine Art von Zauberei – einen Gewinn ziehen. Da jedoch dieser Vorteil für die Arbeiter niemals direkt erstrebt, sondern nur beiläufig erhofft worden war, so verwirklichte er sich auch nicht durch irgendwelches derartiges Zaubermittel, und die siegreichen Mittelklassen begannen allmählich nicht länger als aufrührerische Sklaven, sondern als unterdrückende Herren betrachtet zu werden.

Der Mittelstand hatte den Handel von den Fesseln des Privilegs befreit und ebenso das Denken von denen der Theologie, wenigstens teilweise, aber er hatte nicht die Arbeit von ihren Fesseln befreit, auch gar nicht den Versuch dazu gemacht. Die Führer der französischen Revolution hielten selbst inmitten der Befürchtungen, des Verdachtes und der Schlächterei der Schreckensherrschaft die Rechte des so genannten „Eigentums“ aufrecht, obgleich ein neuer Vorkämpfer oder Prophet in Frankreich auftrat, der in manchen Beziehungen an die Levellers zu Cromwells Zeit erinnerte, aber naturgemäß viel weiter vorgeschritten und logischer war als sie. Gracchus Babeuf und seine Genossen wurden als Verbrecher behandelt und starben auf dem Schafott oder erduldeten die Qualen des Gefängnisses, nur weil sie den Versuch gemacht hatten, jene Worte, die die Republik auf ihr Banner geschrieben hatte, zu verwirklichen; aber Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurden in mittelständischem, oder wenn man will, in jesuitischem Sinne verstanden als Belohnung für diejenigen, die sich zu einer exklusiven Klasse zusammenschlossen; zuletzt musste das Eigentum durch einen militärischen Abenteurer verteidigt werden, und die Revolution schien in den Napoleonismus eingemündet zu sein.

Nichtsdestoweniger war die Revolution nicht tot, auch war es unmöglich, zu der steigenden Flut zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. Der Handel, der in allen Kulturländern das besitzlose Proletariat geschaffen hatte, hatte nach eine andere Aufgabe zu erfüllen, die noch nicht zu Ende ist; er hatte und hat den Arbeitern deutlich zu machen, was sie bedeuten, sie zu erziehen, sie zu einem Ganzen zu vereinigen und nicht nur mit dem Streben nach Klassenfortschritt zu erfüllen, sondern ihnen auch Mittel an die Hand zu geben, diese Bestrebungen zu verwirklichen. All dies hat er getan und beständig in derselben Richtung weitergewirkt; seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ist die Geschichte der Zivilisation in Wahrheit die Geschichte des letzten der Klassenkämpfe, der durch die französische Revolution eingeleitet wurde, und England, welches die ganze Zeit der Revolution und des Cäsarismus hindurch, der dieser folgte, der beständige Feind der Revolution war, förderte sie in Wahrheit beständig; seine natürlichen Bedingungen, sein Reichtum an Kohle und Mineralien, sein gemäßigtes Klima, seine ausgedehnten Küsten und zahlreichen Häfen und endlich seine Lage als Außenposten von Europa, der über den Ozean hinweg nach Amerika hinüberschaut, bestimmten es dazu, wenigstens für eine Zeit den Handel der zivilisierten Welt zu beherrschen und deren Geschäftsträger in ganz und halb barbarischen Ländern zu sein. Der aus dieser Bestimmung sich ergebende Zwang trieb es in den unversöhnlichen Krieg mit Frankreich hinein, einen Krieg, der angeblich des monarchischen Prinzips wegen unternommen worden war, der aber in Wahrheit, wenn auch zweifellos unbewusst, für den Besitz der fremden und überseeischen Märkte weitergeführt wurde. Es ging siegreich aus diesem Kriege hervor und war vollständig in der Lage, von der industriellen Revolution, die sich unterdessen vollzogen hatte und auf die ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, Nutzen zu ziehen.

Ich habe gesagt, dass das achtzehnte Jahrhundert das System der Arbeit zur Vollendung brachte, das die Stelle des mittelalterlichen Systems einnahm, unter dem ein Arbeiter sein Stück Arbeit in seinen verschiedenen Stadien vom ersten bis zum letzten ganz allein herstellte.

Dieses neue System, der erste Wechsel in der industriellen Produktion seit dem Mittelalter, ist als das System der Arbeitsteilung bekannt, in dem, wie erwähnt, die Arbeitseinheit eine Mehrheit, nicht ein Mensch ist; der einzelne Arbeiter wird in diesem System sein Lebenlang mit der Verrichtung einer an sich ganz geringfügigen Arbeit beschäftigt, die er bald erlernt hat; und hat er sie erlernt, so hat er nichts mehr zu tun, als die Geschwindigkeit seiner Hand unter dem Ansporn der Konkurrenz seiner Genossen zu steigern, bis er die vollkommene Maschine geworden ist, die zu werden seine höchste Pflicht ist, da er ohne die Erreichung dieses Ziels entweder umkommen oder verarmen muss. Sie können sich wohl vorstellen, wie diese glorreiche Erfindung der Arbeitsteilung, diese vollständige Vernichtung der Individualität des Arbeiters und seine anscheinend hoffnungslose Versklavung an seinen gewinnsüchtigen Herrn die Hoffnungen der Zivilisation anfeuert; wahrscheinlich sind mehr Loblieder zum Preise der Arbeitsteilung gesungen, mehr Predigten darüber gehalten worden, als über die Vorschrift: „Alles, was ihr wollet, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen.“

Lassen wir jedoch alle Ironie beiseite, so war dies doch sicher eine Stufe der Zivilisation, von der man wohl sagen könnte, dass, wenn sie hier Halt machte, es schade wäre, dass sie überhaupt so weit gekommen ist. Ich habe viele Bücher und Arbeitsmethoden aus dem achtzehnten Jahrhundert zu studieren gehabt, namentlich französische, und muss sagen, dass der Eindruck, den dieses Studium auf mich gemacht hat, der ist, dass der Handwerker des achtzehnten Jahrhunderts ein furchtbares Kulturprodukt und ganz in der Lage gewesen sein muss, Hoffnungen Raum zu geben – auf die Brandfackel, den Spieß, die Guillotine.

Indessen blieb die Zivilisation nicht hier stehen; nachdem sie den Menschen in eine Maschine verwandelt hatte, war es das nächste Ziel für den Handel, Maschinen zu erfinden, die die menschliche Arbeit in weitem Umfange überflüssig machten; und auch dieses Ziel blieb nicht gänzlich unerreicht.

Nun könnte es auf den ersten Blick scheinen, dass, wenn der Arbeiter in eine solche Stellung geraten war, wie es tatsächlich der Fall war, nämlich als Sklave der Arbeitsteilung, diese neue Erfindung von Maschinen, die ihn wenigstens von einem Teile der Arbeit befreite, ihm einen ungetrübten Segen hätte bringen müssen. Ohne Zweifel wird sie sich am Ende als ein solcher herausstellen, wenn gewisse Einrichtungen weggefegt worden sind, die die meisten Menschen heute noch für unvergänglich halten; lange Zeit ist jedoch verflossen, ohne dass die Hoffnungen des Arbeiters auf die Zivilisation in Erfüllung gegangen sind, denn diejenigen, die die Maschinen erfanden oder vielmehr, die aus ihrer Erfindung Nutzen zogen, bezweckten nicht eine Arbeitsersparnis in dem Sinne der Verringerung der Arbeit, die jedermann zu verrichten hatte, sondern, da es ihnen in erster Reihe für ausgemacht galt, dass der Arbeiter so lange arbeiten müsse, wie er aufrecht stehen könne, hatten sie das Bestreben, unter diesen Arbeitsbedingungen die größtmögliche Menge von Waren herzustellen, die sie mit Gewinn verkaufen könnten.

Muss ich es noch besonders hervorheben, dass unter diesen Umständen die Erfindung der Maschinen dem Arbeiter selbst bis zum heutigen Tag nur wenig genützt hat?

Anfangs verschlechterten sie sogar noch seine Stellung im Vergleich zu früher; denn da sie ganz plötzlich eingeführt wurden, brachten sie eine deutlich erkennbare industrielle Revolution hervor, indem sie alles plötzlich und völlig veränderten; die industrielle Produktivität stieg ins Wunderbare, aber weit entfernt, dass die Arbeiter Nutzen davon gehabt hätten, wurden sie in außerordentlich großer Zahl entlassen, während die noch Beschäftigten von der Stellung geübter Handwerker zu ungeschulten Arbeitern herabgedrückt wurden. Da das Streben ihrer Herren, wie gesagt, die Erzielung eines Gewinnes war, so bekümmerten sie sich nicht um die Arbeiter als Klasse, sondern hielten es für ausgemacht, dass dies etwas sei, was nicht geändert werden könne und sie nicht berührte; auch dachten sie nicht daran, den Arbeitern einen Ersatz für die Verletzung ihrer Interessen anzubieten, den sie seither so laut für sich in Anspruch genommen haben.

Dies war die Lage der Dinge, die auf die Wiederherstellung des europäischen Friedens folgte, und selbst dieser Friede gestaltete die Verhältnisse durch die plötzliche Stockung aller Kriegsindustrien und durch das Arbeitsangebot vieler tausend Soldaten und Matrosen eher schlimmer als besser: kurz, zu keiner Zeit der englischen Geschichte war die Lage der Arbeiter so schlecht, wie zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.

Während dieser Zeit schienen zwei Strömungen in den Hoffnungen vorhanden zu sein, die in Bezug auf die arbeitenden Klassen standen: die eine berührte die Herren, die zweite die Arbeiter.

In England – und in meinen Ausführungen über diese Zeit denke ich namentlich an England – hegten die reicheren Klassen hochgespannte Erwartungen; dies war auch kein Wunder, denn England hatte um diese Zeit die Herrschaft über die Weltmärkte, und da das Volk damals des Ruhmes noch nicht müde war, auch die über die Weltfabrikation errungen. Die Zunahme der Reichtümer des Landes war unermesslich, selbst zu Anfang der Periode, an die ich jetzt denke – vor 1848 meine ich –, obgleich sie viel rascher in den Zeiten, die wir alle erlebt haben, anwuchsen; aber zum Teil bezogen sich diese weitgehenden Hoffnungen dieser binnen kurzem reich gewordenen Leute auf ihre Diener, die ihnen ihr Vermögen erworben hatten; man hoffte, dass die Bevölkerung im Allgemeinen weiser, besser, gebildeter, sparsamer, fleißiger, häuslicher werden würde. Diese Hoffnung war sicher auch einigermaßen begründet, da die Herrschaft des Menschen über die Naturkräfte sich von Jahr zu Jahr der Vollendung näherte; aber Sie sehen, diese wohlwollenden Herren glaubten, diese Hoffnungen würden sich vielleicht durch einen unerklärlichen Zauber, wie erwähnt, verwirklichen oder möglicherweise durch die arbeitenden Klassen auf deren eigene Kosten, durch die Übung von Tugenden, die, wie man allgemein annahm, sich für ihre Stellung schickten und von ihren Herren „Sparsamkeit“ und „Fleiß“ genannt wurden. Diese letztere Annahme entbehrte der Begründung: allerdings hatten die armen Teufel, die durch den Siegeszug des Handels um ihr Brot gekommen waren, notgedrungen äußerste Sparsamkeit gelernt und konnten ihre Leistungen in dieser Richtung kaum vergrößern, während für diejenigen, die in den Fabriken arbeiteten oder sonst beschäftigt waren, die Mahnung zum Fleiß kein neues Evangelium bildete, da sie schon so lange, wie sie nur, ohne zusammenzubrechen, konnten, am Webstuhl, an der Spindel, am Amboss arbeiteten. Sie für ihren Teil hegten auch ihre Hoffnungen, die zwar in Bezug auf ihr letztes Ziel ganz unbestimmt waren, sich aber im Laufe der Zeit in einer deutlich erkennbaren Hinneigung zu Revolten äußerten. Diese Hinneigung nahm verschiedene Formen an, auf die ich hier nicht näher eingehen will, schlug sich aber zuletzt im Chartismus nieder, über den ich einige Worte sagen muss; vorher muss ich jedoch, ich kann kaum mehr tun, den ehrenvollen Namen Robert Owens erwähnen als des Vertreters der edleren Hoffnungen seiner Zeit, genau so wie es More zu der seinigen gewesen war, und als desjenigen, der die Fackel des Sozialismus in den dunkelsten Tagen der Verwirrung hochhielt, die auf die rücksichtslose Gier der ersten Periode der großen Fabrikindustrien folgten.

Dass die Bedingungen, unter denen der Mensch lebte, nicht dauernd sein Leben und seine Handlungen beeinflussen könnten, dass nicht selbstsüchtige Begierde und unaufhörlicher Kampf, sondern Brüderlichkeit und Zusammenwirken die Grundlagen der neuen Gesellschaft seien, das war das Evangelium, das er predigte und auch mit einzig dastehender, unübertroffener Herzensgüte, Hingebung und Hoffnungsfreudigkeit praktisch betätigte: er war die verkörperter Hoffnung der Tage, in denen die Fortschritte der Wissenschaft und die Leiden des Volkes jene Denker, die nicht in der einen oder anderen Weise im Solde der schmutzigen Herren der Gesellschaft standen, mit revolutionärer Hoffnung erfüllten.

Was die Chartistenbewegung betrifft, so muss man betonen, dass es durchaus eine Bewegung der arbeitenden Klasse war und durch die einfachste und mächtigste aller Ursachen hervorgerufen wurde – den Hunger. Es ist bemerkenswert, dass sie am stärksten – namentlich zu Anfang – in den Industriebezirken des Nordens und Zentrums war, d. h. in den Orten, die das durch die industrielle Revolution erzeugte Elend am lebhaftesten und unmittelbarsten empfanden; sie erhob sich mit besonderer Heftigkeit in den unmittelbar auf die große Reformbill folgenden Jahren, und man hat die Bemerkung gemacht, dass die Enttäuschung der Hoffnungen, die diese Maßnahme angeregt hatte, mit ihrer Erbitterung in Zusammenhang stand. Als sie weiter fortschritt, machten sich in ihr deutliche Anzeichen des Fehlschlagens bemerkbar; selbstsüchtige Führung, leerer Streit über die Mittel Zur Herbeiführung der Veränderung, ehe die Organisation der Partei vollendet war, blinde Furcht vor den äußersten Konsequenzen auf einer Seite, blinde Missachtung gegen die unmittelbaren Konsequenzen auf der anderen; dies waren die äußeren Ursachen für das Fehlschlagen; aber die Bewegung wäre siegreich über all dies hinweggeschritten und hätte die Revolution in England vollendet, wenn es nicht tieferliegende und das innerste Wesen berührende Ursachen gegeben hätte. Der Chartismus unterschied sich dadurch vom Radikalismus, dass er eine reine Klassenbewegung war, aber sein Ziel war alles in allem genommen mehr politisch als sozial. Der Sozialismus Robert Owens konnte nicht durchdringen, weil er nicht begriff, dass, solange eine privilegierte Klasse im Besitz der Staatsgewalt ist, sie sorgfältig darauf achten wird, dass ihre ökonomische Stellung, die sie in den Stand setzt, von der unbezahlten Arbeit des Volks zu leben, unberührt bleibt, die Chartisten wurden in ihren Hoffnungen getäuscht, weil sie nicht begriffen, dass wahre politische Freiheit für Menschen, die ökonomisch versklavt sind, ein Ding der Unmöglichkeit ist. Es gibt in dieser Frage kein erstes und zweites, beide müssen miteinander Hand in Hand gehen: wir können nicht leben, wie wir wollen und wie wir sollten, solange wir Leuten, in deren Interesse es liegt, dass wir leben, wie sie wollen, und keineswegs, wie wir sollten, uns zu regieren gestatten; ebenso hat es keinen Zweck, das Recht auf selbständige Ordnung unserer Angelegenheiten zu beanspruchen, wenn wir nicht vorbereitet sind, überhaupt eigene Angelegenheiten zu haben. Diese beiden Forderungen zusammen bedeuten die Weiterführung des Klassenkampfes, bis alle Klassen verschwunden sind – die Trennung der einen von der anderen ist für jede Hoffnung auf sozialen Fortschritt verhängnisvoll.

Der Chartismus war daher, obgleich er eine echte Volksbewegung war, praktisch und theoretisch unvollständig; die Zeit war noch nicht gekommen, und er konnte noch nicht offen triumphieren; aber es würde ein Irrtum sein, wollte man behaupten, er habe gar nichts erreicht; wenigstens unterhielt er die heilige Flamme der Unzufriedenheit; er machte es uns möglich, das demokratische Ziel der Demokratie zu erreichen und die Sache des Volkes durch das Erklimmen einer Stufe zu fördern, von wo aus man das neu zu erreichende Ziel erblicken konnte.

Ich habe gesagt, die Zeit für die Revolution sei damals noch nicht gekommen gewesen: die gewaltige Woge des kommerziellen Erfolges war noch im Steigen begriffen, und obgleich die Kapitalisten sämtliche hierdurch auf Kosten ihrer Lohnsklaven gewonnenen Vorteile eingeheimst hätten, wenn sie es gewagt hätten, mahnte die Chartistenempörung sie daran, dass es nicht geraten sei, es zu versuchen. Sie wurden gezwungen, die Unzufriedenheit durch vorbeugende Maßregeln zu beschwichtigen. Sie mussten Fabriksgesetze durchgehen lassen, die die Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen der Frauen und Kinder und folglich auch die der Männer in einigen der wichtigsten und maßgebendsten Industrien regelten; sie wurden gezwungen, die grausamen Gesetze gegen die Arbeitervereinigungen aufzuheben, so dass die Trades Unions eine gesetzliche Stellung errangen, eine Macht in der Arbeiterfrage wurden und imstande waren, durch Streiks und Streikdrohungen die den Arbeitern zugestandenen Löhne zu regeln und den Stand der Lebenshaltung für einen bestimmten Teil der geschulten Arbeiter und der mit diesen vereinigten Tagelöhner zu heben, trotzdem die Mehrzahl der ungeschulten einschließlich der ländlichen Arbeiter nicht besser daran sind als früher.

So wurde die Flamme zu einer in ihren Zielen unklaren Unzufriedenheit, die leidenschaftlich nach etwas verlangte, was sie nicht hätte verwenden können, wenn sie es erhalten hätte. Zwanzig Jahre vorher wäre jemand, der die Möglichkeit einer ernsten Klassenunzufriedenheit in unserem Vaterlande angedeutet hätte, als wahnsinnig betrachtet worden; in der Tat besaßen die wohlhabenden und gebildeten Kreise nicht die leiseste Ahnung (wie auch zum großen Teil noch heute), dass ein ganz anderer Klassengegensatz im Lande herrschte, als der durch die Fetzen und Lumpen des Feudalismus, den sie ganz wenig und nur zum Schein noch angreifen, veranlasste.

Vor zwanzig Jahren gab es kein Anzeichen revolutionärer Gesinnung in England; der Mittelstand war so reich, dass er nicht nötig hatte, auf etwas zu hoffen – ausgenommen auf einen Himmel, an den er nicht glaubte; die wohlhabenden Arbeiter hofften nicht, da sie nicht gedrückt wurden und so keine Gelegenheit hatten, ihre erniedrigende Lage zu erkennen, und schließlich hatten die Sklaven aus dem Proletariat solche Hoffnungen, wie Almosen, Spittel, Arbeitshaus und zuletzt ein sanfter Tod ihnen gewähren konnten.

In diesem Kapitalistenhimmel wollen wir unsere teuren Landsleute kurze Zeit lassen, während ich einige Worte über die Angelegenheiten des Volkes auf dem europäischen Kontinente sagen will. Hier lagen die Dinge nicht so glatt für die Plünderer: sozialistische Denker und Schriftsteller waren um dieselbe Zeit wie Robert Owen aufgetreten; St. Simon, Proudhon, Fourier und seine Jünger hielten die Überlieferungen der Hoffnung inmitten einer Bourgeoiswelt aufrecht. Unter den Genannten erregt Fourier die größte Aufmerksamkeit, da seine Lehre von der Notwendigkeit und Möglichkeit, die Arbeit anziehend zu machen, für den Sozialismus geradezu unerlässlich ist. Auch hielt Frankreich die Überlieferung der Revolution und Empörung dadurch aufrecht, dass noch ein Hoffnungsfünkchen im Proletariat glühte; es fiel zuletzt in die Klauen eines zweiten Cäsarismus, der sich auf die niedrigste Klasse von Gaunern, Schwindlern und Buhlerinnen stützte, die je ein Land ausgesogen haben und aus denen unsere eigenen glücklichen Bourgeois bei uns Helden und Heldinnen machten; die entsetzliche, offen zu Tage liegende Verderbnis der Pariser Gesellschaft, zu welcher, ich wiederhole es, unsere ehrbaren Klassen die herzlichste Zuneigung hatten, wurde endlich durch die Schrecken eines Rassenkrieges hinweggefegt. Die Niederlagen und Unglücksfälle dieses Krieges hatten einerseits eine Steigerung der barbarischen Unversöhnlichkeit und Gemeinheit des französischen Bourgeois zur Folge, gab aber anderseits Veranlassung zu einem neuen Aufiammen der revolutionären Hoffnung, aus der der Versuch entsprang, die Gesellschaft auf den Grundsätzen der Freiheit der Arbeit aufzurichten, den wir die Pariser Kommune von 1871 nennen. Was für Fehler und Unklugheiten bei diesem Versuche begangen sein mögen – und alle Kriege sind voll von solchen Fehlern –, will ich den Feinden der Volkssache überlassen festzustellen; das unmittelbare und in die Augen springende Ergebnis war das Hinschlachten von tausenden tapferer und ehrenhafter Revolutionäre unter den Händen der ehrbaren Klassen, in Wahrheit der Verlust eines Heeres für die Volkssache. Doch können wir überzeugt sein, dass die Folgen der Kommune sich nicht hierauf erstrecken werden: allen Sozialisten wird dieser heldenhafte Anlauf Hoffnung und Mut verleihen, bis ihre Sache gesiegt hat. Wir haben die Empfindung, als habe der Pariser Arbeiter gekämpft, um uns den Anbruch des Tages zu bringen, und den Rand der Sonne über den Horizont gehoben, so dass sie uns nie mehr wieder in gänzlicher Finsternis lässt. Von solchen Versuchen muss man sagen, dass, obgleich die bei ihnen Gefallenen einen besseren Platz in dem Kampfe verdient hätten, doch alle tapferen Männer später niemals für nichts sterben, wenn sie für das Prinzip sterben.

Von Frankreich lassen Sie uns nach Deutschland gehen, ehe wir nach England zurückkehren, und mit einigen Worten über unsere Hoffnungen in der Gegenwart sprechen. Deutschland verdanken wir die Schule der Nationalökonomen, an deren Spitze der Name von Karl Marx steht, der den modernen Sozialismus zu dem gemacht hat, was er ist; die älteren sozialistischen Schriftsteller und Agitatoren gründeten ihre Hoffnung darauf, dass der Mensch es lerne, den Vorteil einzusehen, der daraus entstehe, wenn das Zusammenwirken an die Stelle der Konkurrenz trete, und dass er aus freiem Antriebe und mit vollem Bewusstsein diesen Umschwung anerkenne; sie verließen sich auf die Durchberatung und Annahme mehr oder weniger künstlicher Programme, obgleich solche Programme naturgemäß nur mit dem Material zustande gebracht werden konnten, das ihnen die kapitalistische Gesellschaft darbot; die neue Schule indessen begann mit einem geschichtlichen Überblick über die Vergangenheit, erkannte, dass ein Entwicklungsgesetz sämtliche Ereignisse in dieser beherrsche, vermochte uns zu belehren, dass diese Entwicklung immer noch weiterging und dass, gleichviel ob der Sozialismus wünschenswert sei oder nicht, er am Ende doch unvermeidbar ist. Hier lag also eine Hoffnung vor, ganz anderer Art als alle früheren, und die deutschen und österreichischen Arbeiter gaben sich mit vollem Eifer der sich auf diese Theorie stützenden Lehre hin; aus einem der in der Bewegung am weitesten zurückgebliebenen Länder, ehe Lassalle seine deutsche Arbeiterpartei im Jahre 1863 begründete, wurde Deutschland bald die Führerin darin: Bismarcks Sozialistengesetz hatte hier einzig die Wirkung auf die Partei, wie die Walze auf das wachsende Gras – es machte sie widerstandsfähiger und stärker; und was auch für Wechselfälle die Partei als Partei treffen mögen, es unterliegt keinem Zweifel, dass die sozialistische Überzeugung hier fest begründet ist und dass, wenn die Zeit reif dafür ist, sich diese Überzeugung von selbst in Tätigkeit umsetzen wird.

Bei allen meinen Ausführungen habe ich den Wunsch gehabt, Ihnen die Tatsache darzulegen, dass seit der Begründung des Kommerzialismus auf den Trümmern der Feudalität beständig die Empfindung in den Arbeitern lebendiger geworden ist, dass sie eine Klasse sind, die als Klasse behandelt wird und daher andere ebenso behandeln muss, und dass, wie diese Klassenempfindung gewachsen ist, mit ihr auch das Bewusstsein von dem Gegensatz zwischen ihrer Klasse und der, die sie beschäftigt, wie die Redensart lautet, das heißt, die auf Kosten ihrer Arbeit lebt, immer stärker geworden ist.

Gerade dieses wachsende Verständnis für die Tatsache, dass, solange es in der Gesellschaft eine besitzende Klasse gibt, die von der Arbeit einer besitzlosen lebt, ein fortwährender Kampf zwischen diesen beiden Klassen herrschen muss – gerade die aufdämmernde Erkenntnis dieses Verhältnisses ist es, die uns darüber belehrt, worauf die Zivilisation hoffen kann – nämlich auf Umwandlung in eine wahre Gesellschaft, in der es keine Klassen mehr geben wird, die notgedrungen um Fortbestehen und Vorherrschaft kämpfen müssen; denn der Klassengegensatz begann in ganz einfachen Formen zwischen dem Herrn und dem gekauften Sklaven der alten Gesellschaft, dauerte zwischen dem feudalen Lord und dem Leibeigenen der mittelalterlichen Gesellschaft fort und wurde nach und nach zum Kampfe zwischen dem Kapitalisten, der sich aus dem Handwerker der letztgenannten Periode entwickelt hatte, und dem Lohnarbeiter; in dem früheren Kampfe schuf das Emporkommen des Handwerkers und des ländlichen Pächters eine neue Klasse, den Mittelstand, während an die Stelle des alten Leibeigenen der besitzlose Arbeiter trat, dem der Mittelstand, der die Aristokratie aufgesaugt hat, jetzt Auge in Auge gegenübersteht. Der Kampf zwischen den Klassen ist daher zu den einfachen Formen der klassischen Zeit zurückgekehrt; da jedoch kein starkes Volk mehr außerhalb des Kreises der Zivilisation steht, wie zur Zeit des Verfalls Roms, so spielt sich der ganze Kampf zwischen den Besitzenden und Besitzlosen in all seiner Unmittelbarkeit innerhalb der zivilisierten Völker ab.

Außerdem ist der Kapitalist oder moderne Sklavenhalter durch das Gedeihen seiner Unternehmungen selbst genötigt, wie wir gesehen haben, seine Sklaven, die Lohnarbeiter, zu einer so wohlgeordneten gemeinsamen Tätigkeit zum Zwecke der Produktion zu organisieren, dass es außer seiner eigenen Ausschaltung wenig bedarf, um sie zur Grundlage eines kommunistischen Lebens zu machen; trotz der Erfahrungen der Vergangenheit ist er auch gezwungen worden, den Besitzlosen ein bescheidenes Maß von Bildung zu gewähren, und hat sie sogar nicht völlig der politischen Rechte zu berauben vermocht; das Anwachsen seines eigenen Wohlstandes und Einflusses hat ihm seinen wahren Feind geschaffen, der dazu bestimmt ist, ihm sein Ende zu bereiten.

Aber wird es eine neue Klasse geben, die die Stellung des heutigen Proletariats einnimmt, wenn dieses, wie es unausbleiblich der Fall sein muss, über die heutige privilegierte Klasse den Sieg davongetragen hat? Wir können nicht in die Zukunft blicken, aber wir können es mit gutem Gewissen verneinen; wenigstens vermögen wir keine Anzeichen einer solchen neuen Klassenbildung zu entdecken. Es ist kein Grund zu erkennen, warum die Vernichtung des Privilegs kurz vor der Erreichung der absoluten Gleichheit der Lebenslage Halt machen sollte; der reine Kommunismus ist die logische Weiterführung der unvollkommenen Form der neuen Gesellschaft, die von ihm gewöhnlich als Sozialismus unterschieden wird.

Indessen ist es diese Naturgemäßheit und Unmittelbarkeit des wachsenden Widerstreites, die vor allem dem konservativen Gefühl der Gegenwart schrecken einflößt. In dem Mittelstande gibt es viele, die aufrichtiges Mitleid und Bedauern über die Lage des von der Kultur geschaffenen Proletariats empfinden und sich sogar durch die furchtbaren Ungleichheiten, die die Zivilisation veranlasst hat, beunruhigt fühlen, dabei aber nichtsdestoweniger vor der Vorstellung des Klassenkampfes zurückschaudern und die Augen vor der Tatsache, dass er im Gange ist, zu schließen suchen. Sie reden sich ein, der Friede sei nicht nur möglich, sondern naturgemäß zwischen den beiden Klassen, deren wahres Wesen darin besteht, dass jede nur dadurch gedeihen kann, dass sie die andere zu Zugeständnissen zwingt. Sie stellen sich die unlösbare Aufgabe, den unteren oder ausgebeuteten Klassen zu einer Stellung zu verhelfen, in der sie aufhören werden, gegen die oberen anzukämpfen, während die letzteren nicht aufhören wollen, sie auszubeuten. Dieser Widersinn veranlasste sie, Programme für die Besserung der Lage der arbeitenden Klassen auf deren eigene Kosten zusammenzubrauen, von denen einige völlig wertlos, andere phantastisch sind; sie können auch in solche eingeteilt werden, welche auf die Vorteile und Genüsse der unfreiwilligen Askese aufmerksam machen, und anderseits auf reaktionäre Pläne behufs Einführung der mittelalterlichen Produktions- und Lebensbedingungen (die, beiläufig gesagt, von ihnen gänzlich missverstanden werden) in das gegenwärtige System des kapitalistischen Gutsbesitzers, der großen Industrien und des allgemeinen Weltmarkts. Einige erblicken eine Lösung der sozialen Frage in einem scheinbaren Zusammenwirken, das aber nur eine verbesserte Form einer Aktiengesellschaft ist; andere predigen Sparsamkeit bei einem (unsicheren) Einkommen von achtzehn Schillingen in der Woche und Fleiß Männern, die sich stückweise in Überstunden zu Tode arbeiten, oder Männern, die der Arbeitsmarkt als überzählig zurückgewiesen hat; andere ermahnen die Proletarier, nicht so viel Kinder in die Welt zu setzen, eine Aufforderung, deren Befolgung zunächst den Proletariern in ihrer gegenwärtigen Lage von Nutzen sein, aber sicher die Kapitalisten schädigen würde, wenn sie sich über eine längere Zeit hin erstreckte, und durch Elend und Verzweiflung zu dem gewaltsamen Ausbruch der wirklichen Revolution treiben würde, vor der diese furchtsamen Leute so angstvoll zurückschrecken.

Dann gibt es andere, die bei einem Rückblick auf die Vergangenheit und in der Erkenntnis, dass die Arbeiter des Mittelalters behaglicher und selbstbewusster lebten als die unsrigen, trotzdem sie unter dem Klassengesetze von Männern standen, die als Wesen einer anderen Art betrachtet wurden als sie, glauben, dass, wenn diese Lebensbedingungen unter unseren besseren politischen Verhältnissen wiederhergestellt werden könnten, die Frage wenigstens für einige Zeit gelöst wäre. Ihre Programme laufen auf Versuche hinaus, eine Klasse von unabhängigen Bauern auf unser Lohn- und Kapitalsystem zu pfropfen. Sie begreifen nicht, dass dieses System unabhängiger Arbeiter, die fast ausschließlich für ihren Bedarf und den ihrer Nachbarn arbeiteten und von den oberen Klassen durch offenkundige Besteuerung ihrer Arbeit ausgebeutet wurden, die von den Ausbeutern nur unter dieser Bedingung organisiert und gestattet wurde, das war, was in der Vergangenheit die Stelle unseres Systems einnahm, wo die Arbeiter ihre Arbeit auf dem von der Konkurrenz beherrschten Markte an Herren verkaufen, die die ganze Organisation der Märkte in der Hand haben, und dass diese beiden Systeme sich gegenseitig aufheben.

Andere wiederum glauben an die Möglichkeit einer Abänderung unseres gegenwärtigen Arbeitshaussystems zugunsten der Besserung der Lage des untersten Teils der arbeitenden Bevölkerung, kümmern sich aber nicht um die Lage der Arbeiter, die dem Pauperismus gänzlich entrückt sind, oder überlegen, was für eine Rolle sie in dem Kampfe um eine bessere Lebenshaltung spielen sollen. Und schließlich glaubten sehr viele wohlmeinende, den reicheren Klassen angehörige Leute, dass es in einer Gesellschaft, die die Konkurrenz um den Lebensunterhalt zur Triebfeder hat und den Arbeitern als Ansporn zur Tätigkeit die Hoffnung zeigt, in eine bevorrechtete Klasse von Nichtproduzenten aufzusteigen, noch möglich ist, das Kapital zu „versittlichen“ (um einen Lieblingsausdruck der Positivsten zu gebrauchen): das heißt, dass eine aus einer Religion, die eine andere Welt als den eigentlichen Wirkungskreis des Menschengeschlechts betrachtet, übernommene Vorstellung die Bedürfnisse des täglichen Lebens in dieser Welt regeln soll. Diese seltsame Hoffnung stützt sich auf das Bewusstsein, dass eine der vollen Entwicklung des Kommerzialismus feindselige Empfindung vorhanden ist und Boden gewinnt und dass diese Empfindung ein von der Ethik der Gegenwart unabhängiges Gewächs ist. Wenn man ihr Vorhandensein zugibt, wie man es meines Erachtens tun muss, ist sie in Wahrheit das Ergebnis des Gefühls der Unsicherheit, die ihren Schatten infolge der nahenden Auflösung der auf die Lohnsklaverei gegründeten modernen Gesellschaft vorauswirft.

Die Mehrzahl dieser Programme läuft, obgleich selten auf ihren Urhebern bewusste Weise, auf die Bildung eines neuen Mittelstandes aus der für Lohn arbeitenden Klasse und auf deren Kosten hinaus, genau wie der gegenwärtige Mittelstand sich aus der leibeigenen Bevölkerung der ersten Zeiten des Mittelalters entwickelt hatte. Es mag sein, dass eine solche Weiterentwicklung des Mittelstandes bevorsteht, aber sie braucht nicht auf so gekünstelte Weise zustande zu kommen wie nach den oben erwähnten Programmen. Wenn sie überhaupt eintritt, so muss sie durch Ereignisse veranlasst werden, die wir gegenwärtig nicht voraussehen können und die auf unser kommerzielles System einwirken und möglicherweise diese kapitalistische Gesellschaft für kurze Zeit wiederbeleben, die jetzt ihrem Ende entgegenzusiechen scheint.

Denn was uns heutzutage sichtbar vor Augen liegt, ist die Tatsache, dass dieses auf die Konkurrenz gegründete kommerzielle System sich aus eigener Kraft tötet: der Gewinn verringert sich, die Geschäfte werden immer riesiger, der kleine Arbeitgeber wird aus seiner Stellung gedrängt, und die Anhäufung des Kapitals vergrößert die Zahl der Angehörigen der unteren Schichten des Mittelstandes viel mehr durch Zuwachs von oben als von unten, indem sie den kleinen Unternehmer dem größeren gegenüber in die Stellung eines bloßen Dieners verweist. Die Produktivität der Arbeit steigt ebenfalls außer allem Verhältnis zu der Fähigkeit der Kapitalisten, den Markt zu versorgen oder mit dem Arbeitsangebot gleichen schritt zu halten, der Arbeitsmangel wird daher dauernd und mit ihm die Unzufriedenheit.

All dies steht auf der einen Seite. Auf der anderen fordern die Arbeiter überall politische Gleichberechtigung, die ihnen nicht lange mehr verweigert werden kann, und größere Bildung, so dass sich zwischen der fortschreitenden Bildung der arbeitenden Klasse und der zunehmenden außerordentlichen Verflachung der Bildung der oberen Klassen ein deutlicher Ausgleich anzubahnen beginnt, und wie ich oben angedeutet habe, der ganze Lauf der Geschichte zeigt uns, was für eine Gefahr für die Gesellschaft eine zugleich gebildete und sozial verachtete Klasse ist, obgleich uns allerdings die Geschichte noch nie – diese Erfahrung steht uns aber nahe bevor – eine Klasse gezeigt hat, die im Besitze von Wissen gänzlich die feine Bildung und Selbstachtung, die aus der Vereinigung des Wissens mit Muße und bequemem Leben entspringen, entbehren soll. Das Anwachsen einer solchen Klasse kann wohl das „kultivierteste“ Volk heutzutage erzittern machen.

Was daher auch immer von Unvorhergesehenem und Unbegriffenem im Schoß der Zukunft liegen mag, vor unseren Augen liegt nichts als ein verfallendes System, in dem sich Verwirrung und Verblendung von Tag zu Tage steigern, und ein neues System, der Sozialismus, auf den die Menschen immer getroster zu hoffen lernen – ein System, das nicht nur weiß, wie die Arbeit von ihren gegenwärtigen Fesseln befreit und zweckmäßig organisiert werden soll, so dass es die größtmögliche Summe von Wohlstand für die Gesamtheit und für jeden Einzelnen erzeugt, das aber seine eigene Ethik, Religion und Ästhetik besitzt, das heißt die Hoffnung und die Verheißung eines neuen und in allen Beziehungen höheren Lebens. Selbst wenn daher jene unvorhergesehenen ökonomischen Ereignisse, von denen ich oben gesprochen habe, eintreten und das Ende unseres kapitalistischen Systems noch eine Zeitlang hinausschieben sollten, würde das letztere sein Dasein als eine von allen verfluchte Widersinnigkeit hinschleppen, ein bloßer Hemmschuh für die Bestrebungen der Menschheit.

Es ist nicht anzunehmen, dass es hierzu kommt; aller Wahrscheinlichkeit nach wird die tatsächliche Geschichte der letzten Tage des Kapitalismus Schritt für Schritt mit der inneren Logik der Entwicklung übereinstimmen. Alle, selbst seine erklärten Feinde, werden an der Verwirklichung des Sozialismus arbeiten, die Ziele derer, die an seine Unausbleiblichkeit und die Wohltaten seines Eintritts zu glauben gelernt haben, werden klarer werden, ihre Methoden, sein Nahen vorzubereiten, klarer und leichter zu handhaben. Dann wird es zu jener offenen Anerkennung der Notwendigkeit des Umschwungs kommen (eine Anerkennung, die eine Folge der Intelligenz der Zivilisation ist), der gewöhnlich Revolution genannt wird. Es hat keinen Zweck, die Ereignisse vorauszusagen, die diese Revolution begleiten werden, aber einem denkenden Menschen muss es im höchsten Grade unwahrscheinlich, oder sagen wir unmöglich vorkommen, dass eine moralische Empfindung die besitzenden Klassen – diejenigen, die davon leben, dass sie die Produktionsmittel, welche die nichtprivilegierten Klassen notwendig benutzen müssen, besitzen – veranlassen wird, ungezwungen auf dieses Privileg zu verzichten; alles, was man hoffen kann, ist, dass sie die versteckte Drohung mit dem Zwange in den Ereignissen des Tages erkennen und sich deswegen mit gutem Anstande in die furchtbare Notwendigkeit fügen, einer Welt anzugehören, in der alle, sie selbst nicht ausgeschlossen, ehrlich arbeiten und behaglich leben werden.

 

Die Ziele der Kunst

Wenn ich die Ziele der Kunst betrachte, das heißt, warum die Menschen unter Mühsalen aller Art die Kunst pflegen und ausüben, so sehe ich mich genötigt, von dem einzigen Vertreter der Menschheit, von dem ich etwas weiß, nämlich von mir aus, zu verallgemeinern. Wenn ich mir nun überlege, was das ist, wonach ich Verlangen trage, so kann ich ihm keinen anderen Namen geben als „Glück“. Ich wünsche glücklich zu sein, solange ich lebe; denn in Bezug auf den Tod finde ich, dass ich mir aus Mangel an Erfahrung nicht vorstellen kann, was er bedeutet, und infolgedessen nicht einmal meine Gedanken auf ihn richten kann. Ich weiß, was Leben ist; ich kann nicht einmal ahnen, was es heißt, tot zu sein. Ich wünsche also glücklich zu sein, ja zuweilen, sagen wir gewöhnlich, fröhlich und finde es schwer glaublich, dass dies nicht das allgemeine Verlangen sein sollte; was daher diesem Zwecke dient, das pflege ich nach meinem besten Können. Wenn ich nun mein Leben weiter betrachte, so finde ich oder scheine zu finden, dass es unter dem Einflusse von zwei beherrschenden Stimmungen steht, die ich in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den Drang zur Tätigkeit und den Drang zur Trägheit nennen muss; von diesen beiden Stimmungen verlangt bald die eine, bald die andere in mir gebieterisch, dass ich ihr nachgebe. Hat der Tätigkeitsdrang in mir die Oberhand, so muss ich etwas tun, oder ich werde verdrießlich und unglücklich; herrscht der Hang zur Trägheit vor, so empfinde ich es als tatsächliche Härte, wenn ich nicht ruhen und meine Gedanken über die verschiedenen Bilder, angenehme oder furchtbare, schweifen lassen kann, die meine eigene Erfahrung oder mein Verkehr mit den Gedanken anderer Menschen, toter oder lebender, meinem Geiste eingeprägt haben; und wenn es mir die Umstände nicht erlauben wollen, mich diesem Hange zur Trägheit hinzugeben, so finde ich, dass ich im besten Falle eine Zeit des Unbehagens durchmachen muss, bis ich mich aufraffe, meinen Tätigkeitsdrang wieder anzuspornen, dass er an des ersteren Stelle trete und mich abermals glücklich mache. Und wenn mir kein Mittel zur Verfügung steht, womit ich den Tätigkeitsdrang zur Erfüllung seiner Pflicht, mich glücklich zu machen, anregen könnte, und ich schwer zu arbeiten habe, während ich den Hang zur Trägheit in mir spüre, so bin ich in der Tat unglücklich und wünsche mir beinahe den Tod, obgleich ich nicht weiß, was er ist.

Außerdem finde ich, dass, während mich zur Zeit der Trägheit die Erinnerung ergötzt, mich zur Zeit der Tätigkeit die Hoffnung aufrichtet; diese Hoffnung bewegt sich bald in Großem und Ernstem, bald in Unbedeutendem, doch ohne sie gibt es keine beglückende Tätigkeit. Ebenso finde ich, dass, während ich diesen Drang mitunter durch bloße Verrichtung einer Arbeit, die keinen weiteren Zweck hat, als die Zeit zu verbringen – kurz, durch Spiel befriedigen kann, er doch dessen bald müde wird und erschlafft, da die Hoffnung hierbei sich auf zu Unbedeutendes und zuweilen kaum Wirkliches richtet und dass, um meinen Herrn, den Tätigkeitsdrang, zu befriedigen, ich im ganzen entweder etwas schaffen oder mich überreden muss, dass ich etwas schaffe.

Ich glaube nun, dass sich das Leben aller Menschen in verschiedenem Verhältnis aus diesen beiden Stimmungen zusammensetzt, und dies erklärt es, warum sie von jeher, unter mehr oder weniger Mühsal, die Kunst gepflegt und ausgeübt haben.

Warum hätten sie sich sonst damit abgegeben und so ihre Arbeit vermehrt, die sie doch zur Erwerbung des Lebensunterhalts hätten verwenden können? Sie müssen es zu ihrem Vergnügen getan haben, da es nur in einem ganz hohen Kulturzustande vorgekommen ist, dass jemand andere veranlasst, ihm Unterhalt zu gewähren, nur damit er Kunstwerke schaffe, während alle Menschen, die eine Spur ihres Daseins hinterlassen haben, die Kunst ausübten.

Ich glaube in der Tat, niemand wird zu leugnen geneigt sein, dass der Endzweck eines Kunstwerkes stets der ist, demjenigen zu gefallen, dessen Sinne imstande sind, sich desselben bewusst zu werden. Es wurde für irgend jemand geschaffen, der dadurch glücklicher werden sollte; er sollte in seinem Hange zur Trägheit oder Ruhe dadurch ergötzt werden, so dass der Müßiggang, der das mit diesem Hange verbundene Übel ist, dem genießenden Betrachten, Träumen oder wie Sie es sonst nennen wollen, weicht; hierdurch wird aber nicht sein Drang zur Arbeit oder Tätigkeit rege: er will mehr und besseren Genuss haben.

Die Einschränkung der rastlosen Tätigkeit ist daher offenbar ein wesentlicher Zweck der Kunst, und wenige Dinge können die Lebensfreude mehr erhöhen als sie. Soviel ich weiß, gibt es jetzt viele befähigte Menschen, die keinen anderen Fehler besitzen als diese Ruhelosigkeit und auf deren Leben anscheinend kein anderer Fluch lastet, der sie unglücklich machen könnte. Dieser reicht aber dazu hin; er ist „die kleine Spalte in der Laute“. Die Ruhelosigkeit macht sie zu unglücklichen Menschen und schlechten Bürgern.

Wenn wir aber zugeben, was, wie ich glaube, sie alle tun werden, dass dies eine höchst wichtige Aufgabe für die Kunst ist, so erhebt sich die nächste Frage: um welchen Preis erwerben wir sie? Ich habe zugestanden, dass die Ausübung der Kunst die Arbeit des Menschengeschlechts vermehrt, obgleich ich glaube, dass dies im ganzen genommen nicht zutrifft; hat sie aber auch dadurch, dass sie seine Arbeit vermehrte, auch sein Unbehagen gesteigert? Es hat stets Leute gegeben, die diese Frage sofort bejahten; es hat zwei Klassen Leute gegeben, und die gibt es noch, die die Kunst als eine verwirrende Torheit verwerfen und verachten. Neben den frommen Asketen, die sie als einen Fallstrick der Welt betrachten, der die Menschen davon abhält, ihren Geist auf den Gedanken an ihr individuelles Glück oder Unglück in der künftigen Welt zu richten, die, mit einem Worte, die Kunst hassen, weil sie glauben, sie trage zu des Menschen irdischem Glück bei – neben diesen gibt es noch Leute, die den Kampf ums Dasein von dem vernünftigsten Standpunkte aus betrachten, den sie kennen, und deswegen die Künste verachten, weil sie glauben, sie steigere die Sklaverei des Menschen durch Vermehrung der Summe seiner mühevollen Arbeit. Wäre dies der Fall, so würde es sich meines Erachtens immer noch fragen, ob es sich nicht verlohnte, die gesteigerte Mühe der Arbeit auf sich zu nehmen, um dann für die Zeit der Ruhe einen gesteigerten Genuss zu haben, wobei wir einen Augenblick die Gleichheit der Lebenslage unter den Menschen annehmen. Es scheint mir jedoch nicht der Fall zu sein, dass die Ausübung der Kunst die mühevolle Arbeit vermehrt; ich glaube sogar, dass, wenn die Kunst dies täte, sie überhaupt nie unter den Menschen entstanden sein würde und sicher nicht bei Völkern, bei denen nur die ersten Keime der Kultur vorhanden sind, zu bemerken wäre, wie es doch der Fall ist. Mit anderen Worten, ich glaube, dass die Kunst nicht das Ergebnis äußeren Zwanges sein kann; die Arbeit, die sich ihr zuwendet, ist freiwillig und zum Teil um der Arbeit selbst willen unternommen, zum Teil um der Hoffnung willen, etwas hervorzubringen, das, wenn es fertig ist, demjenigen, der es gebraucht, Freude bereitet. Oder man kann auch sagen, diese Mehrarbeit, wenn es eine Mehrarbeit ist, wird zu dem Zwecke unternommen, den Tätigkeitsdrang dadurch zu befriedigen, dass man ihn auf etwas lenkt, dessen Herstellung die darauf verwandte Mühe lohnt und das deswegen den Arbeiter während der Arbeitszeit mit lebendiger Hoffnung erfüllt, sowie dadurch, dass er dem Tätigkeitsdrange eine Arbeit zuweist, in der unbedingter, unmittelbarer Genuss liegt. Vielleicht ist es schwer, es einem Nichtkünstler zu erklären, dass dieser bestimmte sinnliche Genuss in der Arbeit des tüchtigen Arbeiters stets liegt, wenn sie ihm gelingt, und dass er im Verhältnis zu der Freiheit und Eigenart des Werkes wächst. Auch müssen Sie wissen, dass diese Kunsthervorbringung und der damit verbundene Genuss an der Arbeit sich nicht auf die Herstellung von Dingen beschränken, die ausschließlich Kunstwerke sind wie Gemälde, Statuen usw., sondern ein Bestandteil jeder Arbeit in der einen oder anderen Form gewesen ist und sein sollte: nur so werden die Anforderungen des Tätigkeitstriebes Befriedigung finden.

Daher besteht das Ziel der Kunst darin, das Glück der Menschen zu steigern, indem sie ihnen ihre Muße mit Hilfe von Schönheit und Interesse am Einzelnen schmückt, verhütet, dass sogar die Ruhe sie ermüdet, und ihnen Hoffnung und sinnlichen Genuss bei der Arbeit verschafft oder mit einem Worte, die Arbeit des Menschen genussreich und seine Ruhe fruchtbringend zu gestalten. Infolgedessen ist echte Kunst in jeder Hinsicht ein großer Segen für die Menschheit.

Da jedoch der Begriff „Echtheit“ einen weiten Umfang hat, so muss ich um die Erlaubnis bitten, einige praktische Folgerungen aus dieser Behauptung über die Ziele der Kunst ziehen zu dürfen, die uns, wie ich glaube oder sogar hoffe, die streitigen Punkte auf diesem Gebiete erkennen lassen wird, weil es in der Tat eine ganz hinfällige Erwartung ist, jemand könne anders als in der oberflächlichsten Weise über Kunst sprechen, ohne jene sozialen Probleme zu erwägen, die den Gegenstand des Nachdenkens aller ernstgerichteten Menschen bilden; denn die Kunst ist, sei es in ihrer Fülle oder ihrer Armut, ihrer Wahrheit oder Hohlheit, der Ausdruck der Gesellschaft, in der sie auftritt, und muss es sein.

Zuerst also ist es mir klar, dass gegenwärtig diejenigen, die den weitesten Umblick und den tiefsten Einblick in das Wesen der Dinge besitzen, vollständig unzufrieden mit dem jetzigen Stande der Künste, wie sie es auch mit den jetzigen sozialen Verhältnissen sind. Dies sage ich in bewusstem Widerspruch gegen diejenigen, die von einer Erneuerung der Kunst in den letzten Jahren soviel Rühmens machen; in der Tat zeigt gerade diese von Neuem erwachte Teilnahme für die Kunst bei einem Teile der Gebildeten von heutzutage nur, wie begründet das oben erwähnte Missbehagen ist. Vor vierzig Jahren sprach man viel weniger von Kunst, übte sie auch viel weniger aus als heute; dies trifft besonders auf die architektonischen Künste zu, von denen ich jetzt hauptsächlich sprechen will. Man hat seit jener Zeit bewusste Anstrengungen gemacht, das Abgestorbene in der Kunst zu neuem Leben zu erwecken, und auch mit einigem oberflächlichen Erfolge. Nichtsdestoweniger muss ich Ihnen trotz dieser bewussten Bemühungen erklären, dass England damals für jemand, der Schönheit empfinden und verstehen kann, ein weniger unangenehmer Aufenthaltsort war als heute; und wir, die wir fühlen, was die Kunst bedeutet, wissen wohl, obgleich wir es oft nicht auszusprechen wagen, dass es nach ferneren vierzig Jahren ein noch viel unangenehmerer Ort sein wird, wenn wir auf der eingeschlagenen Bahn weitergehen. Vor weniger als vierzig Jahren – ungefähr vor dreißig – sah ich zum ersten Mal die Stadt Rouen, die damals in ihrem äußeren Anblick noch ein Stück Mittelalter war; keine Worte vermögen Ihnen zu sagen, wie dieses Gemisch von Schönheit, Geschichte und Romantik auf mich wirkte; ich kann nur sagen, dass ich bei einem Rückblick auf mein vergangenes Leben finde, dass dies der größte Genuss war, den ich je gehabt hatte; jetzt ist es ein Genuss, den niemand wieder haben kann; er ist auf immer für die Welt verloren. Zu jener Zeit studierte ich die letzten Semester in Oxford. Obgleich nicht so fremdartig, so romantisch oder auf den ersten Blick so mittelalterlich wie die normannische Stadt, bewahrte Oxford zu jener Zeit noch einen großen Teil seiner früheren Anmut, und die Erinnerung an seine grauen Straßen, wie sie damals waren, hat mein Leben dauernd beeinflusst und erhellt; die Wirkung würde noch größer sein, wenn ich vergessen könnte, was sie jetzt sind – ein Gegenstand von ungleich größerer Wichtigkeit, als das so genannte Studium in dem Orte je hätte für mich werden können, ein Gegenstand, in dem aber niemand sich die Mühe gab, mich zu unterrichten, und auch ich machte keinen Versuch, mir Kenntnisse darüber zu verschaffen. Da nun die Hüter dieser Schönheit und Romantik, die für die Erziehung so fruchtbar gemacht werden könnte, trotz ihrer Anstellung „im Hochschulwesen“ (wie dies lächerliche System von Kompromissen, das sie vertreten, fälschlich genannt wird), sich nicht im geringsten um sie kümmerten, haben sie deren Erhaltung vor den Erfordernissen des Handels und Verkehrs zurücktreten lassen und sind anscheinend entschlossen, sie gänzlich zu zerstören. Hier ist ein anderer Genuss für die Welt verloren gegangen, hier ist wiederum die Schönheit und Romantik zwecklos, grundlos, in höchst törichter Weise vertrieben worden.

Ich habe diese zwei Fälle angeführt, einfach weil sie sich meinem Geist eingeprägt haben; es sind nur Beispiele davon, was überall im ganzen Umkreis der Zivilisation vor sich geht; die Welt wird überall hässlicher und langweiliger trotz der bewussten und sehr eifrigen Bemühungen einer kleinen Anzahl von Leuten um die Wiederbelebung der Kunst, die so offenkundig außer allein Zusammenhang mit den sonstigen Bestrebungen der Zeit stehen, dass, während die Ungebildeten nicht einmal von ihnen gehört haben, die Masse der Gebildeten sie als Sport betrachtet und dass sie sogar jetzt anfangen, sich ermüdet davon zurückzuziehen.

Wenn es nun wahr ist, wie ich behauptet habe, dass echte Kunst ein voller und ungeteilter Segen für die Welt ist, so ist dies eine ernste Erscheinung; denn auf den ersten Mick scheint es zu zeigen, dass es bald gar keine Kunst mehr auf der Welt geben wird, die somit einen großen Segen verlieren wird; dies kann nach meinem Dafürhalten übel ausschlagen.

Denn soll die Kunst verschwinden, so ist sie an eigener Erschöpfung zugrunde gegangen, und ihr Ziel wird eine verklungene Sage sein; und ihr Ziel bestand darin, die Arbeit glücklich und die Ruhe fruchtbringend zu gestalten. Soll dann alle Arbeit unglücklich, alle Ruhe unfruchtbar sein? In der Tat wird dies beim Untergange der Kunst der Fall sein, wenn nicht etwas anderes an ihre Stelle tritt – etwas, wofür man jetzt keine Bezeichnung hat, von dem man sich nichts träumen lässt.

Ich glaube nicht, dass irgend etwas an die Stelle der Kunst treten wird; nicht, dass ich an der Erfindungsgabe des Menschen zweifelte, die, wenn es gilt, ihn unglücklich zu machen, schrankenlos zu sein scheint, sondern weil ich glaube, dass die Quellen der Kunst im menschlichen Geiste unversiegbar sind, und ebenso, weil es mir leicht erscheint, die Ursachen des gegenwärtigen Niederganges der Kunst zu erkennen.

Denn wir gebildeten Leute haben sie nicht bewusst oder freiwillig aufgegeben; wir sind gezwungen worden, sie aufzugeben, vielleicht kann ich dies durch näheres Eingehen auf die Benutzung einer Maschine zur Herstellung von Dingen erläutern, bei denen eine künstlerische Form irgendwelcher Art möglich ist. Weshalb benutzt ein verständiger Mann eine Maschine? Unzweifelhaft, um Arbeit zu ersparen. Es gibt Dinge, die eine Maschine ebenso gut herstellen kann, wie die Hand des Menschen samt einem Werkzeuge. Er braucht z. B. sein Getreide nicht auf einer Handmühle zu mahlen; ein kleiner Wasserlauf, ein Rad und ein paar einfache Vorrichtungen werden alles vollkommen gut besorgen und ihm freie Zeit lassen, seine Pfeife zu rauchen und nachzudenken oder den Griff seines Messers mit Schnitzerei zu verzieren. Insoweit liegt im Gebrauch einer Maschine ein unzweifelbarer Segen – immer, beachten Sie wohl, unter der Voraussetzung einer Gleichheit der Lebenslage unter den Menschen. Vielleicht würde ein vollkommen vernünftiger und freier Mann hier in der Verwendung der Maschine innehalten; da jedoch solche Vernunft und Freiheit kaum zu erwarten sind, so wollen wir unserem Maschinenerfinder einen Schritt weiter folgen. Er hat glattes Tuch zu weben und findet einerseits, dass diese Beschäftigung langweilig ist, und anderseits, dass ein mechanischer Webstuhl das Tuch beinahe so gut webt wie ein Handwebstuhl; daher benutzt er, um mehr Muße oder Zeit für angenehmere Arbeit zu gewinnen, einen mechanischen Webstuhl und gibt den geringen Vorteil auf, noch seine kleine Kunst bei der Verfertigung des Tuches zu zeigen. Wenn er aber so handelt, hat er, was die Kunst betrifft, keinen reinen Gewinn gehabt; er hat ein Kompromiss zwischen Kunst und Arbeit geschlossen und somit nur einen scheinbaren Ausweg gefunden. Ich sage nicht, dass er unrecht handelt, sondern dass er ebensoviel verloren wie gewonnen hat. Nun ist dies der Punkt, bis zu dem ein Mann, der die Kunst schätzt und seine Vernunft walten lässt, in der Benutzung der Maschinen gehen würde, solange er frei war, d. h. nicht gezwungen wurde, für den Gewinn eines anderen zu arbeiten, solange er in einer Gesellschaft lebte, die Gleichheit der Lebenslage eingeführt hat. Führt er die Maschinenbenutzung für die Kunst auch nur einen Schritt weiter, so handelt er unvernünftig, wenn er die Kunst schätzt und frei ist. Um ein Missverständnis zu vermeiden, muss ich hinzufügen, dass ich an die moderne Maschine denke, die gleichsam lebendig ist und bei welcher der Mensch nur Hilfsdienste verrichtet, und nicht von der alten Maschine, dem verbesserten Werkzeug, die dem Menschen als Hilfsmittel dient und nur solange arbeitet, wie er selbst bei ihrer Handhabung denkt, doch will ich bemerken, dass selbst jene einfachste Form der Maschine wegfallen muss, wenn wir zu den höheren und schwierigeren Kunstformen gelangen. Nun, wenn die eigens zu Kunstzwecken bestimmte Maschine eine solche Vollkommenheit erreicht, dass sie nicht nur zur Herstellung von notwendigen Dingen, die zufällig etwas Schönheit an sich tragen sollen, verwandt wird, so wird ein mit Kunstempfinden begabter denkender Mann sie nur benutzen, wenn er dazu gezwungen wird. Wenn er z. B. Schmucksachen liebt und weiß, dass die Maschine sie nicht tadellos herzustellen vermag, er sich auch nicht die Zeit nimmt, dies seinerseits zu tun, wozu sollte er sich überhaupt damit befassen? Er wird seine freie Zeit nicht abkürzen, um etwas herzustellen, wozu er keine Lust hat, wenn ihn nicht irgend ein Einzelner oder eine Anzahl von Menschen dazu zwängen; er wird daher entweder auf die Schmucksachen verzichten oder etwas von seiner freien Zeit opfern, um sie gediegen zu bekommen. Dies wird ein Anzeichen dafür sein, dass er sie sehr gern haben möchte, und dass ihr Besitz ihm seine Mühe aufwiegt; in diesem Falle ist auch seine darauf verwandte Arbeit nicht bloße Mühe, sondern wird ihm durch die Befriedigung seines Tätigkeitstriebes Interesse und Freude einflößen.

So würde, sage ich, ein denkender Mensch handeln, wenn er frei vom Zwange anderer wäre; ist er nicht frei, so handelt er auf sehr verschiedene Weise. Er hat lange das Stadium durchschritten, in dem die Maschinen nur zur Verrichtung der für einen Menschen von durchschnittlicher Leistungsfähigkeit zu schweren Arbeiten oder zu solchen benutzt wurden, die ebenso gut von der Maschine als von dem Menschen verrichtet werden konnten, und erwartet unwillkürlich die Erfindung einer Maschine, wenn ein Industrieerzeugnis anfängt, begehrt zu werden. Er ist der Sklave der Maschine; die neue Maschine muss erfunden werden, und ist sie erfunden, so muss er – ich will nicht sagen, sie benutzen, sondern von ihr benutzt werden, er mag wollen oder nicht.

Warum ist er aber der Sklave der Maschine? Weil er der Sklave des Systems ist, für dessen Bestehen die Erfindung der Maschine notwendig war.

Und jetzt muss ich die Annahme von der Gleichheit der Lebenslage fallen lassen oder vielmehr fallen gelassen haben und Sie daran erinnern, dass, obgleich wir in gewissem Sinne alle die Sklaven der Maschine sind, doch eine Anzahl Menschen dies so geradezu ohne jede bildliche Bezeichnung sind und dass es gerade diejenigen sind, von denen die Hauptmasse der Künste abhängt – die Arbeiter. Es ist notwendig für das System, das sie in ihrer Stellung als niedere Klasse festhält, dass sie entweder selbst Maschinen oder Diener von Maschinen sind, die auf keinen Fall ein Interesse an der Arbeit, die sie verrichten, haben. Für ihre Arbeitgeber sind sie, insofern sie Arbeiter sind, ein Bestandteil der Maschinen der Werkstatt oder Fabrik; für sich selbst sind sie Proletarier, menschliche Wesen, die arbeiten, um zu leben, damit sie leben können, um zu arbeiten: ihre Rolle als Handwerker, als Verfertiger von Gegenständen nach ihrer freien Wahl ist ausgespielt.

Auf die Gefahr hin, der Empfindsamkeit bezichtigt zu werden, will ich sagen, dass, da dem so ist, da die Arbeit, welche die Gegenstände herstellt, mit denen sich die Kunst befassen sollte, nur eine Last und eine Sklaverei ist, ich mich wenigstens darüber freue, dass sie keine Kunst hervorzubringen vermag, dass alles, was sie herstellen kann, zwischen grobem Utilitarismus und einfältiger Täuschung liegt.

Ist dies jedoch tatsächlich weiter nichts als empfindsam? Ich glaube vielmehr, wir, die wir den Zusammenhang zwischen industrieller Sklaverei und der Herabwürdigung der Künste erkannt haben, haben auch auf eine Zukunft für diese Künste zu hoffen gelernt. Der Tag wird sicherlich kommen, an dem die Menschen ihr Joch abschütteln und sich weigern werden, sich den lediglich künstlichen Zwang des Spielermarktes gefallen zu lassen, um ihr Leben in end- und hoffnungsloser Qual zu verbringen. Wenn er kommt, wird ihr zugleich mit ihnen in Freiheit gesetztes Schönheitsgefühl und ihre Phantasie diejenige Kunst hervorbringen, deren sie bedürfen; und wer kann sagen, dass sie nicht die Kunst vergangener Zeitalter soweit übertreffen wird, wie es diese mit den armseligen Resten tut, die uns von ihr durch das Zeitalter des Kommerzialismus gelassen worden sind?

Noch ein paar Worte über einen Einwand, den man mir oft gemacht hat, wenn ich über diesen Gegenstand sprach. Man kann sagen, und es ist oft geschehen: „Sie sehnen sich nach der mittelalterlichen Kunst (wie ich es in der Tat tue), aber diejenigen, die sie hervorbrachten, waren nicht frei; sie waren Leibeigene oder die von den ehernen Wänden der Handelsbeschränkungen umgebenen zünftigen Handwerker; sie hatten keine politischen Rechte und wurden von ihren Herren, der Adelskaste, auf das Härteste ausgebeutet.“ Nun, ich gebe gern zu, dass die Unterdrückung und Gewalttätigkeit des Mittelalters auch die Kunst jener Tage beeinflusste, ihre Mängel sind auf sie zurückzuführen; unzweifelhaft schädigten sie die Kunst in vielen Beziehungen, und deswegen sage ich, wenn wir die gegenwärtige Bedrückung abgeschüttelt haben, wie wir es mit der alten taten, können mir erwarten, dass die Kunst der Zeiten der wahren Freiheit die jener alten gewalttätigen Zeiten übertreffen wird. Doch behaupte ich auch, dass es damals möglich war, eine soziale, organische, hoffnungsreiche, fortschreitende Kunst zu besitzen, während so armselige Fetzen, wie sie uns jetzt infolge des verwüstenden Kampfes aller gegen alle geblieben sind, der Vergangenheit zugewandt und pessimistisch sind. Und diese hoffnungsreiche Kunst war möglich inmitten all der Bedrückung jener Tage, weil die Mittel zu dieser Bedrückung plump zutage und außerhalb der Arbeit des Handwerkers lagen. Es gab Gesetze und Gebräuche, die offenbar darauf berechnet waren, ihn zu berauben, und offene Gewalttat von der Art der Straßenräuberei. Kurz, die industrielle Produktion war nicht das Mittel zur Beraubung der „unteren Klassen“; sie ist jetzt das Hauptwerkzeug in diesem ehrenwerten Beruf. Der mittelalterliche Handwerker war frei in seiner Arbeit, deswegen machte er sie sich so angenehm wie möglich: es war ein Genuss für ihn und nicht eine Qual, alle die schönen Gegenstände zu verfertigen, die hergestellt wurden, und mit verschwenderischer Hand Schätze an Hoffnungsfreudigkeit und Gedankentiefe über alles, was man schuf, vom Dome bis herab zum Suppentopfe, auszustreuen. Vergegenwärtigen wir uns, dass die Arbeitsweise, die der modernen „Hand“ ganz geläufig ist, dem mittelalterlichen Handwerker geradezu verächtlich hätte vorkommen müssen: die Arbeitskraft des armen Teufels des vierzehnten Jahrhunderts war von so geringem Werte, dass man ihm gestattete, sie stundenlang zu seiner und anderer Freude zu vergeuden, aber die Minuten unseres auf das höchste angespannten Fabrikarbeiters sind viel zu kostbar für die unaufhörliche Jagd nach Gewinn, als dass man ihm erlauben sollte, eine davon auf die Kunst zu verwenden; das gegenwärtige System gestattet es ihm nicht – kann es ihm nicht gestatten, Kunstwerke hervorzubringen.

So zeigt sich hier die seltsame Erscheinung, dass es jetzt eine Klasse von Damen und Herren gibt, die sehr gebildet, aber vielleicht nicht so unterrichtet sind, wie man gewöhnlich annimmt, und in diesen gebildeten Kreisen gibt es viele, die in Wahrheit die Schönheit und was mit ihr zusammenhängt – d. h. die Kunst lieben und Opfer bringen würden, um in ihren Besitz zu gelangen; sie werden von Künstlern, die über große technische Fertigkeit und hohe Einsicht verfügen, geleitet und bilden zusammen eine große Gemeinde, in der Nachfrage nach dem Artikel herrscht. Und doch will das Angebot nicht kommen. Ja noch mehr, diese große Schar begeisterter Liebhaber besteht nicht aus armen, hilflosen Leuten, unwissenden bäuerischen Fischern, halb verrückten Mönchen, hirnverbrannten Sansculotten – kurz aus keiner von den Klassen, die mit dem Ausdruck ihres Begehrens früher so oft die Welt erschüttert haben und noch fernerhin erschüttern werden. Nein, sie gehören zu den herrschenden Klassen, den Herren von Menschen, die ohne Arbeit leben können und reichliche Muße haben, um sich reiflich die Erfüllung ihrer Wünsche zu überlegen; und doch sage ich, sie können die Kunst nicht besitzen, nach der sie so sehr verlangen, obgleich sie die ganze Welt nach ihr mit brennendem Eifer durchjagen und die schmutzige Lebensweise der elenden Bauern in Italien und die hungernden Proletarier seiner Städte jetzt überempfindsam darstellen, wo all das Malerische bei den armen Teufeln unseres Vaterlandes und unserer Spelunken nicht mehr zu finden ist. In der Tat ist ihnen überall wenig Wirklichkeit übriggeblieben, und dieses wenige verschwindet rasch vor den Bedürfnissen des Fabrikanten und seinem zerlumpten Arbeiterheer sowie vor der Begeisterung der archäologischen Wiedererwecker der toten Vergangenheit. Bald wird nichts davon übrig sein als die lügnerischen Träume der Geschichte, das elende Gerümpel unserer Museen und Gemäldegalerien und das sorgfältig behütete Innere unserer unwahren und kindischen ästhetischen Salons, treue Zeugnisse von dem verderbten Leben, das sich hier abspielt, so gedrückt, dürftig und feig, wobei die natürlichen Triebe mehr versteckt und nicht beachtet, als zurückgedrängt werden; dies verhindert jedoch nicht die gröbsten Ausschweifungen, wenn sie nur mit einem Anstandsmäntelchen bedeckt werden können.

Die Kunst ist also dahin und kann in ihren alten Linien nicht in höherem Maße „wiederhergestellt“ werden als ein mittelalterliches Bauwerk. Die Reichen und Gebildeten können sie nicht haben, selbst wenn sie wollten, und obgleich wir glauben, dass viele von ihnen es wollen. Und warum? Weil diejenigen, die sie den Reichen verschaffen könnten, von den Reichen selbst daran verhindert werden. Mit einem Worte, die Sklaverei trennt uns von der Kunst.

Ich habe gesagt, der Zweck der Kunst bestehe darin, den Fluch von der Arbeit zu nehmen, indem sie diese zur genussreichen Befriedigung unseres Tätigkeitstriebes macht und jener Tätigkeit die Hoffnung gibt, etwas hervorzubringen, was der Anstrengung wert ist.

Deswegen sage ich, da wir keine Kunst haben können, wenn wir ihrer rein äußeren Erscheinung nachjagen, da wir in diesem Falle nur ihr Trugbild erhalten, so bleibt uns nur noch übrig, zuzusehen, wie die Dinge sich gestalten würden, wenn wir den Schatten fahren ließen und, wenn wir können, das Wesen selbst zu erfassen suchten. Ich für mein Teil glaube, dass, wenn wir die Ziele der Kunst zu verwirklichen streben, ohne uns viel darum zu kümmern, wie die Kunst selbst aussehen wird, wir uns zuletzt im Besitze dessen, was wir wünschen, finden werden: mag es Kunst heißen oder nicht, – es wird wenigstens Leben sein, und dies ist überhaupt das, was uns Not tut. Es kann uns zu neuer Herrlichkeit und Schönheit sichtbarer Kunst hinleiten, zu einer Architektur mit abwechselungsreicher Pracht, die frei ist von der seltsamen Unvollständigkeit und den Missgriffen in den Bauwerken früherer Zeiten – zu einer Malerei, welche die von der mittelalterlichen Kunst erreichte Schönheit mit dem von der modernen Kunst erstrebten Realismus verbindet – zu einer Plastik, welche die Schönheit der griechischen Kunst und die Ausdrucksfähigkeit der Renaissance mit einer dritten noch unentdeckten Eigenschaft vereint, um uns die Bilder von Männern und Frauen in wunderbarer Lebenswahrheit vorzuführen, ohne dass sie unfähig werden, als architektonisches Ornament zu dienen, wie es die Aufgabe aller wahren Skulptur ist. Alles dies kann es bewirken; anderseits kann es uns aber auch in die Wüste führen, und es kann den Anschein gewinnen, als sei die Kunst unter uns ausgestorben oder kämpfe mühsam und mit unsicherem Erfolge gegen eine Welt an, die ihre alte Herrlichkeit gänzlich vergessen hat.

Ich für mein Teil kann mich angesichts der heutigen Kunst nicht davon überzeugen, dass es viel ausmache, welches von diesen beiden Losen ihr bevorsteht, solange jedes einige Hoffnung in Betreff der Zukunft mit sich führt, da hier, wie in anderen Beziehungen, das Heil einzig von der Revolution zu erwarten ist. Die alte Kunst trägt keine Früchte mehr, sie erweckt in uns nur noch verschönernde poetische Sehnsucht; da sie unfruchtbar ist, muss sie sterben, und nur darum handelt es sich augenblicklich, wie sie sterben soll, mit Aussicht auf Besseres oder ohne sie.

Was ist es z.B., was das Rouen, das Oxford meiner verschönernden poetischen Sehnsucht zerstört hat? Sind diese Städte zum Besten des Volkes untergegangen, sei es, dass sie nach und nach dem wachsenden Umschwung in den Anschauungen und einem neuen Ideal von Glück zum Opfer gefallen sind, oder sind sie gleichsam unter dem Donnerkrachen der Tragödie zusammengestürzt, die meistens das Werden eines Neuen begleitet? Keins von beiden. Weder Phalanstèren noch Dynamit haben ihre Schönheit hinweggefegt, ihre Zerstörer sind weder der Philanthrop noch der Sozialist, weder der Befürworter gemeinsamen Handels noch der Anarchist gewesen. Sie sind verkauft worden, freilich zu einem Spottpreise; hinweggewühlt von der Unersättlichkeit unberufener Narren, die nicht wissen, was Leben und Freude ist, die sie weder selbst genießen noch anderen ihren Genuss verstatten wollen. Deswegen stimmt uns der Untergang jener Schönheit so trübe: keinem Menschen von Einsicht oder Gefühl würde es einfallen, solche Verluste zu betrauern, wenn sie der Preis für neues Leben und Glück im Volke gewesen wären. Hier jedoch ist das Volk noch in derselben Lage wie zuvor, steht seinerseits noch dem Ungeheuer gegenüber, das alle jene Schönheit vernichtet hat und das den Namen „Handelsgewinn“ führt.

Ich wiederhole es: auch der letzte Rest echter Kunst wird unter denselben Händen verschwinden, wenn die Dinge sich so weiterentwickeln, mag auch eine falsche Kunst an ihre Stelle treten, die sehr wohl von dilettantischen feinen Herren und Damen ohne jede Unterstützung von unten ausgeübt werden kann; und, um deutlich zu sprechen, ich fürchte, dass dieses kauderwelschende Phantom der Wirklichkeit eine große Anzahl derer zufriedenstellen wird, die sich selber für Kunstliebhaber halten: und doch ist es nicht schwer, zu bemerken, wie es langsam und allmählich verfällt, bis es zuletzt eine Zielscheibe des Spottes wird. Dies würde die Folge sein, wenn die Dinge so weitergingen, ich meine, wenn die Kunst für immer zur Unterhaltung derer, die wir jetzt Damen und Herren nennen, bestimmt wäre.

Ich für mein Teil glaube jedoch nicht, dass es genügend lange Zeit so fortgehen wird, um die Kunst einen solchen Tiefstand erreichen zu lassen; ich würde aber heucheln, wenn ich sagen wollte, ich glaubte, dass die Veränderung der Grundlage der Gesellschaft, welche die Arbeit befreien und die Tage der Menschen tatsächlich gleich machen würde, auf kurzem Wege zu der glänzenden Wiedergeburt der Kunst führen würde, von der ich gesprochen habe, obgleich ich fest überzeugt bin, dass sie das, was wir jetzt Kunst nennen, nicht unberührt lassen wird, da die Ziele dieser Revolution die Ziele der Kunst einschließen – nämlich die Beseitigung des Fluches, der auf der Arbeit lastet.

Ich nehme an, dass wahrscheinlich folgendes der Gang der Ereignisse sein wird; das Maschinenwesen mit seiner ausgesprochenen Absicht, Menschenarbeit zu ersparen, wird sich weiterentwickeln, bis die Masse der Menschen in Wirklichkeit genügend Muße erlangt, um den Lebensgenuss würdigen zu können, bis sie in der Tat eine solche Herrschaft über die Natur erlangt haben, dass sie nicht länger fürchten, zur Strafe dafür, dass sie nicht über den notwendigen Bedarf hinaus arbeiten, Hungers zu sterben. Sind sie auf diesem Punkte angelangt, so werden sie unzweifelhaft umkehren und einzusehen beginnen, was sie in Wirklichkeit tun mussten. Sie werden bald herausfinden, dass, je weniger Arbeit sie verrichten (ich meine je weniger von keiner Kunst begleitete Arbeit), ein desto wünschenswerterer Aufenthaltsort die Erde sein würde; sie werden demgemäß immer weniger arbeiten, bis der Tätigkeitsdrang, von dem ich sprach, sie von Neuem dazu anspornt; mittlerweile wird auch die Natur, unterstützt von der Erleichterung der menschlichen Arbeit, ihre alte Schönheit wiedergewinnen und die Menschen in der alten Geschichte der Kunst unterweisen. Und wenn der künstlich erzeugte Mangel, der dadurch veranlasst wird, dass Menschen für den Gewinn eines Herrn arbeiten und den wir gegenwärtig als ganz natürlich betrachten, längst verschwunden ist, wird es ihnen freistehen, zu tun, wozu sie Lust haben, und sie werden ihre Maschinen überall dort beiseite stellen, wo ihnen die Arbeit angenehm oder für Handtätigkeit geeignet erscheint, bis man in allen Beschäftigungen, bei denen Schönheit ein notwendiges Erfordernis war, die unmittelbarste Verbindung zwischen Hand und Kopf herzustellen suchte. Ebenso würde es viele Beschäftigungen geben, wie die landwirtschaftlichen Arbeiten, bei denen die freiwillige Ausübung einer Tätigkeit für so reizvoll gelten würde, dass es den Leuten nicht im Traume einfiele, die Freude daran dem Rachen einer Maschine auszuliefern.

Kurz, unsere Enkel werden herausfinden, dass die Menschen unserer Tage unrecht hatten, als sie zuerst ihre Bedürfnisse vervielfältigten und dann allgemein versuchten, sich aller Teilnahme an der Herstellung der zur Befriedigung dieser Bedürfnisse nötigen Gegenstände zu entziehen, dass diese Art der Arbeitsteilung in Wirklichkeit nur eine neue willkürliche Form der anmaßenden und faulen Trägheit ist, viel gefährlicher für das Glück und die Zufriedenheit des Lebens als die Unwissenheit in Bezug auf die Naturvorgänge, auf das, was wir bisweilen Wissenschaft nennen, in der die Menschen früherer Tage ahnungslos dahinlebten.

Sie werden entdecken oder vielmehr wiederentdecken, dass das wahre Geheimnis des Glückes darin liegt, dass man an allen Einzelheiten des täglichen Lebens ein aufrichtiges Interesse nimmt, dass man sie durch die Kunst hebt, anstatt dass man die Beschäftigung mit ihnen verachteten Sklaven überlässt und sie vornehm übersieht, und dass in den Fällen, wo es unmöglich ist, sie entweder zu heben und anziehend zu machen oder sie durch die Benutzung von Maschinen zu erleichtern, so dass die Arbeit wenig anstrengt, dies als ein Zeichen gelten sollte, dass die durch sie errungenen vermeintlichen Vorteile der darauf verwandten Mühe nicht wert seien und man besser darauf verzichtete. All dies würde nach meinem Dafürhalten dann eintreten, wenn die Menschen die Last des künstlich erzeugten Mangels abwerfen, vorausgesetzt, dass, wie ich nicht umhin kann anzunehmen, die Antriebe, welche die Menschen von dem ersten Dämmern der Geschichte an zur Kunstübung veranlassten, noch bei ihnen in Tätigkeit sind.

So und nur so kann die Wiedergeburt der Kunst erfolgen, und ich glaube, sie wird so erfolgen. Sie werden sagen, dies könne lange Zeit erfordern, und dem ist so; aber ich kann mir eine längere denken. Ich habe Ihnen die sozialistische oder optimistische Ansicht von der Sache mitgeteilt. Nun zur pessimistischen Ansicht.

Ich kann mir denken, dass die Empörung gegen den künstlich erzeugten Mangel oder den Kapitalismus, die jetzt im Gange ist, niedergeschlagen wird. Die Folge wird sein, dass die Lage der arbeitenden Klasse – der Sklaven der Gesellschaft – immer schlechter und schlechter wird, dass sie gegen die Übermacht nicht ankämpfen wollen, sondern, aufgestachelt durch jene Liebe zum Leben, welche die Natur, immer um die Erhaltung der Art besorgt, uns eingepflanzt hat, alles ertragen lernen – Elend, Überanstrengung, Schmutz, Unwissenheit, Rohheit. All dies werden sie ertragen, wie sie es, ach nur allzugut, jetzt schon ertragen; all dies eher, als dass sie das süße Leben und die bittere Lebensweise aufs Spiel setzen, und dann wird jeder Schimmer von Hoffnungsfreudigkeit und Männlichkeit in ihnen erlöschen.

Auch ihre Herren werden nicht viel besser daran sein; das Antlitz der Erde wird überall hässlich sein, ausgenommen in der unbewohnbaren Wüste; die Kunst wird gänzlich zugrunde gehen, sowohl in den bildenden Künsten als in der Literatur, die eine bloße Aneinanderreihung trockener und nüchterner Mattheiten und leidenschaftsloser Kindlichkeiten werden wird, wie sie es in der Tat bald sein dürfte; die Wissenschaft wird mehr und mehr einseitig, lückenhaft, weitschweifig und unnütz werden, bis sie sich zuletzt zu einem solchen Haufen von Aberglauben auftürmt, dass im Vergleich zu ihr die Theologie der früheren Zeiten eitel Vernunft und Aufklärung erscheint. Alles wird langsamer und langsamer gehen, bis die heroischen Kämpfe der Vergangenheit, von Jahr zu Jahr, von Jahrhundert zu Jahrhundert die Hoffnungen zu verwirklichen, gänzlich in Vergessenheit fallen und der Mensch ein unbeschreibbares Wesen ist – hoffnungslos, wunschlos, leblos.

Und wird eine Rettung aus diesem Zustande eintreten? Möglich: der Mensch kann nach einer furchtbaren Katastrophe sich einer gesunden Tierheit zuwenden, ferner kann aus einem Tier ein Wilder, aus einem Wilden ein auf der untersten Stufe der Kultur stehendes Wesen usw. werden, und einige tausend Jahre später kann er noch einmal mit jenen Künsten beginnen, die wir jetzt eingebüßt haben, und verschlungene Figuren schnitzen wie die Neuseeländer oder Tierformen in gesäuberte flache Knochen einritzen wie die vorgeschichtlichen Bewohner des Waldes.

Doch auf jeden Fall werden wir gemäß der pessimistischen Ansicht, nach welcher die Empörung gegen den künstlich erzeugten Mangel für vollkommen aussichtslos ist, den Kreis mühsam von Neuem durchlaufen, bis irgend ein Ereignis, ein unvorhergesehenes Zusammentreffen von Umständen uns allen ein Ende bereitet.

An diesen Pessimismus glaube ich nicht, nehme aber anderseits auch nicht an, dass es von unserer freien Entschließung abhängt, ob wir dem menschlichen Fortschritt oder der menschlichen Entartung entgegengehen; da jedoch hier Leute versammelt sind, die der sozialistischen oder optimistischen Auffassung zuneigen, so muss ich daraus schließen, dass Hoffnung auf ihren Sieg vorhanden ist, dass die angestrengten Bemühungen vieler Einzelner eine Kraft in sich schließen, die sie vorwärts treibt. Daher glaube ich, dass die „Ziele der Kunst“ verwirklicht werden, trotzdem ich weiß, dass dies nicht der Fall sein kann, solange wir unter der Tyrannei des künstlich erzeugten Mangels leiden. Nochmals warne ich Sie vor dem Glauben, die Sie vor allem die Kunst lieben, dass Sie etwas Gutes tun, wenn sie die Kunst dadurch wiederzubeleben suchen, dass Sie sich mit ihrem toten Körper befassen. Ich sage, es sind mehr die Ziele der Kunst, nach denen Sie suchen müssen, als die Kunst selbst; bei diesem Suchen können wir uns in einer kahlen und öden Welt zusammenfinden und wenigstens den Vorteil aus unserer innigen Besorgnis um die Kunst ziehen, dass wir ihren Schein nicht ertragen können.

Jedenfalls aber bitte ich Sie, mit mir zu bedenken, dass das Schlimmste, was uns begegnen kann, darin besteht, die Übel, die wir erkennen, geduldigen Sinnes zu ertragen, dass keine Mühe, keine Plage so schlimm ist wie dies, dass die notwendige Zerstörung, die den Wiederaufbau mit sich bringt, ruhig mit in den Kauf genommen werden muss, dass wir überall – in Staat, Kirche, Haus – entschlossen sein müssen, keine Tyrannei zu dulden, keine Lüge durchgehen zu lassen, keine Furcht zu empfinden, mögen sie auch unter der Maske von Liebe, Pflicht, Zuneigung, von vorteilhafter Nachgiebigkeit und Gutherzigkeit, von Klugheit oder Milde auftreten. Die Härte, Falschheit und Ungerechtigkeit der Welt werden ihre natürlichen Folgen zeitigen, und wir und unser Leben gehören zu diesen Folgen; da wir jedoch auch die Folgen des alten Widerstandes gegen diesen dreifachen Fluch ererbt haben, so wollen wir, jeder an seinem Teile, danach streben, unseren gebührenden Anteil auch an dieser Erbschaft zu erhalten, der, wenn uns sonst auch kein Vorteil daraus erwächst, uns wenigstens Mut und Hoffnung einflößen wird, das heißt frisches Leben, solange wir leben, und dies ist vor allem anderen das Ziel der Kunst.

 

Nützliche Arbeit gegenüber unnützer Mühe

Der obige Titel wird manche meiner Leser durch seine Seltsamkeit überraschen. Von den meisten Leuten wird heutzutage geglaubt, jede Arbeit sei nützlich, und von den meisten wohlhabenden, jede Arbeit sei erwünscht. Die meisten Leute, wohlhabend oder nicht, glauben, dass, selbst wenn jemand eine anscheinend nutzlose Arbeit verrichtet, er doch seinen Lebensunterhalt damit erwirbt – er ist „beschäftigt“, wie die Redensart lautet, und die meisten jener Wohlhabenden muntern den glücklichen Arbeiter mit Glückwünschen und Lobsprüchen an, wenn er nur genügend „fleißig“ ist und sich alles Genusses und aller Ruhe für die heilige Sache der Arbeit beraubt. Kurz, es ist ein Glaubensartikel der modernen Ethik geworden, dass jede Arbeit an sich gut ist – ein bequemer Glaube für diejenigen, die von der Arbeit anderer leben. Aber denen, von welchen sie leben, rate ich, ihn nicht auf Treu und Glauben hinzunehmen, sondern etwas tiefer in den Gegenstand einzudringen.

Wir wollen zunächst einräumen, dass die Menschheit ohne Arbeit zugrunde gehen muss. Die Natur gewährt uns unseren Lebensunterhalt nicht umsonst; wir müssen ihn durch Arbeit irgendwelcher Art und irgendwelchen Maßes erwerben. Dann wollen wir zusehen, ob sie uns nicht einen Ersatz für diesen Arbeitszwang gewährt, da sie doch offenbar auf anderen Gebieten dafür sorgt, dass die für die Erhaltung des Einzellebens und der Art erforderlichen Handlungen nicht allein erträglich, sondern auch mit Genuss verbunden sind.

Sie können überzeugt sein, dass sie dies tut, dass es der Natur des Menschen entspricht, wenn er nicht krank ist, unter gewissen Bedingungen Vergnügen an seiner Arbeit zu finden. Und doch müssen wir es gegenüber dem soeben erwähnten heuchlerischen Lobe der Arbeit, welcher Art diese auch sein mag, aussprechen, dass es eine Arbeit gibt, die, weit entfernt, ein Segen zu sein, ein Fluch ist, dass es für die Gesamtheit und den Arbeiter besser wäre, wenn der letztere seine Hände in den Schoß legte und sich weigerte zu arbeiten, entweder verhungerte oder sich von uns ins Arbeitshaus oder Gefängnis schicken ließe – was Sie wollen.

Sie sehen, es gibt zwei Arten von Arbeit – eine gut, die andere schlecht; eine nicht weit davon entfernt, ein Segen, eine Erleichterung des Lebens zu sein, die andere ein wahrer Fluch, eine Last des Lebens.

Welches ist nun der Unterschied zwischen beiden? Dies: die eine führt Hoffnung mit sich, die andere nicht. Es geziemt dem Manne, die eine Art von Arbeit zu verrichten, und es geziemt ihm, die andere zurückzuweisen.

Welcher Art ist nun die Hoffnung, bei deren Gegenwart die Arbeit überhaupt die Inangriffnahme lohnt?

Sie ist dreifach, glaube ich – Hoffnung auf Ruhe, Hoffnung auf den Ertrag, Hoffnung auf Genuss an der Arbeit selbst; ferner Hoffnung, dass dieses alles reichlich und in guter Beschaffenheit geboten werde; Ruhe zur Genüge und bequem genug, dass es sich lohnt, sie zu haben; ein Ertrag, der sich für jemand lohnt, der weder ein Narr nach ein Asket ist; hinreichender Genuss für alle, damit wir uns seiner während der Arbeit selbst bewusst werden, nicht eine bloße Gewöhnung, deren Verlust wir empfinden würden, wie ein Hampelmann den Verlust des Stückchens Schnur empfindet, an der er gezogen wird.

Ich habe die Hoffnung auf Ruhe zuerst genannt, weil sie den einfachsten und natürlichsten Bestandteil unsere Hoffnung ausmacht. Was auch immer für ein Genuss in einer Arbeit liegen mag, unzweifelhaft ist mit Arbeit auch ein Unbehagen verbunden, das tierische Unbehagen, unsere schlummernden Kräfte zur Tätigkeit aufzurütteln, die tierische Furcht vor einer Veränderung, wenn unsere Lage einigermaßen erträglich ist; der Ersatz für dieses tierische Unbehagen ist tierische Ruhe, wir müssen während unserer Arbeit das Gefühl haben, dass die Zeit kommen wird, wo wir nicht zu arbeiten brauchen. Auch die Ruhe muss, wenn sie kommt, lang genug sein, damit wir ihrer froh werden; sie muss länger sein, als es für uns notwendig ist, um die auf die Arbeit verwandte Kraft wiederzuerhalten, und sie muss auch darin tierische Ruhe sein, dass sie nicht durch Besorgnis gestört wird, weil wir sonst ihrer nicht froh werden könnten. Wenn wir dieses Maß und diese Art von Ruhe haben, werden wir insofern nicht schlechter daran sein als die Tiere.

Was die Hoffnung auf das Arbeitserzeugnis betrifft, so habe ich gesagt, dass die Natur uns zwingt, für dieses zu arbeiten. Es bleibt für uns übrig, darauf zu sehen, dass wir tatsächlich etwas erzeugen, kein Nichts oder wenigstens ein Nichts, das wir brauchen oder benutzen dürfen. Wenn wir darauf sehen und von unserem Willen Gebrauch machen, werden wir insofern etwas Besseres sein als Maschinen.

Die Hoffnung auf Genuss an der Arbeit selbst: wie seltsam muss diese Hoffnung manchen von meinen Lesern – ja den meisten unter ihnen – vorkommen! Doch glaube ich, dass alle lebenden Wesen einen Genuss in der Betätigung ihrer Kräfte finden und dass sich sogar die Tiere ihrer Gewandtheit, Schnelligkeit und Stärke freuen. Aber ein arbeitender Mensch, der etwas herstellt, was, wie er fühlt, ins Dasein treten wird, weil er daran arbeitet und es will, betätigt sowohl seine geistigen und seelischen Kräfte wie seine körperlichen. Gedächtnis und Phantasie unterstützen ihn bei seiner Arbeit. Nicht allein seine eigenen Gedanken, sondern auch die der Menschen vergangener Jahrhunderte leiten seine Hand, und als ein Bestandteil des Menschengeschlechts schafft er. Wenn wir so arbeiten, werden wir Menschen sein, und unsere Tage werden glücklich und ergebnisreich verlaufen.

So führt eine wertvolle Arbeit mit sich die Hoffnung auf Genuss in der Ruhe, die Hoffnung auf Genuss bei der Verwendung dessen, was sie herstellt, und die Hoffnung auf Genuss bei unserer täglichen schöpferischen Tätigkeit.

Alle andere Arbeit außer dieser ist aber wertlos, sie ist Sklavenarbeit – wahre Plage, um zu leben, damit wir leben können, um uns zu plagen.

Da wir somit gleichsam eine Waage besitzen, auf der wir die jetzt in der Welt verrichtete Arbeit abwägen können, so lassen Sie uns davon Gebrauch machen, lassen Sie uns den Wert der Arbeit, die wir leisten, abschätzen nach so vielen Jahrtausenden voll Mühe und Plage, nach so vielen Verheißungen vereitelter Hoffnung, so grenzenlosem Jubel über den Fortschritt der Zivilisation und den Gewinn der Freiheit.

Der erste Punkt, der bei der in den Kulturländern verrichteten Arbeit in Betracht kommt und der auch sofort in die Augen springt, ist der, dass sie höchst ungleichmäßig über die verschiedenen Gesellschaftsklassen verteilt ist. Zuerst gibt es Leute – nicht wenige – die nicht arbeiten und auch gar kein Verlangen danach tragen. Dann gibt es Leute, und zwar sehr viele, die ziemlich schwer arbeiten, obgleich mit reichlich bemessenen Pausen und Feiertagen, die man ihnen freiwillig oder gezwungen gewährt hat, und zuletzt gibt es Leute, die so schwer arbeiten, dass man sagen kann, sie tun überhaupt nichts anderes als arbeiten, und „die arbeitenden Klassen“ genannt werden, zum Unterschiede von dem Mittelstande und den Reichen oder Aristokraten, von denen ich oben gesprochen habe.

Es ist klar, dass diese Ungleichheit schwer auf der „arbeitenden“ Klasse lastet und ersichtlichermaßen dazu beiträgt, ihre Hoffnung auf Ruhe wenigstens zu vernichten und sie in dieser Hinsicht schlechter stellt als die Tiere des Feldes; aber dies ist nicht der Gipfel und das Ende unserer Torheit, mit der wir nützliche Arbeit in unnütze Mühe verwandeln, sondern nur der Anfang davon.

Was zunächst die Klasse der nicht arbeitenden reichen Leute betrifft, so wissen wir alle, dass sie sehr viel verbrauchen, während sie nichts hervorbringen. Daher müssen sie ganz offenkundig auf Kosten der Arbeitenden erhalten werden, genau wie die Armen, und sind für die Gesamtheit eine bloße Last. In unseren Tagen haben viele dies einzusehen gelernt, wenn sie auch nicht tiefer in die Übelstände unseres gegenwärtigen Systems eingedrungen sind und sich keine Meinung über die Maßregeln gebildet haben, die wir treffen können, um uns von dieser Last zu befreien; gleichwohl können sie vielleicht eine unbestimmte Hoffnung hegen, dass Veränderungen in dem Wahlsystem für das Unterhaus wie durch Zauberschlag in diese Richtung einlenken. Mit solchen Hoffnungen oder abergläubischen Vorstellungen brauchen wir uns nicht länger aufzuhalten. Außerdem ist diese Klasse, die Aristokratie, die einst als höchst unentbehrlich für den Staat galt, gering an Zahl und hat jetzt keine selbständige Macht mehr, sondern ist von der Unterstützung der nächsten Klasse unter ihr abhängig – des Mittelstandes. In der Tat besteht sie entweder aus den erfolgreichsten Männern jener Klasse oder deren unmittelbaren Nachkommen.

Der Mittelstand, der den Handel, die Industrie und die Handwerker unserer Gesellschaft umfasst, scheint durchgängig angestrengt genug zu arbeiten, und so könnte man auf den ersten Blick glauben, er nützte der Gesamtheit, anstatt sie zu belasten. Aber bei weitem die Mehrzahl produziert nicht, trotzdem sie arbeitet, und selbst wenn sie produzieren, wie es bei denen der Fall ist, die bei der Verteilung der Güter (allerdings unter Vergeudung von Arbeitskraft) angestellt sind, oder bei den Ärzten oder (wahren) Künstlern und Schriftstellern, so verbrauchen sie doch weit über das Maß des auf sie entfallenden Anteils hinaus. Die Handels- und Industriekreise, der einflussreichste Teil, verwenden ihr Leben und ihre Kraft auf den Kampf unter sich selbst um ihren persönlichen Anteil an dem Reichtum, den sie die wahren Arbeiter zwingen, für sie zu schaffen; die anderen sind fast nur ein Anhängsel zu ihnen; sie arbeiten nicht für die Öffentlichkeit, sondern für eine privilegierte Klasse; sie sind die Parasiten des Eigentums, bald wie die Rechtsanwälte, ganz offenkundig, bald wie die Ärzte und anderen obenerwähnten Klassen, mit der Versicherung, Nutzen zu stiften, aber nur zu oft ohne jeden anderen Zweck, als Stützen für das System aus Torheit, Betrug und Tyrannei, von dem sie einen Teil bilden, abzugeben. Und alle diese haben, wie wir uns erinnern müssen, durchgängig ein Ziel im Auge, nicht die Hervorbringung nützlicher Dinge, sondern den Gewinn einer Stellung entweder für sich selbst oder für ihre Kinder, in der sie überhaupt nicht mehr nötig haben, zu arbeiten. Es ist ihr Ehrgeiz und der Endzweck ihres ganzen Daseins, wenn nicht für sich selbst, so doch wenigstens für ihre Kinder die stolze Stellung zu erreichen, der Gesamtheit offenkundig zur Last zu fallen. Um ihre Arbeit kümmern sie sich trotz des Anscheins von Würde, mit dem sie sie umgeben, nicht im geringsten: außer ein paar Schwärmern, Männern der Wissenschaft, Kunst oder Literatur, die, wenn sie nicht das Salz der Erde sind, wenigstens (leider muss man das sagen) das Salz des elenden Systems sind, dessen Sklaven sie sind, das sie an jeder freien Bewegung hindert, sie einengt und manchmal sogar sittlich schädigt.

Es gibt sodann eine andere Klasse, die gegenwärtig sehr zahlreich und allmächtig ist, die sehr wenig produziert und außerordentlich konsumiert und daher in der Hauptsache genau wie die Armen von den wahren Produzenten unterhalten wird. Diese Klasse, die noch zu betrachten ist, erzeugt alles, was erzeugt wird, und unterhält sowohl sich selbst als die anderen Klassen, trotzdem sie sich in einer untergeordneten Stellung zu ihnen befindet, in einer tatsächlichen Unterordnung, wissen Sie, die eine Erniedrigung in geistiger und leiblicher Hinsicht einschließt. Aber es ist eine notwendige Folgerung aus dieser Tyrannei und Torheit, dass abermals viele unter diesen Arbeitern keine Produzenten sind. Eine große Anzahl von ihnen sind wiederum lediglich Schmarotzer des Eigentums, zum Teil ganz offen wie die Soldaten zu Land und zu Wasser, die zum Zweck der Fortdauer der nationalen Eifersüchteleien und Feindseligkeiten, sowie für den nationalen Kampf um den Anteil am Ertrag der unbezahlten Arbeit gehalten werden. Aber neben dieser offenkundigen Belastung der Produzenten und der kaum weniger offenkundigen durch die häusliche Dienerschaft, gibt es zunächst das Heer von Schreibern, Ladendienern usw., die in dem Dienste des Privatkriegs um den Reichtum stehen, der, wie gesagt, die wahre Beschäftigung des wohlhabenden Mittelstandes ist. Dies ist eine größere Anzahl von Arbeitern, als man gewöhnlich glaubt, denn sie umschließt unter anderen alle diejenigen, die in dem Fache angestellt sind, welches ich den von der Konkurrenz beherrschten Kleinhandel oder, um ein weniger vornehmes Wort zu gebrauchen, die Reklame, nennen möchte, die jetzt eine solche Höhe erreicht hat, dass es viele Dinge gibt, deren Verkauf mehr kostet als ihre Herstellung.

Dann kommt die Masse der Leute, die mit der Herstellung aller jener Dinge für törichten Luxus beschäftigt sind, nach denen infolge der Existenz der reichen nicht produzierenden Klassen eine so rege Nachfrage herrscht, jener Dinge, die haben zu wollen Leuten, die ein tätiges und mäßiges Leben führen, nicht im Traume einfällt. Diese Dinge werde ich mich stets weigern, als Zeichen des Wohlstandes anzuerkennen, wer mir auch widersprechen mag; sie sind nicht Anzeichen des Wohlstandes, sondern der Vergeudung. Wohlstand ist das, was uns die Natur beschert und was ein vernünftiger Mensch aus den Gaben der Natur für seine vernunftgemäßen Bedürfnisse herzustellen vermag. Sonnenschein, frische Luft, das unentstellte Antlitz der Erde, die notwendige und angemessene Nahrung, Kleidung und Wohnung; die Ansammlung von Kenntnissen aller Art und die Fähigkeit, sie zu verbreiten; die Möglichkeit des freien Verkehrs zwischen Mensch und Mensch: Kunstwerke, die Schönheit, die ein Mensch hervorbringt, wenn er am meisten Mensch ist, d. h. nach dem Höchsten strebt und denkt – alles, was dem Genusse freier, mannhafter und unverderbter Menschen dient. Dies ist Wohlstand. Auch kann ich mir nichts Wertvolles denken, was nicht unter einen oder den anderen dieser Begriffe fiele. Denken Sie nur, ich bitte Sie, an die Erzeugnisse Englands, dieser Werkstatt für die Welt, und werden Sie nicht gleich mir bei dem Gedanken an die Menge Dinge erstaunt sein, nach denen kein verständiger Mensch Verlangen tragen kann, die aber unsere unnütze mühevolle Arbeit herstellt und – verkauft?

Nun gibt es aber eine noch traurigere Beschäftigung, die vielen, sehr vielen unserer Arbeiter aufgezwungen wird – die Herstellung von Waren, die für sie und ihre Brüder unentbehrlich sind, weil sie eine untergeordnete Klasse bilden. Denn wenn viele Leute leben, ohne zu produzieren, ja ihr Leben so leer und zwecklos verbringen müssen, dass sie einen großen Teil der Arbeiter zwingen, Waren herzustellen, die niemand braucht, nicht einmal die Reichen, so folgt daraus, dass die meisten Menschen arm sein müssen, und da sie vom Lohne, den die von ihnen Unterhaltenen ihnen zahlen, leben müssen, wie sie es tun, können sie die Güter, nach denen die Menschen naturgemäß verlangen, nicht zu ihrem Gebrauche erhalten, sondern müssen mit elenden Ersatzmitteln vorliebnehmen, mit grober Nahrung, die nicht sättigt, mit zerrissener Kleidung, die ihre Blöße nicht bedeckt, mit zerfallenen Häusern, die einen Stadtbewohner in Kulturländern wohl mit Sehnsucht auf das Zelt der Nomadenhorde oder die Höhle des vorgeschichtlichen Wilden zurückblicken lassen. Gewiss, die Arbeiter müssen selbst bei der großen industriellen Erfindung des Zeitalters, der Verfälschung, mitwirken und mit deren Hilfe für ihren eigenen Gebrauch Schund und Nachäffungen des Luxus der Reichen herstellen; denn die Lohnarbeiter müssen stets leben, wie die Lohnzahler ihnen vorschreiben, und, selbst ihre Lebensgewohnheiten werden ihnen von ihren Herren aufgezwungen.

Aber es ist Zeitverschwendung, die gebührende Verachtung vor den Hervorbringungen der vielgepriesenen Billigkeit unserer Epoche in Worte kleiden zu wollen. Es muss genügen zu sagen, dass diese Billigkeit für das System der Ausbeutung, das der modernen Industrie zugrunde liegt, unentbehrlich ist. Mit anderen Worten, unsere Gesellschaft umschließt eine große Anzahl von Sklaven, die wie Sklaven ernährt, bekleidet, untergebracht und erlustigt werden müssen und die ihre täglichen Bedürfnisse zur Herstellung von Sklavenwaren zwingt, deren Gebrauch die Fortdauer ihrer Sklaverei bedeutet.

Fassen wir daher unsere Bemerkungen über die Arbeitsweise in zivilisierten Staaten zusammen, so müssen wir sagen, dass diese Staaten aus drei Klassen bestehen – einer Klasse, die nicht einmal behauptet zu arbeiten, einer Klasse, die behauptet, zu arbeiten, die aber nichts produziert, und einer Klasse, die arbeitet, von den anderen beiden Klassen jedoch oft gezwungen wird, unproduktive Arbeit zu verrichten.

Die Zivilisation vergeudet somit ihre eigenen Hilfsmittel und wird dies so lange tun, wie das gegenwärtige System besteht. Es sind kühne Worte, mit denen ich die Tyrannei, unter der wir leiden, geschildert habe; suchen Sie ihnen die richtige Deutung zu geben.

Es gibt ein bestimmtes Maß von natürlichen Rohstoffen und von Naturkräften in der Welt, ebenso ein bestimmtes Maß von Arbeitskraft in den Persönlichkeiten der sie bewohnenden Menschen. Die Menschen haben, getrieben durch ihre Bedürfnisse und Begierden, viele Jahrtausende an der Aufgabe gearbeitet, sich die Naturkräfte zu unterwerfen und sich den natürlichen Rohstoff nutzbar zu machen. Da wir nicht in die Zukunft sehen können, scheint dieser Kampf mit der Natur fast vorüber und der Sieg der Menschheit über sie nahezu vollständig zu sein. Und bei einem Rückblick auf die Zeit zu Beginn der Geschichte bemerken wir, dass dieser Erfolg der Menschheit sich in den letzten beiden Jahrhunderten viel rascher und staunenswerter entwickelt hat als je zuvor. Wir Neueren müssten daher unzweifelhaft in jeder Beziehung ungleich besser daran sein als unsere Vorfahren. Unzweifelhaft müssten wir, der Einzelne wie die Gesamtheit, wohlhabend und reich mit den Gütern versehen sein, die unser Sieg über die Natur uns gewonnen hat.

Wie steht es aber in Wirklichkeit? Wer wird zu leugnen wagen, dass die Mehrzahl der zivilisierten Menschen arm ist? So arm sind sie, dass es rein kindisch ist, uns mit der Erörterung der Frage zu befassen, ob vielleicht in gewisser Beziehung ihre Lage ein klein wenig besser ist als die ihrer Vorfahren. Sie sind arm; auch kann ihre Armut nicht an der Armut eines hilflosen Wilden gemessen werden, denn er kennt nichts anderes als seine Armut; dass er friert, hungert, ohne Obdach, schmutzig, unwissend ist, all dies ist ihm so natürlich wie der Besitz seiner Haut. Aber in uns, in den meisten von uns hat die Kultur Wünsche großgezogen, deren Erfüllung sie uns verweigert, und so ist sie nicht nur ein Geizhals, sondern auch ein Folterknecht.

Auf diese Weise sind uns also die Früchte unseres Sieges über die Natur gestohlen worden, auf diese Weise ist der von der Natur ausgeübte Zwang zur Arbeit in Hoffnung auf Ruhe, Gewinn und Genuss von dem Menschen in einen Zwang zur Arbeit in Hoffnung – auf ein Leben zum Zweck der Arbeit verwandelt worden.

Was sollen wir nun tun, können wir eine Besserung herbeiführen?

Nun, erinnern mir uns noch einmal daran, dass es nicht unsere entfernten Vorfahren sind, die den Sieg über die Natur vollendeten, sondern unsere Väter oder vielmehr wir selber. Für uns wäre es daher eine schwer begreifliche Torheit, ruhig dazusitzen und die Hände in den Schoß zu legen. Seien Sie überzeugt, wir können es bessern. Was müssen mir dann also zuerst tun?

Wir haben gesehen, dass die moderne Gesellschaft in zwei Klassen zerfällt, von denen die eine das Vorrecht genießt, von der Arbeit der anderen unterhalten zu werden – d. h. sie zwingt die andere, für sie zu arbeiten und nimmt dieser untergeordneten Klasse alles, was sie ihr nehmen kann, und verwendet den so gewonnenen Reichtum dazu, ihren eigenen Mitgliedern eine überlegene Stellung zu sichern, sie zu Wesen einer höheren Ordnung als die anderen zu machen, langlebiger, schöner, angesehener, gebildeter als die der anderen Klasse. Ich sage damit nicht, dass sie dafür sorgt, dass ihre Mitglieder absolut langlebig, schön oder gebildet sind, sondern nur darauf besteht, dass sie dies im Vergleich zu der niederen Klasse sind. Da sie ferner die Arbeitskraft der unteren Klasse nicht zweckmäßig zur Erzeugung wahren Wohlstandes zu verwenden vermag, so vergeudet sie diese vollständig mit der Herstellung wertlosen Zeuges.

Es ist die Räuberei und Vergeudung von Seiten der Minderheit, welche die Mehrheit in ihrer Armut erhält; könnte man nachweisen, dass es für den Bestand der Gesellschaft unerlässlich ist, sich dahinein zu fügen, so könnte man wenig dazu sagen, außer dass die Verzweiflung der unterdrückten Mehrheit wahrscheinlich zu der einen oder anderen Zeit die Gesellschaft zertrümmern würde. Aber es ist im Gegenteil selbst durch so unvollkommene Versuche wie die (sogenannte) genossenschaftliche Arbeit nachgewiesen worden, dass die Existenz einer privilegierten Klasse durchaus nicht notwendig für die Gütererzeugung ist, sondern vielmehr nur für die „Regierung“ derer, die die Güter erzeugen, oder mit anderen Worten für die Aufrechterhaltung des Privilegs.

Die erste zu ergreifende Maßnahme ist daher die Abschaffung einer Klasse von Menschen, die das Vorrecht besitzen, ihre Menschenpflichten zu umgehen und andere zur Verrichtung der Arbeit, die sie selbst nicht leisten wollen, zu zwingen. Alle müssen nach Maßgabe ihrer Fähigkeit arbeiten und so das erzeugen, was sie verbrauchen – d. h. jedermann soll, so gut er kann, für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten, und sein Lebensunterhalt soll ihm zugesichert sein, d. h. alle Vorteile, welche die Gesellschaft jedem Einzelnen und der Gesamtheit ihrer Mitglieder zu bieten hat.

Auf diese Weise würde schließlich die wahre Gesellschaft begründet werden. Sie würde auf der Gleichheit der Lebenslage beruhen. Niemand würde zum Besten eines anderen gequält werden – ja nicht einmal zum Besten der Gesellschaft. Auch kann in der Tat keine Ordnung Gesellschaft heißen, die nicht den Vorteil jedes einzelnen ihrer Mitglieder im Auge hat.

Da die Menschen aber doch jetzt, wenn auch ärmlich, leben, wo so viele Leute überhaupt nicht produzieren und wo so viele Arbeit vergeudet wird, so ist es klar, dass unter Verhältnissen, wo alle produzieren und keine Arbeit vergeudet wird, nicht nur jedermann mit der sicheren Hoffnung arbeiten würde, durch seine Arbeit den auf ihn entfallenden Teil des allgemeinen Wohlstandes zu erwerben, sondern auch seine angemessene Ruhe genießen könnte. Es sind also zwei von den drei oben als wesentliche Bedingungen für eine wertvolle Arbeit erwähnten Hoffnungen dem Arbeiter zugesichert. Wenn die Klassenräuberei abgeschafft ist, dann wird jedermann die Früchte seiner Arbeit ernten, jedermann wird seine gehörige Ruhe, d. h. Muße haben. Einige Sozialisten könnten sagen, wir brauchten nicht weiterzugehen als bis hierher; es ist genügend, dass der Arbeiter den vollen Arbeitsertrag erhalte und ausgiebige Ruhe habe. Aber trotzdem der Zwang von selten menschlicher Tyrannei auf diese Weise beseitigt wäre, so fordere ich doch einen Ersatz für den Zwang von Seiten der Natur. Solange die Arbeit widerwärtig ist, wird sie eine Last sein, die täglich aufgenommen werden muss, und ebenso unser Leben verbittern, selbst wenn die Arbeitszeit kurz wäre. Was wir tun müssen, ist, unsern Wohlstand zu vergrößern, ohne unseren Genuss zu vermindern. Die Natur wird nicht endgültig bezwungen sein, ehe unsere Arbeit einen Teil unseres Lebensgenusses bildet.

Dieser erste Schritt, die Befreiung des Volkes von dem Zwange zu unnötiger Arbeit, wird uns wenigstens auf den Weg zu einem glücklichen Ende bringen; denn wir werden dann Zeit und Gelegenheit haben, dies zu verwirklichen. Wie die Dinge jetzt in der Mitte zwischen der Vergeudung der Arbeitskraft in reinem Müßiggange und ihrer Vergeudung in unproduktiver Arbeit liegen, ist es klar, dass die Kulturwelt durch einen kleinen Teil ihrer Bewohner unterhalten wird; würden alle in nützlicher Weise für ihren Unterhalt arbeiten, so wäre der auf jeden entfallende Arbeitsanteil nur klein, wenn unsere Lebensunterhaltung ungefähr den Zuschnitt hätte, den jetzt unsere Wohlhabenden und Gebildeten für wünschenswert halten. Wir werden Arbeitskraft sparen und dabei binnen kurzem so reich sein, wie es uns beliebt. Es wird leicht zu leben sein. Wenn wir jetzt unter unserem gegenwärtigen System eines Morgens erwachten und es leicht fänden, zu leben, so würde dieses System uns zwingen, sofort unsere Arbeit aufzunehmen, und es uns schwer machen, zu leben; wir sollen dies „Entwicklung unserer Fähigkeiten“ oder mit einem anderen schönen Ausdruck benennen. Die Vermehrung der Arbeit ist eine Notwendigkeit für uns geworden, und solange dies andauert, wird kein Scharfsinn in Erfindung von Maschinen uns von wirklichem Nutzen sein. Jede neue Maschine wird ein bestimmtes Maß von Elend unter den Arbeitern erzeugen, in deren besonderen Erwerbszweig sie störend eingreift; viele von ihnen werden von geschulten zu ungeschulten Arbeitern herabsinken, dann wird alles ins alte Geleise zurückkehren und anscheinend wieder glatt gehen; und wenn dies alles nicht die Revolution vorbereitete, so würden die Verhältnisse für die Mehrzahl der Menschen genau so liegen wie vor der neuen wunderbaren Erfindung.

Wenn aber die Revolution es „leicht gemacht hat, zu leben“, wenn alle in gegenseitiger Eintracht arbeiten und es niemand gibt, der den Arbeiter seiner Zeit, d. h. seines Lebens beraubt: in diesen kommenden Tagen wird kein Zwang auf uns ausgeübt werden, Dinge zu verfertigen, die wir nicht gebrauchen, kein Zwang, uns für ein Nichts anzustrengen; wir werden in aller Ruhe darüber nachdenken können, wozu wir unseren Reichtum an Arbeitskraft verwenden sollen. Nun, ich für mein Teil glaube, das erste, was wir mit diesem Reichtum, dieser Freiheit, tun müssten, wäre, dass wir all unsere Arbeit, selbst die gewöhnlichste und notwendigste, für jedermann genussreich gestalteten. Denn wenn ich genau über diesen Punkt nachdenke, finde ich, dass das einzige Mittel, das Leben trotz aller Zufälle und aller Unruhe unter allen Umständen glücklich zu machen, darin besteht, an allen Einzelheiten des Lebens freudiges Interesse zu nehmen. Und damit Sie dies nicht vielleicht für eine Behauptung halten, die zu allgemein gefasst sei, als dass sie überhaupt Erwähnung verdiene, so möchte ich Sie daran erinnern, wie gänzlich die moderne Zivilisation dieser Forderung widerspricht, in welch schmutzige und selbst schreckliche Umgebung sie das Leben des Armen stellt, welch ein mechanisches und ödes Leben sie dem Reichen auszwingt und wie selten für uns ein Feiertag ist, an dem wir uns mit der Natur eins fühlen und voller Seelenruhe, gedankenvoll und glücklich auf den Lauf unseres Lebens inmitten all der kleinen Beziehungen blicken können, die es mit dem unserer Mitmenschen verknüpfen und den großen Bau der Menschheit vollenden.

Ein solcher Feiertag könnte jedoch unser ganzes Leben sein, wenn wir entschlossen wären, all unsere Arbeit vernunftgemäß und genussreich einzurichten.

Aber wir müssen in der Tat dazu entschlossen sein; denn halbe Maßregeln führen hier nicht zum Ziele. Ich habe schon gesagt, dass uns unsere gegenwärtige, freudlose Arbeit und unser gedrücktes und verängstigtes Leben, das dem eines gejagten Wildes gleicht, uns durch das gegenwärtige System der Produktion zum Besten der privilegierten Klassen aufgenötigt worden sind. Es ist notwendig, sich klarzumachen, was dies bedeutet. Unter dem gegenwärtigen Lohn- und Kapital-System besitzt der „Manufakturist“ (der höchst widersinnig so genannt wird, da man darunter jemand versteht, der mit seinen Händen arbeitet) die Alleinverfügung über die Mittel, durch welche die jedermann innewohnende Arbeitskraft nutzbar gemacht werden kann, und ist der Herr derer, die kein solches Privilegium haben; er, und er allein, ist imstande, von dieser Arbeitskraft Gebrauch zu machen, die anderseits das einzige Mittel ist, durch welche sein „Kapital“, d. h. der angesammelte Ertrag früherer Arbeit, für ihn produktiv gemacht werden kann. Er kauft somit die Arbeitskraft derer, die kapitallos sind und nur leben können, wenn sie ihm diese verkaufen; seine Absicht bei diesem Unternehmen ist die, sein Kapital zu vermehren, Gewinn daraus zu ziehen. Es ist klar, dass, wenn er jenen, mit denen er seinen Vertrag schließt, den vollen Wert ihrer Arbeit bezahlte, d. h. alles, was sie produzierten, er seinen Zweck verfehlen würde. Aber da er der Alleinbesitzer der Mittel zu produktiver Arbeit ist, kann er sie zwingen, einen Vertrag zu schließen, der besser für ihn und schlechter für sie als jener ist; dieser Vertrag besteht darin, dass, nachdem sie ihren Lebensunterhalt verdient haben, dessen Höhe derartig ist, dass er ihre friedliche Unterwerfung unter seine Herrschaft gewährleistet, das übrige (und in der Tat der bei weitem größere Teil) von dem, was sie produzieren, ihm gehören, sein Eigentum sein soll, mit dem er machen kann, was er will, es nach seinem Belieben gebrauchen oder missbrauchen kann. Dieses Eigentum wird, wie wir alle wissen, eifersüchtig von Heer und Flotte, Polizei und Gefängnissen behütet – kurz von jenem gewaltigen Aufgebot physischer Kraft, das Aberglaube, Gewohnheit, Furcht vor dem Hungertode, mit einem Worte Unwissenheit unter den besitzlosen Massen den besitzenden Klassen gestattet, zur Unterwerfung ihrer – Sklaven zu verwenden.

Bei einer späteren Gelegenheit will ich Ihnen andere Übel, die aus diesem System entspringen, darlegen. Was ich Ihnen jetzt klarzumachen wünsche, ist die Unmöglichkeit, dass wir unter diesem System zu anziehender Arbeit gelangen, und zu wiederholen, dass es diese Räuberei (es gibt keinen anderen Ausdruck dafür) ist, welche die nutzbringende Arbeitskraft der zivilisierten Welt vergeudet, indem sie viele Menschen zwingt, nichts zu tun, viele, sehr viele, nichts Nützliches zu tun, und diejenigen, welche wirklich nutzbringende Arbeit verrichten, zu der beschwerlichsten Überanstrengung nötigt. Denn Sie müssen ein für alle Mal wissen, dass der „Fabrikant“ in erster Linie das Bestreben hat, mit Hilfe der Arbeit, die er anderen gestohlen hat, nicht Güter, sondern Gewinn zu erzielen, d. h. die über den Lebensunterhalt seiner Arbeiter und die Abnutzung seiner Maschinen hinaus erzeugten „Güter“. Ob diese „Güter“ wirkliche oder scheinbare sind, kümmert ihn nichts. Werden sie verkauft und werfen sie ihm einen Gewinn ab, so ist alles gut. Ich habe gesagt, dass infolge der Existenz reicher Leute, die mehr Geld haben, als sie vernünftigerweise ausgeben können, und deswegen scheinbare Güter kaufen, in dieser Hinsicht Vergeudung vorliegt, und ebenso, dass infolge der Existenz armer Leute, die es sich nicht leisten können, Dinge zu kaufen, welche die Herstellung lohnen, gleichfalls von Vergeudung gesprochen werden kann. Daher ist die „Nachfrage“, die der Kapitalist „befriedigt“, eine falsche Nachfrage. Der Markt, auf dem er verkauft, ist mit den beklagenswerten Ungleichheiten angefüllt, die durch die Räuberei des Lohn- und Kapitalsystems hervorgerufen werden.

Es ist daher dieses System, zu dessen Beseitigung wir uns entschließen müssen, wenn wir für alle glückliche und nutzbringende Arbeit erreichen wollen. Der erste Schritt, die Arbeit angenehm zu machen, besteht darin, die Mittel zur Nutzbarmachung der Arbeit, das Kapital, mit Einschluss des Landes, der Maschinen, Fabriken usw. in die Hände der Gesamtheit zu legen, damit sie gleichmäßig zum Besten aller benutzt werden, so dass wir alle daran arbeiten können, die wirkliche „Nachfrage“ jedes Einzelnen und aller zusammen zu „befriedigen“ – d. h. Arbeit für den Lebensunterhalt, anstatt Arbeit zur Befriedigung des Bedarfs des Gewinnmarktes – anstatt Arbeit für den Gewinn, d. h. die Macht, andere Menschen gegen ihren Willen zur Arbeit zu zwingen.

Wenn dieser erste Schritt getan ist, und die Menschen einzusehen beginnen, dass nach dem Willen der Natur alle Menschen entweder arbeiten oder verhungern sollen, sie auch nicht länger solche Narren sind, andern die Möglichkeit des Stehlens zu lassen – wenn dieser glückliche Tag gekommen ist, dann werden wir von der Abgabe der Vergeudung befreit sein und infolgedessen finden, dass wir, wie erwähnt, eine Menge von nutzbringender Arbeitskraft besitzen, die uns in den Stand setzen wird, innerhalb vernünftiger Grenzen nach unserem Gutdünken zu leben. Wir werden nicht länger von der Furcht vor dem Hungertode rastlos angepeitscht werden, die gegenwärtig nicht minder auf der Mehrzahl der Menschen in den Kulturstaaten lastet, als dies bei den reinen Wilden der Fall ist. Für die ersten und offenkundigsten Bedürfnisse wird in einem Gemeinwesen, in dem keine Arbeitsvergeudung stattfindet, so leicht gesorgt werden, dass wir dann Zeit haben, uns umzublicken und uns zu überlegen, was wir in Wirklichkeit nötig haben, und was wir ohne Überanstrengung unserer Kräfte erreichen können, denn die oft erwähnte Furcht, dass wir in völlige Trägheit versinken würden, wenn der durch die gegenwärtige Hierarchie geübte Zwang fortfiele, ist nur durch die Last übermäßiger und widerwärtiger Arbeit, die die meisten von uns jetzt zu leisten haben, verursacht.

Ich sage noch einmal, dass nach meinem Dafürhalten der erste Punkt, den wir für so notwendig halten sollten, um ihm einige freie Zeit zu opfern, die Annehmlichkeit der Arbeit sein müsste. Es würde kein allzuschweres Opfer für die Erreichung dieses Ziels erfordert werden, aber ein Opfer wird doch nicht umgangen werden können. Denn wir können hoffen, dass die Menschen, die soeben eine Zeit des Kampfes und der Revolution durchgemacht haben, die letzten sein werden, sich mit einem Leben des reinen Utilitarismus zu begnügen, obgleich die Sozialisten manchmal von unwissenden Leuten angeklagt werden, ein solches Dasein zu erstreben. Anderseits ist die Schönheit unserer Zeit bereits bis ins Innerste verfault und muss gänzlich hinweggefegt werden, ehe sich die neue Ordnung der Dinge verwirklichen kann. Es liegt nichts in ihr – nichts kann sich aus ihr entwickeln, was imstande sein würde, die Ansprüche der Menschen zu befriedigen, die sich von der Tyrannei des Kommerzialismus freigemacht haben.

Wir müssen damit beginnen, die Schönheit des Lebens – seine Genüsse, sinnliche und geistige, wissenschaftliche und künstlerische, allgemeine und individuelle – auf der Grundlage freiwilliger Arbeit, die wir freudig und in dem Bewusstsein, uns selbst und unseren Nachbarn damit zu nützen, übernommen haben, von Neuem zu schaffen. Solche unbedingt notwendige Arbeit, wie wir sie zu verrichten hätten, würde in erster Linie nur einen kleinen Teil jedes Tages in Anspruch nehmen und insofern nicht beschwerlich fallen; sie würde aber täglich wiederkehren und uns dadurch die Freude des Tages verderben, wenn sie nicht wenigstens während ihrer Dauer erträglich gemacht würde. Mit anderen Worten, jede Arbeit, auch die gewöhnlichste, muss anziehend gemacht werden.

Wie kann dies geschehen? – Das ist die Frage, deren Beantwortung der übrige Teil dieses Aussatzes gewidmet sein soll. Wenn ich einige Andeutungen über diesen Punkt gebe, weiß ich, dass zwar alle Sozialisten vielen der gemachten Vorschläge zustimmen werden, einige derselben ihnen aber seltsam und abenteuerlich vorkommen. Man darf mir dabei nicht die Absicht unterschieben, untrügliche Lehrsätze zu verkünden, sie sind im Gegenteil nur der Ausdruck meiner persönlichen Überzeugung.

Aus allem vorher Erwähnten folgt, dass die Arbeit, um anziehend zu sein, einen anerkannt nützlichen Zweck haben muss, ausgenommen in den Fällen, wo sie von jemand freiwillig als Zeitvertreib gewählt wird. Auf dieses Moment der anerkannten Nützlichkeit muss man umsomehr bei der Erleichterung sonst unangenehmer Arbeiten zählen, als die soziale Sittlichkeit, die Verantwortlichkeit gegenüber dem menschlichen Leben, an die Stelle der theologischen Sittlichkeit oder der Verantwortlichkeit gegenüber einem abstrakten Begriffe tritt. Sodann wird die tägliche Arbeit kurz sein. Dies braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Es ist klar, dass, wenn keine Arbeit vergeudet wird, sie kurz sein kann. Es ist ebenfalls klar, dass viele Arbeiten, die jetzt eine Qual sind, leicht erträglich gemacht werden können, wenn sie erheblich abgekürzt werden.

Abwechselung in der Arbeit ist der nächste Punkt und ein sehr wichtiger. Einen Menschen von Tag zu Tag zwingen, dieselbe Arbeit zu verrichten ohne jegliche Hoffnung auf Erlösung oder Veränderung, bedeutet nichts geringeres als sein Leben zu einer Kerkerqual zu machen. Nichts als die Tyrannei der Jagd nach Gewinn macht dies nötig. Ein Mensch kann mit leichter Mühe mindestens drei Handwerke lernen und ausüben, wobei sitzende Beschäftigung mit Tätigkeit im Freien abwechseln kann, eine Tätigkeit, welche starke körperliche Anstrengung verlangt, mit Arbeit, bei der der Geist mehr zu tun hat. Es gibt z. B. wenige Menschen, die nicht Lust hätten, einen Teil ihrer Lebenszeit auf die notwendigste und angenehmste aller Arbeiten, Bebauung des Landes, zu verwenden. Ein Punkt, der diese Mannigfaltigkeit der Beschäftigung ermöglichen wird, ist die Form, welche die Erziehung in einem sozial geordneten Gemeinwesen annehmen wird. Gegenwärtig ist alle Erziehung darauf gerichtet, die Menschen fähig zu machen, ihren Platz in der Hierarchie des Handelssystems einzunehmen – die einen als Herren, die anderen als Arbeiter. Die Erziehung der Herren ist sorgfältiger als die der Arbeiter, aber immer noch vom Handelsgeiste beherrscht, und selbst auf den klassischen Universitäten wird das Studium an sich gering geschätzt, wenn es sich im Laufe der Zeit nicht bezahlt macht. Wahre Erziehung ist gänzlich hiervon verschieden und beschränkt sich darauf, ausfindig zu machen, wozu sich die verschiedenen Menschen eignen, und ihnen auf den Weg zu helfen, den sie geneigt sind einzuschlagen. In einer gehörig geordneten Gesellschaft werden daher junge Leute in solchen praktischen Tätigkeiten, zu denen sie Lust haben, als einem Teile ihrer Erziehung, der Übung ihrer körperlichen und geistigen Kräfte, unterwiesen, und ebenso werden die Erwachsenen Gelegenheit haben, in denselben Schulen etwas zu lernen, denn die Entwicklung ihrer besonderen Fähigkeiten würde die Hauptsache bei der Erziehung sein, anstatt wie jetzt die Unterordnung aller Fähigkeiten unter den großen Endzweck des „Geldverdienens“ für sich selbst – oder seinen Herrn. Die Summe von Talent und selbst Genie, die das jetzige System unterdrückt und die durch ein solches System hervorgezogen würde, würde unser Tagewerk leicht und interessant machen.

Unter diesem Gesichtspunkte der Mannigfaltigkeit will ich auch ein Industrieerzeugnis besprechen, das soviel von dem Handelsgeiste zu leiden gehabt hat, dass man kaum noch seine Existenz bemerkt und dass es in der Tat unserer Zeit so fremd geworden ist, dass ich fürchte, es gibt Leute, die meine Äußerungen über den Gegenstand schwer verständlich finden werden. Trotzdem muss ich über ihn sprechen, da er in Wahrheit einer der wichtigsten ist. Ich meine jene Kunstgattung, die von dem gewöhnlichen Handwerker ausgeübt wird oder ausgeübt werden sollte, während er seine tägliche Arbeit verrichtet, und die sehr treffend den Namen „volkstümliche Kunst“ erhalten hat. Diese Kunst, ich wiederhole es, existiert jetzt nicht mehr, sie ist vom Handelsgeiste unterdrückt worden. Aber vom Beginn des Kampfes des Menschen mit der Natur bis zum Aufkommen des gegenwärtigen kapitalistischen Systems war sie lebendig und blühte allgemein. Während sie bestand, wurde jeder von dem Menschen hergestellte Gegenstand auch von dem Menschen verziert, genau wie alles von der Natur hervorgebrachte von ihr geschmückt wird. Während der Handwerker den Gegenstand, an dem er arbeitete, verfertigte, verzierte er ihn so natürlicherweise und so gänzlich ohne jede bewusste Absicht, dass es oft schwer zu entscheiden ist, wo der rein utilitaristische Teil der Arbeit aufhörte und der ornamentale begann. Nun lag der Ursprung dieser Kunst in dem Bedürfnis nach Mannigfaltigkeit, das der Arbeiter bei seiner Arbeit empfand, und obgleich die diesem Verlangen entsprungene Schönheit ein großes Geschenk für die Welt war, so war doch die Erzielung von Abwechselung und Freude an der Arbeit durch den Handwerker von noch größerer Bedeutung, denn sie drückte aller Arbeit den Stempel des Genusses aus. All dies ist nun völlig aus der Arbeit des Kulturkreises verschwunden. Wenn Sie Verzierungen haben wollen, so müssen Sie besonders dafür bezahlen, und der Arbeiter ist gezwungen, Verzierungen anzufertigen, wie er andere Waren anfertigt. Er ist gezwungen, Freude an seinem Werke zu heucheln, so dass die von Menschenhand geschaffene Schönheit, die einst ein Labsal bei der Arbeit war, jetzt eine neue Last für ihn geworden ist und das Ornament heute nur eine jener Torheiten voll unnützer Mühe und vielleicht nicht die am wenigsten drückende seiner Fesseln ist.

Neben der kurzen Dauer der Arbeit, dem Bewusstsein ihrer Nützlichkeit und der sie begleitenden Abwechselung gibt es noch etwas anderes, was sie anziehend macht; dies sind schöne Umgebungen. Das Elend und der Schmutz, die wir Kulturmenschen uns mit soviel Ergebung als einen notwendigen Bestandteil des Industriesystems gefallen lassen, ist für die Gesamtheit gerade so notwendig wie ein entsprechender Haufen Unrat in dem Hause eines reichen Privatmannes. Wenn ein solcher Mann zugäbe, dass die Kohlenasche über seinen ganzen Salon hin verstreut und ein Klosett in jedem seiner Speisezimmer eingerichtet würde, wenn er aus seinem schönen Garten einen Kehricht- und Schmutzhaufen machte, nie seine Bettwäsche reinigen ließ oder seine Tischkleidung wechselte und seine Familie zu fünfen in einem Bette schlafen ließe, so würde er sich zweifellos bald in den Klauen einer Kommission befinden, die ihn auf seinen Geisteszustand hin untersuchte. Aber solche Handlungen von elender Torheit sind genau das, was unsere gegenwärtige Gesellschaft täglich unter dem Zwange einer vermeintlichen Notwendigkeit tut, die nichts anderes ist als Wahnwitz. Ich bitte Sie, ohne weiteren Verzug Ihre Kommission zu unserer Kultur behufs Untersuchung ihres Geisteszustandes zu schicken.

Denn alle unsere dichtbevölkerten Städte und wimmelnden Fabriken sind einzig die Folge unseres auf Gewinn gegründeten Systems. Kapitalistische Industrie, kapitalistischer Grundbesitz und kapitalistischer Handel zwängen die Menschen in großen Städten zusammen, um sie im Interesse des Kapitals auszubeuten; dieselbe Tyrannei engt den gebührenden Raum der Fabrik so ein, dass z. B. das Innere einer großen Weberei beinahe einen ebenso lächerlichen als furchtbaren Einblick gewährt. Es gibt all dies keine andere Notwendigkeit als die Notwendigkeit, aus dem Leben der Menschen Gewinn zu schlagen und billige Waren zum Gebrauche (und zur Unterwerfung) der Sklaven, die ihn erwerben, herzustellen. Noch ist nicht alle Arbeit in die Fabriken getrieben; wo dies der Fall ist, liegt oft kein anderer Zwang vor als wiederum die Tyrannei des Gewinnes.

Die Menschen, die mit derartiger Arbeit beschäftigt sind, brauchen durchaus nicht gezwungen zu werden, sich in engen Stadtteilen zusammenzudrängen. Es liegt kein Grund vor, warum sie ihren Beschäftigungen nicht auch in stillen Häusern auf dem Lande, in industriellen Vereinigungen, in kleinen Städten oder, kurz, dort nachgehen sollten, wo sie es am angenehmsten finden, zu wohnen.

Was den Teil der Arbeit betrifft, der im großen Maßstabe gemeinschaftlich betrieben werden muss, so würde eben dieses Fabriksystem bei einer vernünftigen Ordnung der Dinge (obgleich meines Erachtens noch Rückschläge hierbei vorkommen dürften) mindestens Gelegenheit zu einem vollen und regen genossenschaftlichen Leben, dem viele Genüsse zu Gebote ständen, gewähren. Auch könnten die Fabriken die Mittelpunkte des geistigen Lebens sein und die Arbeit in ihnen sehr abwechselungsreich gestaltet werden; die Bedienung der erforderlichen Maschinen würde jeden Einzelnen nur für einen kleinen Bruchteil seiner täglichen Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Die andere Arbeit könnte mit dem Bestellen der umliegenden Felder bis zur Pflege von Kunst und Wissenschaft abwechseln. Selbstverständlich würden die mit derartiger Arbeit beschäftigten Menschen, die jetzt ihr Leben nach eigenem Ermessen einrichten, sich nicht eine Übereilung oder einen Mangel an Voraussicht zuschulden kommen lassen, wodurch sie für die Dauer zu Schmutz, Unordnung und Raumbeschränkung verurteilt würden. Die Zuhilfenahme der Wissenschaft würde sie in den Stand setzen, stets tadellose Arbeit zu liefern und all die Unannehmlichkeiten, die heute mit der Verwendung gut konstruierter Maschinen verbunden sind, wie Rauch, üblen Geruch und Lärm möglichst zu vermindern, wenn nicht völlig zu beseitigen; auch würden sie nicht zugeben, dass die Gebäude, in denen sie arbeiteten oder wohnten, hässliche Schandflecke auf dem schönen Antlitze der Erde wären. Bei der Anlage der Fabriken, der Nebengebäude und Schuppen, die zweckentsprechend eingerichtet wären wie ihre Wohnhäuser, würden sie es sich unfehlbar angelegen sein lassen, sie nicht nur negativ gut zu machen, nicht nur nicht abstoßend, sondern sogar schön zu gestalten, sodass die herrliche Kunst der Architektur, die jetzt eine Zeitlang durch die Handelsgier unterdrückt worden ist, von Neuem erstehen und blühen würde.

In dieser Weise, sehen Sie, verlange ich, dass in einem wohlgeordneten Gemeinwesen die Arbeit durch Einsicht in ihre Nützlichkeit, durch ihre Ausführung unter Bekundung geistiger Anteilnahme, durch Abwechselung und durch ihre Verrichtung inmitten anmutiger Umgebungen anziehend gemacht werde. Aber ich habe auch verlangt, wie wir alle tun, dass das Tagewerk nicht bis zur Ermüdung lang sei. Man kann sagen: „Wie können Sie diese letzte Forderung mit den übrigen in Einklang bringen? Wenn die Arbeit so verfeinert wird, werden die erzeugten Güter dann nicht sehr kostspielig werden?“

Ich gebe zu, wie ich schon erwähnt habe, dass irgend ein Opfer gebracht werden muss, um die Arbeit anziehend zu machen. Ich glaube, dass, wenn wir uns in einem freien Gemeinwesen damit begnügen könnten, in derselben ruhelosen, schmutzigen, unordentlichen, herzlosen Weise zu arbeiten, wie wir es jetzt tun, wir unser Tagewerk im Hinblick auf jeden Arbeitszweig noch viel mehr abkürzen könnten, als wir es nach meinem Dafürhalten tun werden. Wollten wir aber so verfahren, so würde dies bedeuten, dass unsere neuerworbene Freiheit uns elend und unglücklich, wenn nicht gedrückt lassen würde, wie wir es jetzt sind, was, wie ich glaube, einfach unmöglich ist. Wir sollten uns damit begnügen, die Opfer zur Erhebung unserer Lage bis zu der von dem ganzen Gemeinwesen als wünschenswert bezeichneten Höhe notwendig zu machen. Und nicht nur zu diesem Zwecke. Jeder Einzelne von uns sollte sich beeifern, ganz freiwillig noch mehr Zeit und Bequemlichkeit der Erhöhung der Lebenshaltung zu opfern. Es würde Leute geben, die entweder für sich allein oder im Verein mit anderen freiwillig und aus Liebe zur Arbeit und ihren Ergebnissen – angespornt durch die Hoffnung auf den Schaffensgenuss – jenen Schmuck des Lebens zum Besten aller herstellen, den sie jetzt gegen Bezahlung zum Besten einiger weniger reicher Leute herstellen (oder herzustellen behaupten). Der Versuch, ein zivilisiertes Gemeinwesen zu schaffen, das ganz ohne Kunst und Literatur bestehen könnte, ist noch nicht gemacht worden. Der niedrige Stand und die Verderbnis der Zivilisation der Vergangenheit können diesen Verzicht auf Genuss einer Gesellschaft aufdrängen, die sich soeben aus deren Asche erheben will. Ist dies unumgänglich, so wollen wir den Utilitarismus kurze Zeit hinnehmen als eine Vorbereitung der wieder erstehenden Kunst. Wenn die Krüppel und Hungerleider aus unseren Straßen verschwinden, wenn die Erde uns alle in gleicher Weise nährt, wenn die Sonne für uns alle in gleicher Weise scheint, wenn jedem Einzelnen von uns und allen zusammen sich das herrliche Schauspiel der Erde – Tag und Nacht, Sommer und Winter – als eine des Nachdenkens und der Liebe würdige Erscheinung darbietet, so können wir ruhig eine Zeitlang warten, bis wir uns von der Schmach der früheren Verderbnis geläutert haben und bis die Kunst von Neuem unter einem Volke ersteht, das sich von der Furcht des Sklaven und der Schande des Räubers freigemacht hat.

Indessen muss natürlich auf jeden Fall die Verfeinerung, die Überdachtheit und Überlegtheit der Arbeit bezahlt werden, nur nicht mit dem Zwange zu lange anhaltender Arbeit. Unsere Zeit hat Maschinen erfunden, die früheren Generationen als Ausgeburten wilder Träume erschienen wären, und von diesen Maschinen haben wir bisher keinen Gebrauch gemacht.

Sie werden „arbeitsparende Maschinen“ genannt – eine gewöhnlich gebrauchte Bezeichnung, die angibt, was wir von ihnen erwarten; aber unsere Erwartungen gehen nicht in Erfüllung. Was sie in Wirklichkeit tun, ist, dass sie den geschulten Arbeiter in die Reihen der ungeschulten hinabdrücken, die „Reservearmee der Arbeit“ verstärken, d. h. die Unsicherheit des Lebens der Arbeiter steigern und die Arbeit derer, die die Maschinen (als Sklaven ihrer Herren) bedienen, anstrengender machen. All dies bewirken sie nebenbei, während sie die Gewinne der Unternehmer erhöhen oder sie zwingen, diesen Gewinn in erbitterten Handelskämpfen untereinander auszugeben. In einer wahren Gesellschaft würde man diese Wunder des Scharfsinns in der ersten Zeit zur Verkürzung der Zeit, die auf beschwerliche Arbeit verwandt wird, benutzen; diese letztere würde mit ihrer Hilfe so verringert werden, dass sie für jeden Einzelnen nur eine sehr leichte Last wäre. Dies würde um so mehr eintreten, als diese Maschinen zweifellos sehr verbessert würden, wenn es sich nicht länger fragte, ob ihre Verbesserung sich für den Einzelnen „bezahlt machte“, sondern vielmehr, ob sie der Gesamtheit nützte.

So viel über die herkömmliche Benutzung der Maschinen, die wahrscheinlich nach einiger Zeit etwas eingeschränkt werden würde, wenn die Menschen zu der Überzeugung gelangt sind, dass sie keine Sorge für den nackten Lebensunterhalt zu hegen brauchten, und Interesse und Genuss an der Handarbeit zu finden gelernt haben, die, wenn sie mit Überlegung und Nachdenken ausgeführt wird, anziehender gemacht werden kann als Maschinenarbeit.

Da die Menschen ferner, von der beständigen Furcht vor dem Hunger befreit, ihre wahrhaften Bedürfnisse herausfinden und sich nur von diesen leiten lassen, so werden sie unterlassen, reine Nichtigkeiten, die man jetzt Luxusgegenstände nennt, oder das Gift und den Schund, die jetzt billige Waren heißen, herzustellen. Niemand würde Plüschbeinkleider anfertigen, wenn es keine Bedienten gäbe, die sie trügen; auch würde niemand seine Zeit mit der Herstellung von Margarine vergeuden, wenn niemand gezwungen wäre, sich des Gebrauchs echter Butter zu enthalten. Gesetze gegen Verfälschungen sind nur in einer Gesellschaft von Dieben notwendig – und in einer solchen Gesellschaft sind sie ein toter Buchstabe.

Man richtet oft an die Sozialisten die Frage, wie die schwerere und unangenehmere Arbeit in der neuen Ordnung der Dinge ausgeführt werden könne. Wer solche Fragen voll oder endgültig beantworten wollte, würde das Unmögliche unternehmen, zu dem Entwurf zu einer neuen Gesellschaft die Bestandteile der alten zu benutzen, bevor wir wissen, welche von diesen Bestandteilen verschwinden und welche die Entwicklung, die uns zu dem großen Umschwunge geleitet, überdauern würden. Doch ist es nicht schwer, sich eine Anordnung zu denken, wonach diejenigen, die die schwerste Arbeit verrichten, nur ganz kurze Zeit arbeiteten, auch findet hier im Besonderen das oben von der Mannigfaltigkeit der Arbeit Gesagte Anwendung. Nochmals spreche ich es aus, dass eine Einrichtung, bei der jemand sein ganzes Leben hoffnungslos mit der Ausführung ein und derselben widerwärtigen und nie endenden Arbeit beschäftigt ist, wohl für die von den Theologen erdachte Hölle passt, kaum aber für eine andere Gesellschaftsform. Ist diese schwere Arbeit schließlich von ganz besonderer Art, so können wir annehmen, dass Freiwillige zu ihrer Ausführung aufgerufen werden würden, die sich unzweifelhaft bereit finden werden, es müssten denn Männer in dem Zustande der Freiheit die Spuren von Mannhaftigkeit einbüßen, die sie als Sklaven besaßen.

Und wenn es dennoch eine Arbeit gäbe, deren Widerwärtigkeit weder durch ihre kurze Dauer noch durch die dazwischenliegenden Pausen, noch durch die Überzeugung von ihrer ganz besonders hervorragenden Nützlichkeit (und dadurch des Ehrenvollen ihrer Ausführung) auf Seiten dessen, der sie freiwillig übernimmt, gemildert werden könnte – wenn es eine Arbeit gibt, die nichts anderes als eine Qual für den Arbeiter sein kann, was dann? Nun, dann wollen wir zusehen, ob der Himmel einstürzt, wenn wir sie ungetan lassen, denn es wäre so besser. Die Herstellung einer solchen Arbeit ist den Preis nicht wert, den sie kostet.

Wir haben nun gesehen, dass die halbtheologische Lehre, jede Arbeit sei unter allen Umständen ein Segen für den Arbeiter, heuchlerisch und falsch ist, dass jedoch anderseits die Arbeit ein Gut ist, wenn sie von angemessener Hoffnung auf Ruhe und Genuss begleitet wird. Wir haben die Arbeit der Zivilisation auf die Waagschale gelegt und zu leicht befunden, da ihr meistens die Hoffnung mangelt, und deswegen nehmen auch wir wahr, dass die Zivilisation einen furchtbaren Fluch über die Menschheit gebracht hat. Aber wir haben auch gesehen, dass die Arbeit der Welt sich hoffnungsvoll und genussreich ausführen lässt, wenn sie nicht durch Torheit und Tyrannei, durch den unaufhörlichen Kampf zwischen feindlichen Klassen vergeudet wird.

Friede ist es daher, was uns Not tut, damit wir Hoffnungsvoll und genussreich leben und arbeiten können. Friede, der so heiß ersehnt wird, wenn wir den Worten der Menschen Glauben schenken wollen, der aber in der Tat von ihnen so beharrlich und beständig verworfen wird. Wir aber wollen ihn mit unserem Herzblut erkaufen und ihn um jeden Preis gewinnen.

Welches der Preis für ihn sein wird – wer vermag es zu sagen? Wird es möglich sein, ihn auf friedliche Weise zu erringen? Ach, wie könnte dies möglich sein? Wir sind durch Unrecht und Torheit so eingeengt, dass wir in der einen oder anderen Weise unaufhörlich gegen sie ankämpfen müssen: wir selbst werden das Ende nicht erleben, vielleicht nicht einmal eine sichere Hoffnung darauf. Es kann sein, dass das Beste, was wir zu erleben hoffen können, eine täglich zunehmende Verschärfung und Verbitterung des Kampfes ist, bis er zuletzt offen in das Niedermetzeln von Menschen im wirklichen Kriege übergeht, das an die Stelle der langsameren und grausameren Tötungsarten des „friedlichen“ Handels tritt. Wenn wir dies erleben, werden wir viel erleben; denn es wird bedeuten, dass die besitzenden Klassen selbst sich ihres Unrechts und ihrer Räuberei bewusst werden und sie bewusst durch offene Gewalttat verteidigen; und dann wird das Ende beschleunigt werden.

Doch auf jeden Fall, und welcher Art auch immer unser Kampf um den Frieden sein mag – wenn wir nur beharrlich und unerschütterlich nach ihm trachten und ihn stets im Auge behalten, dann wird ein Abglanz von jenem Frieden der Zukunft den Kampf und die Sorge unseres Lebens verklären, mag die Sorge anscheinend unbedeutend oder offenkundig tragisch sein; wir werden dann, wenigstens in unseren Hoffnungen, das Leben von Männern führen, da die Gegenwart uns keinen höheren Lohn bieten kann.

 

Der Anbruch einer neuen Zeit

Vielleicht wird ein Teil meiner Leser der Ansicht sein, dass der obige Titel nicht ganz zutreffe; sie werden sagen, eine neue Zeit breche stets an, stets vollziehe sich ein Umschwung und mache so allmähliche Fortschritte, dass wir nicht wissen, wann wir aus einer alten Zeit heraus sind und uns in einer neuen befinden. Es liegt Wahrheit darin, wenigstens insofern, als kein Zeitalter sich selbst beobachten kann, wir müssen etwas entfernt stehen, ehe sich das verworrene Gemälde mit seiner rissigen Oberfläche in seine gehörige Ordnung auflöst und eine bestimmt durchgeführte Absicht in all seinen Einzelheiten erkennen lässt. Nichtsdestoweniger unterscheiden wir bei einem Rückblick auf die Geschichte im Laufe der Zeit Perioden, die nicht rein willkürlich angenommen sind, wir bemerken das erste Wachstum der Ideen, welche die neue Ordnung der Dinge bestimmen sollen, wir beobachten ihre Entwicklung in der Übergangsperiode, und schließlich enthüllt sich uns die neue Epoche, die in ihrer vollen Entwicklung die bis dahin unbemerkt gebliebenen Keime einer noch neueren Ordnung trägt, die sie ihrerseits wieder zu etwas anderem umgestalten wird.

Außerdem gibt es Perioden, in denen sogar die in ihnen Lebenden sich mehr oder weniger des sich vollziehenden Umschwunges bewusst werden; die alten Ideen, die einst das menschliche Denken so mächtig erregten, hören jetzt auf zu wirken, mögen sie auch als langweilige und selbstverständliche Plattheiten noch mit in Kauf genommen werden; die materiellen Verhältnisse des menschlichen Lebens, um die man früher nur im Einzelnen und nur entsprechend einer Art von Gesetz, das sich in ihrem Wirken zeigte, kämpfte, erwecken in solchen Zeiten das Bewusstsein von ihrer Veränderlichkeit und werden nur unter Vorbehalt hingenommen, bis sich ein Ausweg findet, sie umzugestalten. Die alte, absterbende Ordnung, einst schweigend und allmächtig, sucht nach heftigen ausdrücken und wird zugleich lärmend und schwach. Die entstehende Ordnung, einst zu schwach, um sich der Notwendigkeit der Aussprache ihrer Grundsätze bewusst zu sein, oder, wenn dies der Fall war, doch unfähig dazu, wird sich dieser Notwendigkeit jetzt bewusst und findet die passende Sprache. Die schweigende Minierarbeit der Jahre wird behufs des offenen Sturmangriffs unterbrochen; die Männer treten in den Laufgräben unters Gewehr, die verlorene Hoffnung kehrt zurück und lässt sich nicht länger mit den kleinen Tröstungen der Zeit auf langwieriges Warten narren, sondern blickt vorwärts, entschlossen, zu siegen oder zu sterben.

Nun glaube ich, und ein Teil meiner Leser wird darin mit mir übereinstimmen, dass wir jetzt in einer dieser Zeiten des bewussten Umschwunges leben; wir leben nicht nur zwischen dem Alten und dem Neuen, sondern sind uns auch dessen bewusst; wir erwarten, dass sich etwas ereignet, wie die Redensart lautet; in solchen Zeiten geziemt es sich für uns, zu wissen, was das Alte ist, das da abstirbt, und was das Neue, das ins Dasein tritt. Dies ist eine Frage, die für uns alle von praktischer Wichtigkeit ist, da diese Zeiten des bewussten Umschwungs auch in der einen oder anderen Hinsicht Zeiten ernsten Kampfes sind und es jeden von uns, wenn er nicht darauf achtet und die Vorgänge zu verstehen lernt, leicht geschehen kann, dass er auf der falschen Seite kämpft, der Seite, mit der ihn tatsächlich nichts verbindet.

Worum dreht sich der Kampf, in den wir jetzt eintreten – zwischen wem wird er ausgefochten? Absolutismus und Demokratie, sagen vielleicht einige. Nicht ganz, glaube ich; dieser Kampf wurde der Hauptsache nach in der großen französischen Revolution entschieden; es ist nur noch seine Asche, die fortglimmt; wenigstens ist dies in den Ländern der Fall, die nicht so zurückgeblieben sind wie z. B. Rußland. Die Demokratie oder wenigstens das, was gewöhnlich als Demokratie bezeichnet wird, ist jetzt siegreich; und obgleich es wahr ist, dass es noch außer Rußland Länder gibt, in denen die Redefreiheit unterdrückt wird, wie z. B. Deutschland und Irland[6], so kommt dies doch nur dann vor, wenn die Führer der siegreichen Demokratie Furcht vor der neuen Ordnung der Dinge, die sich jetzt ihrer selbst bewusst wird, zu empfinden beginnen und infolgedessen der Reaktion in die Arme getrieben werden. Nein, es ist nicht der Absolutismus und die Demokratie, wie die französische Revolution diese beiden Bezeichnungen verstand, die sich heute feindlich gegenüberstehen; der Streitpunkt liegt tiefer als damals; die beiden Gegner sind heute Herrschaft und Genossenschaft. Dies ist ein viel ernsterer Kampf als der alte und bedeutet eine viel umfassendere Revolution. Die Konfliktsgründe sind in der Tat ganz verschieden. Die Demokratie lehrte und lehrt, Menschen sollen nicht die Herren anderer sein, weil das erbliche Privileg ein Geschlecht oder eine Familie dazu gemacht hat und sie zufällig zu diesem Geschlecht gehören; sie sollen einzeln in die Herrschaft über andere durch Entwicklung besonderer Fähigkeiten unter einem autoritativen System hineinwachsen, das künstlich das Eigentum jedes Einzelnen, wenn er es in Übereinstimmung mit diesem künstlichen System erworben hat, gegen die Eingriffe jedes anderen oder vor der Gesamtheit der anderen beschützt.

Die neue Ordnung der Dinge lehrt im Gegenteil: warum sollen wir überhaupt Herren haben? Lasst uns Genossen sein, die nach einem übereinstimmenden Plane in Eintracht für das allgemeine Wohl, d. h. für das größte Glück und die vollkommenste Entwicklung eines jeden zum Gemeinwesen gehörenden menschlichen Wesens arbeiten.

Dieses Ideal und diese Hoffnung einer neuen Gesellschaft, die auf industriellen Frieden und Vorbedacht gegründet ist, ihre eigene Sittlichkeit besitzt, ein neues und höheres Leben für alle Menschen erstrebt, hat die allgemeine Bezeichnung Sozialismus erhalten, und es ist meine feste Überzeugung, dass er bestimmt ist, die alte Ordnung der Dinge, die auf den industriellen Krieg gegründet ist, abzulösen und die nächste Staffel im Fortschritt der Menschheit zu sein.

Da ich Ihnen weiter darlegen muss, welches die Ziele des Sozialismus, dieses Ideals der neuen Zeit, sind, finde ich, dass ich damit beginnen muss, Ihnen auseinanderzusetzen, was das Wesen der alten Ordnung ausmacht, die er zu verdrängen bestimmt ist. Wenn ich Ihnen dies klarmachen kann, so werde ich Ihnen auch das erste Ziel des Sozialismus erläutert haben; denn ich habe gesagt, dass die gegenwärtige zerfallende Ordnung der Dinge gleich denen, welche ihr Vorausgegangen sind, durch ein System von künstlicher Autorität hat gestützt werden müssen; ist diese künstliche Autorität hinweggefegt, so werden alle Menschen die harmonische Vereinigung als eine notwendige Voraussetzung für ein glückliches und ihrer würdiges Dasein auf der Erde empfinden, und der Sozialismus wird die Bedingung werden, unter der wir dann alle leben; er wird sich naturgemäß entwickeln und wahrscheinlich ohne gewalttätigen Zusammenstoß, was für ein System im Einzelnen auch notwendig sein wird. Ich sage, der Kampf wird sich nicht um diese Einzelheiten drehen, die sich unzweifelhaft je nach der Verschiedenheit der unveränderlichen natürlichen Umgebungen verschieden gestalten werden, sondern über die Frage: soll Herrschaft oder Genossenschaft bestehen?

Wir wollen nun untersuchen, welches die Lage der Gesellschaft in dem letzten Entwicklungsstation der Herrschaft, dem Handelssystem, ist, das an die Stelle des Feudalsystems getreten ist.

Gleich allen anderen Gesellschaftssystemen ist es auf die Notwendigkeit gegründet, dass der Mensch seinen Lebensunterhalt von der Natur durch Arbeit erwirbt, und setzt ebenfalls gleich den meisten anderen Systemen, die wir kennen, die ungleichmäßige Verteilung der Arbeit auf die verschiedenen Klassen der Gesellschaft voraus; es unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von dem System, das es verdrängt hat; es hat nur die Methode geändert, durch welche diese ungleiche Verteilung ins Werk gesetzt werden soll. Es gibt unter uns noch Reiche und Arme wie im Mittelalter, ja, es unterliegt keinem Zweifel, dass im Verhältnis wenigstens zu der Gesamtheit des bestehenden Reichtums die Reichen jetzt reicher und die Armen ärmer geworden sind, als sie damals waren. Wie dies aber auch sein mag, auf jeden Fall gibt es jetzt wie damals Leute, die viel Arbeit und wenig Wohlstand haben, neben anderen Leuten mit viel Wohlstand und wenig Arbeit. Die Reichsten sind die Faulsten, und diejenigen, welche am schwersten arbeiten und die mühevollste Arbeit verrichten, werden für ihre Arbeit am schlechtesten bezahlt.

Mir, und wie ich hoffe auch meinen Lesern, erscheint dies als eine grobe Ungerechtigkeit, und ich möchte Sie hier daran erinnern, dass die Welt stets eine Empfindung für diese Ungerechtigkeit gehabt hat. Denn Jahrhundert um Jahrhundert hat sie, während die Gesellschaft diese Ungerechtigkeit durch Zwang und List mit allen Mitteln aufrecht erhielt, ihren Glauben an Philosophien, sittliche Lehrbücher und Religionen bekannt, welche Gerechtigkeit und ein gutes Einvernehmen zwischen den Menschen empfohlen; ja, einige darunter sind so weit gegangen, uns zu gebieten, dass einer des anderen Last trage, und haben dem Menschen die Pflicht und im weiteren Verlaufe der Zeit die Freude anempfohlen, dass der Starke für den Schwachen, der Weise für den Toren, der Hilfreiche für den Hilflosen arbeite; und doch sind diese Morallehren in der Praxis ebenso beständig beiseite geschoben, wie sie in der Theorie gepredigt wurden – natürlich, da sie die Grundlage der Klassengesellschaft selbst angriffen. Ich als Sozialist bin verpflichtet, sie Ihnen nochmals zu predigen, und versichere Ihnen, es sind nicht bloß törichte Träume, die uns gebieten, etwas zu tun, was wir jetzt als unmöglich anerkennen müssen, sondern vernünftige Gesetze für das Handeln, die unsere Verteidigung gegen die Tyrannei der Natur unterstützen. Wie dies aber auch sein mag, ehrenhafte Leute haben die Wahl, ob sie diese Theorien in die Praxis umsetzen oder sie gänzlich verwerfen wollen. Wenn Sie sich dieses Dilemma klarmachen, so, glaube ich, werden wir bald eine neue Welt haben; ich fürchte jedoch, Sie werden es schwer finden, so zu handeln: die Lehre ist alt, und wir haben uns an sie und ihren Wortlaut gewöhnt; die Praxis ist neu und würde eine Verantwortlichkeit mit sich bringen, an die wir bisher noch nicht viel gedacht haben.

Nun besteht der große Unterschied zwischen unserem gegenwärtigen System und dem der Feudalzeit darin, dass, soweit die Lebensbedingungen in Frage kommen, jeder Klassenunterschied mit Ausnahme dessen zwischen Reich und Arm beseitigt ist; die Gesellschaft ist somit vereinfacht; der willkürliche Unterschied ist verschwunden, der tatsächliche bleibt und ist viel schärfer geworden, als der willkürliche war. Einst war die ganze Gesellschaft roh, es war wenig tatsächlicher Unterschied zwischen dem Edelmann und dem Nichtedelmann, und man musste ihnen eine verschiedene Kleidung vorschreiben, um sie zu unterscheiden. Aber jetzt ist ein wohlhabender Mann ein feines, gebildetes Wesen, das sich seines vollen Anteils an dem Siege über die Natur erfreut, den die moderne Welt vollendet hat, während der Arme roh und verachtet ist und keinen Anteil an dem durch die moderne Wissenschaft der Natur abgerungenen Reichtum besitzt; er ist, was seine materielle Lage betrifft, unzweifelhaft nicht besser daran als der Leibeigene des Mittelalters, vielleicht schlechter; meines Erachtens ist er wenigstens schlimmer daran als der Leibeigene, der in einem milden Klima lebte.

Ich glaube nicht, dass ein denkender Mensch dies im Ernste leugnet; wir wollen nun zusehen, welche Folgen daraus entspringen; wir wollen sie so deutlich ins kluge fassen, wie wir alle sehen, dass das erbliche Privileg der Adelskaste und die daraus folgende Leibeigenensklaverei der Arbeiter des Mittelalters die eigenartigen Verhältnisse jener Zeit hervorbrachten.

Die Gesellschaft zerfällt gegenwärtig in zwei Klassen, diejenigen, die im Alleinbesitz aller Mittel zur Gütererzeugung mit Ausnahme eines einzigen sind, und diejenigen, welche nichts außer diesem einen, ihrer Arbeitskraft, besitzen. Diese Arbeitskraft ist für ihre Besitzer wertlos und kann ohne Zuhilfenahme der übrigen Produktionsmittel nicht ausgenutzt werden; diejenigen aber, welche nichts anderes als ihre Arbeitskraft besitzen, d. h. welche kein Mittel in den Händen haben, andere für sich arbeiten zu lassen, müssen selbst arbeiten, um leben zu können, und sie müssen sich daher an die Besitzer der Mittel, die Arbeit fruchtbar zu machen, d. h. des Landes, der Maschinen usw. wenden, um Arbeit zu bekommen, damit sie leben können. Die besitzende Klasse (wie wir sie kurz nennen wollen) ist gern bereit, ihnen diese Erlaubnis zu geben, und in der Tat muss sie sie ihnen geben, wenn sie die Arbeitskraft der nichtbesitzenden Klasse zu ihrem eigenen Vorteil verwenden will, worin ihr besonderes Privileg besteht. Dieses Privileg setzt sie jedoch in den Stand, die nichtbesitzende Klasse zu zwingen, ihr ihre Arbeitskraft unter Bedingungen zu verkaufen, welche ihnen die Fortdauer ihres Alleinbesitzes sichern. Diese Bedingungen sind dem äußeren Anscheine nach sehr einfach. Die besitzende Klasse, oder die Herren, überlässt den Leuten genau so viel von den durch ihre Arbeit erzeugten Gütern, dass ihnen der zur Zeit als notwendig erachtete Lebensunterhalt gewährt wird, und gestattet ihnen, sich fortzupflanzen und länger bis zum arbeitsfähigen Kinder großzuziehen: dies ist die einfache Bedingung des „Vertrages“, die in Geltung tritt, wenn die verlangte Arbeitskraft an Qualität gering ist, was man ungeschulte Arbeit nennt, und wenn die Arbeiter zu schwach oder unwissend sind, um sich zu vereinigen und den Herren mit irgend einer Form der Empörung zu drohen. Wenn geschulte Arbeit verlangt wird und der Arbeiter infolgedessen mehr Kosten auf die Produktion verwandt hat, auch seltener zu finden ist, so ist der Preis des Artikels höher; ebenso, wenn die Gütererzeugung die Arbeiter zum Nachdenken veranlasst und sie daran erinnert, dass sie doch unbedingt auch Menschen seien, und sie, wie oben erwähnt, ihren Herren drohen; in diesem Falle halten es die letzteren gewöhnlich für klug, nachzugeben, wenn es ihnen die Konkurrenz des Marktes gestattet, und dadurch steigt die Höhe des Lebensunterhaltes für die Arbeiter.

Aber um deutlich zu sprechen, möchte ich erwähnen, dass die Mehrzahl der Arbeiter trotz der Streiks und der Arbeiterverbände wenig mehr erhält als einen Lohn, der zum nackten Leben ausreicht, und wenn sie krank oder alt werden, würden sie geradezu sterben, wenn ihnen nicht als Zufluchtsort das Arbeitshaus offen stände, das absichtlich so gefängnisartig und elend eingerichtet worden ist wie möglich, um die niedriger bezahlten Arbeiter zu verhindern, sich vor der Zeit ihres industriellen Todes darin aufnehmen zu lassen.

Nun kommt die Frage, wie es die Herren anfangen, um die Leute zwingen zu können, ihnen ihre Arbeitskraft zur Herstellung von Waren zu einem so schmutzig billigen Preise zu verkaufen, ohne dass sie sie behandeln, wie die Alten ihre Sklaven behandelten, d. h. mit der Peitsche. Nun natürlich wissen Sie, dass, wenn der Herr seinen Arbeitern die Summe bezahlt hat, von der sie leben können, und ebenso die Abnutzung seiner Maschinen und andere derartige Ausgaben gedeckt hat, er als seinen Anteil behält, was darüber hinaus übrig bleibt, d. h. den ganzen Betrag dessen, was er aus der Benutzung der dem Arbeiter gehörigen Arbeitskraft herausschlägt; er ist deswegen bemüht, aus diesem Privileg möglichst viel Vorteil zu ziehen, und macht seinen Mitfabrikanten die äußerste Konkurrenz auf dem Markte. Die Warenverteilung ist daher auf der Grundlage des Spiels geordnet, und infolgedessen sind viel mehr Hände nötig, wenn das Geschäft gut geht, als wenn es daniederliegt oder selbst wenn es sich in seinen gewöhnlichen Grenzen bewegt; unter dem Ansporn dieses Verlangens, sich diesen Mehrwert der Arbeit anzueignen, wurden auch die großen Maschinen der Gegenwart erfunden und werden alljährlich verbessert. Sie beeinflussen die Arbeit nach drei Richtungen hin: zunächst machen sie viele Hände überflüssig, dann setzen sie die Qualität der erforderlichen Arbeit herab, so dass geschulte Arbeiter immer weniger verlangt werden; drittens zwingt ihre Verbesserung die Arbeiter, während der Arbeitszeit angestrengter tätig zu sein, wie es in der Baumwollspinnerei allgemein bekannt ist. Auch werden in den meisten Industriezweigen Frauen und Kinder beschäftigt, denen man nicht einmal einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen behauptet. Infolge all dieser Verhältnisse, der Notwendigkeit der Reservearmee, der Arbeit für unser gegenwärtiges Industriesystem, das für einen Markt von Spielern berechnet ist, der Einführung der arbeitsparenden Maschinen (die Arbeit wird für den Herrn gespart, wie sie wissen, nicht für den Arbeiter), der Angestrengtheit der Arbeit während ihrer Dauer, der Verwendung der Hilfsarbeit von Frauen und Kindern: infolge all dieser Verhältnisse sind sogar in gewöhnlichen Jahren, nicht nur in so ausnehmend schlechten wie dem laufenden[7] mehr Arbeiter da, als es Arbeit für sie zu verrichten gibt. Die Arbeiter unterbieten sich daher bei dem Verkauf ihrer einzigen Ware, der Arbeitskraft, und sind dazu gezwungen, da sie sonst keine Arbeit bekämen und deswegen verhungern oder in das Arbeitshaus genannte Gefängnis gehen müssten. Dies ist der Grund, warum die Herren heutzutage von der Anwendung offener Gewalt absehen können, die sie in früheren Zeiten gegen ihre Sklaven ausübten.

Dies ist also der erste Unterschied zwischen den beiden großen Klassen der modernen Gesellschaft: die oberen Klassen besitzen Wohlstand, die unteren Kassen entbehren ihn. Es gibt jedoch noch einen anderen Unterschied, auf den ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte: die Klasse, die den Wohlstand entbehrt, ist die Klasse, die ihn erzeugt, die Klasse, die ihn besitzt, erzeugt ihn nicht, sie verbraucht ihn nur. Wenn durch irgend einen Zufall die so genannten niederen Klassen ausstürben oder das Gemeinwesen verließen, so würde die Gütererzeugung zum Stillstand kommen, bis die Wohlhabenden zu produzieren gelernt hätten, bis sie von ihrer Stellung heruntergestiegen wären und den Platz ihrer früheren Sklaven eingenommen hätten. Verschwänden dagegen die Wohlhabenden, so würde im schlimmsten Falle die Gütererzeugung nur einige Zeit stocken und dann wahrscheinlich beinahe ebensogut weitergehen wie heutzutage.

Sie können jedoch einwenden, dass, obgleich unzweifelhaft ein Teil der Wohlhabenden, wie Großgrundbesitzer, Renteninhaber und dergleichen nichts tun, es doch viele unter ihnen gibt, die angestrengt arbeiten. Nun, dies trifft zu, und Vielleicht beweist nichts die äußerste Torheit des gegenwärtigen Systems so schlagend wie diese Tatsache, dass es so viele tüchtige und fleißige Männer gibt, die von ihm beschäftigt werden und angestrengt arbeiten – für nichts: für nichts oder Schlimmeres. Sie arbeiten, aber produzieren nicht.

Zwar befinden sich manche nützliche Beschäftigungen in den Händen der privilegierten Klassen; wie z. B. Naturwissenschaft, Erziehungswesen, schöne Künste. Die Leute, die in diesen Fächern arbeiten, arbeiten sicher nützlich, und alles, was wir gegen sie Vorbringen können, ist, dass sie mitunter im Verhältnis zu der Entlohnung anderer nützlicher Leute zu hoch bezahlt werden; diese hohe Bezahlung wird ihnen in Anbetracht des Umstandes gewährt, dass sie die Schmarotzer der besitzenden Klassen sind. Aber selbst zahlenmäßig machen sie keinen allzugroßen Bruchteil der besitzenden Klassen aus und, was ihr Einkommen betrifft, so ist es im Vergleich zu dem der Leute, die überhaupt nichts Nützliches leisten, ganz unbedeutend.

Von diesen letzteren gestehen einige, wie wir alle zugeben, offen zu, nichts anderes zu tun als sich zu vergnügen, und vielleicht sind dies noch die harmlosesten aus den unnützen Klassen. Dann gibt es andere, die Beschäftigungen nachgehen, die in einem vernunftgemäßen Gesellschaftszustand überflüssig wären, wie z. B. Rechtsanwälte, Richter, Gefangenwärter, Soldaten der höheren Grade und die meisten Regierungsbeamten. Zum Schluss kommt die viel größere Gruppe derer, die sich mit dem Spiele oder dem Kampfe um ihren persönlichen Anteil an dem Tribute beschäftigen, den ihre Klasse von der arbeitenden eintreibt; diese bilden die Gruppe, die man gewöhnlich als Geschäftsleute bezeichnet, die Leiter unseres Handels, wenn Sie sie so nennen wollen.

Einen guten Teil dieses Tributes an sich zu ziehen und davon möglichst viel für sich selbst zu behalten, ist die Hauptlebensbeschäftigung für diese Leute, d. h. für die meisten Wohlhabenden und Reichen; sie wird ganz ungenau „Geldverdienen“ genannt, und diejenigen, die den meisten Erfolg darin haben, genießen trotz aller heuchlerischen Versicherungen des Gegenteils in der Öffentlichkeit die meiste Achtung.

Noch ein paar Worte über den Tribut, der, wie erwähnt, von den Arbeitern eingetrieben wird. Er ist nicht unbedeutend, sondern erreicht mindestens zwei Drittel von allem, was der Arbeiter herstellt; Sie müssen dies jedoch dahin verstehen, dass all dies dem Arbeiter nicht von seinem Arbeitgeber selbst entzogen wird, sondern von der Unternehmerklasse. Neben dem Tribut oder Gewinne des unmittelbaren Arbeitgebers, der in allen Fällen so hoch ist, wie er ihn bei der Konkurrenz oder dem Kriege mit anderen Unternehmern steigern kann, hat der Arbeiter auch Steuern in verschiedener Form zu zahlen, und der größere Teil des so erpressten Einkommens wird im besten Fall rein vergeudet. Erinnern Sie sich ferner, dass, wer auch die Steuern zu bezahlen scheint, doch der Arbeiter am letzten Ende der einzige Steuerzahler ist. Dann hat er Miete zu bezahlen, und zwar eine viel höhere im Verhältnis zu seinem Einkommen als die Wohlhabenden. Er hat auch die Bemühung der Mittelspersonen, welche die von ihm hergestellten Güter verteilen, so verschwenderisch zu bezahlen, dass jetzt alle denkenden Menschen ihre Stimme dagegen erheben, obgleich sie in unserer gegenwärtigen Gesellschaft gar nichts damit ausrichten. Zum Schluss hat er oft noch eine Zusatzsteuer in der Gestalt eines Beitrags zu einer Wohltätigkeitsanstalt oder einem Berufsverein zu zahlen, die in Wahrheit eine Steuer auf die durch das Spiel seiner Herren auf dem Markte veranlasste Unsicherheit seiner Beschäftigung ist. Kurz, neben dem Gewinn oder dem Ertrage der unbezahlten Arbeit, den er seinem persönlichen Arbeitgeber überlässt, hat er noch einen großen Teil seines Lohnes der Klasse zurückzugeben, der sein Herr angehört.

Das Privileg der besitzenden Klassen besteht somit darin, dass sie von diesem Tribute leben, während sie selbst entweder garnicht oder unproduktiv arbeiten – d. h. von der Arbeit anderer leben – genau so wie im Altertum der Herr von der Arbeit seines Sklaven oder im Mittelalter der Baron von der Arbeit seines Leibeigenen lebte. Besteht das Kapital des Reichen in Grundbesitz, so ist er in der Lage, einen Pächter zu zwingen, ihm sein Land zu verbessern und einen Tribut in Gestalt einer Bodenrente zu zahlen; am Ende des Pachtverhältnisses erhält er sein Land, in der Regel verbessert, zurück, so dass er von Neuem beginnen und so immer fortfahren kann, er und seine Erben, nichts zu tun, sondern der Gesamtheit lediglich zur Last zu fallen, während andere für ihn arbeiten. Besitzt er Häuser auf seinem Grund und Boden, so bezieht er auch aus ihnen seine Rente, die oft das Vielfache vom Werte des Gebäudes beträgt, und erhält am Ende Haus und Land wieder zurück. Nicht selten wird ein Stück unfruchtbares Land oder Sumpf, das an sich wertlos ist, infolge der Entwicklung einer Stadt oder eines Bezirks auf diese Weise für ihn zu einer riesigen Einnahmequelle; er steckt den Ertrag der Arbeit von tausenden und tausenden Menschen ein und nennt dies sein Eigentum. Oder es findet sich, dass die Erde unter der Oberfläche reich an Kohlen oder Mineralien ist, und abermals muss ihm eine ungeheure Summe dafür bezahlt werden, dass er anderen gestattet, sie in marktgängige Waren zu verwandeln, eine Arbeit, zu der er gar nichts beiträgt.

Besteht ein Kapital in Geld, so geht er auf den Arbeitsmarkt und kauft die Arbeitskraft von Männern, Frauen und Kindern und verwendet sie zur Herstellung von Waren, die ihm Gewinn bringen sollen; er kauft die Arbeitskraft daher zu möglichst niedrigem Preise und macht sich sogar ihre Bedürfnisse zunutze, indem er ihren Lebensunterhalt auf das geringste Maß beschränkt, das sie sich gefallen lassen; dies muss er freilich tun, sonst unterliegt er selbst in dem Kriege mit den anderen Kapitalisten. Auch in diesem Falle verrichtet er keine nützliche Arbeit, und er braucht sich auch gar nicht den Anschein davon zu geben, da er sich die Denkkraft von Geschäftsführern kaufen kann, die er etwas höher bezahlt als die Körperkraft des gewöhnlichen Arbeiters. Aber selbst wenn er etwas zu tun scheint und den stolzen Titel „Organisator der Arbeit“ annimmt, organisiert er in Wahrheit nicht die Arbeit, sondern den Kampf mit seinen unmittelbaren Gegnern, die denselben Geschäftszweig betreiben wie er.

Obgleich es ferner richtig ist, wie ich gesagt habe, dass die arbeitenden Klassen die einzigen Produzenten sind, so wird doch nur einem Teil von ihnen gestattet, auf nützliche Weise zu produzieren; denn da die Angehörigen der nicht produzierenden Klassen oft viel mehr Einkommen besitzen, als sie verbrauchen können, sind sie gezwungen, es in reinen Luxusartikeln und Torheiten zu vergeuden, so dass sie sich einerseits selbst schädigen, anderseits einen großen Teil der Arbeiter von nutzbringender Tätigkeit abhalten und dadurch diejenigen, die auf nützliche Weise produzieren, zwingen, schwerer und anstrengender zu arbeiten: kurz, die wesentliche Begleiterscheinung des Systems ist die Vergeudung.

Wie könnte dies auch anders sein, da es ein System des Krieges ist? Ich habe gelegentlich erwähnt, dass alle Arbeitgeber sich untereinander im Kriege befinden – und Sie werden vielleicht finden, dass nach meinen Ausführungen über die Beziehungen zwischen den beiden großen Klassen auch sie untereinander im Kriege liegen. Jede kann nur durch den Verlust der anderen gewinnen, die Unternehmerklasse ist gezwungen, ihr Privileg, den Besitz der Mittel zur Ausführung der Arbeit, möglichst auszunutzen, und was sie auch für sich erhält, kann sie nur auf Kosten der arbeitenden Klassen erhalten; und diese Klasse kann ihrerseits ihre Lebenshaltung nur auf Kosten der besitzenden Klasse erhöhen; sie ist gezwungen, ihr so wenig wie möglich Tribut zu zahlen; es herrscht daher ein beständiger Krieg zwischen diesen beiden Klassen, mögen sie sich dessen bewusst sein oder nicht.

Fassen wir das Gesagte zusammen. In unserer modernen Gesellschaft gibt es zwei Klassen: eine nützliche und eine unnütze; die unnütze Klasse heißt die obere, die nützliche die untere Klasse. Die unnütze oder obere Klasse, die im Alleinbesitz aller Mittel zur Gütererzeugung mit Ausnahme der Arbeitskraft ist, kann die nützliche oder niedere Klasse zwingen (wie sie dies auch tut), zu ihrem eigenen Schaden und zum Vorteil der oberen Klasse zu arbeiten; auch wird die letztere der nützlichen Klasse nicht gestatten, unter anderen Bedingungen zu arbeiten. Diese Einrichtung bedeutet notwendigerweise einen immer zunehmenden Kampf, zunächst zwischen den beiden Klassen und dann zwischen den Angehörigen einer jeden.

Die meisten denkenden Menschen geben die Richtigkeit meiner Ausführungen zu, viele von ihnen glauben jedoch, dass das System, obgleich augenscheinlich ungerecht und verschwenderisch, notwendig ist (wenn sie vielleicht auch keine Gründe für ihre Ansicht vorbringen können), und so können sie keinen anderen Ausweg erblicken, als die Verhütung der schlimmsten Schäden des Systems; da aber die verschiedenen üblichen Vorbeugungsmaßregeln zu einer oder der anderen Zeit sämtlich ihren Zweck verfehlt haben, so fordere ich meine Gegner auf, erstens zu überlegen, ob sich das System selbst nicht ändern ließe, und zweitens, sich umzusehen und auf die Anzeichen des nahenden Umschwungs zu achten.

Wir wollen uns zunächst daran erinnern, dass sogar Wilde leben, obgleich sie armselige Werkzeuge, keine Maschinen und kein Zusammenwirken bei ihrer Arbeit haben; sobald aber ein Mensch in den Besitz guter Werkzeuge gelangt und in einer Art Gemeinschaft mit anderen arbeitet, wird er in den Stand gesetzt, mehr fertigzustellen, als er zur Befriedigung seiner eigenen nackten Bedürfnisse gebraucht. Jede industrielle Gesellschaft ist auf dieser Grundlage errichtet, schon von der Zeit an, wo die Arbeiter lediglich gekaufte Sklaven waren. Was für eine seltsame Gesellschaft ist daher die unsere, in welcher der eine Teil des Volkes soviel Vermögen besitzt, dass er es nicht verbrauchen kann, sondern gezwungen ist, es zu Vergeuden, während der andere Teil kaum, wenn überhaupt, besser daran ist als jene unglücklichen Wilden, die weder Werkzeuge noch gemeinschaftliche Arbeit kennen! Kann dies nicht abgeändert werden, so muss sich die zivilisierte Menschheit unweigerlich selbst das Zeugnis ausstellen, dass sie aus zivilisierten Narren besteht.

Hier haben wir den heutigen Arbeiter auf das Beste für die Produktion ausgerüstet, in vollständig durchgeführter Arbeitsteilung und mit Hilfe wunderbarer Maschinen für die Gütererzeugung tätig; gewiss, wenn ein Sklave zu Aristoteles Zeit mehr leisten konnte, als sich selbst zu erhalten, so kann der jetzige Arbeiter viel mehr leisten – wie wir es alle sehr wohl wissen. Weswegen sollte er sich anders als in bequemen Verhältnissen befinden? Einfach wegen des Klassensystems, das mit der einen Hand den durch die Tätigkeit des Arbeiters erworbenen Reichtum ihm wegnimmt und mit der anderen vergeudet. Erhielte der Arbeiter den vollen Ertrag seiner Arbeit, so würde er sich unter allen Umständen wohl fühlen, wenn er ohne Vergeudung seiner Arbeitskraft tätig wäre. Um aber dies tun zu können, müsste er nur für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten und nicht einen anderen in den Stand setzen, ohne Arbeit zu leben; wenn er einen anderen, der für sich selbst zu arbeiten vermag, in seiner Trägheit unterstützen muss, so wird er ungerecht behandelt, und glauben Sie mir, er wird dies nur so lange tun, wie er durch Unwissenheit und offene Gewalt zur Unterwerfung gezwungen ist. Er hat also ein Recht, die Früchte seiner Arbeit für sich in Anspruch zu nehmen und infolgedessen darauf zu bestehen, dass alle arbeiten sollen, welche dazu imstande sind; aber unzweifelhaft muss seine Arbeit auch organisiert werden, da er sonst auf den Standpunkt der Wilden zurückfallen würde. Aber damit seine Arbeit in geeigneter Weise organisiert werden kann, ist es nötig, dass er nur einen Feind zu bekämpfen hat – nämlich die Natur, die ihn gleichsam zum Krieg gegen sich anspornt und ihm dankbar ist, wenn er sie überwunden hat, ein Freund in der Verkleidung eines Feindes. Zwischen den Menschen darf kein Streit stattfinden, sondern an Stelle dessen Vereinigung; so nur kann die Arbeit in Wahrheit organisiert, harmonisch organisiert werden. Aber Harmonie kann nicht mit dem Streben nach persönlichem Gewinn zusammenbestehen; die Menschen müssen für das allgemeine Wohl arbeiten, soll sich die Welt aus ihrem gegenwärtigen Elend erheben; deswegen muss diese Forderung des Arbeiters (d. h. jedes tüchtigen Menschen) sich der Tatsache unterordnen, dass er nur ein Teil eines harmonischen Ganzen ist; er ist bedeutungslos ohne die Mithilfe seiner Genossen, die ihn nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten unterstützen; er muss begreifen und wird begreifen, wenn er seinen gesunden Verstand besitzt, dass er seinen eigenen Vorteil fördert, wenn er für den der Gesamtheit tätig ist.

Wenn er so arbeitet, muss seine Tätigkeit stets nutzbringend sein, deswegen darf seinem Schaffen kein Hindernis in den Weg gelegt werden: die Mittel, durch die er seine Arbeitskraft ausüben kann, müssen zu seiner freien Verfügung stehen. Das Privileg der besitzenden Klassen muss ein Ende nehmen. Bedenken Sie, dass gegenwärtig ein so privilegierter sich in der Stellung eines Mannes befindet, der (mit Hilfe eines Polizisten oder ähnlichen Beamten) den Eingang zu einem Felde bewacht, das jedem, der darauf arbeiten kann, Unterhalt gewährt. Scharen von Leuten, die nicht verhungern wollen, kommen zu diesem Tore; hier steht jedoch Gesetz und Ordnung und sagt: „Zahlt mir fünf Schillinge, ehe ihr hineingeht“; und er oder sie, die die fünf Schillinge nicht hat, müssen draußen bleiben und vor Hunger sterben – oder im Arbeitshause leben. Nun, so etwas muss beseitigt werden; das Feld muss frei sein für jeden, der es benutzen kann. Um selbst dieses durchsichtige Bild wegzulassen, sage ich, jene Mittel zur Fruchtbarmachung der Arbeit, der Grund und Boden, die Maschinen, das Kapital, Transportmittel usw., die jetzt im Alleinbesitze derer sind, die sie nicht gebrauchen können, die sie aber missbrauchen, um unbezahlte Arbeit von anderen zu erzwingen, müssen zur freien Verfügung derer stehen, die sie benützen können, d. h. der in geeigneter Weise für die Produktion organisierten Arbeiter; Sie müssen jedoch bedenken, dass dies niemanden schädigen wird, weil alle der Gesamtheit dienen werden, d. h. da es keine nichtproduzierende Klasse mehr geben wird, werden die organisierten Arbeiter das gesamte Gemeinwesen bilden, niemand wird ausgeschlossen sein.

Auf diese Weise wird die Gesellschaft umgestaltet werden und die Arbeit von jedem Zwange frei sein mit Ausnahme des Zwanges der Natur, die uns nichts umsonst spendet. Es würde widersinnig sein, wenn ich Ihnen Einzelheiten über die Art und Weise mitteilen wollte, in der dies ausgeführt werden sollte, denn das wahre Wesen davon ist Freiheit und die Abschaffung jeder willkürlichen oder künstlichen Autorität. Ich möchte Sie jedoch bitten, einen Punkt recht zu verstehen. Sie werden ohne Zweifel zu wissen wünschen, was aus dem Privateigentum unter einem System werden wird, das auf den ersten Blick die Anhäufung von Vermögen und gleichzeitig mit dieser Anhäufung die Bildung neuer Klassen von Reichen und Armen nicht zu verbieten scheint.

Nun bedeutet Privateigentum im gegenwärtigen Sinne den Besitz von Vermögen durch einen einzigen im Gegensatz zu allen übrigen, ob der Besitzer Verwendung dafür hat oder nicht; er kann, und nicht selten tut er es, Kapital oder die aufgespeicherte Arbeit vergangener Generationen anhäufen und es weder selbst benutzen, noch anderen seine Benutzung gestatten; er kann, und oft tut er es, das erste Erfordernis zur Arbeit, Grund und Boden, aufkaufen und es weder selbst benutzen, noch einem anderen seine Benutzung gestatten, und obgleich es klar ist, dass er in jedem Falle die Gesamtheit schädigt, ist das Gesetz doch streng auf seiner Seite. In jedem Falle häuft ein reicher Mann Eigentum an, nicht für seinen eigenen Bedarf, sondern um ungestraft das Naturgesetz umgehen zu können, das dem Menschen zu arbeiten gebietet, wenn er essen will, und ebenso, um seine Kinder in den Stand zu setzen, dasselbe zu tun, und damit er und sie zu der oberen oder unnützen Klasse gehören können: es sind nicht wahre Güter, die er zusammenhäuft, Wohlbefinden, Wohlbehagen, körperliches und geistiges; er kommt bald an das Ende seiner Bedürfnisse in dieser Beziehung, selbst wenn sie sehr anspruchsvoll sind: es ist die Macht über andere, die unsere Vorfahren Reichtum nannten, die er sammelt, die Macht (wie wir gesehen haben), andere Leute zu zwingen, zu seinem Vorteile ein dürftigeres Leben zu führen, als es recht und billig ist. Sehen Sie, das muss die Folge des Besitzes von Reichtum sein.

Nun, diese Macht, andere zu zwingen, ärmlich zu leben, will der Sozialismus gänzlich beseitigen, und in diesem Sinne würde er ein Ende mit dem Privateigentum machen; es würde auch gar nicht nötig sein, Gesetze zu machen, um die Ansammlung künstlich zu verhindern, wenn die Menschen einmal herausgefunden haben, dass sie sich selbst beschäftigen können und dass hierbei jedermann die Früchte seiner Arbeit genießen kann; denn der Sozialismus gründet die Rechte des Einzelnen an dem Besitz der Güter auf dessen Vermögen, diese Güter zu seinem persönlichen Bedarf zu verwenden, und da die Arbeit in angemessener Weise organisiert sein wird, würde jede Person, gleichgültig ob Mann oder Frau, die nicht wegen ihrer Jugend oder sonstwie arbeitsunfähig ist, volle Gelegenheit haben, Güter zu erzeugen und hierdurch ihre persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen; gingen diese Bedürfnisse in irgend einer Richtung über den Durchschnitt hinaus, so würde er persönliche Opfer bringen müssen, um sie zu befriedigen; er würde z. B. länger zu arbeiten oder auf einen Luxusgegenstand zu verzichten haben, aus dem er sich nichts macht, um dafür etwas zu erhalten, wonach er sehr stark verlangt. Durch ein solches Handeln würde er im schlimmsten Falle niemandem schaden, und Sie sehen es klar und deutlich ein, dass er keine andere Wahl hat, als so zu handeln oder jemand anders zu zwingen, aus seine besonderen Wünsche zu verzichten. wenn dieses letztere Verfahren gelegentlich und zwar ohne Genehmigung des mächtigsten Teils der Gesellschaft eingeschlagen wird, so wird es Diebstahl genannt, wenn es auch im großen Maßstabe ausgeführt und durch künstliche Gesetze gehörig sanktioniert, die Grundlage unseres gegenwärtigen Systems ist. Noch einmal, dieses System gewährt dem Volke nur unter künstlichen Einschränkungen die Erlaubnis, zu produzieren; unter dem Sozialismus stände es jedem, der produzieren könnte, frei, zu produzieren, so dass der Preis für einen Artikel genau die Herstellungskosten decken und es das, was wir Gewinn nennen, nicht länger geben würde; würde z. B. jemand Stühle brauchen, so würde er sie so lange ansammeln, bis er so viele hätte, wie er verwenden kann, und dann aufhören, da er nicht in der Lage wäre, sie billiger einzukaufen, als ihre Herstellungskosten betragen, und sie auch nicht teurer verkaufen könnte; mit anderen Worten, sie würden nichts anderes als Stühle sein; unter dem gegenwärtigen System können sie so furchtbare Zwangs- und Zerstörungsmittel sein wie geladene Gewehre.

Daher würde auch niemand einem anderen den Besitz eines Gegenstandes streitig machen, den er ohne Schädigung der übrigen erworben hätte und den er ohne Schädigung der übrigen benutzen könnte, und dieser Umstand würde die Versuchungen zu einem Missbrauch des Eigentums so vollständig beseitigen, dass wahrscheinlich gar keine Gesetze zur Verhütung desselben nötig wären.

Nun noch ein paar Worte über die Verschiedenheit der Belohnung für die Arbeit, da ich weiß, meine Leser werden sicher hier eine Auseinandersetzung der sozialistischen Einsichten Betreffs derer erwarten, welche die Arbeit leiten oder die hervorragendes Geschick zur Produktion besitzen. Zunächst will ich den ausnehmend geschickten Arbeiter als einen Artikel betrachten, den das Gemeinwesen vermutlich nötig haben wird, und dann sagen, dass es sich mit diesem Artikel genau so verhält wie mit allen übrigen: das Gemeinwesen muss die Kosten seiner Herstellung tragen; es wird ihn z. B. aussuchen, seine besonderen Fähigkeiten entwickeln und vielleicht einige Bedürfnisse, die er über die eines Durchschnittsmenschen hinaus haben könnte (wenn er sie überhaupt hat) befriedigen müssen, solange die Befriedigung dieser Bedürfnisse die Gesamtheit nicht schädigt.

Wie sie ihm außerdem nicht mehr geben können, als er verbrauchen kann, so wird er auch nicht mehr verlangen und es nicht annehmen; zwar kann seine Tätigkeit eigenartiger sein, als die eines anderen, aber sie ist nicht notwendiger, wenn Sie die Arbeit in geeigneter Weise organisiert haben; der Pflüger und Fischer sind der Gesellschaft ebenso unentbehrlich wie der Gelehrte oder der Künstler, ich will nicht sagen unentbehrlicher; auch steht die Schwierigkeit, das eigenartigere und hervorragendere Werk herzustellen, überhaupt nicht in dem Verhältnis zu seiner Eigenart oder seinen Vorzügen; der höhere Arbeiter stellt sein Werk vielleicht mit derselben Leichtigkeit her, als der niedrigere Arbeiter das seine; wenn er es nicht tut, müssen Sie ihm größere Muße, mehr Mittel geben, mit denen er seinen starken Kraftverbrauch ausgleichen kann, aber Sie können ihm nichts weiter geben. Die einzige Belohnung, die Sie dem hervorragenden Arbeiter gewähren können, ist die Gelegenheit zur Entwicklung und Ausübung seiner hervorragenden Begabung. Ich wiederhole, Sie können ihm nichts weiter geben, was des Besitzes wert wäre; alle anderen Belohnungen sind entweder trügerisch oder schädlich. Ich muss nebenbei sagen, dass unser gegenwärtiges System, einen so genannten Mann von Genie zu behandeln, äußerst widersinnig ist; wir lassen ihn hartherzig darben und unterdrücken seine Begabung, wenn er jung ist; wir überfüttern und umschmeicheln ihn törichterweise und unterdrücken wiederum seine Begabung, wenn er im Mannes- oder Greisenalter steht; wir sind schuld, wenn er nicht das Höchste, sondern nur das Geringste, was überhaupt von seiner Begabung zu erwarten ist, leistet.

Die letzten Ausführungen treffen nur selten auf Arbeiter zu; in dieser Hinsicht handelt es sich jedoch nur um eine Frage nach dem Grade; die Hauptsache dabei ist, dass der Leiter der Arbeit seine Stellung einnimmt, weil er sich für sie eignet, nicht aus reinem Zufall; eignet er sich für sie, so macht ihm die Erfüllung seiner Aufgabe weniger Schwierigkeiten als eine andere Arbeit, und er bedarf keiner größeren Entschädigung für die Abnutzung seiner Kräfte als ein anderer, und da er sie nicht nötig hat, so wird er sie auch nicht beanspruchen, da er nichts mit ihr anzufangen wüßte; seine besondere Belohnung für seine besondere Arbeit besteht darin, dass er diese ohne besondere Anstrengung verrichten kann und sie daher nicht als Last empfindet; ja, da er sie gut verrichten kann, findet er Genuss daran, da in der Tat der Hauptgenuss des Lebens in der Kraftanstrengung für die Entwicklung unserer besonderen Fähigkeiten liegt. Was ferner die Arbeiter betrifft, die unter seiner Leitung stehen, so bedarf er ihnen gegenüber keines besonderen Ranges oder einer besonderen Autorität; sie wissen sehr wohl, dass sie, solange er seine Aufgabe erfüllt und sie in Wirklichkeit leitet, ihm nur auf Kosten ihrer Arbeit, die dadurch mühsamer und beschwerlicher werden würde, ungehorsam sein könnten. All dies ist in kurzem das, was man unter Organisation der Arbeit versteht, die mit anderen Worten darauf beruht, dass man herausfindet, für welche Arbeit sich die und die Leute am meisten eignen und ihnen dann freie Bahn in der Ausführung lässt; jetzt geben wir uns nicht diese Mühe, die Folge davon ist, dass die besten Anlagen der Menschen vergeudet werden und dass die Arbeit für sie eine schwere Last ist, die sie natürlich nach Kräften von sich abzuwälzen suchen; sie müsste vielmehr ein Genuss für sie sein, und ich sage es gerade heraus, wenn wir kein Mittel finden, jede Arbeit genussreich zu machen, so werden wir nie der großen Tyrannei der modernen Welt entgehen.

Nachdem ich den Unterschied zwischen den Konkurrenz- und Handelsvorstellungen in Betreff des persönlichen Eigentums und der Stellung der verschiedenen Arbeitergruppen zu einander erörtert habe, will ich ganz kurz ein paar Worte darüber sagen, was ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks die politische Stellung nennen möchte, die wir einzunehmen oder wenigstens im Laufe der Entwicklung zu erreichen streben wollen. Die Verdrängung der Konkurrenz durch die Vereinigung bedeutet die Begründung des Sozialismus und wird unter ihm alle Verhältnisse durchdringen; dies muss ebenso für die Nation gelten als für die einzelnen Menschen; wenn kein Gewinn mehr gemacht werden kann, so wird keine Notwendigkeit mehr vorliegen, Menschenmassen zu dem Zweck zusammenzuhalten, gemeinsam den größten Anteil am Gewinn nach ihrem Lande zu ziehen, ebensowenig zu dem wirklichen oder eingebildeten Zusammenschluss von Personen oder Körperschaften, den wir jetzt eine Nation nennen. Was wir jetzt eine Nation nennen, ist eine Vereinigung, deren Zweck es ist, die persönliche Wohlfahrt ihrer Mitglieder auf Kosten aller übrigen ähnlichen Vereinigungen zu wahren; das Verschwinden der Konkurrenz wird sie dieser Ausgabe überheben, da, wo kein Angriff stattfindet, auch keine Verteidigung notwendig ist, und es scheint mir, dass, wenn diese Aufgabe der Nation entzogen worden ist, sie keine andere mehr haben kann und deshalb als politische Wesenheit zu bestehen aufhören muss. In dieser Hinsicht ist die Bewegung fortwährend im Wachsen. Es ist klar, dass, ganz abgesehen vom Sozialismus, der Gedanke der örtlichen Verwaltung den der Zentralisation verdrängen muss; um ein merkwürdiges Beispiel einzuführen, sei erwähnt, dass in der französischen Revolution von 1793 die vorgeschrittenste Partei für Zentralisation war, während sie in der jüngsten französischen Revolution, der Kommune von 1871, föderalistische Grundsätze vertrat. Oder nehmen wir Irland: der Erfolg, der den Kämpfen Irlands um seine Unabhängigkeit heute winkt, ist, wie ich fest überzeugt bin, der Verbreitung dieser Idee zu verdanken; es erscheint liberal gesinnten Engländern nicht mehr als ungeheuerliche Forderung, dass ein Land seine Angelegenheiten selbständig ordne; die Empfindung, dass dies nicht allein gerecht, sondern auch für alle Teile nutzbringend sei, lässt die Jahrhunderte hindurch genährten Vorurteile einer drückenden und schonungslosen Herrschaft verschwinden. Und ich glaube, Irland wird zeigen, dass sein Verlangen nach Selbstverwaltung nicht auf nationaler Rivalität, sondern vielmehr auf wahrer Unabhängigkeitsliebe beruht, einerseits der Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse, anderseits dem guten Willen gegenüber denen anderer Länder. Nun, die Verbreitung dieser Anschauung wird uns Sozialisten unsere politische Aufgabe erleichtern; die Menschen werden endlich zu der Einsicht gelangen, dass das einzige Mittel zur Beseitigung der Tyrannei und der riesigen Kasten des Beamtentums die Vereinigung unabhängiger Gemeinwesen ist; diese Vereinigung würde ganz bestimmte Zwecke verfolgen: die Förderung der Organisation der Arbeit, die Ermittelung des tatsächlichen Bedarfs an Gütern und die dadurch ermöglichte Verhütung überflüssiger Arbeit, die Organisation der Güterverteilung und der Auswanderung – kurz die Anbahnung eines friedlichen Verkehrs zwischen Menschen, die gemeinschaftliche Interessen haben, wenn auch die Verhältnisse ihrer natürlichen Umgebungen notwendige Unterschiede in Lebensweise und Sitten zwischen ihnen bedingen.

Ich habe nun den Umriss des Sozialismus in seinen Hauptlinien entworfen und dargelegt, dass sein Ziel erstens darin besteht, den Alleinbesitz der Mittel zur Fruchtbarmachung der Arbeit abzuschaffen, so dass die Arbeit allen freisteht und der daraus entspringende Reichtum nicht nur einigen wenigen zugute komme und so die Ursache des Elends und der Erniedrigung der großen Mehrzahl sei; zweitens, dass er die Organisation der Arbeit erstrebt, so dass keine Vergeudung dabei stattfindet, und als Mittel hierzu die freie Entwicklung der Fähigkeiten eines jeden betrachtet; drittens, dass er bestrebt ist, die nationalen Rivalitäten zu beseitigen, die in Wahrheit einen Zustand fortwährenden Krieges bedeuten, der bald mittels des Geldsacks, bald mittels Pulver und Blei geführt wird, und an die Stelle dieses veralteten Aberglaubens eine Vereinigung freier Gemeinwesen zu setzen, die miteinander in einträchtigem Bunde leben und ihre Angelegenheiten nach der freien Zustimmung ihrer Mitglieder ordnen, doch unter Anerkennung einer Art Zentralbehörde, derer Aufgabe es sein würde, das Prinzip zu wahren, dessen Ausführung den einzelnen Gemeinden obliegt, bis schließlich jene Prinzipien stets von jedem Einzelnen offenkundig befolgt und damit die letzten Spuren der Zentralisation verschwinden würden.

Ich weiß wohl, dass dieser vollendete Sozialismus, der mitunter Kommunismus genannt wird, sich nicht mit einem Mal verwirklichen lässt; die Gesellschaft wird sich von Grund auf ändern, wenn wir die Form der Räuberei, Gewinn genannt, unmöglich dadurch machen, dass wir der Arbeit vollen und freien Zugang zu den Mitteln ihrer Fruchtbarmachung, d. h. zu dem Rohmaterial, verschaffen. Die Forderung dieser Befreiung der Arbeit ist die Grundlage, auf der sich alle Sozialisten zusammenfinden. Mit anderen politischen Gruppen können sie sich nicht begegnen, da der Boden, auf dem diese stehen, zu unsicher ist; sie können sich nur freuen, wenn der Boden von Streitfragen gesäubert wird, die in Wahrheit bedeutungslos geworden sind, damit die letzte Streitfrage, die wir gegenwärtig vorauszusehen vermögen, entschieden und die Frage gelöst werden kann, ob es notwendig ist oder nicht, dass, wie manche glauben, die Gesellschaft aus zwei Gruppen ehrloser Personen bestehe, Sklaven, die sich in ihr Sklaventum fügen, dabei aber stets ihre Herren zu betrügen suchen, und Herren, die sich bewusst sind, dass sie keine Entschuldigung für die Ehrlosigkeit haben, von dem gemeinsamen Vorrat zu zehren, ohne etwas dazu beizutragen mit Ausnahme der bloßen Organisation der rohen Gewalt, die sie stets und in allen Fragen des Lebens gegenüber dem natürlichen Verlangen des Menschen nach Freiheit geltend machen.

Es lässt sich hoffen, dass wir heute Lebenden imstande sind zu beweisen, dass dies nicht nötig ist; aber unzweifelhaft wird es noch vieler Generationen bedürfen, um zu beweisen, dass es für eine derartige Erniedrigung notwendig ist, so lange zu bestehen wie die Menschheit; und wenn dies schließlich bewiesen ist, so wird uns wenigstens eine Hoffnung bleiben – dass die Menschheit nicht mehr lange bestehen wird.

 


Fussnoten:

[1] Fälschlich, weil die privilegierten Klassen zu ihrer Unterstützung die Staatsgewalt haben, mittels welcher sie die Unprivilegierten zwingen, ihre Bedingungen anzunehmen. Wenn dies „freie Konkurrenz“ sein soll, so hat die Sprache keinen Sinn.

[2] Vortrag auf der von der Fabiangesellschaft einberufenen Konferenz im South Place Institute, 11. Juni 1886.

[3] Sie sind „etwas rau” gewesen, können Sie vielleicht sagen, und sind über die bloße Betätigung ihrer gefühlvollen Gesinnung hinausgegangen. Nun, ich füge jetzt (Februar 1888) hinzu, dass die gegenwärtige offene Tyrannei, die politische Gegner sowohl in England als in Irland ins Gefängnis schickt und auf der Straße radikale Köpfe zerschlägt, weil sie den Versuch gemacht haben, politische Versammlungen abzuhalten, nicht tory-, sondern whigmäßig ist; nicht das alttoryistische „göttliche Recht der Könige”, sondern das neutoryistische, d. h. torymäßig aufgeputzte whiggistische „göttliche Recht des Eigentums” machte den „blutigen Sonntag” möglich. Ich gebe zu, im Jahre 1886 nicht vorausgesehen zu haben, dass die Jahre 1887 und 1888 uns so glänzende Proben von der Tyrannei der parlamentarischen Mehrheit bringen würden; ich rechnete allerdings nicht mit der Macht der unglaublichen Beschränktheit der Spitzbuben, die im Bunde mit den Whigs unter dem zerschlissenen Banner eines falschen Toryismus marschierten.

[4] Jetzt (Februar 1888) ebenso zutreffend wie damals: siehe die Ermordung der Anarchisten von Chicago.

[5] Ich vermute, dass er von den Fachwerkhäusern in Kent spricht.

[6] Und wie es scheint, auch die Ziegel- und Mörtelstadt London (Februar 1888).

[7] Nämlich 1886.

 


Zuletzt aktualisiert am 31.05.2011