Paul Levi


Unser Weg


III

Das Entscheidende freilich in allem ist für die Kommunisten ihr Verhältnis zur eigentlich revolutionären Klasse, zum Proletariat. Im Verhältnis zum Proletariat erweist sich die Lebensfähigkeit überhaupt der Kommunisten. Sind die Beziehungen der Kommunisten zu jenen andern, halbproletarischen, Mittelschichten taktischer Art, deren richtige oder falsche Einstellung den Gang der Revolution beschleunigen oder hemmen, begünstigen oder gefährden kann, so ist die Beziehung der Kommunisten zum Proletariat prinzipieller Art. Wer das Verhältnis der Kommunisten zum Proletariat nicht begriffen hat und wer nicht dementsprechend handelt, der hört auf, ein Kommunist zu sein. Wir hätten uns über die Frage kurz fassen können, wenn nicht die Ereignisse dieser Tage alles wieder erschüttert hätten, was wir als errungen wähnten.

„In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt?“ Das ist die Frage, die Marx im Kommunistischen Manifest erhebt und die er wie folgt beantwortet:

Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariates getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.

Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariates hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder: sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariates die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.

Diese Sätze sind das Grundgesetz des Kommunismus. Alles andere ist nur dessen Ausführung und Erläuterung. Und unter diesen Gesichtspunkten wollen wir drei Fragen prüfen:

 

a) Welches ist das zahlenmäßige Verhältnis der deutschen Kommunisten zum deutschen Proletariat?

Wenn wir im nachfolgenden Zahlen aus den verschiedenen Wahlbewegungen erörtern, so bedeutet das beileibe nicht, daß irgendeine Aktion des Proletariates oder die Ergreifung der Macht durch das Proletariat erst möglich sei, wenn zuvor irgendein zahlenmäßiges Verhältnis durch Wahl oder Abstimmung festgestellt sei. Wir denken noch viel weniger an die köstliche Theorie, die der Vorwärts im vergangenen Jahr einmal aufstellte, eine Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat sei erst möglich, wenn 51% der Wähler sich für das Proletariat erklärt haben, damals, als der Vorwärts einen seiner Parteigenossen dafür abkanzelte, daß dieser behauptet hatte, eine Machtergreifung durch das Proletariat sei unter Umständen auch schon möglich, wenn erst 49% der „Gesamtbevölkerung“ für die „Diktatur des Proletariates“ – was die Herrschaften so heißen – sei. Und wir denken am allerwenigsten daran, mit den Wahlzahlen die Möglichkeit andeuten zu wollen, die Ziele der Kommunisten durch Wahlen und Abstimmungen zu verwirklichen. Wir halten es vielmehr durchaus mit dem, was Lenin (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S.22) sagt:

Das allgemeine Wahlrecht ist ein Gradmesser für die Reife des Verständnisses, das die verschiedenen Klassen ihren Aufgaben entgegenbringen. Es zeigt, wie die verschiedenen Klassen geneigt sind, ihre Aufgaben zu lösen. Die Lösung der Aufgaben selbst aber kann nicht durch Abstimmung geschehen, sondern durch alle Formen des Klassenkampfes bis hinauf zum Bürgerkrieg.

In diesem Sinne also werden wir einige Zahlen anführen. Dabei ist, und nicht nur aus diesem Grund, bedauerlich, daß die ersten Zahlen, die zum Vergleiche notwendig wären, fehlen; nämlich die Zahlen aus der ersten Wahl nach Beginn der Revolution, der Wahl vom 19. Januar 1919, von der die Kommunisten fern blieben. So müssen wir beginnen mit der Wahl zum Preußischen Landtag im Februar 1921. Es entfielen in dieser Wahl auf proletarische Parteien folgende Stimmen (auf tausend abgerundet):

Kommunisten

USPD

SPD

1.156.000

1.087.000

4.171.000

Diese Zahlen besagen: die Kommunisten sind zur Zeit etwa ein Fünftel der Proletarier, die sich überhaupt als Klassenangehörige betätigen. Selbst mit der USPD zusammen, die doch gewiß keine Kommunisten, sondern eher den Sozialdemokraten zuzuzählen sind, selbst mit diesen zusammen wären sie etwa ein Drittel jener Proletarier.

Doch ist an sich – wir kommen darauf noch später zu sprechen – diese Gesamtzahl nicht unbedingt entscheidend. Wir werden daher einzelne besonders markante Beispiele hervorheben.

VKPD

USPD

SPD

Berlin:

112.000

197.000

221.000

Groß-Berlin (Berlin mit Potsdam I und II):

233.000

397.000

564.000

Magdeburg:

26.000

  48.000

264.000

Halle:

204.000

  76.000

  71.000

Westfalen Nord:

  49.000

  23.000

196.000

Westfalen Süd:

108.000

  84.000

283.000

Düsseldorf Ost:

105.000

  84.000

131.000

Düsseldorf West:

  65.000

  23.000

  94.000

Rheinisch-Westfälisches Industriegebiet:

372.000

214.000

704.000

Wir werden, wie gesagt, auf die Bedeutung dieser Zahlen noch später zu sprechen kommen und wollen hier nur noch folgendes erwähnen. Aus dem Vergleich etwa der Berliner, aber auch aller anderen Zahlen, mit denen der Reichstagswahl des vergangenen Sommers ergibt sich, daß nach dem Zusammenbruch der USPD etwa ebensoviel Wähler zur Sozialdemokratie, zur Noskepartei, gewandert sind, als zu den Kommunisten. Diese Tatsache ergibt sich auch deutlich etwa aus den Zahlen der Mecklenburgischen Landtagswahl im Juni 1920 und im März 1921. Es erhielten (in runden Zahlen):

KPD

USPD

SPD

im Juni 1920

  1.200

24.500

128.000

im März 1921

15.000

  2.600

137.000

Danach beträgt der Stimmenverlust der USPD 22.000 Stimmen. Die Kommunisten haben gewonnen etwa 13.800 Stimmen, die Mehrheitler etwa 9.000 Stimmen. Rechnet man auf seiten der Kommunisten ab, was sie aus anderen Kreisen als aus denen der USPD gewonnen haben und berücksichtigt man auf Seiten der Sozialdemokratie, daß sie in diesem stark ländlichen Wahlkreis ohne den Stimmenzuwachs aus dem Lager der USPD einem Stimmenverlust ausgesetzt gewesen wäre, so ergibt sich, wie gesagt, daß die Wähler der USPD halb und halb nach rechts und links gingen, soweit sie nicht (wie es besonders kraß in Berlin stattfand) überhaupt in der Versenkung verschwanden.

Wir haben aber außerdem noch einen anderen Maßstab für das zahlenmäßige Verhältnis der Kommunisten zum Proletariat. Es ist das Verhältnis in den Gewerkschaften. Während in den Wahlzahlen die strenge Scheidung von proletarischem und nichtproletarischem Element nicht stattfindet – die Sozialdemokratie hat zweifellos einen starken kleinbürgerlichen Einschlag, und ein Teil des Proletariats findet in den Wahlziffern überhaupt keinen Ausdruck –, ist die Gewerkschaft rein proletarisch, und jeder kommunistische Gewerkschaftler ist auch zweifellos Mitglied der Kommunistischen Partei. Die Zahl der Mitglieder der Kommunistischen Partei zur Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ergibt also eine Höchstzahl des augenblicklichen zahlenmäßigen (nicht geistigen) Einflusses der Kommunisten auf das gewerkschaftliche Proletariat.

Nun: die Gewerkschaften, die dem ADGB angeschlossen sind, hatten

Ende 1918

2.866.012

Mitglieder

Ende 1919

7.338.123

Mitglieder

Außerdem sind in den christlichen Gewerkschaften Ende 1919 organisiert gewesen 858.283 Mitglieder.

Ende 1919 waren also in Deutschland rund 8,2 Millionen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert. Die Zahlen sind, jedenfalls soweit der ADGB in Frage kommt, 1920 wohl noch gestiegen. Setzen wir aber auch nur diese Zahlen in das Verhältnis zur Zahl der Kommunisten Anfang 1921, zu 500.000, so ergibt sich: vom gewerkschaftlich organisierten Proletariat waren die Kommunisten rund 1/16, vom freigewerkschaftlich organisierten Proletariat waren die Kommunisten rund 1/14.

Das ist das zahlenmäßige Verhältnis, das, auch so, wie es ist, nicht zu schrecken braucht. Denn in revolutionären Situationen ändern Zahlenverhältnisse sich schnell und über den zahlenmäßigen Einfluß hinaus reicht oder wenigstens sollte reichen der geistige Einfluß.

Wir werden über diesen geistigen Einfluß, dessen Bedeutung und darüber, wie man ihn gewinnt und wie man ihn verliert, noch an anderer Stelle reden; hier wollen wir nur eines betonen, was wir schon des öfteren sagten. In gewissem Sinn ist trotz der wachsenden kommunistischen Organisation und trotz des – wenigstens bisher – wachsenden kommunistischen Einflusses die Situation der Kommunisten eine schwierigere geworden. Die Sozialreformisten jeglicher Art waren bei Beginn der deutschen Revolution völlig in der Defensive. Sie hatte zwar große Massen hinter sich, aber ihre Reihen waren ungeordnet; wir hatten freien Zutritt zu ihnen, wir konnten sie beeinflussen. Heute hat der Sozialreformismus einen bewußten und zähen Widerstand gegen den Kommunismus organisiert; ja, teilweise schon geht er aus der Defensive in die Offensive über, um die Kommunisten aus ihren Positionen zu verdrängen. Das heißt: der geistige Einfluß der Kommunisten auf die noch unentschiedenen oder noch reformistisch gesinnten proletarischen Massen fällt den Kommunisten nicht mehr in den Schoß. Er muß errungen werden. Und vorläufig, das steht fest, sind die Kommunisten eine Minderheit im Proletariat.

 

b) Welche sind die Voraussetzungen für eine Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat?

Wir haben bereits oben gesagt, was die Voraussetzung nicht sei. Nicht Voraussetzung ist, daß die Mehrheit des deutschen Proletariates ein Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei in Händen habe. Nicht Voraussetzung ist auch, daß zuvor das Proletariat männiglich zur Wahlurne schreite und seine Bereitschaft durch beschriebenen oder bedruckten Zettel bekunde. Voraussetzung ist auch nicht unbedingt, daß jene Mittelschichten, von denen wir oben sprachen, kommunistisch seien oder durchweg mit den Kommunisten sympathisierten. Ihre Sympathie freilich wird in jedem Fall eine außerordentliche Erleichterung der Aufgabe des Proletariates bei wie nach Ergreifung der Macht sein, und Umstände sind auch denkbar, wo die Feindschaft und Ablehnung diesen Schichten die Machtergreifung unmöglich macht. Das sind aber Dinge, die sich zumeist wohl erst im Kampf ergeben und bei denen es schwer ist, sich von vornherein auf bestimmte Formeln festzulegen, die dann, mechanisch angewendet, nur den Offensivgeist schwächen. Aber davon abgesehen gibt es gewisse Voraussetzungen für die Ergreifung der Staatsgewalt. Lenin sagt (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S.12):

Wir können drei Bedingungen feststellen, die dem Bolschewismus zum Siege verhalfen:

  1. eine ausschlaggebende Mehrheit unter dem Proletariat;
  2. fast die Hälfte der Stimmenzahl im Heere;
  3. ein erdrückendes Übergewicht im entscheidenden Augenblick und an entscheidender Stelle, nämlich: in den Hauptstädten und an den dem Zentrum naheliegenden Heeresfronten.

Was diese drei Voraussetzungen in Deutschland angeht, so haben wir zur ersten, Mehrheit, ausschlaggebende Mehrheit im Proletariat, schon das Zahlenmäßige gesagt und werden das andere noch nachholen. Die zweite, nahezu die Hälfte der Stimmenzahl im Heere, ist in ihrer Kleinheit zahlenmäßig überhaupt nicht auszudrücken. Wir haben in der Armee keinen Einfluß, verscherzen ihn uns immer wieder, wenn wir eben einigen gewonnen haben, müssen aber sagen: die ausschlaggebende Bedeutung, die die Armee in Rußland hatte, hat die jetzige deutsche Armee nicht. Lenin sagt (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S.12): „Die Armee war bereits im Oktober-November 1917 zur Hälfte bolschewistisch. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten wir nicht siegen können.“ Diese Bedeutung hat die Armee in Deutschland nicht.

Die dritte Voraussetzung ist „das erdrückende Übergewicht im entscheidenden Augenblick an der entscheidenden Stelle“. Dieses ist ein durchaus richtiger Gesichtspunkt. Um eine Schlacht zu gewinnen, braucht man nicht in der Mehrheit zu sein. Es genügt, an der Stelle des Schlachtfeldes in der Mehrheit zu sein, an der die Entscheidung fällt. Um einen Krieg zu gewinnen, braucht man nicht in der Mehrheit zu sein; es genügt, das erdrückende Übergewicht an den Stellen zu haben, an denen Schlachten geschlagen werden.

Welches sind die entscheidenden Stellen? Für Rußland bezeichnet Lenin als solche: die Hauptstädte und die ihnen naheliegenden Heeresfronten. Dieser letztere Faktor scheidet für uns aus den erwähnten Gründen vorläufig aus. Bleiben die Hauptstädte und zunächst die Hauptstadt, die einer haben muß mit ihren Regierungsgebäuden und ihrem zentralen Apparat, wenn er die Staatsgewalt ergreifen will.

Unglückseligerweise ist trotz – oder muß man sagen: wegen? – dem stark entwickelten Spürsinn einiger Berliner Genossen und dem nicht minder stark entwickelten Sprachtalent wider allen „Opportunismus“ die Berliner Organisation ungefähr die schlechteste, die wir im Reiche haben. Was nicht nur aus den Wahlzahlen, sondern auch aus anderem zu beweisen ist. Kurz: diese Berliner Genossen, die dafür verantwortlich sind, haben nichts getan, um diese Voraussetzung für das von ihnen heißer als von den anderen angestrebte Ziel zu erreichen.

Es bleiben aber in Deutschland noch andere Stellen, die unter Umständen entscheidend sein können.

Die Eisenbahnen. Mit den Eisenbahnen ist es nicht viel anders als mit dem Heer. Starken Einfluß, den wir schon hatten, haben wir uns durch eigene Dummheiten immer wieder verdorben. Hier in diesen halbbürgerlichen und halbintellektuellen Kreisen, namentlich der Beamtenschaft, rächt sich am stärksten das, was wir in der Behandlung jener Schichten unterlassen haben. Immerhin haben wir unter den Eisenbahnern, wenn auch nur in einzelnen Orten oder Bezirken, einigen Einfluß. Dann die Industriebezirke. Einen Industriebezirk, der mit einem Streich den bürgerlichen Staat lahmlegen und zur Kapitulation zwingen könnte, so wie Berlin es kann, wenn es die Regierungsgebäude, die Banken usw. besetzt, einen solchen Industriebezirk haben wir in Deutschland nicht. In Deutschland sind zwei Industriebezirke, die für den Staat lebenswichtig sind, die ihn aber erst nach einiger Zeit zur Kapitulation zwingen können: Rheinland-Westfalen und Mitteldeutschland. Was Rheinland-Westfalen angeht, so haben wir eben gesehen, wie dort 372.000 kommunistischen Wählern 214.000 Unabhängige und 704.000 Mehrheitler gegenüberstanden. Danach kann von einem erdrückenden Übergewicht an dieser Stelle keine Rede sein. Das andere Revier ist Mitteldeutschland. Im Bezirk Halle hatten wir 204.000 kommunistische Wähler gegen 76.000 Unabhängige und 71.000 Mehrheitler. Dort hatten wir einen gewaltigen Anhang und eine starke, opferfreudige, heroische Organisation. Wir hatten sie.

Jedenfalls aber steht fest: wenn man von Mitteldeutschland absieht, das im Sinne des kurzen Schlages nicht entscheidend ist, haben wir an keiner Stelle das „erdrückende Übergewicht“. „Wer unter diesen Umständen jetzt, in dieser Situation, eine Aktion beginnt, um die Staatsgewalt zu erobern, der ist ein Narr, und wer der Kommunistischen Partei vorerzählt, sie, die Kommunistische Partei, brauche nur zuzugreifen, der ist ein Lügner.

 

c) Wie wird die Staatsgewalt erobert?

Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat wird im allgemeinen (Ausnahmen, siehe Ungarn, waren schon da) die Frucht eines siegreichen Aufstandes, sei es des Proletariates, sei es darüber hinaus noch anderer in die Revolution gezogener Schichten sein. Welche also sind die Voraussetzungen für einen Aufstand? Darüber sagt Lenin (Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?, S.61) folgendes:

Wenn es einer revolutionären Partei unter der Avantgarde der revolutionären Klassen und unter der Landbevölkerung an einer Mehrheit fehlt, so kann von einem Aufstand keine Rede sein. Außer dieser Mehrheit ist dafür notwendig:

  1. Das Anwachsen der revolutionären Welle im ganzen Lande.
  2. Der völlig moralische und politische Bankrott der alten – zum Beispiel der „Koalitions“-Regierung.
  3. Tiefgehende Unsicherheit im Lager aller schwankenden Elemente, das heißt jener, die nicht voll und ganz hinter der Regierung stehen, obwohl sie gestern noch voll und ganz hinter ihr standen.

Wir wollen auch hier wieder diese Voraussetzungen für Deutschland prüfen und, daran anknüpfend, die Vorgänge kritisieren, die in den letzten Tagen sich in Deutschland abspielten.

  1. Die Grundvoraussetzung, die, zu der alle anderen noch hinzutreten müssen, die „Mehrheit der revolutionären Partei unter der Avantgarde der revolutionären Klassen und unter der Landbevölkerung“ lag und liegt in Deutschland, wie wir gesehen haben, nicht vor. Selbst wenn wir die Landbevölkerung, die in Deutschland die ausschlaggebende Rolle wie in Rußland nicht spielt, beiseite lassen, hat die Kommunistische Partei („die revolutionäre Partei“) auch nicht die Mehrheit unter dem Proletariat (der „Avantgarde der revolutionären Klassen“).
  2. Die revolutionäre Welle im ganzen Lande war nicht im Anwachsen. Wohl wuchs die Erbitterung des vorgeschrittenen Teils der Arbeiterschaft täglich, wohl schwoll die Zahl der Arbeitslosen täglich an, wohl ward die Armut, die Verelendung der Massen größer. Aber der Augenblick war noch nicht eingetreten, wo die sich zeigende Unzufriedenheit in steigende Aktivität der Massen umschlug; sie setzte sich, wie das häufig der Fall ist, vorläufig erst in steigende Resignation um.
  3. Von dem völligen moralischen und politischen Bankrott der alten – z.B. der „Koalitions“ – Regierung konnte keine Rede sein. In Preußen, wo die Sozialdemokratie in Koalition mit den bürgerlichen Parteien steht, hatte sie soeben genau doppelt so viel Stimmen erhalten als alle übrigen proletarischen Parteien zusammengenommen und war gegenüber dem Juni vorigen Jahres gewachsen.

Zuletzt aktualisiert am 9.8.2008